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Veröffentlicht am 15.09.2016

„Die richtige Art Leben führen“ – „Weil er er war; weil ich ich war“

Und damit fing es an
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Rose Tremains Buch über die lebenslange Freundschaft von Gustav Perle und Anton Zwiebel wurde 2016 sowohl in deutscher Sprache als auch im englischen Original „The Gustav Sonata“ veröffentlich. Der Roman ...

Rose Tremains Buch über die lebenslange Freundschaft von Gustav Perle und Anton Zwiebel wurde 2016 sowohl in deutscher Sprache als auch im englischen Original „The Gustav Sonata“ veröffentlich. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, ein Inhaltsverzeichnis ist hintangestellt; der erste Teil beschreibt die sehr unterschiedliche Kindheit und Freundschaft der beiden Jungen im Schweizer Matzlingen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, der zweite die Vorgeschichte Emilies und ihres Ehemanns Erich, und der dritte Teil berichtet mit Rückblicken über die beiden als Erwachsene.

Gustavs Kindheit ist geprägt von Armut und der Verbitterung seiner Mutter durch den sozialen Abstieg der Familie und den frühen Tod des Vaters Erich – dieser hatte die Arbeit bei der Polizei verloren, weil er vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz geflohenen Juden geholfen hatte. Die Mutter erzieht Gustav dazu, er müsse wie die Schweiz sein: „Du musst dich zusammenreißen und mutig und stark sein und dich heraushalten. Dann wirst du die richtige Art Leben führen.“ S. 13 Gustav verinnerlicht ihre Prinzipien und verschließt seine Ängste. Anton hingegen, der Sohn eines Bankiers, ist empfindsam und ein begabter Klavierspieler. „Natürlich ist er ein Jude“ meint Emilie über ihn. „Die Juden sind die Leute, wegen denen dein Vater gestorben ist, als er sie retten wollte.“ S. 31. Dieser freudlosen Kindheit Gustavs gegenüber stehen die Besuche bei Antons Familie, die Gustav mitnimmt zum Schlittschuhlaufen, in den Urlaub und als der begabte Anton am Klavier vorspielen soll. Aber Anton kann vor großem Publikum sein Talent nicht zeigen.

Die Autorin erzählt die Familiengeschichte, in beiden veränderten die Tode von Kindern das Leben der Eltern. Besonders Emilies Hoffnungen, aus ihrer ärmlichen, freudlosen Herkunft zu einem besseren Leben zu kommen, zerbrachen. "Wenn man jung ist, glaubt man, dass man noch eine Menge Zeit vor sich hat, dass man alles, was man plant, auch tun kann. Man merkt nicht, wie die Zeit vergeht, das ist das Schwierige daran. Denn sie vergeht trotzdem." S. 70 Der Leser erfährt bei Emilies Ehe vom Versuch, eine Beziehung aufrecht zu erhalten, wo nichts mehr ist, von rücksichtslosem Begehren, von Hoffnungslosigkeit, Müdigkeit, Verlust, Aufgeben.

Als Erwachsener versucht Anton die Lieblosigkeit seiner Mutter zu verdrängen: „Sie hatte sich für die Person, die er war, im Grunde blind gestellt.“ Er wird Hotelbesitzer, bereitet anderen ein Heim fern der Heimat, sieht sich als „Sklave für anderer Leute Bedürfnisse und Wünsche“ S. 261, das Hotel wird ihm zur Zuflucht gegen die Kälte. Anton wurde Musiklehrer, bis er feststellt, dass er mit dem Aufgeben seines Traums, Konzertpianist zu werden, nie versöhnt war. Er erhält eine späte Chance. Gustav ist längst bewusst, „dass eine unerfüllte heimliche Leidenschaft zwangsläufig zum körperlichen Zusammenbruch führt.“ S. 294. Irgendwann wird klar: „Wir müssen die Menschen werden, die wir hätten sein sollen“ S. 327.


Der Roman liest sich leicht und zog mich schnell in seinen Bann – beim ersten Mal bin ich so schnell hindurchgeflogen, dass mir das Material für eine Zusammenfassung fehlte. Bei der zweiten Lektüre merkt man besonders das Talent der Autorin zu unterschwelligen, (fast) versteckten Andeutungen. So deutet Tremain den vergangenen Nationalsozialismus an in den Ängsten von Antons Mutter: in ihrer Reaktion auf das Wort Lager, als die Jungen nur von ihrem Versteck im Wald berichten, oder auf Eisenbahnsignale, wenn der Ehemann sie beruhigen muss, dass der Zug nur deshalb halte. Wenn beim Klavierwettbewerb der Familienname statt Zwiebel als Zwebbel gesprochen wird, schwingt ein weiterer Unterton mit. Im späteren Verlauf berichtet ein Gast des Hotels Gustav von der Befreiung Bergen-Belsens. Das ist geschickt gemacht, der weitere Sinn für die Geschichte erschließt sich jedoch nicht.

Sprachlich ist Tremain zart, poetisch, melancholisch – bis, ja bis auf das zweite Kapitel, das von geradezu besinnungslosem Begehren erzählt in Vulgärsprache – ich mag diese Sprache nicht, finde aber – eher zu meiner Überraschung – dass sie hier passt zu dem von den zwei Nebenfiguren selbst so beschriebenen hauptsächlich animalischen Treiben. Insgesamt wegen der sonst beeindruckenden Sprache und unkitschigen Emotionalität 4,5 Punkte von 5

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wunderschönes Bilderbuch komplett ohne Text – und unbedingt auch (eher?) für Erwachsene

Überall Blumen
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„Überall Blumen“ erschien 2016 in deutscher Ausgabe, 2015 in Kanada unter dem Originaltitel „Sidewalk Flowers“. Der Text (welcher Text? es gibt nur den Titel…) stammt von JonArno Lawson, die Bilder von ...

„Überall Blumen“ erschien 2016 in deutscher Ausgabe, 2015 in Kanada unter dem Originaltitel „Sidewalk Flowers“. Der Text (welcher Text? es gibt nur den Titel…) stammt von JonArno Lawson, die Bilder von Sidney Smith. Über Recherche kann man erfahren, dass Lawson die Idee von einem Spaziergang mit seiner eigenen Tochter mitbrachte, er wird vermutlich eine Art „Storyline“ vorgegeben haben.


Irgendwo stand „Poesie ohne Worte“ als Beschreibung für das Buch, was es meiner Meinung nach ganz gut trifft. Wir begleiten dieses kleine Mädchen und ihren Vater durch die Stadt, in der das rot ihres Kapuzenmäntelchens zuerst der einzige Farbtupfer ist, bis die Blumen dazukommen. Der Vater trägt den Einkauf, oft telefoniert er nebenbei oder wartet auf sie – während sie um sich herum die wenigen Blumen in der Stadt entdeckt, pflückt und teils wieder an anderer Stelle ablegt. Das geschieht wunderschön – der Schmuck für den toten Vogel oder für den Mann, der auf der Parkbank schläft – und bleibt dabei doch am ehesten Gedankenanstoß für den Erwachsenen, weniger Anregungsbuch für das gemeinsame Lesen mit dem Kind. Welcher Erwachsene möchte wirklich, dass sein Kleinkind zu der toten Taube geht, an den Laternenpfahl, an dem doch sicherlich sich auch Hunde erleichtert haben, oder zum Obdachlosen?

Für den Erwachsenen hingegen hat man hier ein wunderschönes Coffeetable-Buch, eine Art (Nicht-zu-viel-) Wimmelbuch für Erwachsene (nicht so bunt, nicht so viel „Gewimmel“ – reduziert „für’s Alter“ = Ein Buch, das wunderschön gestaltet ist, eine fast meditative Wirkung hat und zum Nachdenken anregt bei dieser „Achtsamkeitsübung“ entlang des Einkaufs.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Grenze in den Köpfen - wenn Politik der Liebe ein Verfallsdatum aufzwingen möchte

Wir sehen uns am Meer
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Die jüdische Israelin Liat und der Palästinenser Chilmi begegnen einander zufällig im Herbst 2002 in New York, sie ist Philologin, 29, mit einem Stipendium erst seit zwei Monaten in den USA, er ist Maler, ...

Die jüdische Israelin Liat und der Palästinenser Chilmi begegnen einander zufällig im Herbst 2002 in New York, sie ist Philologin, 29, mit einem Stipendium erst seit zwei Monaten in den USA, er ist Maler, 27, schon seit über zwei Jahren im Land. Als ein Freund, mit dem sich Liat treffen möchte, kurzfristig verhindert ist, schickt dieser Chilmi, der ihm Arabischunterricht gibt. „Coup de Foudre“, denn Liebe auf den ersten Blick trifft es noch nicht annähernd: Die beiden sind von diesem Tag an zusammen. Chilmi entspricht Liats Begriff eines „vegetarischen Arabers“, nicht religiös, sehr weltlich – keinem Feindbild zuzuordnen.

Liats Gefühle durchlaufen ein Wechselbad: anfangs Furcht aufgrund der Schauergeschichten, arabische Männer würden bevorzugt jüdische Frauen verführen und später versklaven, dann Schuldgefühle wegen der Besetzung, wegen der Dinge, die sie in Israel tun kann und er nicht. Er ist souveräner, beruhigt sie: „Weißt du, eines Tages …wird das Meer uns allen gehören, und wir werden dort gemeinsam schwimmen.“ S. 41
Später, im Winter, kommt Verleugnung hinzu: während Chilmi unbefangen und offen zu Liat steht, verleugnet sie ihn, erzählt den Eltern nichts, versteckt sich, steht nicht zu ihm.

Das große Können der Autorin Dorit Rabinyan besteht darin, dass diese Liat nicht unsympathisch wird, einerseits, weil sie als Ich-Erzählerin automatisch zu größerer Identifikation einlädt und der Leser an ihrem ganzen zerrissenen Innenleben inklusive der Scham über ihr Verhalten teilhat, andererseits, weil auch Chilmi in seiner Reaktion auf seine Erfolge als Maler mit einer chaotischen Besessenheit dargestellt wird, gegenüber der Liat immer als reifer, vernünftiger wirkt. Gleichzeitig wird beider Liebe sehr poetisch und sinnlich beschrieben: „Niemand erfährt, dass er für mich entbrennt wie trockenes Laub, mich immerzu begehrlich umschmeichelt und umwirbt. Unsere schönen Nächte sind wie eine Frucht, deren Fleisch stets nachwächst, so viel man auch abbeißt, unsere Lust steigert sich mit jeder Liebkosung, hungert uns aus und sättigt uns, bis wir wieder hungrig werden. Nehmen und Geben sind eins.“ S. 128f.

Sie streiten viel, die Politik liegt immer nur ein Wort, ein Blick, einen Gegenstand entfernt, so ist für ihn ist ihre hebräische Bibel, die sie zur obligatorischen Soldatenzeit erhielt, nur das „faschistische Szenarium, Soldaten mit Gewehren und heiligen Büchern“ S. 91, nichts anderes als „die Kombination von Koran und Kalaschnikow“ bei der Hamas. Gleichzeitig bemerken diese beiden gerade in der Fremde Gemeinsamkeiten, im Umrechnen der Währungen, der Temperatur-Systeme, im Leiden unter dem strengen Winter – im Heimweh. Dennoch ist es eine „Liebe mit Verfalldatum“, mit einem antizipierten fixen Ende durch die Heimreise Liats – auch wenn sie nicht in der Lage sein wird, eine harmlose Cornflakes-Packung zu erwerben, die zufällig ihr Heimreisedatum als Verfallsdatum zeigt, akzeptiert sie diese Zäsur.

Es ist unglaublich intelligent und einfühlsam, wie Rabinyan die Handlung dieses Buches aufbaut, von der Tatsache, dass diese Liebe ihren Anfang in New York nahm, bis hin zum „Wo“ und „Wie“ des Romanendes, nicht zu vergessen der Einstieg, als Liats hebräische Schriftzeichen den Verdacht des Terrorismus in einem Café provozieren und sie Besuch vom FBI bekommt, das dann, doppelte Ironie, wiederum nicht damit umzugehen weiß, dass ihre jüdischen Eltern aus dem Iran (ausgerechnet!) nach Israel eingewandert sind.

Dieses wundervolle, poetische, sinnliche, tragische, intelligente Buch wurde vom israelischen Erziehungsministerium von der Lektüreliste für die Oberstufe gestrichen - die israelische Zeitung Haaretz zitierte eine Beamtin des Erziehungsministeriums mit der Einschätzung, der Roman ermutige zu Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden, die die »separate Identität« bedrohten, und fördere die Assimilation (vgl. z.B. Jüdische Allgemeine oder Deutschlandfunk im Internet). Anhand eines Films, den Chilmis Bruder daheim für ihn gedreht hat, bittet Liat ihn, ihr die Grenze zu zeigen, gemäß der Lage der arabischen Dörfer und der jüdischen Siedlungen. Er sagt „Sie ist hier …sie verläuft in unseren Köpfen.“ S. 215

Veröffentlicht am 15.09.2016

Sehr empfehlenswerter Mix aus Heimat- und Zeitgeschichte, Spionageroman, Politthriller,...

Bühlerhöhe
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Der Plot ist genial: Der Mossad schickt eine völlig unerfahrene gebürtige Kölner Jüdin los in den Schwarzwald, um dort ein Attentat gegen Adenauer zu verhindern – die Verhandlungen um die sogenannten „Wiedergutmachungszahlungen“ ...

Der Plot ist genial: Der Mossad schickt eine völlig unerfahrene gebürtige Kölner Jüdin los in den Schwarzwald, um dort ein Attentat gegen Adenauer zu verhindern – die Verhandlungen um die sogenannten „Wiedergutmachungszahlungen“ sollen nicht gefährdet werden. Ihre Eignung besteht darin, am Urlaubsort des Kanzlers selbst die Ferien ihrer Kindheit verbracht zu haben und die Sprache derer zu sprechen, die außer ihrer Schwester ihre gesamte Familie ausgelöscht haben. Der Attentäter wird befürchtet in den Kreisen derjenigen Israelis, die das „Blutgeld“ ablehnen.

„Warten bedeutete, unnütze Zeit zu haben, und unnütze Zeit war ein gefährliches Pulver. Ein bisschen davon auf die gut verschlossene Kiste voll von Verlust, Schmerz und Erinnerung gestreut, und diese explodierte und ließ alles in Fetzen im Kopf herumschwirren. Das Vergessen war lebensnotwendig. Wer nicht vergessen konnte, wurde wahnsinnig. Sie war eine Meisterin im Vergessen. Nur so war das Leben auszuhalten.“ S. 27

Wie bitte schafft es Autorin Brigitte Glaser, ein Buch zu schreiben, dass
• sowohl Heimatgeschichte erzählt (Schwarzwald, besonders um Bühl)
• als auch Zeitgeschichte (Adenauer und die Wiedergutmachungsverhandlungen bezüglich des Staates Israel, Leben im Kibbuz),
• das Spionageroman und Politthriller ist (ich wusste nicht, dass es ein – reales - Attentat auf Adenauer durch Zionisten gegeben hatte, was verschwiegen wurde, um die Beziehungen zu Israel nicht zu gefährden, wofür ihm Ben Gurion dauerhaft dankbar war)
• und noch dazu einen tiefen Einblick abliefert über Schuld, menschliche Beziehungen und Verdrängung?


Das Buch entpuppte sich als absoluter Glücksgriff – ich liebe anspruchsvolle Romane, ich liebe spannende Literatur, ich nutze gerne Bücher, um mich einer Zeit, einem Land oder einer Gruppe zu nähern, hier finde ich einen der seltenen Fälle, die ALLES gleichzeitig können.


Ich bin kaum jemals so vielen „red herrings“ hinterhergerannt, so viele Spuren legt die Autorin über praktisch die komplette Seitenzahl. Bei allem nutzt sie einen besonderen Stil: Es wird etwas erwähnt – und später, teils wirklich etliche Seiten später wird dieser Hinweis in einen Zusammenhang eingebettet. Ein Beispiel:
„In Haifa waren Rachel und sie [Rosa Silbermann, die Protagonistin] vor fast zwanzig Jahren als Jugendliche angekommen.“ S. 8
Später wird dann erklärt, dass Rachel sich kurz nach 1932 für die zionistische Idee begeistert hatte und mit ihrer jüngeren Schwester, auch angesichts der aufkommenden Probleme für Juden in Deutschland, mitnichten aus Spaß und Freude eingewandert war. Das ist noch ein mildes Beispiel, weil man sich diese Auflösung als naheliegend ja auch hätte denken können, doch ich werde ganz sicher hier nichts Weiteres verraten. Während mich oft in Büchern die sehr einfachen Beziehungen und Beweggründe stören, ist in diesem Buch fast alles und alle miteinander verwoben, was die Anzahl der red herrings ins Unermessliche steigen lässt, ohne dabei für mich aber undurchdringbar zu werden. Das Spannungsniveau bleibt einfach hoch, wie bei einem Thriller, weil man so aufmerksam bleiben muss. Da weiß jemand etwas, was einem anderen helfen könnte, erwähnt es aber nicht, um einem Dritten nicht zu schaden. Und über allem hängt die Vergangenheit. „So war das immer. Eine falsche Frage, ein falscher Satz, und alles Leichte und Fröhliche verschwand.
‚Welches Lager?‘, fragte Rosa leise.
‚Majdanek.‘“ S. 264


Glaser schreibt sehr ausgewogen. Auch mit den besten Absichten können Menschen verletzt werden, so soll Rosa ein Attentat verhindern helfen, wird aber fragwürdig moralisch genötigt dazu und völlig unerfahren in eine gefährliche Situation geschoben. Kaum jemand ist einfach das, was er oder sie oberflächlich zu sein scheint. Dadurch ist Rosa bald verstrickt in ein „Gestrüpp aus Spekulation und Manipulation“. Dabei geht das Buch durchaus in die Tiefe, stellt die verschiedenen Lebensstile gegenüber: da sind die, für die jede Kritik an Israel einem Verrat gleichkommt, aber auch jene, die zurück nach Deutschland gehen, „weil ein judenfreies Deutschland einem Sieg über Hitler gleichgekommen wäre“. Da sind die Kriegsgewinnler, die Ewiggestrigen, aber auch jene, die heute noch von Albträumen geplagt werden, oder selbst Opfer der Befreier wurden, weil sie aus dem Volk der Täter stammten. Der Sicht Rosas gegenübergestellt wird die Sicht von Sophie Reisacher, Hausdame auf der Bühlerhöhe, auch hierdurch wird eine tiefere, ausgewogenere Sicht gezeigt, wird deutlich, dass persönlicher „Ballast“ und Ziele bei allen den klaren Blick hemmen können.

Insgesamt definitiv fesselnd, informativ, schön zu lesen!

Am Ende des Buches folgt ab Seite 337 ein Glossar – ich habe noch einiges mehr nachgeschlagen, und empfehle das je nach Wissensstand und Interesse auch durchaus – sowie weitere Quellenangaben.

Das perfekte Buch "davor" oder "danach":

Daphne du Maurier "Rebecca" (oder die tolle Hitchcock-Verfilmung)

Leon Uris "Exodus" (als Film mit Paul Newman)

Veröffentlicht am 15.09.2016

Super „Gute-Laune“-Buch mit witzig-realistischem Blick auf Management-Attitüden und -Plattitüden

Das Leben ist ein zotteliges Ungetüm
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Mir hat dieses Buch aber auch so richtig richtig Spaß gemacht. Das ist so ein Buch für vermutlich (fast) jeden, eines, das sich im Urlaub Mutter, Vater, Kind, Opa und Tante herumreichen können; nichts, ...

Mir hat dieses Buch aber auch so richtig richtig Spaß gemacht. Das ist so ein Buch für vermutlich (fast) jeden, eines, das sich im Urlaub Mutter, Vater, Kind, Opa und Tante herumreichen können; nichts, um sich an tollen Formulierungen und Wendungen das Hirn zu verbiegen – aber auch nicht flach, die ironischen Einblicke in die Branche sind wirklich sehr gut (es gibt ein Glossar am Ende, ich bin erschreckt über mich selbst, da ich das wirklich nicht gebraucht habe). Die reinen Unterhaltungsbücher sind meist eher für Frauen, damit oft kitschig oder arg gefühlvoll – die für Männer sind meist in einer für Frauen unangenehmen Weise zotig. Krimis und Thriller sind vielen zu blutig. Der Autor schafft es hier, dass man das Buch mit einem Lächeln beiseite legt. Und, ja, natürlich ist da vieles überzeichnet, natürlich sind die Bösen böser und die Netten netter als in der Realität. Ich habe ja gesagt, U N T E R H A L T U N G. Schenken kann man das bestimmt (fast) jedem. Nein, für den griesgrämigen Onkel mit Hang dazu, nur bei der Tagesschau keine Spoiler dazwischen zu rufen, nehmen wir besser ein Sachbuch.

Ich nutze zum Lesen die Kindle-App auf dem iPad, dabei erscheinen (nicht nur bei mir!) keine Seitenzahlen, sondern nur Prozentwerte bzw. „Positionen“ – die Titelseite ist zum Beispiel hier Pos. 1 von 3407. Zitate können sich daher nur auf diese Angaben beziehen, vielleicht wird das ja einmal etwas benutzerfreundlicher, wenn das ein Verantwortlicher liest.

„Die Frau, mit der ich zusammenlebe, ist fantastisch. Nicht nur, dass sie umwerfend aussieht, sie ist auch noch selbstbewusst, humorvoll, tolerant und tierlieb. … Sie behauptet sich in einem der letzten echten Männerjobs und verdient mehr Geld als ich.

Die Frau, von der ich rede, heißt übrigens Carla und ist fünfundzwanzig. Der Altersunterschied? Der ließ sich nicht vermeiden. Es handelt sich schließlich um meine Tochter.“ Pos. 13/3407. …Dieser humorvolle, aber eher ironische als aufgesetzte Prolog brachte mich dazu, dieses Buch lesen zu wollen: Der Ich-Erzähler Stefan Fischer berichtet von seinem Umzug samt Hund „Amok“ zu seiner Tochter, in die Wohnung über der Autowerkstatt, in der sie arbeitet. Der Vater ist gerade etwas klamm – und arbeitslos. Der Autor schafft es auch ohne Probleme, dabei vom schnodderigen Tonfall der Tochter zu dem „Denglisch“ in einer Werbeagentur zu wechseln: „Anyway, jetzt geht es darum, unsere Performance upzugraden. Kurz gesagt, wir brauchen einen Hungry Guy, der unser kleines Team so bald als möglich verstärkt.“ S. 22 . Fischer geht zu einem Bewerbungsgespräch als Türsteher – und verlässt den Raum als DER neue Werbemann – dabei hat er eigentlich nur alle Fragen so uminterpretiert beantwortet, dass die zu seiner Branche, der Überwachung, passen: „Dann arbeiten wir in drei Schichten“, sage ich. „Rund um die Uhr. Sicherheit ist unser Thema, nicht wahr? Also machen wir die Bank sicher. So sicher, dass keiner auf die Idee kommt, Scheiße zu bauen.“ S. 24 SO viel Einsatzbereitschaft hatte der neue Chef nicht erwartet bei den üblichen markigen Sprüchen. Der Junior Partner ist noch überrascht: "Das Talent des Junior Partners besteht im Wesentlichen darin, zu durchschauen, was Brokkoli [der Chef] denkt. Und dann damit zu punkten, dass er dies ausspricht, noch bevor der Boss es tut." Pos 313.
Aufgrund verschiedener Umstände landet Stefan Fischer also in der Werbeagentur. Seine Bewährungsprobe kommt, als die Manager eines Klienten in der „Blitz-Zeitung“ abgelichtet werden, in Begleitung spärlich bekleideter Damen und dabei, mit zu Rollen geformten Geldscheinen Pülverchen vom Tisch zu saugen – wie soll man das erklären? Fischer hat ein feucht-fröhliches Wochenende hinter sich, so ist seine Idee, was denn Leute in ausgelassener Runde da zu sich nehmen können also… Salz! Salz mit Zitrone – und Tequila. Alles gaaaanz harmlos also. Nicht nur sein Chef fragt sich bald „Ist Werbung tatsächlich ein so billiges Geschäft, dass jeder x-beliebige Schaumschläger darin mitmischen kann?“ Pos 2017/3407
Während Fischer sich zwischenzeitig verheddert zwischen Selbstbild und Realität der Branche gerät ihm einiges außer Kontrolle, auch mit den Damen: „Theoretisch ist ein Mann in der Lage, nein zu sagen, praktisch eher weniger.“ Pos 2133/3407. So entwickelt sich bald – auch dank der himmlisch skurrilen Nebenfiguren wie Ashanti und Opa Neunziger – aus der Situation ein veritables Roadmovie, bei dem ich auch durchaus etwas für’s Leben lernen konnte für den Kauf von Gebrauchtfahrzeugen: „..du legst den dritten Gang ein, lässt die Kupplung kommen und gibst Gas. Wenn sich der Motor abwürgen lässt, ist die Kupplung in Ordnung, schleift sie, ist sie durch.“ Pos 2334/3407.
In diesem Buch „schleift“ nix. Klasse!