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Veröffentlicht am 21.03.2018

Ein bildgewaltiges Epos

The Shape of Water
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Allgemeines:

Titel: The Shape of Water
Autoren: Guillermo del Toro und Daniel Kraus
Verlag: Knaur (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3426523078
ISBN-13: 978-3426523070
ASIN: B077D259H1
Seitenzahl: ...

Allgemeines:

Titel: The Shape of Water
Autoren: Guillermo del Toro und Daniel Kraus
Verlag: Knaur (1. März 2018)
Genre: Fantasy
ISBN-10: 3426523078
ISBN-13: 978-3426523070
ASIN: B077D259H1
Seitenzahl: 432 Seiten
Originaltitel: The Shape of Water
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
16,99€ (Broschiert)



Inhalt:

Ein geheimes US-Militärlabor 1963:
Im streng gesicherten Labortrakt F-1 wird eine Kreatur aus dem Amazonas gefangen gehalten, deren Erforschung einen Durchbruch im Wettrüsten des Kalten Krieges liefern soll. Doch eines Nachts entdeckt die Reinigungskraft Elisa das Wesen, das halb Mann und halb Amphibie ist. Die stumme junge Frau tut etwas, woran noch kein Wissenschaftler gedacht hat: Sie bringt dem Wasserwesen die Gebärdensprache bei und beginnt so entgegen aller Regeln eine vorsichtige, geheime Freundschaft mit ihm. Als sie erfährt, dass das »Projekt« schon bald auf dem Seziertisch enden soll, muss Elisa alles riskieren, um ihren Freund zu retten…


Bewertung:

Durch den gleichnamigen Film, der gerade in den Kinos läuft und bei der diesjährigen Oscarverleihung mehrere der beliebten Awards abgestaubt hat bin ich erstmals auf diese ungewöhnliche Geschichte aufmerksam geworden, die die unmögliche Beziehung zweier gequälter und komplett unterschiedlicher Liebenden beschreibt. Obwohl ich mit einem exotischen Schreibstil und einer unkonventionellen Geschichte gerechnet hat, haben mich meine Erwartungen nicht auf dieses bildgewaltige Epos vorbereitet, das gleichermaßen mit herzergreifenden Bildern wie auch grauenhaft realen Details zu bestechen weiß.


"Dabei hält sie die Tüte wie eine Trophäe, ihre Trophäe dafür, dass sie dieser atemberaubenden Vernichtung in die Augen gesehen und überlebt hat. Sie ist außer sich, atemlos, beinahe weinend, beinahe lachend."


Schon das Cover entführt ins Element Wasser und öffnet die Tür in eine Welt, in der Realität und Fantasie ganz nahe beieinander liegen. Eine Animation, die durch die zarte Machart an ein Gemälde erinnert, zeigt Elisa, die verträumt und mit geschlossenen Augen in den Armen der Meereskreatur liegt. Sowohl die blau-grüne Farbe als auch die sanft leuchten Lichtpunkte, die von dem Wesen ausgehen, erzeugen ein romantisch-mysteriösen Flair. Der Titel, der wunderbar passt und zum Glück nicht ins Deutsche übersetzt wurde, ist durch filigrane, weiße Großbuchstaben gut vom Hintergrund abzulesen und auch für die fühlenden Finger gut zu ertasten. Auch Buchrücken, Deckel und Leselaschen sind im blau-grünen Meeresstil gehalten und komplettieren die Darstellung. Ganz besonders toll sind die wunderschönen und sehr passenden Zeichnungen von James Jean, welche wenige Szenen schmücken und die Kapitelbilder, die die Geschichte abgesehen von den Kapiteln in 4 Teile unterteilen. Insgesamt eine ganz wundervolle Gestaltung!


Erster Satz: "Richard Strickland liest den Auftrag von General Hoyt in elftausend Fuß Höhe."


Die Geschichte beginnt ohne Umschweife mit der ätzenden Suche des Antagonisten Richard Strickland im wilden Dschungel Brasiliens nach dem mysteriösesten Wesen aller Zeiten: halb Mensch, halb Amphibie, wird es von den Einheimische als Gott verehren und "Deus Brânquia", also Kiemengott, genannt. Um in einem US Militärlabor genauer untersucht zu werden und Vorbild für die Entwicklung neuartiger Waffentechnologien im Kalten Krieg, soll er eingefangen und nach Baltimore in Maryland gebracht. Doch dieses Vorhaben wird zu einem langwierigen und kräftezehrenden Unterfangen, bei dem Stricklands Menschlichkeit verloren zu gehen droht. Als er schließlich die wundervolle Kreatur findet, will er nichts lieber, als endlich zu seiner Familie in die Normalität zurückzukehren. Doch General Hyot stellt ihn auch weiterhin für die Überwachung des Wesens ab. So gerät der Naturgott ins Kreuzfeuer Stricklands Hasses und er hofft nichts weiter, als es endlich töten zu können. Doch er hat die Rechnung ohne die stumme Reinigungsfrau Elisa gemacht. Eigentlich soll die junge Frau den streng gesicherten Labor Trakt F-1 nur saubermachen, als sie jedoch die Kreatur erblickt, die in dem Tankt mitten im Raum untergebracht wird, verändert sich ihr Leben einschneidend. Tief ergriffen von der Schönheit und Anmut des fremden Wesens beginnt sie, ihn jede Nacht zu besuchen und langsam die Gebärdensprache beizubringen - der Anfang einer ganz besonderen Verbindung, einer Liebe, die über Worte, Konventionen und die menschliche Art hinausgeht...


"Elisa weiß, dass sie auch einmal dieses Ding im Wasser gewesen ist. Sie war die Stimmlose, von der sich die Männer genommen haben, was sie wollten, ohne nach ihren Wünschen zu fragen. Aber sie kann gütiger sein. Sie kann ein Gleichgewicht herstellen. Sie kann tun, was kein Mann je bei ihr versucht hat: Sie kann kommunizieren. Und so geht sie weiter, bis si emit den Beinen gegen den sechzig Zentimeter hohen Rand des Beckens stößt. (...) Und das Wasser reagiert..."


Nachdem die Geschichte mit Stricklands Reise durch den dichten Amazonas Regenwald eingestiegen ist, werden zunächst in langsamem, dahinplätscherndem Tempo die erzählenden Charaktere nacheinander vorgestellt. Mit jedem Kapitel kommt ein weiterer Erzählstrang hinzu, der eine andere kleine Welt beschreibt, jedoch immer auf irgendeine Art und Weise auf den "Deus Brânquia" zurück zu führen ist. Durch die vielen verschiedenen Sichtweisen und Perspektiven entsteht ein stilles Mosaik einzelner kleiner Nischen in der Gesellschaft Baltimores, das langsam zu einem schillernde Gesamtbild verwischt. Das Erzähltempo ist dabei sehr langsam und behutsam. Durch die vielen Gegensätze und Facetten der Geschichte, wird jedoch jedes Kapitel, jede Seite, jeder Satz und jedes Wort zu einem wichtigen Bestandteil der Geschichte, der gleichzeitig von Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und Unterdrückung durchdrungen ist, jedoch auch einen Hauch Hoffnung, Willensstärke und Freude über kurze Begegnungen zweier Außenseiter in sich trägt. Besonders eindrücklich und facettenreich ist auch die Zeit proträtiert, in der die Geschichte spielt: die brodelnde Spannung des kalten Krieges klingt an und Weltbilder im Konflikt über Rassismus und die Rolle der Frau werden problematisiert.


"Das Licht, dieses unglaubliche Licht, eine sinfonische Antwort auf das lilafarbene Leuchten der Schnulzensänger, das blaue Pulsieren des Rock´n´Roll, das dumpfe Gelb der Countrymusic und das blinkende Orange des Jazz. Wie er es zuließ, dass sie die Finger um seine schloss, dass sie beide für einen Augenblick nicht Gegenwart und Vergangenheit, nicht Mensch und Kreatur, sondern Frau und Mann waren."


Ein weiterer Punkt, den dieser Roman von anderen abhebt, ist der wundervoll bildgewaltige Schreibstil. Voller Metaphern, Farben, Dynamik und Emotionen werden Szenen Leben eingehaucht und neben anrührend schönen gibt es etliche abstoßend grausame Abschnitte, welche durch den schonungslos direkten Stil noch verstörender wirken. Dabei wird mit vielen inneren Monologen gearbeitet und es gibt wenige Dialoge, was wirklich in Situationen versetzt, in denen die stumme Protagonistin mit ihrem Körper kommuniziert. Leider ist die Übersetzung häufig holprig-unelegant und stellenweise einfach fehlerhaft, was teilweise doch die besondere Atmosphäre gestört hat.

Vor dem Stil und dem langsamen Erzähltempo lebt die Geschichte vorrangig von den Charakteren. Neben Elisa gibt es noch etliche andere, ungewöhnliche Charaktere, die alle in irgendeiner Hinsicht leiden. Im Grunde ist das Buch eine Charakterstudie, die ein Haufen vom Leben enttäuschter und von der Öffentlichkeit ausgestoßener Menschen porträtiert, die durch den wunderschönen Kiemengott neuen Antrieb finden und langsam lernen, dass die Wichtigste Wertschätzung, die man erhalten kann, von sich selbst kommt. Dabei würde ich noch nicht einmal sagen, dass Elisa eindeutig im Vordergrund steht. In regelmäßigen Abständen wechselt die personale Erzählperspektive mit Innensicht von einem Protagonisten zum nächsten. Sogar das Wesen darf zweimal kurz erzählen. Das ist natürlich immer ein Risiko, die Gratwanderung zwischen unzivilisiertem Tier und rationalem Menschen realistisch darzustellen. Die Besonderheit hier: wir bekommen einen Gedankenstrom aus der "Wir"-Perspektive ohne Satzzeichen vorgesetzt.


"///Es ist gut es ist Blut Fell Sehnen Knochen Herz Liebe und wir essen und wir sind stärker und wir fühlen den Fluss wieder alle Götter den Klauengott den Scherengott den Baumgott alle von uns sind Teil des Knotens es gibt kein du es gibt kein ich es gibt nur wir wir wir wir///"


Elisa Esposito hatte nie ein einfaches Leben. Die junge Frau wurde als Kleinkind vor einem Waisenhaus abgesetzt und musste unter dem grausamen Drill einer fanatischen Oberin aufwachsen. Ein paar lange Narben an ihrem Hals machten sie seit jeher stumm - ein verheerender Nachteil in einer Welt, in der derjenige das Beste bekommt, der am lautesten danach schreit. Elisa hingegen ist schüchtern, lebt zurückgezogen und erträgt still jede noch so kleine Demütigung und Unterdrückung, die sie bei ihrer einfachen Tätigkeit als Putzfrau inmitten eines Männerdomizils erfahren muss. Ihr einziger Akt der Rebellion findet sie in dem Tragen von bunten Schuhen. Als sie jedoch auf das Wasserwesen trifft, das sie als erste Person richtig wahrzunehmen scheint und sie versteht, auch wenn sie nicht reden kann, ändert sich ihre Einstellung drastisch. Aus ihrem gesteigerten Selbstbewusstsein schöpft sie Kraft und als ihrem Freund der Tod auf dem Seziertisch droht, legt sie ihr Mauerblümchen-Dasein ab und lässt mit einer spektakulären Rettungsaktion die Stille in ihr zu Musik werden.


"Sie kommt sich so klein vor, so herrlich winzig in so einem riesigen, wundervollen Universum, und sie schlägt unter Wasser die Augen auf, um die Realität nicht zu vergessen. (...) Sie lächelt und hat Wasser im Mund. Endlich tanzt sie, tanzt sie wirklich, wird durch einen überschwemmten Ballsaal geführt und muss keinen falschen Schritt fürchten, da ihr Partner sie festhält und sie an jeden Ort begleitet, an den sie gehen muss."


Halt erfährt sie vor allem durch Zelda Fuller, welche ebenfalls als Putzkraft im Occam- Militärlabor arbeitet. Die quirlige und kräftige Frau ist Elisas einzige Freundin und Vertraute und steht ihr als Übersetzerin der Gebärdensprache im Alltag zur Seite. Ihr Handicap: ihre dunkle Hautfarbe. Es ist bewundernswert, wie sie sich immer wieder über ihre Grenzen heraus entwickelt, für Elisa einsteht, auch wenn sie das den eigenen Kragen kosten kann und ihr Leben vertrauensvoll in die Hände ihrer jungen Freundin legt. Ganz leise klingt hier die Rassismus Problematik an, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch lange nicht bewältig ist.

Der in die Jahre gekommene Künstler Giles Gunderson ist ebenfalls eine verlorene Gestalt und Außenseiter in der modernen Gesellschaft. Mit seinen drei Katzen, dem unpassenden Toupet und vor allem seiner Homosexualität ist er ebenso wenig akzeptiert, wie Elisa und Zelda, weshalb er auf seine alte Tage noch immer in einem kleinen Zimmer neben Elisa über einem kleinen Kino wohnt. Für die Werbeagentur Klein & Saunders malt er Werbeplakate, die jedoch in der aufstrebenden Welt immer weniger Aufmerksamkeit bekommen. Als Elisa erstmals von der Kreatur aus Labor F-1 erzählt, tut er das als Fantasie ab, als er jedoch erkennt, wie wichtig sie für Elisa zu sein scheint, lässt er sich auf einen halsbrecherischen Plan ein und findet schließlich die künstlerische Inspiration, die er sein Leben lang gesucht hat...


"Sie hatte das Kinn so hochgehoben, dass sie fast auf alle herabblickte, und genau das tut Giles auch: er baut sich ein großartiges, notweniges Fantasiegebilde seiner Bedeutung auf. Sie haben nichts gemeinsam - sie die junge Ehefrau, und er der alte Gentleman - , und doch hat Lainie eine Sekunde lang den Eindruck, dass es keine zwei Menschen auf der Welt gibt, die sich ähnlicher sind als sie."



Dmitri Hoffstetler ist geschätzter Wissenschaftler in Occam und für das Wohlergehen des Devoniers verantwortlich, wie er die Kreatur nennt. Als Spion Russlands lebt er während des Projekts jedoch gefährlich und haust aus Sicherheitsgründen in einem kahlen, unpersönlichen Haus. Mit seinen Eltern als Druckmittel wurde er lange genug in Amerika festgehalten, dass er seine eigene Herkunft anzweifelt und zwischen den Welten festsitzt, ohne wirklich dazuzugehören. Schon fast am Ende seines Lebenswillens angelangt, rettete ihn die Forschung an dem wunderschönen Wesen aus seiner Ausweglosigkeit und gibt seinem einsamen Leben wieder einen Sinn. Allein seinem Mitgefühl und seiner Großherzigkeit ist es zu verdanken, dass Elisas Befreiungsversuch überhaupt fruchtet. Im Grunde ist es mit der Geschichte genau, wie ein ehemaliger Student von ihm einmal sagte: alle Charaktere sind wie einsame Planeten, die sich auf ihren Bahnen bewegen, bis ihre Ellipse die eines anderen Himmelskörper kreuzt.


"Beeil dich", flüsterte Giles. Sie weint, aber das tut der Himmel auch; das ganze Universum weint, die Menschen, die Tiere, das and und das Wasser, alle weinen um die Einheit zwischen zwei verschiedenen Wesen, die beinahe besiegelt wurde, letzten Endes jedoch keinen Bestand hat."


Richard Strickland hingegen gehört als hohes Tier in der US-Army eigentlich nicht den geächteten Außenseitern an. Seit er jedoch in Korea Dinge getan hat, die ihn vor das Kriegsgericht bringen könnten, ist er abhängig von seinem Vorgesetzten General Hyot und muss jeden Befehl mit akribischer Genauigkeit ausführen. Was ihn zu Beginn der Geschichte im Dschungel noch eiskalt, gefühlslos und grausam wirken ließ, wird bald zum beginnenden Wahnsinn. Während vor allem Hass in dem Mann wächst, der ob der Kriegsverbrechen in Korea und dem vergossenen Blut im Dschungel des Amazonas langsam seinen Verstand verliert, ist bei mir langsam ein wenig Mitgefühl gekeimt. Es ist auf der einen Seite widerlich, aus seiner Perspektive zu lesen, zusehen zu müssen, wie seine angenähten Finger genau wie seine Menschlichkeit immer weiter verfaulen, während er militärische Strenge walten lässt, den Kiemengott foltert und auf alle willkürlich hinabblickt. Auf der anderen Seite kann man jedoch verstehen, warum er den Verstand verloren hat, das Geschrei in seinem Kopf mit Schmerztabletten beruhigen will und sich einfach nach der kontrollierten Stille sehnt. Er ist ein ambivalenter Charakter, für den es eigentlich nur im Tod die Erlösung gibt. Es muss enden, wie es begonnen hat: Kiemengott gegen Dschungelgott...


"Er steht am Bug, nackt, mit ausgestreckten Armen, angepeitscht vom Regen, und ruft ihn. Keiner weiß, wie lange. Tage, vielleicht sogar Wochen. Endlich erhebt sich an einer seichten Stelle der Deus Brânquia, die Blutsonne, die die Serengeti schuf, das uralte Auge der Eklipse, der aufplatzende Ozean aus dem eine neue Welt hervorbricht, der unersättliche Gletscher, der Gischtspritzer, der Bakterienbiss, der wimmelnde Einzeller, die speiende Spezies, die strömenden Gefäße zum Herzen, die Erektion des Berges, die schwankenden Schenkel der Sonnenblume, das graue Fell der Demütigung, das rosafarbene schwärende Fleisch, die Nabelschnur, die uns mit dem Ursprung verbindet. Er ist all das und noch viel mehr."


Elaine Strickland, seine Frau, ist sinnbildlich für das damalige Frauenbild zu sehen. Zuerst immer nur Hausfrau und Mutter gewesen, findet sie während der Abwesenheit ihres Mannes eine ungeahnte Freiheit und Eigenverantwortung, die sie vermisst, als er wieder aus Brasilien zurückkommt. Langsam beginnt sie zu verstehen, dass sie als Frau im Wandel der Zeiten ihre Chance ergreifen muss und tastet sich durch eine Anstellung immer weiter zu gesteigertem Selbstbewusstsein heran, bis sie es schließlich schafft, ihren Mann zu verlassen, der es einfach nicht mehr schafft in die Realität und zu ihr zurückzufinden.

Langsam schließt sich ein Kreis um alle Charaktere, die sich durch den Matsch ihres Lebens kämpfen und in einer letzten Nacht, in dem ein heftiges und regenreiches Unwetter die Stadt überschwemmt, endlich frei kommen. Für mich war eigentlich von Anfang an klar, dass es für Elisa und den Kiemengott eigentlich kein glückliches Ende geben kann, die Lösung der Autoren hat mich dann sehr positiv überrascht. Auf ihre eigene tragische Art bekommt diese ungewöhnliche und tiefgreifende Liebesgeschichte ein wunderschönes Ende, das jedem Charakter die gewünschte Erlösung schenkt, die er angestrebt hat.

Zum Abschluss noch mein Lieblingszitat:

"Sie streckt die Hand nach ihm aus. Nach sich selbst. Da gibt es keinen Unterschied. Hetzt versteht sie es. Sie hält ihn, er hält sie, sie halten einander und alles ist dunkel, alles ist Licht, alles ist hässlich, alles ist schön, alles ist Schmerz, alles ist Trauer, alles ist nie, alles ist für immer."




Fazit:

Ein bildgewaltiges Epos, das gleichermaßen mit herzergreifenden Bildern wie auch grauenhaft realen Details zu bestechen weiß. Eine gewiefte Charakterstudie, die ein Haufen vom Leben enttäuschter und von der Öffentlichkeit ausgestoßener Menschen porträtiert, die durch den wunderschönen Kiemengott neuen Antrieb finden und die unmögliche Beziehung zweier gequälter und komplett unterschiedlicher Liebenden beschreibt.

Veröffentlicht am 25.02.2018

1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.

Die Känguru-Chroniken (Känguru 1)
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Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch ...

Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch als Taschenbuch oder Kindle-Edition für 9,99€ erhältlich)
Weitere Bände: Das Känguru-Manifest;
Die Känguru-Offenbarung


Inhalt:

Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?


Bewertung:

Nachdem ich schon sooo viel über dieses Hörbuch gehört habe, musste ich es mir einfach mal selbst anhören. Meine Mutter hat mir die ganze Hörbuch-Reihe zu Weihnachten geschenkt, also hab ich über die letzten Monate immer mal wieder reingehört und mir mit jedem der witzigen Kapiteln mein Alltag versüßen lassen. Wer diese Geschichte nicht kennt, hat nicht gelebt!


"Schnapspralinen und Aschenbecher für Alle!
-Mit freundlichem Pioniergruß
Jüdisch-Bolschewistische Weltverschwörung e.V.-"


Die Geschichte beginnt mit einem ganz normalen Tag in Marc-Uwes Leben. Noch weiß er nicht, dass sich sein Leben grundlegend verändern wird, just in dem Moment als er die Tür öffnet und davor ein Känguru steht. Wenn er gewusst hätte, wie viel Spaß er haben, Probleme er bekommen und bescheuerte Idee er stoßen würde, nachdem er dem Känguru die Tür geöffnet hat, wäre er wohl einfach auf seiner Couch sitzen geblieben. Ein Glück hat er das nicht getan, denn sonst wäre uns diese witzige Geschichte durch die Lappen gegangen...
Als er öffnet steht ein Känguru vor ihm und teilt ihm mit, dass es gegenüber eingezogen ist und sich Eierkuchen machen wollte, jedoch vergessen hat Eier zu kaufen. Keine Sekunde später klingelt es wieder. Milch fehlt auch noch. Und ein Rührgerät. Und eine Schüssel und allgemein auch der Herd und ob er etwas zum Befüllen der Eierkuchen hätte? Nein, dann muss er wohl etwas besorgen. Zum Beispiel Hack. Aber nicht von Lidl, da sind die Arbeitsbedingungen so schlecht. Und ehe der Protagonist sich versieht ist das schnapspralinenfressende Känguru sein neuer Mitbewohner.

"Kannst du heute mal bezahlen?", fragt das Känguru nach dem Essen. "Heute?", frage ich. "Mal?", frage ich. "Ich muss immer bezahlen, weil du
nie Geld mitnimmst."
"Tja", sagt das Känguru lächelnd. "So ist das in der Welt. Der eine hat den
Beutel, der andere hat das Geld."


Klingt abgedreht? Ist es definitiv. Aber dennoch ist diese witzige, unkonventionelle Geschichte ein absolutes Meisterwerk, nicht nur weil sie die wirklich wichtigen Fragen des Lebens anspricht, wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Nein, es ist auch voll von Weisheit, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere." Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...


"Kurz gesagt: Es ist nur der Schein einer Wahl, oder um den offiziellen Terminus zu verwenden: Ein Wahlschein"


Die Erfolgsformel: 1 Poetry-Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Im Laufe der Geschichte, die episodenhaft geschrieben ist und keine große zusammenhängende Handlung hat, konnte ich mir bald genau wie Marc-Uwe Kling nicht mehr vorstellen, ohne das Känguru zu leben. Von seiner überraschenden Einquartierung bei Marc-Uwe und mit jeder abgefahrenen Situation mehr, hat es sich mehr in mein Herz geschlichen und mir immer wieder Lacher entlockt. Auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen machen es uns leicht ein zusammenhängendes Bild zu sehen.


"Ah Englisch ist doch die Sprache der Dummen!"
"Oh excuse me, do you speak English? Haben sie ihre human resources schon geprieft, dass sie wegen den shareholders outgesourced und lohngedumped werden? Oh by the way: the senior-assistant-manager-director soll doch bitte den head-of-saubermachig updaten, dass ich beim brainstorming ins mainsoffice gevomitted habe."

Auch wenn man das aufgrund der bissigen, abgedrehten und manchmal auch sinnlosen Handlung nicht erwarten würde, trieft diese Geschichte nur so von Gesellschaftskritik und Realsatire, was sie zur Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau macht. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind fast Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.


"Es gibt Fischstäbchen.
"Ich ess keinen Fisch", sage ich.
"Kannste ruhig essen", sagt das Känguru. "Is eh Hähnchen."
"Was?" frage ich....."


Aufgrund der episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung einige Szenen aus der Chronik zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

So nimmt er uns mit zu einem ein Ausflug ins Dunkelrestaurant....
"Vor meinen Augen explodierte die Sonne.
"AAAAAAHHH!" schreie ich. "Ich bin blind, du hast mich blind gemacht!"
Erbost nimmt der Kellner dem Känguru die High-Energy Taschenlampe weg."


... lässt das Känguru seine abzockende Zahlfaulheit immer wieder kommunistisch begründen...
"Mein", "Dein",... Das sind doch bürgerliche Kategorien!"

... nimmt uns hautnah zu einem Angriff durchgedrehter Soziologen mit, die die Umfragen stelle wie zum Beispiel:
"Wie bewerten sie die derzeitige Wirtschaftslage?
⏺Ja
⏺Nein
⏺ Vielleicht
⏺Nur ficken"


... lehrt uns, dass Ikea ein "Individualitätsraubenderrammschherstellendergewerkschaftsfeindlicherausbeuterischerscheißkonzern" ist...

... oder stellt philosophische Überlegungen zum Thema Schmelzkäse an:
"Irgendwann wird die Welt von Schmelzkäse beherrscht und wir alle werden unter einer Schicht von Schmelzkäse begraben werden und... OH MEIN GOTT!!! Der Mond! Ist der nicht aus Käse?!"

Angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und dem schonungslosen schwarzem Humor, musste ich immer wieder aus tiefster Seele loslachen und habe damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich gezogen. Allgemein scheint das Hören dieser Geschichte mein Denken beeinflusst zu haben, so ertappe ich mich manchmal selbst, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" Mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen.

Mark Uwe, der hier einfach nur sich selbst darstellt und sich als fauler Kleinkünstler porträtiert bekommt durch das Zusammenleben mit dem Känguru kreativen Aufschwung und sieht sich ein ums andere Mal dazu inspiriert eines seiner unglaublich tiefsinnigen Gedichte zu psalmodieren:

"Kennen sie Deutschland?
Im Süden die Berge,
Im Norden das Meer
Und dazwischen:
Teer.
Aber gibt es wirklich nur Teer?
Nein da gibt´s ja noch mehr!
Ja Genau!
Stau. "

Man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein vorlautes störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein skurriler, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren...

"Was willst du von mir?", frage ich gequält.
"Wo hast du die Schnapspralinen versteckt?"
"Die habe ich nicht versteckt, die sind alle."
"Gut, Knut", sagt das Känguru. "Du lässt mir keine andere Wahl ... Wo sind die Prapsschnalinen?" "Ich weiß nicht", stöhne ich. "Lüge das Teutelbier nicht an! Wo sind die Prapsschnalinen?"
"Hör auf die Wegstaben zu verbuchseln!"


Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lachen und die Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf fast 300 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen und peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf.

"...Erinnerungslücke
Der Rest des Kapitels wurde auf anwaltliches Anraten hin entfernt."

Ich werde diese Geschichte definitiv meinem gesamten Freundeskreis schenken, sie immer und immer wieder hören und mir natürlich auch die beiden Folgebände zu legen.


Fazit:

Die Erfolgsformel: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Diese witzige, unkonventionelle und definitiv skurrile Geschichte ist ein absolutes Meisterwerk voller Situationskomik und Gesellschaftskritik!

Veröffentlicht am 25.02.2018

1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur.

Die Känguru-Chroniken (Känguru 1)
1

Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch ...

Allgemeines:

Titel: Die Känguru-Chroniken
Autor: Marc-Uwe Kling
Verlag: Hörbuch Hamburg (13. Juli 2012)
Genre: Kabarett
Dauer: 291 Minuten
ISBN-10: 3869091088
ISBN-13: 978-3869091082
Preis: 8,21€ (Audio-CD)
(auch als Taschenbuch oder Kindle-Edition für 9,99€ erhältlich)
Weitere Bände: Das Känguru-Manifest;
Die Känguru-Offenbarung


Inhalt:

Marc-Uwe Kling lebt mit einem Känguru zusammen. Das Känguru ist Kommunist und steht total auf Nirvana. Die Känguru-Chroniken berichten von den Abenteuern und Wortgefechten des Duos. Und so bekommen wir endlich Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit: War das Känguru wirklich beim Vietcong? Und wieso ist es schnapspralinensüchtig? Könnte man die Essenz des Hegelschen Gesamtwerkes in eine SMS packen? Und wer ist besser: Bud Spencer oder Terence Hill?


Bewertung:

Nachdem ich schon sooo viel über dieses Hörbuch gehört habe, musste ich es mir einfach mal selbst anhören. Meine Mutter hat mir die ganze Hörbuch-Reihe zu Weihnachten geschenkt, also hab ich über die letzten Monate immer mal wieder reingehört und mir mit jedem der witzigen Kapiteln mein Alltag versüßen lassen. Wer diese Geschichte nicht kennt, hat nicht gelebt!


"Schnapspralinen und Aschenbecher für Alle!
-Mit freundlichem Pioniergruß
Jüdisch-Bolschewistische Weltverschwörung e.V.-"


Die Geschichte beginnt mit einem ganz normalen Tag in Marc-Uwes Leben. Noch weiß er nicht, dass sich sein Leben grundlegend verändern wird, just in dem Moment als er die Tür öffnet und davor ein Känguru steht. Wenn er gewusst hätte, wie viel Spaß er haben, Probleme er bekommen und bescheuerte Idee er stoßen würde, nachdem er dem Känguru die Tür geöffnet hat, wäre er wohl einfach auf seiner Couch sitzen geblieben. Ein Glück hat er das nicht getan, denn sonst wäre uns diese witzige Geschichte durch die Lappen gegangen...
Als er öffnet steht ein Känguru vor ihm und teilt ihm mit, dass es gegenüber eingezogen ist und sich Eierkuchen machen wollte, jedoch vergessen hat Eier zu kaufen. Keine Sekunde später klingelt es wieder. Milch fehlt auch noch. Und ein Rührgerät. Und eine Schüssel und allgemein auch der Herd und ob er etwas zum Befüllen der Eierkuchen hätte? Nein, dann muss er wohl etwas besorgen. Zum Beispiel Hack. Aber nicht von Lidl, da sind die Arbeitsbedingungen so schlecht. Und ehe der Protagonist sich versieht ist das schnapspralinenfressende Känguru sein neuer Mitbewohner.

"Kannst du heute mal bezahlen?", fragt das Känguru nach dem Essen. "Heute?", frage ich. "Mal?", frage ich. "Ich muss immer bezahlen, weil du
nie Geld mitnimmst."
"Tja", sagt das Känguru lächelnd. "So ist das in der Welt. Der eine hat den
Beutel, der andere hat das Geld."


Klingt abgedreht? Ist es definitiv. Aber dennoch ist diese witzige, unkonventionelle Geschichte ein absolutes Meisterwerk, nicht nur weil sie die wirklich wichtigen Fragen des Lebens anspricht, wie zum Beispiel: warum verdirbt Schmelzkäse nicht, warum ist das Gespenst des Kommunismus so schüchtern und weshalb haben Pferde eigentlich nicht die Weltherrschaft an sich gerissen? Nein, es ist auch voll von Weisheit, die jeden Leser oder Hörer um Welten in der kognitiven Entwicklung weiterbringt: "Es gibt Solche und Solche. Und dann noch ganz andere." Na wenn das mal nicht eine bahnbrechende Erkenntnis ist...


"Kurz gesagt: Es ist nur der Schein einer Wahl, oder um den offiziellen Terminus zu verwenden: Ein Wahlschein"


Die Erfolgsformel: 1 Poetry-Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Im Laufe der Geschichte, die episodenhaft geschrieben ist und keine große zusammenhängende Handlung hat, konnte ich mir bald genau wie Marc-Uwe Kling nicht mehr vorstellen, ohne das Känguru zu leben. Von seiner überraschenden Einquartierung bei Marc-Uwe und mit jeder abgefahrenen Situation mehr, hat es sich mehr in mein Herz geschlichen und mir immer wieder Lacher entlockt. Auch wenn die Szenen oft sehr kurz sind und meistens nichts miteinander zu tun haben, werden immer wieder kleinere Bezüge zur vorangegangenen Handlung gestellt und viele Insiderwitze und Anspielungen machen es uns leicht ein zusammenhängendes Bild zu sehen.


"Ah Englisch ist doch die Sprache der Dummen!"
"Oh excuse me, do you speak English? Haben sie ihre human resources schon geprieft, dass sie wegen den shareholders outgesourced und lohngedumped werden? Oh by the way: the senior-assistant-manager-director soll doch bitte den head-of-saubermachig updaten, dass ich beim brainstorming ins mainsoffice gevomitted habe."

Auch wenn man das aufgrund der bissigen, abgedrehten und manchmal auch sinnlosen Handlung nicht erwarten würde, trieft diese Geschichte nur so von Gesellschaftskritik und Realsatire, was sie zur Unterhaltungsparodie auf höchstem Niveau macht. Auch wenn Kinder dieser Geschichte bestimmt viele witzigen Stellen abgewinnen können, sind die Witze vor allem für Erwachsene geschrieben, denn gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Politik, Geschichte und Wirtschaft sind fast Voraussetzung, um einige Witze und Anspielungen zu verstehen.


"Es gibt Fischstäbchen.
"Ich ess keinen Fisch", sage ich.
"Kannste ruhig essen", sagt das Känguru. "Is eh Hähnchen."
"Was?" frage ich....."


Aufgrund der episodenartigen Handlung und der in Szenenform geschriebenen Kapiteln, bietet es sich hier wirklich an das Hörbuch zu hören. Gerade bei längeren Autofahrten oder bei banalen Tätigkeiten wie Wäscheaufhängen oder Abwaschen ist es eine willkommene Ablenkung einige Szenen aus der Chronik zu hören. Auch wenn ich eigentlich kein bekennender Fan von Hörbüchern bin und immer lieber die Print-Variante bevorzuge, habe ich es hier nicht bereut, die vorgelesene Version gewählt zu haben. Autor Marc-Uwe Kling liest hier selbst vor, live vor Publikum, weshalb immer mal wieder leise Lacher im Hintergrund zu hören sind, welche aber nicht stören. Im Gegensatz zu anderen Autoren merkt man Mark-Uwe an, dass er es gewohnt ist, Texte vorzutragen. Er liest die Rollen des Ich-Erzählers und des Kängurus mit leicht verstellten Stimmen, sodass man die nasale, laute, nerv tötende Stimme des Kängurus immer schön unterscheiden kann. Mit wohlüberlegten Pausen und Betonungen lenkt er das Geschehen in eine richtige Richtung und seine angenehme Stimme konnte mich wirklich mitreißen.

So nimmt er uns mit zu einem ein Ausflug ins Dunkelrestaurant....
"Vor meinen Augen explodierte die Sonne.
"AAAAAAHHH!" schreie ich. "Ich bin blind, du hast mich blind gemacht!"
Erbost nimmt der Kellner dem Känguru die High-Energy Taschenlampe weg."


... lässt das Känguru seine abzockende Zahlfaulheit immer wieder kommunistisch begründen...
"Mein", "Dein",... Das sind doch bürgerliche Kategorien!"

... nimmt uns hautnah zu einem Angriff durchgedrehter Soziologen mit, die die Umfragen stelle wie zum Beispiel:
"Wie bewerten sie die derzeitige Wirtschaftslage?
⏺Ja
⏺Nein
⏺ Vielleicht
⏺Nur ficken"


... lehrt uns, dass Ikea ein "Individualitätsraubenderrammschherstellendergewerkschaftsfeindlicherausbeuterischerscheißkonzern" ist...

... oder stellt philosophische Überlegungen zum Thema Schmelzkäse an:
"Irgendwann wird die Welt von Schmelzkäse beherrscht und wir alle werden unter einer Schicht von Schmelzkäse begraben werden und... OH MEIN GOTT!!! Der Mond! Ist der nicht aus Käse?!"

Angesichts der unglaublichen Situationen, die hier zustande kommen und dem schonungslosen schwarzem Humor, musste ich immer wieder aus tiefster Seele loslachen und habe damit äußerst skeptische Blicke meines Umfeldes auf mich gezogen. Allgemein scheint das Hören dieser Geschichte mein Denken beeinflusst zu haben, so ertappe ich mich manchmal selbst, wie ich ganz in Känguru Manier sage: "Das darf doch nicht Warzenschwein!" Mein persönlicher Tipp für die Geschichte also: Gleich im Doppelpack kaufen und der besten Freundin/ dem besten Freund zum Hören geben, damit man jemanden hat, mit dem man darüber reden kann und der die ständigen Anspielungen versteht, wenn sie im Alltag allfallartig aus einem herausbrechen.

Mark Uwe, der hier einfach nur sich selbst darstellt und sich als fauler Kleinkünstler porträtiert bekommt durch das Zusammenleben mit dem Känguru kreativen Aufschwung und sieht sich ein ums andere Mal dazu inspiriert eines seiner unglaublich tiefsinnigen Gedichte zu psalmodieren:

"Kennen sie Deutschland?
Im Süden die Berge,
Im Norden das Meer
Und dazwischen:
Teer.
Aber gibt es wirklich nur Teer?
Nein da gibt´s ja noch mehr!
Ja Genau!
Stau. "

Man muss das vorlaute Beuteltier einfach lieben! Manchmal erscheint es wie ein vorlautes störrisches Kind, dann gibt es Dinge von sich, die eher nach weisem Sensei klingen und danach ist es einfach ein skurriler, tierischer bester Freund. Es traut sich Dinge zu sagen und zu tun, die so mancher von uns schon immer mal machen wollte: Regeln beim Monopoly einfach ändern, aufdringliche Terrier quer durch den Park kicken und Nazis umboxen - das Känguru weiß ganz genau was es will und ist dabei immer konsequent inkonsequent. Es ist süchtig nach Schnapspralinen, Bud Spencer Filmen, Nirwana, Fußnoten, Wortspielen und falschen Zitaten. So quält das Känguru ein ums andere mal den armen Marc-Uwe mit lauter fiesen Wortverdrehungen, die dessen Sinn für Sprachästhetik aufs Äußerste strapazieren...

"Was willst du von mir?", frage ich gequält.
"Wo hast du die Schnapspralinen versteckt?"
"Die habe ich nicht versteckt, die sind alle."
"Gut, Knut", sagt das Känguru. "Du lässt mir keine andere Wahl ... Wo sind die Prapsschnalinen?" "Ich weiß nicht", stöhne ich. "Lüge das Teutelbier nicht an! Wo sind die Prapsschnalinen?"
"Hör auf die Wegstaben zu verbuchseln!"


Ich konnte einfach nicht mehr aufhören zu lachen und die Anzahl an kreativen Wortspielen, die Mark-Uwe Kling im Laufe der Geschichte einfallen hat mich wirklich demütig werden lassen. Bekannte Witze wie "Du denkst vielleicht du bist hart, aber ich bin Herta!" oder philosophische Lebensweisheiten wie "Habt ihr schon Mal darüber nachgedacht dass es von uninformiert kein weiter weg zu uniformiert ist..." kommen einfach und fließend in den Dialogen unter.

Wenn man die ganzen CDs alle auf einen Rutsch hört, werden dem aufmerksamen Hörer bald Parallelen im Aufbau und Verlauf der Szenen auffallen. Natürlich ist auch auf fast 300 Minuten mal der ein oder andere Witz dabei, der doppelt erscheint. Dass es aber trotzdem immer spannend und witzig bleibt wird durch viele erzähltechnische Elemente garantiert, die Kling wunderbar einwebt. So wechselt er kreativ die Erzählperspektivwechsel, variiert die Erzählzeit, lässt manchmal kurze Erinnerungslücken auftauchen und peppt die kurzen Kapitel mit Einschüben aus dem Manifest des Kängurus "Opportunismus und Repression" auf.

"...Erinnerungslücke
Der Rest des Kapitels wurde auf anwaltliches Anraten hin entfernt."

Ich werde diese Geschichte definitiv meinem gesamten Freundeskreis schenken, sie immer und immer wieder hören und mir natürlich auch die beiden Folgebände zu legen.


Fazit:

Die Erfolgsformel: 1 Poetry Slammer + 1 kommunistisches Känguru + viele dämlichen Ideen = Suchtpotential und Angriff auf die Lachmuskulatur. Diese witzige, unkonventionelle und definitiv skurrile Geschichte ist ein absolutes Meisterwerk voller Situationskomik und Gesellschaftskritik!

Veröffentlicht am 17.02.2018

Ungeschönt, real und berührend!

Traumsammler (DAISY Edition)
0

Allgemeines:

Titel: Traumsammler
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (25. September 2014)
ISBN-10: 3596198208
ISBN-13: 978-3596198207
ASIN: B00COWO1FW
Seitenzahl: 448 Seiten
Originaltitel: And the ...

Allgemeines:

Titel: Traumsammler
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (25. September 2014)
ISBN-10: 3596198208
ISBN-13: 978-3596198207
ASIN: B00COWO1FW
Seitenzahl: 448 Seiten
Originaltitel: And the Mountains Echoed
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
12€ (Gebundene Ausgabe)
10,95€ (Taschenbuch)


Inhalt:

"Ich weiß eine kleine, traurige Fee,
Die wurde vom Wind davongeweht."


In ›Traumsammler‹ erzählt Khaled Hosseini die bewegende Geschichte zweier Geschwister aus einem kleinen afghanischen Dorf. Pari ist drei Jahre alt, ihr Bruder Abdullah zehn, als der Vater sie auf einem Fußmarsch quer durch die Wüste nach Kabul bringt. Doch am Ende der Reise wartet nicht das Paradies, sondern die herzzerreißende Trennung der beiden Geschwister, die ihr Leben für immer verändern wird.
Ein großer Roman, der uns einmal um die ganze Welt führt und in seiner emotionalen Intensität und Erzählkunst neue Maßstäbe setzt. Fesselnder, reicher, persönlicher als je zuvor.


Bewertung:

"Das Seil, das vor dem Ertrinken rettet, kann zu einer Schlinge werden, die einen zu erdrosseln droht."

Das ist mein erstes Buch von Khaled Hosseini und nach diesem werde ich unbedingt alle vorhergegangen und zukünftigen Lesen! Ich habe es noch nie erlebt, wie ein Autor auf so sensible und einfühlsame Art und Weise ein solch komplexes Konstrukt aus Handlungssträngen unter Kontrolle halten kann. Ich bin zutiefst beeindruckt und berührt von der Intensität mit der Lebenssinnsuche, Familiengeschichte und afghanischer Realität hier rübergebracht werden.


"Jenseits unserer Vorstellungen
Von guten und schlechten Taten
Erstreckt sich ein Feld.
Dort werde ich dich treffen."
-Dschalaluddin Rumi, 13. Jahrhundert -


Streng genommen sind das nicht wirklich die ersten Worte dieses Romans sondern nur ein vorangestelltes Zitat eines Gedichts von Rumi, dem wohl bedeutendsten arabischen Dichters, dieses Zitat passt aber so unwahrscheinlich gut auf diese Geschichte, dass ich es unbedingt anführen musste. Die wirklichen ersten Sätze stammen von Vater Saboor, der seinen zwei Kinder Abdullah und Pari in seinem ärmlichen Haus in Shadbagh eine Geschichte erzählt. Dass dieses Märchen, in dem der arme Bauer Baba Ayub, einem Dämonen einen Sohn opfern muss, den Jüngsten, Quais, um seine restliche Familie zu retten und erst Jahre später erfährt, dass er ihm damit ein wohlhabendes und glückliches Leben ermöglicht hat, Fabel für die herzzerreißenden Trennung der beiden Geschwister wird, ist dem aufmerksamen Leser schon bald klar, bei Einschlafen wissen die beiden Geschwister aber noch nicht, auf welch einschneidende Weise diese Gutenachtgeschichte ihr Schicksal spiegelt. Nach dem "Einen Finger abschneiden, um die ganze Hand zu retten"-Motto, welches auch in dem alten Märchen dargestellt wurde, bringt Saboor seine kleine Tochter Pari gleich am nächsten Tag zu reichen Pflegeeltern nach Kabul, wo diese gegen Geld aufwachsen soll. Ob sich die beiden Geschwister jemals wieder sehen werden, bleibt unklar, während sich die Geschichte erstmal einigen Rückblenden und anderen Figuren widmet, bevor sie wieder zu dem getrennten Geschwisterpaar zurückkehrt, welches zwar nicht wie im Klapptext angekündigt Haupthandlungsstrang aber wohl der rote Faden wird.


"Bis wir alt sind.
"Uralt."
"Für immer."
"Ja, für immer."
Sie drehte sich auf dem Karren zu ihm um. "Versprichst du mir das, Abollah?"
"Für immer und ewig."


Die in 1952 beginnende Geschichte über das politisch geschundene, unterdrückte und geknebelte Afghanistan erstreckt sich über 9 Kapitel, nahezu 50 Jahren bis ins moderne 2010 und entführt ungeschönt, real und berührend zu einer Familie voller verlorener Gestalten mit eindringlichen Schicksalen. Das Besondere, Mitreißende und zugleich Komplizierte der Geschichte sind die vielen Handlungsstränge, die kunstvoll über einige Jahrzehnte gespannt und feinfühlig miteinander verknüpft werden. Dabei erzählt das Buch weniger eine zusammenhängende Geschichte sondern präsentiert stattdessen eine Art Kurzgeschichtenreihe mit Protagonisten, deren Lebenswege sich mal mehr, mal weniger mit den Wegen anderer Protagonisten kreuzen.


"Wenn man nicht weiß, wo man als Mensch seinen Anfang genommen hat, kommt einem das Leben unwirklich vor. Wie ein Puzzle, tu comprends? Als würdest du dich mitten in einer Geschichte, deren Anfang du verpasst hast, fragen, wie sie begonnen hat."


Auch wenn es durch die vielen Zeitsprünge, Erzähllücken und Charakterwechsel sehr schwer ist, der Geschichte zu folgen und ich deshalb gerade zu Beginn ein wenig Schwierigkeiten hatte, in den Plot einzusteigen, was Kritiker Hosseini immer wieder vorwerfen, habe ich sehr schnell daran Gefallen gefunden, zeitweiliger Beobachter vieler verschiedenen Schicksale zu sein und die Genialität hinter dieser Puzzle-Methode des literarischen Kennenlernens entdeckt. Durch die vielen Lücken, die man sich als Leser selbst füllen muss oder eher darf, erhält die Geschichte etwas Wahrhaftiges und jedes Mal wenn sich ein gezogener Kreis schließt und der Erzählteppich, den der Autor aus dem roten Faden webt, ein Stücken größer und stabiler wird ging mein Herz ein wenig mehr auf. Genauso sollte eine Geschichte sein!


"Gott allein weiß, warum die beiden einander erwählt haben. Es war mir ein Rätsel. Nie habe ich zwischen zwei Geschöpfen eine solche Seelenverwandtschaft gespürt."


Das Setting ist dabei ebenso abwechslungsreich und bunt wie die Charaktere. Khaled Hosseini führt uns aus dem kleinen afghanischen Dorf Shadbagh in die größere Stadt Kabul, nach Paris, auf die kleine griechische Insel Tinos, nach Indien und letztendlich in die USA. Doch auch wenn der Handlungsort auch noch so weit weg von Afghanistan zu sein scheint, eine feste Verbindung zu diesem gebeutelten Land gibt es immer. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


“Ich habe in Kabul manches gelernt, vor allem jedoch, dass das menschliche Verhalten chaotisch und unvorhersehbar ist und sich in kein festes Raster zwängen lässt. Trotzdem finde ich Trost in der Vorstellung eines roten Fadens oder eines Musters im Leben, das eben so langsam Gestalt annimmt wie ein Foto in der Dunkelkammer oder in der Vorstellung einer langsam sich entfaltenden Geschichte, die das Gute, das ich immer in mir zu sehen geglaubt habe, zu bestätigen scheint. Diese Geschichte hält mich am Leben."


Neben der Erzählform ist vor allem noch die Erzählweise bemerkenswert. Husseini schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.


"Eine Gestalt. Sowohl weich als auch hart. Eine weiche Hand, die ihre umschließt. Ein hartes Knie, auf das sie ihre Wange bettet. Sie sucht nach einem Gesicht, aber es entgleitet ihr jedes Mal, wenn sie sich danach umdreht. Pari spürt, wie sich ein Loch in ihr auftut. Immer, während ihres ganzen Lebens, hat sie jemanden schrecklich vermisst. Jemanden, den sie von Geburt an kannte. "Bruder", sagte sie, ohne sic dessen bewusst zu sein."


Vor allem jedoch die vielen Charaktere sind das Herzstück des Buches. Grade weil ich nicht genau ausmachen konnte, wer nun Protagonist und wer Nebencharakter ist, muss man jedem genau gleich viel Aufmerksamkeit schenken. Manche Lebensgeschichten werden gänzlich erzählt, andere nur ausschnitthaft, manche werden später noch einmal aufgenommen, andere tauchen auf und verschwinden wieder. Als Leser muss man den ständigen Fluss über sich ergehen lassen, auch wenn es manchmal schwer ist, sich von liebgewonnen Charakteren zu verabschieden.
Dass immer mal wieder jemand anders aus der Ich-Perspektive, als personaler Erzähler, in einem Rückblick oder als Erinnerungs- oder Briefform berichtet, ist natürlich Großteils etwas verwirrend, wenn man aber aufmerksam dabei bleibt, erhascht man immer wieder liebevolle Details und Anspielungen.


"Jetzt dachte ich plötzlich wieder an sie und an das, was und verbunden hatte. Wenn das, was man ihr angetan hatte, einer Welle glich, die sich weit vom Ufer entfernt gebrochen hatte, dann umspülten die Ausläufer dieser Welle jetzt meine Füße und flossen zurück ins Meer. Baba räusperte sich und betrachtete mit glasigen Augen den dunklen Himmel und den wolkenverhangenen Mond. "Alles wird mich an dich erinnern."


Vor allem der Handlungsstrang des treuen Dieners Nabi, der dem still verliebten, introvertierten Suleiman Wahdati und seiner dramatisch modernen, wunderschönen aber rebellische Frau Nila Wahdati dient, die die sanftmütige Pari adoptiert haben und großziehen, ist mir sehr ans Herz gegangen. Unter dem Dach dieser Familie, der es nur sehr kurz vergönnt ist, in dieser Konstellation zusammen zu leben, sammelt sich im Laufe der Geschichte so viel unerwiderte Liebe, Trauer, Angst und Erinnerung an, dass ich gerne noch viel mehr über diesen Teil der Geschichte gelesen hätte. Aber das wäre natürlich schade gewesen, denn dann hätte ich weder den selbst darstellerischen Timur, den feigen Arzt Idris, die verletzte Roshi, die entstellte Thalia, den aufrechten Markos noch die selbstsüchtige Madaline kennengelernt, welche alle eigentlich viel zu tiefe Charakter sind, als dass ich sie hier mit einem mehr schlecht als recht passenden Adjektiv abfertigen könnte. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschloch, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt. Leider kamen mir der verlassenen Abdullah, die gepeinigte Parwana und die hübsche aber behinderte Masooma ein wenig zu kurz.


"Ich kann tief in meinem Inneren etwas spüren, das mich zieht und an mir zerrt wie eine Unterströmung. Ich würde ihr gerne nachgeben und mich erfassen lassen. Ich würde mich gern gehen lassen, aus meiner Haut schlüpfen, alles abstreifen, wie eine Schlange ihre Haut abstreift."


Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie war in dem Schweigen das zu Hause immer öfter eintrat, ein Schweigen, das zwischen den Wörtern aufquoll, einmal kalt und leer und dann wieder schwer von allem, was nicht ausgesprochen wurde, ein Schweigen wie eine dicke, graue Regenwolke, die sich nie entlud. (...) Er öffnete die Teedose. Da waren sie, Paris Federn, es fehlte keine einzige. federn von Hähnen, Enten, Tauben und auch die des Pfaus. Er legte die gelbe Feder in die Dose. Eines Tages, dachte er.
Hoffte er."



So, jetzt bin ich endlich alles los, was mir auf dem Herzen lag und kann noch schnell das Cover besprechen Jenes gefällt mir sehr gut, da viel Gefühl darin liegt, es könnte aber meiner Meinung nach als ein wenig kitschig interpretiert werden. Die Silhouetten der beiden Kindern vor einer flachen Graslandschaft im Sonnenuntergang, von dem sich Berge abheben sind aber eigentlich das perfekte Motiv und auch die Farbgebung, die von dunkel nach orange oben in ein warmes blau übergeht, passt super. Was mich an der Gestaltung jedoch wirklich zu 100 Prozent überzeugt hat, ist der Titel "Traumsammler". Auch wenn der amerikanische Originaltitel auch schön klingt finde ich, dass der der deutschen Aufgabe noch einmal ein i-Pünktchen obendrauf setzt! Denn das Buch ist wirklich eine Ansammlung von kurzen Episoden, von Träumen, die Khaled Hosseini wunderbar hier eingesammelt und in Buchform verpackt hat, sowie es im Buch Pari mit den Träume ihres Vaters tut.

Zum Abschluss noch mein Lieblingszitat:

"Pari", sagte sie. "Ja?" Sie legte den Kopf weit in den Nacken, um mich anschauen zu können. Das durch das Laub der Bäume fallende Licht tanzte über ihr Gesicht. "Ist dir bewusst, wie viel Kraft dir Gott geschenkt hat?", fragte sie."


Fazit:

Einfach nur wow! Eine intensive, emotionale, mitreißende Geschichte über Afghanistan und eine Familie voller verlorener Gestalten mit eindringlichen Schicksalen.

Veröffentlicht am 17.02.2018

Ungeschönt, real und berührend!

Traumsammler
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Allgemeines:

Titel: Traumsammler
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (25. September 2014)
ISBN-10: 3596198208
ISBN-13: 978-3596198207
ASIN: B00COWO1FW
Seitenzahl: 448 Seiten
Originaltitel: And the ...

Allgemeines:

Titel: Traumsammler
Autor: Khaled Hosseini
Verlag: FISCHER (25. September 2014)
ISBN-10: 3596198208
ISBN-13: 978-3596198207
ASIN: B00COWO1FW
Seitenzahl: 448 Seiten
Originaltitel: And the Mountains Echoed
Preis: 9,99€ (Kindle-Edition)
12€ (Gebundene Ausgabe)
10,95€ (Taschenbuch)


Inhalt:

"Ich weiß eine kleine, traurige Fee,
Die wurde vom Wind davongeweht."


In ›Traumsammler‹ erzählt Khaled Hosseini die bewegende Geschichte zweier Geschwister aus einem kleinen afghanischen Dorf. Pari ist drei Jahre alt, ihr Bruder Abdullah zehn, als der Vater sie auf einem Fußmarsch quer durch die Wüste nach Kabul bringt. Doch am Ende der Reise wartet nicht das Paradies, sondern die herzzerreißende Trennung der beiden Geschwister, die ihr Leben für immer verändern wird.
Ein großer Roman, der uns einmal um die ganze Welt führt und in seiner emotionalen Intensität und Erzählkunst neue Maßstäbe setzt. Fesselnder, reicher, persönlicher als je zuvor.


Bewertung:

"Das Seil, das vor dem Ertrinken rettet, kann zu einer Schlinge werden, die einen zu erdrosseln droht."

Das ist mein erstes Buch von Khaled Hosseini und nach diesem werde ich unbedingt alle vorhergegangen und zukünftigen Lesen! Ich habe es noch nie erlebt, wie ein Autor auf so sensible und einfühlsame Art und Weise ein solch komplexes Konstrukt aus Handlungssträngen unter Kontrolle halten kann. Ich bin zutiefst beeindruckt und berührt von der Intensität mit der Lebenssinnsuche, Familiengeschichte und afghanischer Realität hier rübergebracht werden.


"Jenseits unserer Vorstellungen
Von guten und schlechten Taten
Erstreckt sich ein Feld.
Dort werde ich dich treffen."
-Dschalaluddin Rumi, 13. Jahrhundert -


Streng genommen sind das nicht wirklich die ersten Worte dieses Romans sondern nur ein vorangestelltes Zitat eines Gedichts von Rumi, dem wohl bedeutendsten arabischen Dichters, dieses Zitat passt aber so unwahrscheinlich gut auf diese Geschichte, dass ich es unbedingt anführen musste. Die wirklichen ersten Sätze stammen von Vater Saboor, der seinen zwei Kinder Abdullah und Pari in seinem ärmlichen Haus in Shadbagh eine Geschichte erzählt. Dass dieses Märchen, in dem der arme Bauer Baba Ayub, einem Dämonen einen Sohn opfern muss, den Jüngsten, Quais, um seine restliche Familie zu retten und erst Jahre später erfährt, dass er ihm damit ein wohlhabendes und glückliches Leben ermöglicht hat, Fabel für die herzzerreißenden Trennung der beiden Geschwister wird, ist dem aufmerksamen Leser schon bald klar, bei Einschlafen wissen die beiden Geschwister aber noch nicht, auf welch einschneidende Weise diese Gutenachtgeschichte ihr Schicksal spiegelt. Nach dem "Einen Finger abschneiden, um die ganze Hand zu retten"-Motto, welches auch in dem alten Märchen dargestellt wurde, bringt Saboor seine kleine Tochter Pari gleich am nächsten Tag zu reichen Pflegeeltern nach Kabul, wo diese gegen Geld aufwachsen soll. Ob sich die beiden Geschwister jemals wieder sehen werden, bleibt unklar, während sich die Geschichte erstmal einigen Rückblenden und anderen Figuren widmet, bevor sie wieder zu dem getrennten Geschwisterpaar zurückkehrt, welches zwar nicht wie im Klapptext angekündigt Haupthandlungsstrang aber wohl der rote Faden wird.


"Bis wir alt sind.
"Uralt."
"Für immer."
"Ja, für immer."
Sie drehte sich auf dem Karren zu ihm um. "Versprichst du mir das, Abollah?"
"Für immer und ewig."


Die in 1952 beginnende Geschichte über das politisch geschundene, unterdrückte und geknebelte Afghanistan erstreckt sich über 9 Kapitel, nahezu 50 Jahren bis ins moderne 2010 und entführt ungeschönt, real und berührend zu einer Familie voller verlorener Gestalten mit eindringlichen Schicksalen. Das Besondere, Mitreißende und zugleich Komplizierte der Geschichte sind die vielen Handlungsstränge, die kunstvoll über einige Jahrzehnte gespannt und feinfühlig miteinander verknüpft werden. Dabei erzählt das Buch weniger eine zusammenhängende Geschichte sondern präsentiert stattdessen eine Art Kurzgeschichtenreihe mit Protagonisten, deren Lebenswege sich mal mehr, mal weniger mit den Wegen anderer Protagonisten kreuzen.


"Wenn man nicht weiß, wo man als Mensch seinen Anfang genommen hat, kommt einem das Leben unwirklich vor. Wie ein Puzzle, tu comprends? Als würdest du dich mitten in einer Geschichte, deren Anfang du verpasst hast, fragen, wie sie begonnen hat."


Auch wenn es durch die vielen Zeitsprünge, Erzähllücken und Charakterwechsel sehr schwer ist, der Geschichte zu folgen und ich deshalb gerade zu Beginn ein wenig Schwierigkeiten hatte, in den Plot einzusteigen, was Kritiker Hosseini immer wieder vorwerfen, habe ich sehr schnell daran Gefallen gefunden, zeitweiliger Beobachter vieler verschiedenen Schicksale zu sein und die Genialität hinter dieser Puzzle-Methode des literarischen Kennenlernens entdeckt. Durch die vielen Lücken, die man sich als Leser selbst füllen muss oder eher darf, erhält die Geschichte etwas Wahrhaftiges und jedes Mal wenn sich ein gezogener Kreis schließt und der Erzählteppich, den der Autor aus dem roten Faden webt, ein Stücken größer und stabiler wird ging mein Herz ein wenig mehr auf. Genauso sollte eine Geschichte sein!


"Gott allein weiß, warum die beiden einander erwählt haben. Es war mir ein Rätsel. Nie habe ich zwischen zwei Geschöpfen eine solche Seelenverwandtschaft gespürt."


Das Setting ist dabei ebenso abwechslungsreich und bunt wie die Charaktere. Khaled Hosseini führt uns aus dem kleinen afghanischen Dorf Shadbagh in die größere Stadt Kabul, nach Paris, auf die kleine griechische Insel Tinos, nach Indien und letztendlich in die USA. Doch auch wenn der Handlungsort auch noch so weit weg von Afghanistan zu sein scheint, eine feste Verbindung zu diesem gebeutelten Land gibt es immer. An jeder Kleinigkeit, Feinheit, scheinbaren Belanglosigkeit und in jedem Nebensatz, den der Autor über dieses Land schreibt, kann man seine Liebe und Faszination für die Kultur und Landschaft und die Menschen dort ablesen. Es werden gleichsam die schönsten und hässlichsten Seiten des Heimatlandes des Autoren präsentiert, die dunkle Zeit der Invasionen der Sowjets, der Amerikaner und der Taliban findet unkommentiert und objektiv einen Platz genau wie starke Frauenfiguren, der Nationalstolz und Traditionen. Doch das Land ist mehr als nur Kulisse, es ist Ursprung und Herzstück dieser Geschichte und das konnte selbst ich spüren, die mit der arabischen Welt keinerlei Verbindung habe.


“Ich habe in Kabul manches gelernt, vor allem jedoch, dass das menschliche Verhalten chaotisch und unvorhersehbar ist und sich in kein festes Raster zwängen lässt. Trotzdem finde ich Trost in der Vorstellung eines roten Fadens oder eines Musters im Leben, das eben so langsam Gestalt annimmt wie ein Foto in der Dunkelkammer oder in der Vorstellung einer langsam sich entfaltenden Geschichte, die das Gute, das ich immer in mir zu sehen geglaubt habe, zu bestätigen scheint. Diese Geschichte hält mich am Leben."


Neben der Erzählform ist vor allem noch die Erzählweise bemerkenswert. Husseini schafft es, gleichzeitig sehr still und eindringlich; distanziert und emotional; dramatisch und ruhig zu sein und sich in jeder erdenklichen Situation an die Protagonisten anzupassen. Dabei zwingt er den Leser niemals in eine bestimmte Richtung oder beantwortet wertende Fragen nach Unterlassung, Schuld, Preis oder Sühne. Stattdessen erlebt er, beobachtet, fühlt, erkennt und beschreibt, überlässt es aber dem Leser, über das Erfahrene nachzudenken und zu urteilen. Immer wieder stößt man auf kluge Dialoge und liest Sätze, die einen noch lange beschäftigen, während man dieser Geschichte folgt, die zeitweise fast ungemütlich und teilweise schwer zu ertragen ist, so viel Schmerz und Wahrheit, wie sie enthält.


"Eine Gestalt. Sowohl weich als auch hart. Eine weiche Hand, die ihre umschließt. Ein hartes Knie, auf das sie ihre Wange bettet. Sie sucht nach einem Gesicht, aber es entgleitet ihr jedes Mal, wenn sie sich danach umdreht. Pari spürt, wie sich ein Loch in ihr auftut. Immer, während ihres ganzen Lebens, hat sie jemanden schrecklich vermisst. Jemanden, den sie von Geburt an kannte. "Bruder", sagte sie, ohne sic dessen bewusst zu sein."


Vor allem jedoch die vielen Charaktere sind das Herzstück des Buches. Grade weil ich nicht genau ausmachen konnte, wer nun Protagonist und wer Nebencharakter ist, muss man jedem genau gleich viel Aufmerksamkeit schenken. Manche Lebensgeschichten werden gänzlich erzählt, andere nur ausschnitthaft, manche werden später noch einmal aufgenommen, andere tauchen auf und verschwinden wieder. Als Leser muss man den ständigen Fluss über sich ergehen lassen, auch wenn es manchmal schwer ist, sich von liebgewonnen Charakteren zu verabschieden.
Dass immer mal wieder jemand anders aus der Ich-Perspektive, als personaler Erzähler, in einem Rückblick oder als Erinnerungs- oder Briefform berichtet, ist natürlich Großteils etwas verwirrend, wenn man aber aufmerksam dabei bleibt, erhascht man immer wieder liebevolle Details und Anspielungen.


"Jetzt dachte ich plötzlich wieder an sie und an das, was und verbunden hatte. Wenn das, was man ihr angetan hatte, einer Welle glich, die sich weit vom Ufer entfernt gebrochen hatte, dann umspülten die Ausläufer dieser Welle jetzt meine Füße und flossen zurück ins Meer. Baba räusperte sich und betrachtete mit glasigen Augen den dunklen Himmel und den wolkenverhangenen Mond. "Alles wird mich an dich erinnern."


Vor allem der Handlungsstrang des treuen Dieners Nabi, der dem still verliebten, introvertierten Suleiman Wahdati und seiner dramatisch modernen, wunderschönen aber rebellische Frau Nila Wahdati dient, die die sanftmütige Pari adoptiert haben und großziehen, ist mir sehr ans Herz gegangen. Unter dem Dach dieser Familie, der es nur sehr kurz vergönnt ist, in dieser Konstellation zusammen zu leben, sammelt sich im Laufe der Geschichte so viel unerwiderte Liebe, Trauer, Angst und Erinnerung an, dass ich gerne noch viel mehr über diesen Teil der Geschichte gelesen hätte. Aber das wäre natürlich schade gewesen, denn dann hätte ich weder den selbst darstellerischen Timur, den feigen Arzt Idris, die verletzte Roshi, die entstellte Thalia, den aufrechten Markos noch die selbstsüchtige Madaline kennengelernt, welche alle eigentlich viel zu tiefe Charakter sind, als dass ich sie hier mit einem mehr schlecht als recht passenden Adjektiv abfertigen könnte. Es ist ganz wundersam, wie viel Seele Hosseini seinen Figuren zuspricht und auf welche tiefgründige Art er es versteht, uns ihr Innersten darzubringen, ihre Ecken und Kanten, Runzeln und Falten wenn sie menschloch, grausam oder bemitleidenswert handeln und sie zutiefst verstanden darstellt. Leider kamen mir der verlassenen Abdullah, die gepeinigte Parwana und die hübsche aber behinderte Masooma ein wenig zu kurz.


"Ich kann tief in meinem Inneren etwas spüren, das mich zieht und an mir zerrt wie eine Unterströmung. Ich würde ihr gerne nachgeben und mich erfassen lassen. Ich würde mich gern gehen lassen, aus meiner Haut schlüpfen, alles abstreifen, wie eine Schlange ihre Haut abstreift."


Hosseinis Schreibstil ist wie seine Erzählweise einem Chamäleon gleich: er passt sich an. Mal leuchtend poetisch, mal sparsamer und farblich gedeckt, mal ausschweifend, mal aufs Wesentliche reduziert, aber immer sehr inhaltlich direkt und sprachlich dabei wundervoll verschachtelt und durchdacht. Dabei schafft er es die Geschichte auf eine Art und Weise zu erzählen, die klar macht, dass man einem Leben lauscht, welches genauso gelebt werden muss und auch bei schwierigem Inhalt ein gutes Gefühl zu vermitteln. Vor allem das Ende rührte mich zu Tränen, auch wenn uns hier kein typisches Happy End erwartet.


"Sie war in dem Schweigen das zu Hause immer öfter eintrat, ein Schweigen, das zwischen den Wörtern aufquoll, einmal kalt und leer und dann wieder schwer von allem, was nicht ausgesprochen wurde, ein Schweigen wie eine dicke, graue Regenwolke, die sich nie entlud. (...) Er öffnete die Teedose. Da waren sie, Paris Federn, es fehlte keine einzige. federn von Hähnen, Enten, Tauben und auch die des Pfaus. Er legte die gelbe Feder in die Dose. Eines Tages, dachte er.
Hoffte er."



So, jetzt bin ich endlich alles los, was mir auf dem Herzen lag und kann noch schnell das Cover besprechen Jenes gefällt mir sehr gut, da viel Gefühl darin liegt, es könnte aber meiner Meinung nach als ein wenig kitschig interpretiert werden. Die Silhouetten der beiden Kindern vor einer flachen Graslandschaft im Sonnenuntergang, von dem sich Berge abheben sind aber eigentlich das perfekte Motiv und auch die Farbgebung, die von dunkel nach orange oben in ein warmes blau übergeht, passt super. Was mich an der Gestaltung jedoch wirklich zu 100 Prozent überzeugt hat, ist der Titel "Traumsammler". Auch wenn der amerikanische Originaltitel auch schön klingt finde ich, dass der der deutschen Aufgabe noch einmal ein i-Pünktchen obendrauf setzt! Denn das Buch ist wirklich eine Ansammlung von kurzen Episoden, von Träumen, die Khaled Hosseini wunderbar hier eingesammelt und in Buchform verpackt hat, sowie es im Buch Pari mit den Träume ihres Vaters tut.

Zum Abschluss noch mein Lieblingszitat:

"Pari", sagte sie. "Ja?" Sie legte den Kopf weit in den Nacken, um mich anschauen zu können. Das durch das Laub der Bäume fallende Licht tanzte über ihr Gesicht. "Ist dir bewusst, wie viel Kraft dir Gott geschenkt hat?", fragte sie."


Fazit:

Einfach nur wow! Eine intensive, emotionale, mitreißende Geschichte über Afghanistan und eine Familie voller verlorener Gestalten mit eindringlichen Schicksalen.