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Venatrix

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.09.2022

Fesselnd bis zur letzten Seite

Solothurn blickt in den Abgrund
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Dieser Krimi beginnt mit einem brutalen Überfall auf eine Mitarbeiterin der Frauenrechtsorganisation im Schweizer Ort Olten. Schon zuvor ist ein Briefkasten der Organisation, die Frauen berät, in Flammen ...

Dieser Krimi beginnt mit einem brutalen Überfall auf eine Mitarbeiterin der Frauenrechtsorganisation im Schweizer Ort Olten. Schon zuvor ist ein Briefkasten der Organisation, die Frauen berät, in Flammen aufgegangen. Polizeihauptmann Dominik Dornach und Staatsanwältin Angela Casagrande bekommen den Fall auf ihre Schreibtische.

Hat hier die erzkonservative und fremdenfeindliche Rechtspartei ihre Finger im Spiel? Doch der rechtsradikale Politiker mauert bei seiner Befragung und weist jegliches Mitwissen von sich.

Als dann noch wenig später Rana, die syrische Freundin von Pia Zenklusen, Dominik Dornachs Tochter, verschwindet, ahnt noch niemand, welche Dimensionen der Fall annehmen wird.

Meine Meinung:

Christopf Gasser ist mit diesem 5. Fall für Dominik Dornach und Angela Casagrande ein großartiger Krimi gelungen, der beide an ihre Grenzen bringt. Zum einem Dominik, weil seine Tochter, obwohl inzwischen Mutter eines Zweijährigen, auf eigene Faust ermittelt, und dabei ihren Eigenschutz gröblich vernachlässigt, und zum anderen Angela, die ein Geheimnis das sowohl sie als auch Dominik und Pia betrifft, mit sich herumschleppt.

Wie wir es von Autor Christof Gasser gewöhnt sind, ist der Fall hoch komplex und zeichnet ein nicht ganz so solides Bild der Schweiz wie man es dort gern hätte. Die Gier nach schnödem Mammon lässt auch einige Schweizer auf Abwege geraten und sich mit Mächten zusammentun, die keinerlei Skrupel kennen.

„...Sobald ein Tyrann nicht mehr salonfähig war, legte man sich halt mit dem nächsten ins Bett.“

Wir erleben mit, wie aus Gier einiges unter den Teppich gekehrt und der Fall auf recht unkonventionelle Art aufgeklärt wird, was zum Nachdenken und zu Diskussionen anregt.

Der Spannungsbogen ist wie bei allen Krimis von Christof Gasser von Beginn bis zum Ende sehr hoch. Der Schreibstil elegant und fesselnd. Die Charaktere dürfen sich entwickeln, auch, wenn manchmal die Richtung einer kleiner Korrektur bedarf. Gut gefallen mir die Schweizer Ausdrücke und der feine, trockene Humor.

Fazit:

Ein fesselnder Krimi, der zahlreiche Anstöße zum Nachdenken bietet. Gerne gebe ich hier eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Veröffentlicht am 16.09.2022

Isidor Geller, ein Selfmademan

Isidor
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Shelly Kupferberg, 1974 in Tev Aviv geboren, begibt sich auf Spurensuche nach Mitgliedern ihrer Familie, die unter anderem während in der Zwischenkriegszeit in Wien lebten.

Dazu recherchiert sie in zahlreichen ...

Shelly Kupferberg, 1974 in Tev Aviv geboren, begibt sich auf Spurensuche nach Mitgliedern ihrer Familie, die unter anderem während in der Zwischenkriegszeit in Wien lebten.

Dazu recherchiert sie in zahlreichen Archiven wie dem österreichischen Staatsarchiv oder ähnlichen in Deutschland. Sie stößt auf ihren Urgroßvater Israel Geller, der aus einem Schtetl in Ostgalizien stammt und nach Zwischenstationen in Kolomea und Lemberg schließlich 1908 in Wien landet, wo er kurzerhand seinen Vornamen in Isidor ändert, Gefallen an Oper und Theater findet sowie Jura studiert und 1913 promoviert. Kurz vor Beginn des Krieges von 1914-1918 hat er eine leitende Position in einer Lederwarenfabrik inne, wird deswegen als „kriegswichtig“ eingestuft und muss nicht wie seine Brüder einrücken. Wären draußen gestorben wird, vergnügt sich Isidor in der Oper und schafft es, mit nicht immer lauteren Methoden, ein Vermögen anzuhäufen. Anders als andere Kriegsgewinnler behält er sein Vermögen in der Weltwirtschaftskrise und legt es in gut an. Wie so viele Juden seiner Zeit verkennt er den aufkeimenden Nationalsozialismus. Letztendlich wird er von seinem Personal an die Gestapo verraten, die sehr genaue Kenntnis von seinem Vermögen hat.

Meine Meinung:

Mir hat diese Biografie von Isidor Geller sehr gut gefallen. Sie zeigt einen Selfmademan, der aus bitterer Armut zum Multimillionär wird und damit die Vorurteile den Juden gegenüber wie „Kriegsgewinnler“, „reich auf Kosten anderer“ oder „Schuld an der Niederlage 1918“ schürt.

Der sachliche Schreibstil gefällt mir sehr gut. Ich kann mir die Recherchen in den Archiven sehr gut vorstellen. Sie kommt von einem ins andere, vom Hundersten ins Tausendste. Akribisch geht sie allen Hinweisen nach und fördert Erstaunliches zu Tage.

Isidor Geller ist die zentrale Figur, doch lernen wir auch seinen Neffen Walter kennen, der seinerseits Shellys Großvater ist. Der Stamm am Ende des BUches gibt einen gut Überblick über die weit verzweigte, in alle Welt verstreute Familie.

Wie ich es vom Diogenes-Verlag gewöhnt bin, ist das Buch hochwertig verarbeitet und hat ein ansprechendes Cover, das ein Reh ziert. Erst zum Schluss enthüllt sich der Konnex zum Cover. Gut gelungen!

Fazit:

Gerne gebe ich diesem penibel recherchierten Buch über das Leben Isidor Geller 5 Sterne.

Veröffentlicht am 12.09.2022

Mit den Augen eines Fotografen und dem Wissen eines Geografen

Terra
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Michael Martin, Geograf und Fotograf hat mit seinem neuen Buch „Terra“ eine Liebeserklärung an unsere Erde verfasst. Gleichzeitig soll dieses Buch auch eine Warnung sein, unseren Planeten nicht weiter ...

Michael Martin, Geograf und Fotograf hat mit seinem neuen Buch „Terra“ eine Liebeserklärung an unsere Erde verfasst. Gleichzeitig soll dieses Buch auch eine Warnung sein, unseren Planeten nicht weiter zu zerstören - wir haben nur diese eine Erde.

In sechs Kapiteln erfahren wir Wissenswertes über die Erde und dürfen uns an atemberaubend schönen Fotos sattsehen. Die sechs Kapitel sind:

Die Geschichte der Erde
Das System Erde
Die Gesichter der Erde
Das Anthropozän
Die Zukunft der Erde
Die Suche nach der Supererde

Jedes dieser Kapitel ist noch weiter unterteilt, sodass das Buch auch häppchenweise gelesen werden kann.

Die Zeitreise durch die Erdgeschichte mag für den einen oder anderen Leser ob der vielen Fachausdrücke ein wenig anstrengend erscheinen, wird aber durch zahlreiche Grafiken gut erläutert.

In einem opulenten Bildteil widmet sich Autor Michael Martin zehn Regionen der Erde.

Pazifischer Feuerring
Polynesien
Himalaja und Ganges
Anden
Rift Valley
Arktis
Arabische Halbinsel
Sibirien
Mongolische Steppe
Amazonien

Er ist für seine kolossalen Fotos, die er seit kurzem auch mit Hilfe von Drohnen schießt, vom Pazifischen Feuerring über Polynesien, die Anden und das Himalaya-Gebirge bis hin in das Rift Valley gereist. Er ist von einem Extrem ins andere unterwegs, wenn er für seine Aufnahmen von den Eiswüsten der Arktis bis in die Sandwüsten der Arabischen Halbinsel reist bzw. von Sibirien in den Amazonas-Regenwald unterwegs ist. Neben faszinierenden Naturaufnahmen finden sich auch einfühlsame Fotos von dort ansässigen Menschen.

Den Abschluss bildet ein Blick auf die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen.

Meine Meinung:

Michael Martin zeigt uns die Schönheit, die Vielfalt und vor allem die Fragilität der Erde in herausragenden Bildern. Das profunde Wissen des Geografen und des leidenschaftlichen Fotografen ergänzen sich hier perfekt.

Dieses hochwertig verarbeitete Werk ist mit Euro 77,00 leider nicht ganz billig, aber seinen Preis wert. Als Geschenk für Liebhaber unserer Erde ist es hervorragend geeignet.

In zahlreichen Vorträgen kann man Michael Martin und seine Bilder auch live sehen. Wenn er nach Wien kommt, werde ich seine Multimedia-Show genießen.

Fazit:

Ein bildgewaltiges Epos und eine Liebeserklärung an unsere Erde. Gerne gebe ich dieser Verneigung vor unserem Planeten 5 Sterne.

Veröffentlicht am 11.09.2022

Erschütternd - Genozid an den Inuit

Maikan
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Dieser erschütternde Roman beschäftigt sich mit dem Genozid der Weißen an den Inuit Kanadas. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden rund 150.000 autochthone Kinder ihren Familien entrissen und in 139 ...

Dieser erschütternde Roman beschäftigt sich mit dem Genozid der Weißen an den Inuit Kanadas. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden rund 150.000 autochthone Kinder ihren Familien entrissen und in 139 Internatsschulen verbracht, um „den Indianer in ihnen zu töten“ und sie damit zu „zivilisieren“.

Dieser Roman erzählt die brutale Geschichte von drei jungen Innu, Marie, Virginie und Charles, die im August 1936 zwangsweise in das Internat Fort George gebracht wurden, rund 1.000 km von ihren Familien entfernt.

Die junge Anwältin Audrey Duval, die für zahlreiche betroffene Innu pro bono Entschädigungen des Staates erstritten hat, entdeckt dass die Namen der drei Kinder spurlos in der Geschichte Kanadas verschwunden sind. Vom Ehrgeiz gepackt, beginnt sie zu recherchieren und entdeckt in einer alkoholkranken Frau eines des beiden verschwundenen Mädchen. In zahlreichen Rückblenden erfährt Audrey das ganze Ausmaß der Tragödie...

“...es ist meine Aufgabe als Anwältin, denen Gerechtigkeit zu verschaffen, die ein Anrecht darauf haben. Und diese Männer werden wir verhaften und verurteilen lassen, unabhängig von ihrem Alter. Aber dafür muss ich noch eine Sache wissen. Was ist mit Virginie passiert?“ (S. 186)

Meine Meinung:

Obwohl ich schon zahlreiche Bücher zu Völkermorden (Shoa, Armenien, Ukraine etc.) gelesen habe, hat mich dieser Roman von Autor Michel Jean tief erschüttert.

Dieser Roman ist bereits 2013 unter dem Titel „Le vent en parle encore“ (auf deutsch „Der Wind spricht noch davon“) erschienen. Als 2021 und Anfang 2022 die Überreste von rund 1.000 indigenen Kindern in Massengräbern nahe der Umerziehungsanstalten gefunden worden sind, hat sich der Wieser Verlag zu einer aktualisierten Neuauflage entschlossen.

Der Titel „Maikan“ bedeutet Wölfe in der Sprache der Inuit, was sehr gut zum Inhalt des Buches passt. Denn die quasi als Gefangene gehaltenen Kinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren sehen ihre „Erzieher“, hauptsächlich katholische Geistliche und Nonnen als Wölfe, die sie belauern und beim kleinsten Anzeichen von Schwäche erbarmungslos zuschlagen. Die Kinder dürfen ihre eigene Sprache nicht mehr verwenden, müssen hungern, werden geschlagen und sind sexuellem Missbrauch ausgesetzt.

Von den 150.000 verschleppten Kindern sind mehr als 4.000 an Unterernährung, Seuchen und den erlittenen Misshandlungen während ihres Aufenthaltes in einer dieser Anstalten gestorben. Rund 80.000 der ehemaligen Zöglinge leben noch. Ihnen ist dieses Buch gewidmet, einige Familienmitglieder des Autors haben das Internat Fort George er- und überlebt. Eine sehr junge Cousine seiner Mutter ist dort unter ungeklärten Umständen gestorben.

Fazit:

Diesem erschütternden Dokument über die fanatische und systematische Ausrottung der First People in Kanada gebe ich 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung, auch wenn das Buch sehr schwere Kost ist.

Veröffentlicht am 11.09.2022

Eine Hommage an eine starke Frau

Fräulein Stinnes und die Reise um die Welt
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Dieser historische Roman ist einer emanzipierten Frau gewidmet, die von ihrer Mutter auf Grund ihres Geschlechts stets herabgewürdigt worden ist: Clärenore Stinnes (1901-1990)

Clärenore hat bis zum Tod ...

Dieser historische Roman ist einer emanzipierten Frau gewidmet, die von ihrer Mutter auf Grund ihres Geschlechts stets herabgewürdigt worden ist: Clärenore Stinnes (1901-1990)

Clärenore hat bis zum Tod ihres Vaters 1924 als seine Vertraute im Betrieb mitgearbeitet. Danach wird sie von Mutter und Witwe zu Gunsten ihrer wenig geschäftstüchtigen Brüder aus der Firma verbannt. Nach einigen Jahren als Rennfahrerin, in denen sie ausschließlich gegen Männer antritt und 17 Siege einfährt, beschließt sie 1927, um ihrer Familie zu beweisen, dass auch Frauen mehr können als hübsch zu sein und Kinder zu bekommen, die Welt mit dem Auto zu umrunden.

Gemeinsam mit zwei Mechanikern und dem Fotograf/Filmemacher Carl-Axel Söderström begibt sie sich auf die abenteuerliche Reise. Sie fährt den Adler Standard 6 während die Mechaniker den großen Adler, einen LKW, fahren. Mit dabei ist auch Setter Lord.

Recht bald beginnen die Mechaniker ob des forschen Tempos und der Anordnungen von Clärenore zu maulen. Auch die vom deutschen Außenminister ausgestellten Dokumente helfen auf dem Balkan nicht immer, Bakschisch durchaus. In Moskau ist für den ersten Mechaniker wegen eines Blindarmdurchbruchs Endstation, wenig später steigt auch der zweite aus. Doch aufgeben ist für Fräulein Stinnes keine Option. Zeitweise engagiert sie Begleiter vor Ort, die längste Zeit sind Clärenore und Carl-Axel auf sich alleine gestellt. In den Anden ist beinahe Schluss, denn Carl-Axel erkrankt schwer und sein Überleben ist fraglich.

Mit Verspätung erreichen sie erreichen sie nach mehr als 46.000 km im Juni 1929 Deutschland. Ein Deutschland, das sich während der beiden Jahre verändert hat.

Obwohl sie aller Welt bewiesen hat, was eine Frau zu leisten vermag, ist ihre Mutter nach wie ablehnend Clärenore gegenüber. Die Brüder haben die Firma inzwischen soweit abgewirtschaftet, dass einige Immobilien verkauft werden müssen. Als der Gutshof in Schweden, Clärenores LIeblingsort, verkauft werden soll, verzichtet sie schweren Herzens auf ihr Erbe aus der Firma. Gemeinsam mit ihrem späteren Mann Carl-Axel, der sich von seiner Frau scheiden lässt, bewirtschaftet sie das Gut.

Meine Meinung:


Lina Jansen, hinter dem Namen versteckt sich eine österreichische Autorin, setzt mit dieser Romanbiografie der Clärenore Sinnes ein Denkmal.

Obwohl die Reise durch Söderström filmisch und fotografisch gut dokumentiert ist („Im Auto durch zwei Welten“ (Söderström/Stinnes, 1931)) findet man wenig Literatur über Clärenore Stinnes. Lina Jansen hat sich eng an Stinnes‘ Reisebericht gehalten und sich dennoch ein wenig dichterische Freiheiten genommen. Diese Abweichung sind am Ende des Buches dargestellt.

Aufgefallen ist mir, dass zu Beginn der Reise sehr in Detail gegangen wird, was aber mit Fortdauer etwas nachlässt. Man könnte es mathematisch so ausdrücken: Der Detailreichtum des Reiseberichtes nimmt mit dem Quadrat der Entfernung von Deutschland ab. Ich werde mir das Originalreisejournal besorgen, da ich vermute, dass es dort ähnlich zu lesen sein wird. Die Beschreibung von Land und Leuten wird zu Gunsten des Überlebenskampfes zurückstehen müssen.

Geschickt hat Clärenore Stinnes ihre Reise um die Welt vermarktet. Bei fast jeder Ankunft gibt es Fototermine und Einladungen zu schicken Abendessen. Dabei werden Produkte „Made in Germany“ gut präsentiert.

Das Buch ist als Hardcover erschienen und ist hochwertig verarbeitet. Auf den Vorsatzseiten ist die Reiseroute abgebildet. Hier sieht man, dass Fräulein Stinnes nicht die ganze Welt bereist hat, denn Afrika und Australien hat sie ausgelassen. Australien wegen der Entfernung und (Nord)Afrika wegen der geopolitischen Lage.

Der Schreibstil ist locker und flüssig. Man kann förmlich Motoröl riechen und den Sand unter den Rädern knirschen und die Mechaniker maulen hören.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser gelungenen Hommage an eine wagemutige Frau 5 Sterne.