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Veröffentlicht am 09.05.2018

Britische Exzentrik unter afrikanischer Sonne

Kenia Valley
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Wir befinden uns in den "Roaring Twenties" als der 14jährige Theo und seine Schwester Maud gemeinsam mit ihren Eltern aus dem heimatlichen Schottland kommend in Kenia "aufschlagen": nicht für kurze Zeit, ...

Wir befinden uns in den "Roaring Twenties" als der 14jährige Theo und seine Schwester Maud gemeinsam mit ihren Eltern aus dem heimatlichen Schottland kommend in Kenia "aufschlagen": nicht für kurze Zeit, nein zum Leben sind sie gekommen. Der Vater arbeitet in verantwortungsvoller Position für die - in großen Teilen noch auszubauende - Eisenbahn.

Doch das interessiert Theo herzlich wenig, der fasziniert ist von der britischen Kolonialgesellschaft vor Ort: zunächst lernt er Freddie, einen jungen, reich verheirateten Kerl und die wesentlich ältere, faszinierende Amerikanerin Sylvie kennen und erliegt ihnen beiden: von Beginn an hofft er auf ihre Gesellschaft und tatsächlich wird sie ihm quasi auf dem Tablett angeboten. Schnell ist er selbst ein Teil dieses dekadenten Trüppchens, das nicht viel mehr zu tun hat, als das Leben zu genießen.

Auch Jahre später, nach seinem Studium in Schottland zieht es ihn wieder unter die Sonne Afrikas bzw. Kenias - vor allem aus Sehnsucht nach Sylvie, aber auch nach Freddie und den anderen Genießern dort.

Ganz anders jedoch hat sich in den Jahren seiner Abwesenheit die jüngere Schwester Maud entwickelt, die den gesamten Haushalt der Familie managt und sich auch an der Landwirtschaft erprobt - immer in enger Kooperation mit der schwarzafrikanischen Bevölkerung hat sie sich zu einer Kennerin und Fürsprecherin ihrer Belange entwickelt, von denen sie viele zu ihren eigenen gemacht hat - damit ist sie ihrer Zeit weit voraus.

Wird Maud tatsächlich etwas bewirken können. Wird Theo bis in alle Ewigkeit der dekadente Junge bleiben?

Ein ungewöhnlicher Roman über eine längst vergangene Zeit. Die Autorin Kat Gordon lässt diese farbig und schillernd vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen, auf gewisse Art ist man in Gefahr, selbst der Faszination dieses "Lotterlebens" zu erliegen. Davon wird man jedoch durch die sehr deutliche Darstellung der einzelnen Charaktere abgehalten, von denen viele als wirklich verkommen bezeichnet werden können bzw. zumindest etliche Eigenschaften, die in diese Richtung führen, aufweisen können.

Ein Buch mit einer gewissen Sogwirkung, wobei ich, als ich es aus der Hand legte, froh war, es "nur" gelesen und nicht erlebt zu haben: dieses intensive Leben, in dem einem die dicksten Trauben einfach so in den Rachen zu purzeln scheinen - natürlich nur, wenn man zur weißen Oberschicht gehört, hat etwas Erschreckendes an sich. Wer gerne - zumindest literarisch - in ferne Länder reist und keine Angst vor Extremen hat, der liegt hier richtig!

Veröffentlicht am 06.05.2018

Frei, aber fremd

Ich wollte nur Geschichten erzählen
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Denn frei ist man nur, wenn man wirklich all das machen kann, was man will, ja, das was man für ein erfülltes Leben wirklich braucht. Und das ist sehr subjektiv: für den Autor Rafik Schami beinhaltet das ...

Denn frei ist man nur, wenn man wirklich all das machen kann, was man will, ja, das was man für ein erfülltes Leben wirklich braucht. Und das ist sehr subjektiv: für den Autor Rafik Schami beinhaltet das definitiv, sich sooft er will, in seiner Heimat, der syrischen Hauptstadt Damaskus aufhalten zu können. Und sicher auch, in arabischer Sprache problemlos gedruckt zu werden - mit allen seinen Werken.

Beides ist nicht möglich, im Gegenteil, Rafik Schami ist gezwungen, im Exil zu leben. Und das seit 1971, also nicht gerade seit gestern. Und er schreibt in einer Sprache, die nicht seine ursprüngliche ist, also auf Deutsch. Aber zumindest kann er schreiben und er kann frei leben und sich bewegen.

Das Büchlein "Ich wollte nur Geschichten erzählen" beinhaltet eine Reihe von kleinen Sequenzen, man könnte auch sagen: Gedankensplittern zu seiner Situation, quasi zu allem, was mit seinem Leben als syrischer Schriftsteller im deutschen Exil zu tun hat. Sie sind sehr unterschiedlich - teilweise gehen sie eher auf sachliche Aspekte und Umstände ein, zum Teil sind sie aber auch sehr persönlich. Ein Mosaik der Fremde also, wie es im Untertitel heißt.

Und passender könnte dieser nicht sein, denn ein Mosaik ist kein Puzzle: nicht jedes Steinchen muss sich nahtlos an das andere gliedern, nein, es kann auch mal ein wenig uneinheitlich zugehen oder die Schnittstellen stimmen nicht ganz. Beides ist auch hier der Fall und gerade das macht das Buch zu einem so besonderen.

Einer bzw. vieler Botschaften Rafik Schamis eben, die zusammengenommen einen Eindruck von ihm, von seiner Situation vermitteln. Vieles ist ausgesprochen anregend, wenn auch längst nicht so humorvoll wie man es aus seinen Romanen und Erzählungen kennt. Aber es geht auch nicht um Unterhaltung, es geht um das Leben im Ganzen, da mag es nicht so passend erscheinen. Manchmal wird es ein wenig zu persönlich für meinen Geschmack, dann wird ordentlich ausgeteilt. Und wenn man ein wenig googeln würde, wäre es sicher sehr einfach, zu erfahren, wer jeweils der Adressat ist.

Mir jedoch gefallen diejenigen Passagen am besten, die uns allen, die wir hier leben, die wir vom Exil gar nicht oder "nur" mittelbar betroffen sind (hier fühle ich mich angesprochen, denn meine Eltern lebten - so könnte man es sehen - auch im Exil), einen Spiegel vorhält.

In diesen Tagen, in denen sowohl der Islamische Staat als auch die zunehmend öffentlich werdende rechte Gesinnung stets präsent sind und eine ständige Bedrohung darstellen, ein ausgesprochen mutiges Werk. Ich habe mich darüber gefreut, es lesen zu dürfen, zeigt es mir doch den Autor Schami aus einer anderen Perspektive als der, die mir aus der Lektüre seiner zahlreichen Werke - und zwar seit weit über zwanzig Jahren, so lange lese ich ihn schon, bekannt ist.

Veröffentlicht am 06.05.2018

Warum weinst du, holde Gärtnersfrau?

Hortensiensommer
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Johanna lebt in einem großen ererbten Haus im idyllischen Dorf Sommerhausen in Unterfranken und hat in ihrem Beruf als mobile Gärtnerin ganz gut zu tun. Zudem ist sie umgeben von guten Freunden und hat ...

Johanna lebt in einem großen ererbten Haus im idyllischen Dorf Sommerhausen in Unterfranken und hat in ihrem Beruf als mobile Gärtnerin ganz gut zu tun. Zudem ist sie umgeben von guten Freunden und hat ein enges Verhältnis zu Schwester und Schwager. Doch gibt es in ihrem Leben nicht gerade wenig Grund zu Trauer und Tränen. Hat sie tatsächlich ihre Scheidung, die nun schon ein Weilchen zurückliegt, immer noch nicht überwunden?

Sie erhofft sich mehr Ruhe durch ihren neuen Mieter Philipp, Lehrer für Mathematik und Physik. Doch obwohl sie nach anfänglichen Schwierigkeiten bestens miteinander klarkommen, sogar die Abende miteinander verbringen, ist bald das Gegenteil der Fall. Besonderen Pfiff erhält der Roman dadurch, dass die Handlung aus zwei Perspektiven - der von Johanna einerseits und von Philipp andererseits dargestellt wird.

Ein schön geschriebener leichter, aber nicht seichter Unterhaltungsroman für Fans von Gartenkultur und der Region Franken bzw. solche, die es noch werden wollen. Autorin Ulrike Sosnitza lässt den Leser erst nach und nach hinter die Kulissen blicken. "Hortensiensommer" ist aus meiner Sicht nicht unbedingt der passende Titel, weil dadurch alle anderen Blumen und Pflanzen, die ebenso intensiv zur Sprache kommen, in dem Hintergrund gerückt werden. Doch abgesehen davon ist ihr ein anrührender sommerlicher Roman gelungen, der sehr gut für eine kleine oder auch größere Pause im Liegestuhl geeignet ist!

Veröffentlicht am 02.05.2018

"Wie oft verlieren wir jemanden ohne Vorwarnung." S. 12

Die Schönheit der Nacht
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Claire, eine Frau Mitte vierzig, hat es geschafft: als Kind befand sie sich in einer ausweglos scheinenden Situation, nun als gestandene Frau kann sie auf eine berufliche Karriere als Professorin, eine ...

Claire, eine Frau Mitte vierzig, hat es geschafft: als Kind befand sie sich in einer ausweglos scheinenden Situation, nun als gestandene Frau kann sie auf eine berufliche Karriere als Professorin, eine langjährige Ehe, einen wohlgeratenen Sonn und einen gewissen materiellen Wohlstand schauen. Doch um Erfüllung zu finden, fehlt ihr einiges. Bildreiche Sprache, ungeahnte Leidenschaften. Und immer wieder das Meer...

Ein alltäglicher Moment wird zur Kostbarkeit, gestohlene Momente, ein flüchtiges Abenteuer. Ist es für Claire, gestandene Professorin mit geregeltem Alltag und festem Einkommen, nur eine Flucht aus dem Alltag? Werden im Zimmer Nummer 32, Claires kurzfristigem Aufenthaltsort, einschneidende Entscheidungen getroffen?

Wie jedes Jahr verbringt sie mit Ehemann Gilles und Sohn Nico den Sommer am Meer, doch diesmal gibt es einen weiteren Gast: Julie, Nicos Freundin. Dass Claire sie bereits aus einem anderen Zusammenhang kennt, wissen die anderen nicht.

Wie oft verlieren wir jemanden ohne Vorwarnung." (S. 12) Ein zentraler Satz, der sich nicht nur auf Menschen bezieht, nein, auch auf langjährige Verbindungen zur Vergangenheit unterschiedlicher Art. Aber es kommt auch etwas dazu: Personen, Erfahrungen, Eindrücke. Geheimnisse, die verwirren, die jedoch auch weiterführen. Verwirrende Erkenntnisse über sich selbst und andere. Ein Roman wie das Leben.

Nina George punktet durch bildreiche und elegante Sprache. Mal kühl, dann wieder brodelnd, so führt sie uns durch Claires Alltag, vor allem jedoch durch ihre Sinneswelt. Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle - das sind die Elemente, die diesen Roman tragen. Und immer wieder das Meer: für Claire ist es Ruhepol, Think Tank, Zuhause gleichermaßen. Und der einzige Ort, an dem sie sich wiederfinden kann, wenn sie sich - ohne Vorwarnung, versteht sich - selbst verloren hat.

Ein besonderer Roman, der durch seine kraftvolle und poetische Sprache berührt. Der mich aber auch durch die Dringlichkeit, die Vehemenz, mit der extreme Gefühle zugelassen werden und zur Sprache kommen, gefühlt und gelebt werden, durchaus verwirrt hat. Nina George entführt den Leser in eine Welt, in der die geheimsten Empfindungen einen (Lebens)raum erhalten.

Veröffentlicht am 27.04.2018

An jedem Finger einen Mann

Männer und andere Ballaststoffe
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hat Nina zwar nicht, aber fast: es sind drei Männer, die sich um sie scharen: ihr Exmann Martin, Vater ihrer siebzehnjährigen Tochter Fly und immer noch sehr präsent in Ninas Leben. Nicht, weil Nina es ...

hat Nina zwar nicht, aber fast: es sind drei Männer, die sich um sie scharen: ihr Exmann Martin, Vater ihrer siebzehnjährigen Tochter Fly und immer noch sehr präsent in Ninas Leben. Nicht, weil Nina es so möchte - die ist nämlich bereits voll involviert in einer neuen Ehe mit Hobby-Radler Ralf. Und hier ist das Hobby Programm - ebensow wie Martin von ganzem Herzen Manager ist und ständig seine Calls asap erledigen will - wie auch alles andere - ist Ralf mit seinem Fahrrad verbandelt. Mehr als mit Nina. Sie ist nach dem ersten Ehejahr schon ganz schön ernüchtert und überlegt, ob sie sich das auf Dauer überhaupt weiterhin antun will. Um das alles noch zu toppen, erhält sie eine Nachricht von Lukas, ihrer großen Jugendliebe, der damals plötzlich weg war. Einfach so, von einem auf den anderen Tag. Aber jetzt - so scheint es - ist er wieder da, vielleicht jedenfalls. Ist er die ultimative Lösung für alles?

Zumindest, was Männer angeht. Denn es ist nicht so, als würde es nichts anderes in NInas Leben geben. Nein, ganz und gar nicht: sie hat Busenfreundin Birgit und den erweiterten Kreis der Flotten Lotten, die immer da sind, wenn es brennt. Und zwar sofort. Außerdem gibt es ihre Mutter samt mehr oder weniger jugendlichem LIebhaber, die mehr in Ninas Leben drinhängen, als sie es jemals ahnte.

Und natürlich ihren Beruf als Müsli-Beraterin. Dazu einen alten, einen sehr alten Traum. Aber den verrate ich Ihnen nicht, da müssen Sie schon selbst zum Buch greifen.

Sie erwartet ein sehr origineller, teilweise dann doch ein bisschen konventioneller, zu großen Teilen aber haarsträubend überraschender Roman über die Frau in den mittleren Jahren. Und was so an ihr dranhängt an Ballaststoffen des Lebens. Denn es sind definitiv nicht nur Männer! Wenn Sie einige Minilängen nicht scheuen, wagen Sie sich an die Lektüre und Sie werden zu großen Teilen überrascht sein. Von einer Autorin, die schreiben kann wie eine junge Göttin, na gut - eine im besten Alter. Was ja nur gut sein kann, weil dann bereits aus mannigfaltigen Erfahrungen geschöpft werden kann. Zudem hat sie Humor und lässt ihn ungehemmt raus - nicht nur auf Kosten anderer. Nein, Humor ist, wenn man trotzdem lacht, auch wenn es nichts zu lachen gibt und sei es nur man selbst und seinesgleichen.

Ein bisschen anders, ein bisschen spritzig und ziemlich witzig - leichte, aber keineswegs oberflächliche Lektüre frei von Ballaststoffen!