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Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
0

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.09.2020

Der würdige Abschluss einer besonderen Reihe!

Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte", "Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe" und "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt.

Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Muse of Nightmares", welches die im Deutschen vierbändige Reihe abschließt. Ich kann es auch in meiner vierten Rezension zu der Reihe nur nochmal wiederholen: Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Während die ersten beiden Teile noch genügend eigenstehende Handlung hatten, um zwei separate Geschichte zu tragen, leiden vor allem der dritte und der vierte Teil sehr unter der Spaltung durch den Verlag. Denn während sich Laini Taylor in "Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" lediglich warmläuft und neue Probleme, Charaktere und Hintergründe anteasert, ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" das genaue Gegenteil und besteht praktisch nur aus einem einzigen Showdown. Zusammengenommen ergeben beide Bände ein Finale, in dem zuerst eine brodelnde Grundatmosphäre aufgebaut wird, bevor es zur Sache geht. Auseinandergerissen wirken sowohl Teil 3 als auch Teil 4 unvollständig und einseitig.


Erster Satz: "Sarai gab Minya eine kleine Dosis des Lall."


Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung aber einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal in einem matten Silber gehalten und wieder von helleren Lichtbahnen und Wolken durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Dieser letzte Teil fügt sich damit perfekt in die Reihe ein, die nun aus jeweils zwei farbigen Covern mit Metallic-Schrift und zwei Metallic-Covern mit farbiger Schrift besteht. Im Mittelpunkt steht hier wieder die rote Form eines Adlers, der wohl Irrlicht verkörpert, welcher in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch den Adler geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.

Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte war, die in einem spektakulären Showdown gipfelt und sich der dritte Teil wie eine sich langsam steigernde Vorbereitung für das große Finale las, geht es hier endlich zur Sache. Zwar kann man nur äußerst wenig über den Verlauf der Handlung verraten, ohne zu spoilern, ich kann aber versichern, dass hier einige actionreiche Kämpfe, dramatische Racheaktionen, überraschende Wendungen und spannende Zusammentreffen auf uns zukommen. Denn wenn die Autorin eines beherrscht, dann ist es ihr Handlung in unvorhergesehene Gefilde abseits der typischen Fantasy-Abläufe zu treiben. Wieder einmal scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will. Statt uns wie so oft in Fantasy-Finals eine große Schlacht aufzutischen, setzt sie auf ein chaotisches Aufeinandertreffen aller sorgfältig vorgestellten Parteien, welches absolut unvorhersehbar aufläuft und alle Handlungsfäden kunstvoll vereint.


"Früher einmal war Nova nur die Hälfte eines Namens gewesen. Koraundnova klang wie Musik, heil und ganz. Nova allein war ein scharfkantiges, zerbrechliches Fragment. Wann immer sie es hörte, zerbrach sie innerlich aufs Neue."


Dabei setzt sie jedoch nicht nur auf Kämpfe und Wendungen sondern nimmt sich auch genügend Zeit, alle brennenden Fragen über das Mysterium Weep, die Kinder der Götter, die Seraphim, der Vogel Irrlicht und die Zitadelle zu beantworten. Auch Kora und Nova, die wir zu Beginn des dritten Teils kennengelernt haben und deren Geschichte zu Beginn in keinem Zusammenhang mit der Haupthandlung in Weep zu stehen schien, spielen hier eine unerwartete Schlüsselrolle. Sprich: War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Sehr nett ist auch, dass Fans der Autorin einige subtile Querverweise zu einer anderen Fantasy-Reihe auffallen werden und weitere Andeutungen Platz für eine Spinn-Off-Reihe freiräumen.


"Der Vogel wirbelte einen Windstoß hinter sich her, der eine weitere Stimme mitbrachte. In harscher Harmonie rankte sie sich um den gellenden Adlerschrei. Das Wabern in der Luft dellte sich hervor, klaffte auf und enthüllte Leiber, Arme, Waffen. Ein gnadenloser Ansturm. "


Abermals lobend zu erwähnen ist auch Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise durch die sagenumwobene Stadt Weep und darüber hinaus... Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Eril-Fane spürte, wie seine Kehle sich verengte und seine Fäuste sich zusammenkrampften, während seien Herzen von einer plötzlichen Liebe anschwollen, die schlicht und allumfassend war: für seine Stadt, sein Volk, seine Mutter, seien Ehefrau und diese wunderschönen blauen Kinder, die ganz auf sich alleingestellt überlebt hatten."


Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind jedoch die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier trotz des Handlungsfokus´ nicht aus den Augen verlieren. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht. Dass er selbst ein mächtiger Gott ist, das Mesarthium befehlen kann, eine Familie hat, eine Schwester und zugleich durch Sarais Tod so viel verloren hat, setzt ihm natürlich sehr zu und bringt sein Selbstbild durcheinander. Hier nimmt sich die Autorin tatsächlich ausreichend Zeit, sich mit den Auswirkungen der Enthüllung auf seinen Charakter zu beschäftigen, was man bei Fantasy-Romanen auch nicht jeden Tag liest!


"Wünsche erfüllen sich nicht einfach. Sie sind nur die Zielscheibe, die man um seine Zukunftspläne malt. Ins Schwarze treffen musst du schon selbst."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Durch die unglücklichen Verstrickungen am Ende des zweiten Teils hat sie zwar ihr Leben verloren, kann als Geist aber trotzdem noch denen nahe sein, die sie liebt und auch ihre Gabe ist nicht verloren. Leider ist sie aber nun abhängig von Minyas Güte und nur ein Fehler könnte ihr Dasein endgültig beenden. Hier muss sie sich nun endgültig entscheiden, wer sie sein will: die Muse der Albträume oder die Göttin der Träume...


"Göttin der Träume. Die Worte träufelten honigsüß in Sarais Bewusstsein, und sie sah das Bild zweier Mädchen mit zimtfarbenen Haaren vor sich, die sich gegenseitig im Spiegel betrachteten, die Muse der Albträume und die Göttin der Träume. Welche war real und welche nur ein Abbild?"


Die Beziehung zwischen Lazlo und Sarai, die im vergangenen Band so zart entwickelt wurde, blüht hier trotz aller widrigen Umstände weiter auf, tritt jedoch zugunsten eines weiteren Charakters ein wenig in den Hintergrund: Minya. Gerade als ich dachte, dass ich endlich einen ganz eindeutig bösen Protagonisten gefunden habe, den ich hassen kann, wendet die Autorin das Blatt komplett, erzählt ihre Geschichte und nimmt uns mit in ihre Träume, ihren verwirrten, traumatisierten Geist und füllt uns mit Mitgefühl und Verständnis für dieses arme Geschöpf in Gestalt eines alterslosen Mädchens mit kalten Augen... Neben Minya werden auch eine ganze Menge weiterer Protagonisten vertieft und weiterentwickelt. Zum Beispiel wird die Hintergrundgeschichte von Eril-Fane und Azareen endlich lückenlos erzählt und auch Lazlos ehemalige Reisegefährten rücken hier wieder ein bisschen mehr in den Vordergrund. Das Sahnehäubchen auf der Torte stellte dann die sich leise anbahnende Romanze zwischen dem eingebildeten Alchemisten-Schönling Nero und dem Tizerkan Ruza dar, die so natürlich und sympathisch daherkam, dass man der Autorin den sehr späten Zeitpunkt dieser Entwicklung großmütig nachsah. Neben diesem bekannten, bunten Kreis an liebgewonnenen Protagonisten tauchen auch in den aller letzten Zügen der Geschichte noch einige spannende, neue Gesichert auf, die die ungewöhnliche Wohngemeinschaft in der Zitadelle ordentlich aufmischen. Wen ich damit meine - lest selbst...


"Das Bewusstsein ist gut im Verstecken, aber eine Fähigkeit besitzt es nicht: Es kann nichts ausradieren. Was verborgen und begraben wird, ist deshalb nicht fort. In Minyas Gedächtnis befand sich eine unsichtbare Falltür. Oder auch eine Schublade mit einem Geheimfach ... eine schwebende Metallkugel mit einem Portal, das in eine albtraumhafte Welt führte. Jedenfalls war dieser Ort nu aufgesplittert, explodiert, und die Wahrheit quoll heraus wie Blut."


Das eigentliche Ende gönnt dem Leser nach dem temporeichen Showdown einen kleinen Moment zum Luftschnappen, bevor es an den Abschied geht. Auch in diesem Ende bleibt sich die Autorin treu und wählt keinen allerwelts-Abschluss für ihre besondere Reihe, was dieses Finale zu genau dem macht, was ein Finale sein sollte: ein würdiger Abschluss, der in eine unvorhergesehene aber stimmige Richtung geht. Zwar gibt es nicht für jeden ein Happy End, mit einer ordentlichen Portion Offenheit in den einen und süßer Gewissheit in anderen Handlungssträngen ist dieser Schluss aber schön zu Ende gedacht und alles in allem ein befriedigender Abschluss.


"Es war einmal ein Mädchen, das seiner Schwester einen Schwur leistete und nicht wusste, wie sie ihn brechen sollte. Stattdessen wurde sie davon gebrochen. Es war einmal eine Schwester, der das Unmögliche gelang, doch um Haaresbreite zu spät. (...) Dann war alles vorbei. Oder vielleicht fing etwas Neues an. Wer es weiß, kann nicht davon erzählen, und die die davon erzählen, wissen es nicht."




Fazit:


Der abschließende vierte Teil des Fantasy-Epos präsentiert sich nun als einziger spannender Showdown, der endlich alle brennenden Fragen beantwortet und die vielen Fäden der Handlung kunstvoll zusammenführt. War die Reihe zuvor noch von atmosphärischer Spannung, unbeantworteten Geheimnissen und einzelnen Highlights geprägt, schaltet die Autorin in den Action Modus um und enthüllt im Kapiteltakt, was lange verborgen war. Zusammen mit dem tollen Schreibstil und den weitergeführten Charakterisierungen ist "Muse of Nightmares - Das Erwachen der Träumerin" ein würdiger Abschluss einer besonderen Reihe.

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Veröffentlicht am 09.08.2020

Viele spannende Gedanken literarisch ansprechend und hochwertig verpackt!

Absorption
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Als bekennender Kurzgeschichten-Fan konnte ich natürlich nicht "Nein"-sagen als Ian Cushing, dessen erste zwei Romane ich schon gelesen habe, mir ein Rezensionsexemplar seiner ersten Anthologie anbot. ...

Als bekennender Kurzgeschichten-Fan konnte ich natürlich nicht "Nein"-sagen als Ian Cushing, dessen erste zwei Romane ich schon gelesen habe, mir ein Rezensionsexemplar seiner ersten Anthologie anbot. Und ich habe es nicht bereut - "Absorption" unterhält mit außergewöhnlichen Kurzgeschichten, die uns auf eine vielseitige Reise jenseits der ausgetretenen Gedankenpfade mitnehmen. Originell, überraschend tiefgründig und vor allem: erfrischend anders!

Verpackt zwischen zwei aufregend gestalteten Buchdeckeln mit einem Motiv des Künstlers Karmazid warten 13 unterschiedliche lange Geschichten aus verschiedenen thematischen Bereichen auf den willigen Leser. Wie auch beim Vorgänger dominiert ein einheitliches Schwarz das Cover, durchbrochen von Motiv, Autorenname und Titel. Ebenso wie der Klapptext ist letzterer knapp, stimmig und interesseweckend, sodass man nicht nur der optisch mal wieder sehr ansprechenden äußerlichen Gestaltung anmerkt, dass dies nicht die erste Publikation des Autors ist. Auch innerhalb der Buchdeckel ist die Geschichte definitiv auf Verlags-Niveau hergerichtet. Die Überschriften der einzelnen Kapitel sind in verschiedenen zur Geschichte passenden Schriftarten gehalten und zusätzlich wird jede neue Kurzgeschichte mit einer passenden Illustration eingeleitet. Längere Geschichten werden durch einzelne Unterkapitel voneinander abgetrennt. Zudem sorgt ein kurzes Nachwort zu jeder Kurzgeschichte dafür, dass die darin enthaltenen Gedanken, Ideen und Entstehungshintergründe besser verstanden werden können. Kurzum: für einen Selfpublisher ist dieser Sammelband erstaunlich professionell herausgebracht und hat gestaltungstechnisch alles, was das Leserherz begehrt!

Doch auch inhaltlich kann der Sammelband absolut überzeugen und wartet mit Themenvielfalt und erstaunlicher Tiefe auf. Durch die wechselnde Protagonisten, Szenen und Welten können wir in rasender Geschwindigkeit einen kurzen Einblick in ganz verschiedene Geschichten erhalten, die obwohl sie unterschiedlichen Genres angehören immer reich an interessanten, erschreckenden oder berührenden Gedanken und Gefühlen sind. "Absorption" ist dabei, wie im Vorwort des Autors erläutert, nicht nur Titel sondern auch Thema und roter Faden der Anthologie. Ob nun der Genuss von Musik und gutem Whiskey, dem völligen Aufgehen in der Liebe, die Konzentration auf den Job, eine höhere Sensibilität gegenüber übersinnlichen Gefahren oder die Offenheit gegenüber neuen Gedanken und eine beobachtende, reflektierte Welthaltung - die Eigenheiten der Figuren lassen sich fast immer auf das Thema "Absorption" zurückführen.

Auch für den Leser lohnt es sich, der gedankliche Inhalt der Geschichten nicht nur zu konsumieren, sondern auch darüber nachzudenken und zu absorbieren. In der bunten Mischung der einzelnen Genres von Psychothriller und Grusel über Komödie bis hin zu Lyrik und Liebesgeschichten kommen nämlich nicht nur verschiedene Themen wie Tod, Partnerschaft, Demenz, Krankheit, Liebe und Angst, sondern auch viele spannende Erkenntnisse und ein (nicht so ganz subtiles) politisches Statement vor. Doch auch wenn die einzelnen Sequenzen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich scheinen, lassen sich neben dem roten Faden auch durch den eingängigen Schreibstil Ian Cushings Gemeinsamkeiten feststellen. Der subtile Humor macht die Geschichte zwar unterhaltsam, zum schnellen Lesen ist diese Anthologie aber nicht geeignet (ich habe auch tatsächlich eine ganze Woche an den 250 Seiten gelesen). Es lohnt sich hier, das Potential zum Grübeln zu nutzen und sich ab und zu portionsweise ein Kapitel zu gönnen. Wie auch schon in seinem Kurzroman "In Ewigkeit" und dem Fantasy-Horror "Die Träne der Zauberschen" schreibt er kraftvoll, nachdenklich und melancholisch, behält dabei jedoch einen positiven Unterton bei. Die verschiedenen Stimmungen werden ebenfalls dadurch transportiert, dass er die richtigen Worte trifft, um die gewünschte Emotion hervorzurufen, bis ins Detail genau beschreibt, ohne lange abzuschweifen und seine Figuren in wenigen Sätzen auf den Punkt bringt.

Besonders gefreut hat mich außerdem, dass wir in vier der Kurzgeschichten in das Pfuhlenbeck-Universum ("Die Träne der Zauberschen") zurückkehren, Geheimnisse von Dirk, Marcus, Jan und Simone gelüftet werden und wir den geheimnisvollen Hank genauer kennenlernen, der im Landhotel zum Basisinventar gehört, ohne dass dies neuen Leser verwirren würde. Insgesamt ist dieser kunterbunte, liebevoll ausgearbeitete Sammelband bestens geeignet als kleine Aufmerksamkeit zum Verschenken oder einfach als kleine Lektüre für Zwischendurch.


Fazit:

"Absorption" vereint 12 inspirierende Kurzgeschichten und ein Gedicht, verschiedene Themen in verschiedenen Genres zu einem wunderbar ausgearbeiteten Gesamtbild mit klarem roten Faden und einer Gestaltung auf Verlags-Niveau - Viele spannende Gedanken literarisch ansprechend und hochwertig verpackt!

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Veröffentlicht am 24.07.2020

Ruhig, lebensnah, charmant und ungekünstelt!

Für eine Nacht sind wir unendlich
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"Für eine Nacht sind wir unendlich" ist mein erstes Buch von Lea Coplin, wird aber auf keinen Fall mein letztes gewesen sein. Denn Lea Coplin schreibt hier spritzig, emotional, aber nicht mit übertriebener ...

"Für eine Nacht sind wir unendlich" ist mein erstes Buch von Lea Coplin, wird aber auf keinen Fall mein letztes gewesen sein. Denn Lea Coplin schreibt hier spritzig, emotional, aber nicht mit übertriebener Dramatik von einer Nacht voller unendlicher Möglichkeiten und die Angst im Nacken, sie nicht ausreichend zu nutzen. Dank des Verlags, der mir schon vor Wochen ein Vorabexemplar zur Verfügung gestellt hat, kann ich euch heute, pünktlich zum Erscheinungstermin von meinen Gedanken dazu berichten.


Jonah: "Manchmal muss man eben einen Schritt zu weit gehen, um etwas zu bewirken. Weil man sonst kein Gehör bekommt."


Das Cover ist aufgeregt, dunkel, bunt und schimmernd - also genau wie die Geschichte, die dahinter verbogen liegt. Auch wenn der blau-pinke Lichtrahmen und das spiegelnde Quadrat einen Eye-Catcher-Effekt hervorrufen, ist mir das in Kombination mit dem Hintergrundmotiv ein bisschen zu viel, zu aufgeregt. Außerdem habe ich mir Liv und Jonah ganz anders vorgestellt, als hier abgebildet. Toll ist, dass ich in meiner Vorab-Box tolle Polaroid-Bilder mit Eindrücken aus Glastonbury, ein Festivalarmband mit dem Titel des Buchs, farbig passende Knicklichter, ein personalisierter Brief sowie die Playlist zum Buch als Zusätze erhalten habe.


Erster Satz: "Ich hatte schon bessere Tage, so viel ist sicher."


Die Geschichte beginnt am letzten Tag des berühmt-berüchtigten Festivals in Glastonbury, bei dem sich Jonah und Liv zum ersten Mal begegnen. Während Jonah von seinen Freunden überredet wurde, mitzugehen, von seiner Exfreundin angenervt ist und es kaum erwarten kann, zurück nach Frankfurt zu fahren, will Liv endlich ein bisschen etwas von dem Festival sehen, das sie bislang nur vom Foodtruck ihrer Tante aus miterleben konnte. Als die Beiden sich das erste Mal sehen, ist sofort eine gegenseitige Faszination zu spüren und auch wenn sie wissen, dass sich ihre Wege bald wieder trennen würden, wollen sie den anderen noch nicht gehen lassen. So ziehen sie gemeinsam los und sehen das Festival in seinen letzten Zügen plötzlich mit ganz anderen Augen, öffnen sich langsam füreinander und verschenken entgegen besseren Wissens vorsichtig ihr Herz...


Liv: "Er zuckt mit den Schultern. Und als wäre das Zugeständnis genug, machen wir uns gemeinsam auf den Weg dorthin. Zwei zufällig zusammengewürfelte Teilchen, von denen noch niemand sagen kann, ob sie sich anziehen oder abstoßen werden."


Ich habe in meiner "Lesekarriere" schon wirklich eine Menge New-Adult-Bücher gelesen und immer wieder das übertriebene Drama, die vielen Klischees und die aufgesetzten Probleme kritisiert, die leider oft mit emotionalen Geschichten des Genres einhergehen. Ganz dagegen gefeit ist "Für eine Nacht sind wir unendlich" natürlich auch nicht, dennoch gefielen mir die ruhigere Erzählweise, die lebensnahen Protagonisten und deren authentische Probleme sehr gut. Dadurch dass die gesamte Handlung nur an einem Tag passiert und die Protagonisten kaum 24 Stunden miteinander verbringen, ist das, was sie teilen intensiver, spontaner und ungehemmter. Die wenigen Seiten der Geschichte täuschen: durch die kompakte Erzählweise und das kurze Erzählintervall passiert hier eine ganze Menge und es wird garantiert nicht langweilig. Ein fröhliches Prickeln, kaum Zeit zum Nachdenken, die ständige Gegenwart des anderen und eine sich schleichend einstellende Nähe - So entwickelt sich die Liebe zwischen ihnen langsam Schritt für Schritt, sodass trotz der vielen Ereignisse eine gemütliche Ruhe über die Geschichte liegt.


Liv: "Wenn er lächelt, wirkt es fast wir ein Sonnenaufgang auf seinem Gesicht. Er schiebt sich sorgsam darüber, bringt alles zum Strahlen, leuchtet, mitten in mein Herz."


Wunderbar untermauert wird die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte durch das wundervolle Setting. Das Glastonbury Festival (das es übrigens wirklich gibt), ist ein lebendiges, buntes, chaotisches, weitläufiges Festival, das so voller Vielfalt und Lebensfreude strotzt, dass ich mich mehrmals während dem Lesen dort hin gewünscht habe. Gerade weil der Festival-Sommer dieses Jahr leider ausfallen muss, ist dieses Buch ein tröstlicher Ersatz und ich habe es sehr genossen mit Liv und Jonah den Duft der Foodtrucks zu riechen, die magische Atmosphäre des altehrwürdigen Glastonburys zu genießen, die wilde Euphorie der Live-Konzerte zu fühlen, gemütlich auf einer sommerlichen Wiese zu liegen, zu den Klängen von Meditaionsgongs einzuschlafen und mich von einer Erfahrung zur nächsten treiben zu lassen.


Jonah: "Sie gibt einen frustrierten Laut von sich, und womöglich ist das der Moment, in dem ich mich ein kleines bisschen in Liv Forest verliebe. Weil sie unglaublich ist. Und keine Ahnung davon hat. Weil sie ... sie ist. Vermutlich ist es so einfach. Oder weil wir gemeinsam wir sind."


Sehr charmant und authentisch sind auch die beiden Protagonisten, die wir parallel zu ihrem Annähern besser kennenlernen und zu Beginn getroffene Urteile durch neue Offenbarungen immer wieder überdenken müssen. Dadurch, dass sie abwechselnd in teilweise sehr kurzen Kapiteln aus ihrer Perspektive erzählen, bekommen wir hautnah alles mit, was sich innerhalb der 24 Stunden auf der Handlungsebene aber auch in ihren Köpfen und Herzen ereignet und fühlen uns dadurch, als wären wir tatsächlich vor Ort. Liv erscheint zu Beginn sehr lebenslustig, offen, spontan und selbstbewusst, offenbart aber immer mehr Komplexe und Unsicherheiten, die sie seit Jahren bekämpfen muss. Erst als Jonahs Präsenz in ihr ein Kribbeln auslöst, kann sie sich eingestehen, dass sie in ihren Freund Laurent weniger verliebt ist, als in die Vorstellung, einen Freund zu haben und begehrt zu werden. Auch der düstere aber warmherzige Jonah hatte bislang nur Beziehungen, weil sie sich so ergeben haben und er schlecht allein sein kann. Außerdem versteckt Jonah noch eine dunkle Wahrheit, die endlich an die Oberfläche drängt... (Spoiler: Ja gut, dramaturgisch war das gut eingefädelt aber warum immer alle ein schlimmes Geheimnis, ein Trauma im NA-Genre haben müssen, ist mir nicht ganz klar).


Liv: "Vielleicht ziert irgendein nicht für jeden sichtbares Zeichen meine Stirn, das nur diese Bitches lesen können und das sie dazu auffordert, gemeinschaftlich fies zu mir zu sein. Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass es mir mit meinem kurvigeren Körper scheinbar durchaus gelingt, eine Konkurrenz darzustellen für die Annikas dieser Welt, die wochenlange Buttermilchdiäten sauer gemacht haben. Ich bin nicht fett. Dass ich nicht dürr bin, bedeutet noch längst nicht, dass ich fett bin."


Zuzusehen, wie sich die beiden Schritt für Schritt füreinander öffnen und dabei vor der Zeit davonlaufen, ist wirklich herzzerreißend. Wie sie zu Beginn noch ihre Unsicherheiten überspielen, Peinlichkeit bei unangenehmen Redepausen empfinden und nach und nach immer losgelöster werden, zusammen den Moment genießen und ungekünstelte Gespräche führen, ist spannend mitanzusehen. Egal ob Gespräche über Greta-Thunberg, die Zerstörung des Hymens, die perfekte Konsistenz von Scones oder unglückliche Liebschaften: hier wirkt trotz gelegentlich absurden Entwicklungen nichts konstruiert. Mir gefällt, dass hier alles im Fluss ist - die Geschichte, die Beziehung, die Charaktere, die Dialoge - hier gibt es keine schlagfertigen Wortgefechte, die sich lesen, als hätten sie die Autorin Tage gekostet, sie sich auszudenken oder schwülstige Liebeserklärungen. Stattdessen schreibt Lea Coplin charmant, modern, einfühlsam und einfach ECHT, sodass man ihr jede Wendung abnimmt, bis man mit dem offenen aber realistischen, perfekten Ende die Geschichte abschließt.


Jonah: "Ich lasse Liv nicht los. Ich war mit Annika zusammen, weil sie gerade da war, doch ich halte an Liv fest, weil sie mir etwas gibt, das mir bis dahin noch niemand gegeben hat; das Gefühl, nicht allein zu sein."




Fazit:


Ruhiger, lebensnäher, authentischer - Lea Coplin erzählt charmant und ungekünstelt die Geschichte zweier liebenswerter Protagonisten, die inmitten des kunterbunten Chaos´ des Glastonbury Festivals die Liebe finden.

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