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Veröffentlicht am 26.05.2020

Zerrissenheit...

Giovannis Zimmer
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überall, wohin man auch nur blickt - und das mitten in den 1950er Jahren in Paris! Hatten die Menschen damals keine Werte, keine Ideale?

Doch, aber die waren eng getaktet, bzw. hatten das zu sein. Hier ...

überall, wohin man auch nur blickt - und das mitten in den 1950er Jahren in Paris! Hatten die Menschen damals keine Werte, keine Ideale?

Doch, aber die waren eng getaktet, bzw. hatten das zu sein. Hier schreibt der Autor James Baldwin - selbst Afroamerikaner und homosexuell, damit gleich in zweifacher Hinsicht Angehöriger einer Randgruppe - aus der Sicht eines Landsmannes, der allerdings weiß ist. Aber eben homosexuell, was bisher (noch) nicht viele in seinem Umfeld wissen.

Der Protagonist kommt aus wohlhabenden und angesehenen Kreisen und hat auch vor, dorthin zurückzukehren - zusammen mit seiner Zukünftigen, die derzeit durch Südeuropa reist.

Doch dann kommt ihm die Leidenschaft in die Quere - zusammen mit Giovanni, einem jungen Italiener, den er sozusagen auf den ersten Blick erobert, lebt er diese voll aus. Und möchte sich dann wieder abwenden davon, von dieser - so hofft er - temporären jugendlichen Tollheit. Doch der heißblütige Giovanni, der ihm so vieles gegeben hat, vor allem sich selbst in jeder Hinsicht, lässt dies nicht zu. Und als er sich seiner Ohnmacht bewusst wird, passiert ...

Nein, das verrate ich jetzt nicht, das muss sich jeder selbst erlesen. Und sich damit auf den Prüfstand begeben in Bezug darauf, ob und wie gut er das durchsteht. Denn es ist keine leichte Kost, man braucht schon starke Nerven für diese Lektüre. Nicht nur Giovanni gibt so vieles von sich preis, nein, die Helden des Romans, sowohl die Haupt- als auch die Nebenfiguren, sowohl die männlichen als auch die weiblichen (gut, davon gibt es nur eine) stellen sich nicht nur einmal bloß.

James Baldwin hat es 1956, als er diesen Roman verfasste, geschafft, in das Innerste und Tiefste all seiner Protagonisten vorzudringen und alles, was sie eigentlich zu verbergen trachten, offenzulegen. Zunächst einmal natürlich vor uns Lesern, aber ebenso vor den anderen Akteuren des Romans. Und obwohl dies ein Werk ist, in dem Hauen und Stechen eine eher geringe Rolle spielen, könnte man meinen, es wäre ein Thema. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Roman, in dem sich Vieles unterschwellig abspielt, so brutal sein kann! Und das auch noch, obwohl mich das Werk nicht mal ganz in meinem tiefsten Inneren erreichte! Das liegt aber nicht am mangelnden Können des Autors, nein, ganz und gar nicht.

Aber irgendwie fühlte ich mich während der Lektüre doch immer sehr weit entfernt von der Thematik - und daran konnte weder der eindringliche Stil des Autors noch die wunderbare Übersetzung von Miriam Mandelkow etwas ändern!

Veröffentlicht am 10.05.2020

Das ist die Kölner Luft - mit Parfum-Duft!

Die Lilienbraut
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Schon die Ansiedlung des neuen Romans von Teresa Simon machte mich neugierig - nirgendwo anders als in meiner Heimatstadt Köln spielt die Geschichte der Lilienbraut und das in einer sehr unbarmherzigen ...

Schon die Ansiedlung des neuen Romans von Teresa Simon machte mich neugierig - nirgendwo anders als in meiner Heimatstadt Köln spielt die Geschichte der Lilienbraut und das in einer sehr unbarmherzigen Zeit, nämlich während des Zweiten Weltkriegs. Wobei es wie immer bei dieser Autorin auch einen Erzählstrang gibt, der in der Gegenwart stattfindet.

Hier treffen wir die Niederländerin Liv, die mit ihrem kleinen Söhnchen frisch nach Köln gezogen ist und im Stadtteil Ehrenfeld einen Parfumladen eröffnet hat. Rasch lernt sie ihre Umgebung kennen und freut sich, dass viele Kölner ihr offen und ausgesprochen hilfsbereit begegnen. Aber längst nicht alle! Bald schon muss sie einen ganz besonders fiesen und heimtückischen Angriff auf ihren Laden hinnehmen und alles deutet mehr und mehr auf eine Verbindung in die Vergangenheit. Denn warum hat Livs kürzlich verstorbene Tante, der sie den Geldsegen für die Gründung des Ladens verdankt, wohl darauf bestanden, dass Liv diesen in Köln einrichtet?

Schauen wir zurück in die Vergangenheit, landen wir in einer für Köln ganz besonders schweren Zeit, war es doch die Stadt, die von allen in Deutschland am häufigsten bombardiert wurde und zwar in allen Phasen des Krieges. Nellie Voss lebt mit Mutter und Bruder in Ehrenfeld und hat eine Anstellung in der rennomierten Parfumerie 4711 ergattert. Ihre Mutter betreibt eine kleine Kneipe, in der sie abends hilft. Wie so viele Kölner sind die Vossens fromme Katholiken und besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Und gerade dort trifft Nellie ihre große Liebe.

Peu à peu bewegen sich beide Erzählstränge geschickt aufeinander zu, um sich kurz vor dem Finale geschickt miteinander zu verbinden. Gut getroffen ist hier sowohl der besonders offene Geist der Kölschen sowie die multikulturelle Veedels-Atmosphäre, die gerade in Ehrenfeld auch "in echt" ausgesprochen präsent ist. Als bemerkenswert empfinde ich die lebendigen Darstellungen Kölns, insbesondere Ehrenfelds in Vergangenheit und Gegenwart - hier hat die Autorin, die selbst keine Kölnerin ist, voll ins Schwarze getroffen - das muss man erst mal hinbekommen!

Allerdings hätte sie ihr Personal aus meiner Sicht nicht auf Kölsch sprechen lassen sollen, denn da passt so einiges nicht. Ich selbst bin auch nicht sattelfest und halte mich in der Regel zurück, kann Fehler aber erkennen.

Zudem ist bei einer derart erfolgreichen Autorin wie Teresa Simon davon auszugehen, dass sich nicht nur Leser an das Buch wagen, die Köln und seine Eigenarten kennen - hier hätten einige Begriffe wie bspw. "Köbes" genauer erläutert werden können. Aber all das hat mein Lesevergnügen nur minimal einschränken können - insgesamt hatte ich viel Freude mit und Liv, Nellie und allen anderen, auch wenn der Roman schon aufgrund der Thematik nicht gerade leichtfüßig daherkommt!

Veröffentlicht am 04.05.2020

Hannah in Wort und Bild

Die drei Leben der Hannah Arendt
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Und zwar Hannah Arendt, eine der Frauen, die im 20. Jahrhundert etwas zu sagen hatten. Und zwar zu Fragen des Glaubens und der Kultur, am allermeisten jedoch zur Politik. Und zwar in Zeiten, als es richtig, ...

Und zwar Hannah Arendt, eine der Frauen, die im 20. Jahrhundert etwas zu sagen hatten. Und zwar zu Fragen des Glaubens und der Kultur, am allermeisten jedoch zur Politik. Und zwar in Zeiten, als es richtig, richtig gefährlich war, nämlich in den 1930er und 1940er Jahren. Auch danach verstummte sie nicht - und erntete viel Kritik.

Aber nicht nur sie enttäuschte, auch sie selbst wurde enttäuscht, so bspw. in großem Maße von Martin Heidegger, ihrem zeitweiligen (Hochschul)Lehrer und Geliebten, der es durchaus auch mit den Nazis hielt.

Ein Einblick ist dies in das bzw. in die drei Leben(sphasen) der Hannah Arendt, der sicher nichts für jeden ist - kommt er doch sehr komprimiert rüber und nicht immer sind die vom Zeichner Ken Krimstein ausgesuchten Szenen diejenigen, die man selbst erwählt hätte.

Wie auch immer - ich habe Graphic-Novel-Erfahrung und mir gefällts. Ich würde diese besondere Art der Biographie allerdings - bspw. als Geschenk - nicht allein stehen lassen, sondern entweder die Karte dazu mit Links garnieren oder sie im Doppel mit einem anders gearteten Werk verschenken. Für visuell orientierte Menschen durchaus ein Gewinn - wobei ich doch zu gern erfahren würde, was genau Krimstein mit der Farbe Grün assoziiert, die er Hannah auf jeder Zeichnung unterjubelt - sozusagen als KennZeichnung!

Ein besonderes Werk und sicher nichts für jedermann - aber aus meiner Sicht durchaus eine Bereicherung des Angebots zur Person Hannah Ahrendt.

Veröffentlicht am 30.04.2020

Peter oder Paul?

Goldkind
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Das Leben auf Trinidad ist hart. Und erbarmungslos. Aber nicht für jeden - das lernen die Zwillinge Peter und Paul schon früh, denn in ihrer Familie sind manche - wie der Großonkel und der Onkel - durch ...

Das Leben auf Trinidad ist hart. Und erbarmungslos. Aber nicht für jeden - das lernen die Zwillinge Peter und Paul schon früh, denn in ihrer Familie sind manche - wie der Großonkel und der Onkel - durch Karrieren im beruflichen Bereich auf Rosen gebettet, andere wiederum müssen sich selbst durchschlagen. Oder fordern - wie der andere Onkel - ständige Unterstützung von der Familie.

Die wollen ihre Eltern nicht, bzw. nicht für sich selbst. Doch Peter, der als hochbegabt gilt, soll es später mal besser haben. Und deswegen müssen sie, durch die Härte und Erbarmungslosigkeit ihrer Umgebung zum Äußersten getrieben, an einem Punkt - ihre Zwillinge sind inzwischen dreizehn - eine Entscheidung auf Leben und Tod treffen.

Bekommt Peter ein besseres Leben oder überlebt Paul, der als lernschwach und leicht behindert gilt? Wirklich starker Tobak, von Claire Adam auf eher sanfte Art vorgetragen, was ihn noch eindringlicher werden lässt. Schwere Kost - es bleibt zu hoffen, dass man selbst niemals in eine ähnliche Situation kommt. Doch die gesellschaftliche Entwicklung lässt anderes befürchten.

Veröffentlicht am 29.04.2020

Eine Ode an die Verschrobenheit

Das Museum der Welt
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Nämlich an die der drei bayerischen Brüder Schlagintweit, die in den 1850er Jahren in Indien auf den Spuren Alexander von Humboldts forschen wollten - und mehr noch an die des mindestens 12jährigen einheimischen ...



Nämlich an die der drei bayerischen Brüder Schlagintweit, die in den 1850er Jahren in Indien auf den Spuren Alexander von Humboldts forschen wollten - und mehr noch an die des mindestens 12jährigen einheimischen Waisenjungen Bartholomäus, der sie auf ihrer Reise - teils als Übersetzer, teils als Maskottchen - begleitete.

Und unterwegs ein Museum schuf - eines in Schriftform nämlich. Und dabei viele, viele Details zum Alltag des Trains - wir würden heute wohl Treck sagen - festhielt. Ein ganz besonderer Roman, in dem die Sicht des indischen Jungen - und nur die seinige - maßgeblich ist.

Bei der es viele drollige Schlussfolgerungen zu genießen geben, es allerdings ebenso deutlich wird, wie erbarmungslos das Leben damals war - vor allem, aber nicht nur das Leben der Einheimischen. Wobei Bartholomäus trotz seiner Sprachfertigkeiten das untereste Glied an der Kette war.

Ein Roman über eine Tour, die tatsächlich stattgefunden hat, bei der jedoch vieles hinzu erfunden wurde. Und in dem es vor den zahllosen kleinen und köstlichen Ideen des Autors Christopher Kloeble nur so wimmelt.

Wobei man stellenweise einen langen Atem braucht und sich zudem damit abfinden muss, dass einiges ungeklärt bleibt. Ein Glossar zu den lokalen Begriffen, von denen nicht gerade wenige Eingang in die Handlung gefunden haben, sucht man nämlich vergeblich. Aber abgesehen von diesen eher kleinen Kritikpunkten habe ich diesen ausgesprochen ungewöhnlichen Roman sehr genossen!