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Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
0

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

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Veröffentlicht am 08.12.2019

Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!

Strange the Dreamer - Ein Traum von Liebe
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Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer ...

Laini Taylor träumte schon in "Strange the Dreamer - Der Junge der träumte" eine wundervolle Welt voller legendärer Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbarer Metalle, schrecklicher Albträume, gequälten Geistern, gefallenen Engeln, wunderschönen Monstern, gewiefter Alchemie und unglaublicher Magie herbei, sodass ich es kaum erwarten konnte, mit der Fortsetzung nach "Weep" zurückzukehren. Nun ging der Traum endlich weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor!


"Du bist märchenhaft. Du bist magisch, mutig und wundervoll. Und...", fuhr er mit plötzlicher Schüchternheit fort, denn nur in einem Traum konnte er solche gewagten Worte überhaupt aussprechen: "... ich hoffe, du lässt mich Teil deiner Geschichte sein."


Vielleicht ist euch schon aufgefallen, dass die Geschichte, die im Original nur zwei Teile ("Strange the Dreamer" und "Muse of Nightmares") hat, im deutschen in vier Teile aufgeteilt wurde. Dieses Buch ist also die zweite Hälfte von "Strange the Dreamer" und die Reihe wird im nächsten Sommer durch die beiden Hälften von "Muse of Nightmares" fortgesetzt. Meiner Meinung nach wäre diese Trennung schlicht nicht nötig gewesen. Bei Fantasy-Reihen ist ein Buch mit über 600 Seiten absolut kein Problem und so sind die zwei Teile der Geschichte wirklich sehr dünn und wirken außerdem alleinstehend unvollständig abgewürgt. Die Handlung am Ende von Teil 1 bricht ohne Vorwarnung ab und lässt den Leser in der Luft hängen. So bin ich nun wirklich froh, mit dieser zweiten Hälfte den kompletten ersten Part der Geschichte vorliegen zu haben.

Abgesehen von der fragwürdigen Aufspaltung finde ich die sonstige Gestaltung einfach wunderschön! Das Cover ist dieses Mal glänzend golden und wieder von helleren Lichtbahnen durchzogen, die einen Hauch von Wissenschaft und Symmetrie hinzufügen. Im Mittelpunkt steht die blaue Form einer Motte, die in der Geschichte ein zentrales Motiv darstellt und die durch geometrische Muster aufgepeppt wurde. Wer die Gestaltung von Teil 1 und 2 vergleicht, wird also feststellen, dass die Farbgebung von Hintergrund und Highlights genau konträr ist, sich die Designs also wunderbar ergänzen. Sehr schön ist auch die ausgestaltete Titelseite, die durch fünf gezeichnete Motten geziert wird, deren Flügelmuster bei genauerem Hinsehen ein Gesicht ergeben. Die Kapitelanfänge werden ebenfalls durch die Motte geziert und die fantasievollen Überschriften zeigen auf, in welche Richtung sich die Geschichte bewegen wird. "Vipern und Engel", "Eine stille Apokalypse" oder "Pflaumengroße Wut" verbinden die beiden Polaritäten, die sich in meiner Lieblingsüberschrift widerspiegeln: "Wunderschön und voller Monster". Eine Protagonistin sagt an einer Stelle der Geschichte, alle wahren Geschichten seien wunderschön und voller Monster und Lazlo solle ihr etwas Wildes und Unglaubliches erträumen. Das hat sich die Autorin wohl auch als Maßstab gesetzt, denn die Geschichte, die Welt die sie für uns herbeiträumt wirkt wirklich wunderschön, monströs, morbide, sanft, farbenfroh und einfach - alles zugleich.


"Sie konnte die Wärme seiner Haut spüren. Eine aufflammende Verbindung, nein, eine Kollision. Als wären sie schon eine Ewigkeit durch dasselbe Labyrinth geirrt und hätten endlich eine Ecke umrundet, die sie aufeinandertreffen ließ. Eben noch war sie allein und verloren gewesen, jetzt nicht mehr."



Im ersten Abschnitt der Geschichte haben wir den jungen Träumer Lazlo kennengelernt, der durch eine schicksalhafte Fügung zum Ort seiner Träume - die verborgene Stadt Weep - aufbrechen kann, der durch die Mesarthim jahrzehntelang ihr Himmel, ihre Jugend, ihr Name und ihre Hoffnung gestohlen wurde. Nun in Weep angekommen muss er sich bald fragen, weshalb ihn sein Schicksal in die Stadt seiner Träume geführt hat und wie ausgerechnet er - der blasse Bibliothekar - die Stadt retten soll. Erst als ihm Sarai jede Nacht im Traum erscheint, beginnt er zu begreifen, wie tief verwurzelt der Hass zwischen Menschen und Mesarthim ist und was es kosten wird, diese Feindschaft zu überwinden. Auch Sarai, die hoch über der verfluchten Stadt in der verlassenen Zitadelle der Götter lebt und die Menschen von Weep jede Nacht in ihren Träumen besucht, steht vor einer wichtigen Entscheidung: will sie weiterhin ein Teil von Minyas Racheplan sein oder glaubt sie an das Gute in den Menschen? Mit der ersten wirklichen Begegnung von Sarai und Lazlo in ihren Träumen startet eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals verfolgen durfte - eingebettet ist ein magisches Setting und die Gewissheit, dass ihre Beziehung nicht gut gehen wird...


"Meine Vipern, meine Engel", nannte Ellen die Große sie gerne mit Kosenamen. Passend, denn sie waren beides gleichzeitig. Sie waren Geschöpfe aus Fleisch und Seele, aus Magie und aus Hunger, und ja... Spucke, alle auf engstem Raum eingeschlossen, ohne Ausweg. Ein Massaker lag hinter ihnen, ein weiteres stand ihnen bevor, und überall waren die Geister der Toten."


Wir starten eher gemächlich in die zweite Runde der Geschichte und konzentrieren uns vor allem auf die Beziehung zwischen Sarai und Lazlo. Während im ersten Teil eher die Abenteuerkomponente von Lazlos Reise und die Magie des Ergründens des Geheimnisses von Weep im Vordergrund standen, ist der zweite Teil eher eine Liebesgeschichte, die in einem spektakulären Showdown gipfelt. Der Titel "Ein Traum von Liebe" wird hier also definitiv Programm. Dabei wird die Erzählweise gleichzeitig süßer und ernster. Durch den Fokus auf Lazlo und Sarai ergreift eine zarte Sehnsucht, süße Hoffnung und Zärtlichkeit von der Handlung besitzt, auf der anderen Seite wird aber immer deutlicher, wie tief verwurzelt Hass und Rachedurst auf den beiden Seiten sind und wie verfahren die Situation ist. Dadurch ist dem Leser die fragile Zerbrechlichkeit der vielen kurzen Glücksmomente bewusst und die Angst vor dem Ausgang, der im Prolog in Band 1 schon angedeutet wurde, sorgt für eine intensive Hintergrundspannung. Dabei scheinen Laini Taylor Genregrenzen und Erzählgrundsätze nicht besonders wichtig zu sein, denn sie tanzt zwischen verschiedenen Genres und schildert unglaubliche Situationen, durch die die Geschichte wie ein einziger skurriler, kunterbunter, wunderschöner Traum, aus dem man gar nicht mehr erwachen will.



"Sie hatte das Gefühl, sich selbst ganz neu zu entdecken - kein unnatürliches Geschöpf, vor dem selbst Geister zurückschrecken, sondern ein Märchenwesen. Ein Gedicht. Solange der Traum nachwirkte, erschien alles möglich. Sogar Freiheit.
Sogar Liebe."


Laini Taylors unfassbarer Schreibstil, der zu den schönsten gehört, die ich jemals kosten durfte, trägt zur Schaffung dieses Gesamtbildes natürlich auch nicht unwesentlich bei. Legendäre Mysterien über wütende Götter, gestohlenen Wörtern, verschwindenden Namen, unzerstörbare Metalle, schreckliche Albträume, gequälte Geister, gefallene Engel, wunderschöne Monster, gewiefte Alchemie und unglaubliche Magie - sanft und poetisch, eindringlich und voll träumerischer Süße nimmt sie uns mit auf eine ereignisreiche Reise und entführt in die sagenumwobene Stadt Weep. Im Großen wie im Kleinen findet sie dabei großartige und manchmal auch absurde Sprachbilder, die uns ihr Setting oder die Gefühle der Protagonisten näher bringen und als weiteres Alleinstellungsmerkmal hervorstechen. Sie erzählt die Geschichte von zwei Liebenden in einer verfluchten Stadt geschickt gerafft in 348 Seiten und vermittelt dem Leser trotz Zeit- und Ortssprüngen das Gefühl von Ruhe und Gemächlichkeit. Dabei kommen auch detailreiche, bildhafte Ausschmückungen nicht zu kurz, sodass eine magische Atmosphäre entsteht, die dank der fabelhaften Übersetzung Ulrike Raimer-Noltes nicht leidet. Falls das überhaupt möglich sein sollte, wird ihr Schreibstil hier noch besser - denn diese Geschichte besteht praktisch nur aus diesem gewissen, magischen Etwas, dem fantastischen Prickeln, das man nur in wenigen Büchern findet.


"Sie sprach von einer Liebe, die die Seele aufblühen lässt wie der Frühling und reifen lässt wie der Sommer. Eine Liebe, wie sie kaum in der Wirklichkeit existierte, als habe ein meisterhafter Alchemist alle Unreinheiten, Enttäuschungen, Alltäglichkeiten und unwürdigen Gedanken herausgeköchelt, um ein perfektes Elixier zu erschaffen, zuckersüß, vielschichtig und verzehrend."



Fast noch wichtiger als Setting und Schreibstil sind die zwei wundervollen Protagonisten, die wir hier in vollkommen neuem Licht kennenlernen können. Mit feinfühligen Beschreibungen hebt Laini Taylor ihre beiden Protagonisten aus dem bunten Meer aus Träumereien, Göttern, Monstern und Geistern hervor und lässt sie lebendig werden. Dabei ist vor allem Lazlo fern ab von jeglichem Klischee konstruiert und unterscheidet sich drastisch von üblichen oder gar durchschnittlichen Protagonisten einer Fantasy-Serie. Der unscheinbare, unansehnliche Junge besitzt nichts als seine Geschichten, seine Träume, seine Fantasie, welche er tief im Herzen als seinen größten Schatz verwahrt und doch macht ihn das zur reichsten Person des ganzen Landes. Seine kindliche Ehrfurcht, die neugierige Begeisterung und die demütige Höflichkeit, mit der er der Welt begegnet nehmen den Leser sofort für diesen sanftmütigen, jungen Mann ein und garantieren, dass man mit ihm mitfiebert und dieser Figur von Herzen das Beste wünscht.


"Ich bin kein Traum", sagte Sarai. Ihre Stimme klang bitter. "Ich bin ein Albtraum."


Auch Sarai scheint nicht in die Welt zu passen, in der sie lebt - eingesperrt mit Monstern, die ihre Familie sind, in einem Schloss hoch über den Wolken. Genauso sehr wie sich Lazlo nach dem Absonderlichen und Wunderbaren streckt, sehnt sich danach, einfach normal zu sein und dazuzugehören. Durch die täglichen Besuche in den Träumen der Bewohner von Weep hat sie etwas gefunden, dass den schwelenden Hass, der in den Herzen der Götterkinder auch nach Jahren noch glüht, abgekühlt hat: Mitgefühl und Verständnis. Trotz des vielen Leids, Unverständnisses und Schams, von denen ihr Dasein geprägt ist, ist sie in der Lage, mit den Menschen mitzufühlen, die Minya gerne zu ihren Feinden erklärt und so wird auch sie zur zerrissenen, tragischen Heldin, die wie Lazlo auch einfach nur dazugehören will. Was passiert, als die beiden aufeinander treffen - lest selbst...


"Für Lazlo hatte es sich angefühlt, als hätte er ein Buch im Inneren eines anderen Buches entdeckt. Eine kleine, kostbare Rarität, die in einem gewöhnlichen Wälzer steckte. Zaubersprüche, geschrieben auf Libellenflügeln, verborgen in einem Kochbuch zwischen Rezepten für Kohlköpfe und Maiskolben. Für Lazlo stand fest: Ein Kuss, selbst der allerkürzeste, war ein kleiner Moment der Magie, eine Geschichte voller Zauber, eine wundersame Unterbrechung des Alltags."


Das Ende … ja das Ende ist nochmal eine Kategorie für sich. Wie auch der Rest der Geschichte begeistert es mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache und tragischer Intensität. Anders als der träumerisch-süße Beginn es aber vermuten ließe, lassen und die Enthüllungen und Geschehnisse der letzten Seiten schockiert und hilflos zurück, sodass das Warten auf den nächsten Teil ("Muse of Nightmares - Das Geheimnis des Träumers" (29.06.2020)) mir jetzt schon unendlich lange erscheint.



Fazit:


Der Traum geht weiter - bunter, intensiver, schöner und magischer als je zuvor! Laini Taylor überzeugt mit fantastischem Ideenreichtum, wortgewaltiger Sprache, tragischer Intensität und zwei lebendigen Protagonisten, die ihresgleichen suchen.

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Veröffentlicht am 22.11.2019

Ein wundervoller Reihenauftakt, der sehr neugierig auf alles Kommende macht!

Scythe – Die Hüter des Todes
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Nachdem mir der Abschlussband der unglaublichen "Vollendet"-Reihe im September mal wieder vor Augen geführt hat, welch ein genialer Autor Neal Shusterman ist, habe ich mich entschieden, mich auch an seine ...

Nachdem mir der Abschlussband der unglaublichen "Vollendet"-Reihe im September mal wieder vor Augen geführt hat, welch ein genialer Autor Neal Shusterman ist, habe ich mich entschieden, mich auch an seine - mittlerweile weltweit bekannte - Scythe-Trilogie zu machen. Eine sehr gute Entscheidung, wie ich jetzt nach dem ersten Teil feststelle. "Scythe - Die Hüter des Todes" ist ein typischer Neal Shusterman, der mit einem absurd erscheinenden Szenario schockt, das glaubhaft und realistisch aufgezogen wurde.


"Ich mag den Regen hier", erklärte er ihr. "Er erinnert mich daran, dass einige Naturgewalten niemals ganz gebändigt werden können. Sie sind ewig und das ist besser, als unsterblich zu sein."


Das Cover der broschierten Zweitauflage erinnert in Motiv und Farbe sehr stark an das amerikanische Originalcover und gefällt mir damit besser als die Gestaltung der gebundenen Ausgabe. Die rote Robe, die schwarze Sense, die futuristisch anmutenden Streifen, der Comic-Titel - all das ergibt ein stimmiges Gesamtbild, das auf zentrale Motive und die eher düstere Stimmung vorbereitet. Der Titel "Scythe", abgeleitet vom englischen Wort für "Sense" passt natürlich wie die Faust aufs Auge, auch wenn sich einige Schwierigkeiten bei der Aussprache des Titels ergeben. Innerhalb der Buchdeckel sind mir die relativ große Schrift und der riesige Abstand zum unteren Rand negativ aufgefallen. Alles in allem kommt diese Geschichte aber in einem sehr überzeugenden Kleid daher.


Erster Satz: "Wir müssen von Rechts wegen Buch führen über die Unschuldigen, die wir töten."


Mit diesem Satz aus dem vorangestellten Auszug aus dem "Nachlesetagebuch" der Ehrenwerten Scythe Curie, aus dem wir über das ganze Buch verteilt Eindrücke erhalten, starten wir in ein philosophisches Gedankenexperiment, das zunächst wie eine Utopie daherkommt, sich aber bald zu einem packenden Gesellschaftsthriller entwickelt. Stellt euch vor, ihr lebt in einer perfekten Zukunft, in der euch weder Tod, noch Krankheit oder Ungerechtigkeit zu ängstigen brauchen. Ihr habt Naniten in eurem Blut, die dafür sorgen, dass ihr euch immer gut fühlt und gesund seid. Ihr könnt sooft "über den Berg kommen" und euren Körper auf ein jüngeres Alter zurücksetzen lassen wie ihr wollt, werdet ihr entgegen aller Wahrscheinlichkeit durch einen Zwischenfall "totenähnlich" gemacht, könnt ihr in einem Revival-Zentrum wiederbelebt werden. Der allwissende und allmächtige "Thunderhead" steuert und regelt die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft, sodass Verbrechen, Kriege und Korruption zusammen mit der Sterblichkeit der Vergangenheit angehören. Stellt euch vor, ihr könnt ewig leben. Klingt das nicht nach der absoluten Utopie?


"1. Du sollst töten.
2. Du sollst unvoreingenommen, besonnen und ohne böswillige Absichten töten.
3. Du sollst der Familie derjenigen, die dein Kommen akzeptieren, ein Jahr Immunität gewähren sowie auch allen anderen, die du als würdig erachtest.
4. Du sollst die Familie derjenigen töten, die sich widersetzen.
5. Du sollst zeit deines Lebens der Menschheit dienen, und deine Familie soll als Entschädigung zeit deines Lebens Immunität genießen.
6. Du sollst in Worten und Taten ein vorbildliches Leben führen.
7. Du sollst keinen Scythe außer dich selbst töten.
8. Ring und Robe sollen deine einzigen weltlichen Besitztümer sein.
9. Du sollst weder heiraten noch dich fortpflanzen.
10. Du sollst dich allein an diese Gebote halten."


Ja, aber wie soll das funktionieren wenn der Platz auf der Erde beschränkt ist, keiner mehr stirbt und ständig neue Kinder geboren werden? Um das Bevölkerungsproblem zu lösen gibt es die Scythe. Ausgebildete Todesengel in langen, bunten Roben, die nach willkürlichen Kriterien Menschen "nachlesen" oder ihnen "Immunität" für ein Jahr gewähren können. Der Tod ist nun immer noch keine Gewissheit sondern nur eine unwahrscheinliche Begleiterscheinung in bunter Robe. Doch wie kann ein Mensch entscheiden, wer leben soll und wer sterben muss? Mit dieser elementaren Frage müssen sich Citra und Rowan befassen, als sie gegen ihren Willen von Scythe Faraday zu seinen Lehrlingen berufen werden und die Kunst des Tötens ebenso lernen müssen wie die Kraft des Mitgefühls. Und während die beiden sich in ihrer neuen Rolle einfinden müssen, bemerken sie immer mehr Abgründe hinter der Fassade des unfehlbaren Scythetums. Denn wo Menschen sind, sind auch Fehler. Wo Menschen sind, sind auch Machtkämpfe, Intrigen, Emotionen wie Hass und Liebe, Voreingenommenheit, Vorurteile und der tiefe Schmerz, mit den Folgen der Taten leben müssen - das ganze, unsterbliche Leben lang. Bald geraten die zwei zwischen die Lager der Scythe der alten und der neuen Ordnung, bei deren Streit es um nichts Geringeres geht als die Legalisierung von Mord...


"Vergesst alles, was ihr über Scythe zu wissen glaubt. Lasst eure vorgefassten Vorstellungen hinter euch. Eure Ausbildung beginnt mit dem heutigen Tag."


Zugegeben, die Idee ist schon absurd, abstoßend und ein wenig makaber. Doch an alle, die nun die Stirn runzeln und an der Seriosität der Geschichte zweifeln: diese Idee funktioniert innerhalb dieser schockierenden und gleichzeitig wahnsinnig faszinierenden Geschichte, die Spannung, Gesellschaftskritik, Gruppendynamik und einen Schuss Wahnsinn zu einem komplexen Meisterwerk verarbeitet, das man nicht mehr aus der Hand legen kann. Neal Shusterman legt hier mehr Wert auf innere Konflikte der Protagonisten und auf die Einblicke in das System der Scythe als auf spannende Action. Die vielen interessanten Gedanken über Sterblichkeit, Tod, Stagnation, Inspiration, Verantwortung und Intensität von Leben machen die Geschichte aber dennoch zu einem atmosphärisch dichten, spannenden Roman. Und wie in einer jeden guten Dystopie schwingt auch eine ordentliche Portion Gesellschaftskritik mit. Der Beginn von "Scythe" ist nicht so mitreißend wie "Vollendet" - es fehlt das haarsträubende Tempo und die aufdringliche Intensität der Geschichte - Neal Shusterman geht es hier ruhiger an und ermöglicht die Einführung in elementaren Grundgedanken des Scythetums und das langsame Kennenlernen der Protagonisten.



"Alles hat sich geändert, Sir." Und dann sagte Faraday etwas Rätselhaftes, das erst viel später einen Widerhall in ihnen wachrufen sollte.
"Vielleicht wird sich alles nochmal ändern."


Besonders hervorgehoben wird die perfide Idee durch den meisterhaft direkten, schonungslosen Schreibstil, der uns einen gruseligen Gänsehautmoment nach dem anderen beschert ohne grausam oder blutig zu sein. Der Autor - ein Meister der Handlungsstränge - tischt uns ein komplexes Beziehungsgeflecht voller Wiedersehen, Trennungen, Enden und Neubeginnen, Hass und Liebe auf und sorgt durch überraschende Wendungen und provokante Fragen dafür, dass wir beim Lesen immer gedanklich anwesend sind. Auch emotional ist diese Geschichte schwer zu lesen, dass wir sowohl den Schmerz der nachgelesenen Opfer, der Hinterbliebenen als auch den Schmerz und die Schuld der Scythe ertragen müssen. Neal Shusterman versteht es geschickt, uns ein umfassendes Bild der Gesellschaft zu liefern, in dem er immer wieder Nebenpersonen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen und Lebenssituationen ihre Sichtweise schildern lässt. Ansonsten wird immer abwechselnd aus der Sicht der beiden Hauptprotagonisten Citra und Rowan als personale Erzähler erzählt, was ich etwas schade fand, da ich bei diesen tiefgreifenden Charakteren gerne ihre Geschichte aus der Innensicht zum Beispiel aus der Ich-Perspektive erlebt hätte. Nichtsdestotrotz erhalten wir auf den 513 Seiten einen wundervollen Einblick in die Köpfe und Herzen der beiden Lehrlinge, die damit leben müssen, bis ans Ende ihres Lebens Menschen den Tod zu bringen.



"Du hast ein wenig Freude gespürt, doch das war nur ein Schatten dessen, wie es sein kann. Ohne drohendes Leid können wir keine Freude empfinden. Wir bekommen bestenfalls Annehmlichkeit." (…) Sie lebten in einer Welt, in der es im Grund auf niemanden mehr wirklich ankam. Das Überleben war garantiert. Das Einkommen war garantiert. Es gab genug Nahrung, Komfort wurde gestellt. Der Thunderhead kümmerte sich um die Bedürfnisse eines jeden. Und wenn einem nichts fehlte, wie könnte das Leben dann anders sein als angenehm?"


Da wäre zum einen Citra, die als pflichtbewusste, neugierige und offenherzige junge Frau auftritt, die mutig für ihre Prinzipien einsteht und sich nicht leicht einschüchtern lässt. Zur perfekten Scythe machen sie gerade ihre Empfindsamkeit und ihr tiefer Gerechtigkeitssinn, mit dem sie aber im Scythetum auch aneckt. Rowan dagegen ist eher zurückgezogen, still und der typische Außenseiter. Er beschreibt sich selbst als "Salatblatt" im Sandwich, das einfach da ist, aber von keinem wahrgenommen wird. Schon bevor er zum Todesengel auserwählt wird, wird er von Gleichaltrigen geächtet und ist in seiner eigenen Familie nicht mehr als eine Randnotiz. Doch so unscheinbar er von außen wirkt, so brodelt es in seinem Inneren und er scheint immer mit einem Fuß über dem Abgrund zu leben. Mit wenigen Worten charakterisiert der Autor seine Protagonisten als starke Teenager, die vor allem eines sind: Menschen. Menschen, die Angst haben, Rache wollen, lieben, hassen, zweifeln, trauern, hoffen und leben wollen. Auch wenn das Buch an manchen Stellen hart und kompromisslos erscheint, hat es mich doch tief berührt. Ich liebe Bücher, die mich zum Nachdenken anregen, egal in welchem Genre sie angesiedelt und dieses hat mich wirklich sehr dazu angeregt!



"Unsterblichkeit kann die Torheit und Schwäche der Jugend nicht mildern. Die Unschuld ist dazu verdammt, einen sinnlosen Tod durch unsere eigenen Hände zu sterben, sie fällt den Fehlern zum Opfer, die wir niemals ungeschehen machen können. Deswegen begraben wir das Staunen, das uns einst zum Erblühen brachte, und ersetzen es mit Narben, von denen wir nie sprechen, zu verwachsen, als dass sie von irgendeiner Technologie repariert werden könnten."


Auch alle Nebencharaktere sind authentisch und hinterlassen einen bleibenden Eindruck auch wenn sie nur eine sehr kurze Rolle spielen. In diesem Buch tauchen so viele Leute auf, die alle nur in wenigen Sätzen charakterisiert werden, was aber vollkommen ausreicht. Jeder der irgendwie auftaucht, seine Rolle spielen darf und schließlich wieder verschwindet, scheint sich perfekt in das komplexe Gebilde von Neal Shusterman einzufügen. Sehr eindrücklich in Erinnerung bleiben die drei Scythe Goddard, Faraday und Curie, die wir ein wenig näher kennenlernen dürfen, da sie Citra und Rowan als Lehrmeister fungieren und wir durch die Einfügungen der "Nachlesetagebücher" vor jedem Kapitel einen Einblick in die Erlebniswelt und Gedanken der sonst eher unnahbaren Todesengel erhalten. Besonders die so kalt wirkende "Grande Dame des Todes" Scythe Curie mit ihren so integren Vorstellungen und Prinzipien und dem warmen Herz hat es mir hier sehr angetan.


"Mein größter Wunsch für die Menschheit ist nicht Frieden, Bequemlichkeit oder Freude. Ich wünsche mir, dass alle von uns im Inneren ein wenig sterben, wenn wir den Tod eines anderen miterleben. Denn nur der Schmerz der Empathie wird unsere Menschlichkeit erhalten. Es gibt keine Gottesvision, die uns noch helfen kann, sollten wir das verlieren."


Ich könnte hier noch viele Gründe mehr angeben, wieso mich dieses Buch so sehr fasziniert und so gefesselt hat, aber am besten du machst dir selbst ein Bild und liest diesen wirklich tollen Roman. Ich würde das Buch aber erst Lesern ab 16 oder 18 Jahren empfehlen. Alles andere ist meiner Ansicht nach viel zu früh um mit diesem doch sehr schwierigen Thema fertig zu werden oder es wirklich ganz zu verstehen. Perfekt abgerundet wird die Geschichte durch das stimmige, abgeschlossene Ende, das alle Stränge geschickt und zufriedenstellend zusammenführt, sodass man die Geschichte als Einzelband lesen könnte. Besonders schön ist, dass das Ende von miesen Cliffhangern oder Brüchen absieht, die den Leser dazu zwingen, weiterzulesen. Ich werde natürlich trotzdem möglichst bald zum nächsten Teil greifen, einfach weil ich unbedingt erfahren will, wie es mit Citra, Rowan und der Gesellschaft der Scythe weitergeht.





Fazit:



"Scythe - Die Hüter des Todes" ist ein typischer Neal Shusterman, der mit einem absurd erscheinenden Szenario schockt, das glaubhaft und realistisch aufgezogen wurde. Ein wundervoller Reihenauftakt, der sehr neugierig auf alles Kommende macht - die Mischung aus philosophischem Gedankenexperiment und packendem Gesellschaftsthriller erschüttert, berührt, verstört und begeistert!