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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2021

Rasant, witzig und bitterböse

Spook Street
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Während die KollegInnen des MI5, dem britischen Inlandsgeheimdienst, versuchen die Hintergründe eines Bombenattentats in einem Einkaufszentrum mit über 40 Opfern aufzuklären, sitzt Jackson Lambs Truppe, ...

Während die KollegInnen des MI5, dem britischen Inlandsgeheimdienst, versuchen die Hintergründe eines Bombenattentats in einem Einkaufszentrum mit über 40 Opfern aufzuklären, sitzt Jackson Lambs Truppe, die Slow Horses, unmotiviert in Slough House die Zeit ab,. Nur River Cartwright, auch er ein ‚Abservierter‘, ist eigenmächtig unterwegs: Sein geliebter Großvater, der viele Jahre die wichtigste Person im MI5 war und nun langsam den Bezug zur Realität verliert, fühlt sich verfolgt. Und das offenbar nicht zu unrecht. Als die Slow Horses die überraschende Nachricht von Rivers Tod erreicht, bricht hektische Betriebsamkeit aus: Einer von ihnen ermordet – was ist da los?

Es ist der vierte Band über die abservierten Spione in Slough House und wie bereits die Vorgänger spannend, überraschend, bitterböse und schräg und auch ohne Kenntnis der vorhergehenden Bücher verständlich. Allein die Dialoge, nicht nur von Jackson Lamb, sind schon des Lesens wert.

‚Glauben wir wirklich, dass ein Projekt, das David Cartwright vor mehr als zwanzig Jahren ins Leben gerufen hat, für Westacres verantwortlich ist?‘
‚So ausgedrückt‘, sagte Lamb, ‚klingt es wie ein Hirngespinst, das sich nur eine Alkoholikerin, ein Ex-Spion und ein Geisteskranker mit PTBS ausdenken könnten.‘
‚Wer ich sein soll, habe ich rausgekriegt, sagte sie. ‚Aber welcher von denen bist du?‘
‚Ich habe mich selbst ausgelassen. Ich wollte nur das freie Assoziieren erleichtern.‘

Wie zwei unabhängig voneinander sich entwickelnde Handlungsstränge zusammenfinden, ist schon große Erzählkunst ebenso wie die Schilderungen der Verfolgungsjagden oder der Überfall auf Sloan House. Obwohl bei diesen Actionszenen jeweils ein ziemliches Chaos herrscht, sind die Beschreibungen so detailliert, dass man beim Lesen nie den Überblick verliert.

Alles in allem ein rundum gelungener Spionagekrimi mit Spannung, Action und viel Humor. Bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 25.10.2021

Dunkelblum ist überall

Dunkelblum
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Und schon wieder ein Buch über die Nazivergangenheit - hat man doch bereits -zigmal gelesen, mag so Manche/r denken.
Aber dieses Buch ist etwas Besonderes und unbedingt lesenswert, auch wenn der Inhalt ...

Und schon wieder ein Buch über die Nazivergangenheit - hat man doch bereits -zigmal gelesen, mag so Manche/r denken.
Aber dieses Buch ist etwas Besonderes und unbedingt lesenswert, auch wenn der Inhalt vielleicht nicht ganz so überraschend sein mag.

Dunkelblum ist eine fiktive Kleinstadt in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Ungarn, dort "wissen die Einheimischen alles voneinander, und die paar Winzigkeiten, die sie nicht wissen, die sie nicht hinzuerfinden können und auch nicht einfach weglassen, die sind nicht egal, sondern spielen die allergrößte Rolle: Das was nicht allseits bekannt ist, regiert wie ein Fluch."
Meist sind es Dinge aus der Vergangenheit, damals als der Horka der Schrecken des Ortes war. Während der Naziherrschaft konnte dieser ohne Folgen seinen sadistischen Neigungen nachgehen und als die Russen das Sagen hatten, brachte er es sogar zum Polizeichef. Doch nun, es ist 1989, beginnt die junge Generation sich für längst Vergangenes zu interessieren: Die jüngste Tochter des Biobauern plant mit dem Dorfchronisten ein Heimatmuseum und beginnt, unangenehme Fragen zu stellen. Und aus der Hauptstadt reisen Studierende an, um den örtlichen jüdischen Friedhof zu restaurieren. Als auf einer Wiese ein Skelett gefunden wird und die Presse davon Wind bekommt, wird das Interesse an Dunkelblums Vergangenheit immer größer, die wider Willen der BewohnerInnen deutlich bis in die Gegenwart reicht.

Eva Menasse präsentiert uns hier eine Vielzahl von Menschen eines Ortes, die aufgrund ihrer Herkunft alle miteinander verbunden sind, im Guten wie im Schlechten. Einen solchen Mikrokosmos zu entwerfen haben bereits Andere vor ihr gemacht (beispielsweise Juli Zeh in Unterleuten oder Raphaela Edelbauer in Das flüssige Land), doch nicht mit derart feinen Verflechtungen innerhalb eines sozialen Netzes und ebenso wenig mit diesem wundervoll schwarzhumorig-ironischen Tonfall.
"Unserer Frau Balaskó hat sie gesagt, sie sucht nach Dunkelblumer Kriegsverbrechern, stell dir das vor, Kriegsverbrecher, bei uns! Das Mädel ist Anfang zwanzig, früher haben sich die jungen Leute für was anderes interessiert, für Tanzen und Flirten . . .".

Auch wenn die Geschichte auf der des realen Ortes Rechnitz beruht, ist es keine Aufarbeitung der dortigen Geschehnisse. Es geht um den Umgang mit der Vergangenheit Jahrzehnte danach: Verdrängung, Rechtfertigung, Verleugnung ... Und was mit den Menschen geschehen ist und geschieht, wenn sich die Wahrheit ans Licht drängt. Ein grandioses Buch!

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Veröffentlicht am 30.09.2021

Das Leben und Sarah Jane

Sarah Jane
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Sarah Jane war Herumtreiberin, Soldatin, Köchin, Cop, Sheriff. So wie sie ihre Berufe wechselte, wechselte sie ihren Wohnsitz, auch heraufbeschworen durch unglückliche Beziehungen verschiedenster Art und ...

Sarah Jane war Herumtreiberin, Soldatin, Köchin, Cop, Sheriff. So wie sie ihre Berufe wechselte, wechselte sie ihren Wohnsitz, auch heraufbeschworen durch unglückliche Beziehungen verschiedenster Art und Weise. Stets auf der Suche nach einem Ort, wo sie bleiben kann, sich sicher fühlt, landet sie schließlich in Farr, einer Kleinstadt „irgendwo in der Mitte des Landes“ und wird ein Cop. Als ihr Chef verschwindet, wird sie umstandslos zum Sheriff befördert und versucht neben dem Alltagsgeschäft auch das Verschwinden ihres früheren Vorgesetzten aufzuklären.

Obwohl es irgendwann noch einen Toten gibt, dessen Person vielleicht mit Sarah Janes Vergangenheit in Zusammenhang zu stehen scheint, ist das Buch kein Krimi. Es ist die Geschichte von Sarah Janes Leben, von dem sie rückblickend erzählt. Auch wenn sie praktisch ihr ganzes Leben schildert, bleibt Vieles im Ungefähren, denn immer wieder bricht sie ab, um Gedanken zu folgen, die nahezu philosophischen Charakter haben.

"Alle Geschichten sind Geistergeschichten, über verlorene Dinge, verlorene Menschen, Erinnerungen, Heimat, Leidenschaft, Jugend, über Dinge, die darum ringen, von den Lebenden gesehen und anerkannt zu werden."

Von den schlimmsten Erlebnissen scheint sie fast gleichgültig zu berichten und wirkt erst einmal nicht wie eine Protagonistin, der man gerne folgt. Doch je mehr man von ihr und über sie liest, desto näher kommt sie einem, denn hinter dieser scheinbar so leidenschaftslosen Erzählerin verbirgt sich eine intelligente und sehr empathische Person. Aufmerksam hört sie den Menschen zu, die sonst offensichtlich von niemandem Zuwendung erfahren und nimmt sich voller Respekt und Achtsamkeit Zeit für sie und ihre Anliegen.

Es ist eine Geschichte über das Leben von Menschen, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen und trotzdem irgendwo, irgendwie dazugehören wollen. Zumindest ein bisschen.

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Grandiose Familiengeschichte

Melnitz
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1871 – eigentlich sind die Meijers eine ganz normale Schweizer Familie – aber nur eigentlich. Denn sie sind Juden und obwohl sie das volle Bürgerrecht bekommen haben, sind sie weiterhin Außenseiter in ...

1871 – eigentlich sind die Meijers eine ganz normale Schweizer Familie – aber nur eigentlich. Denn sie sind Juden und obwohl sie das volle Bürgerrecht bekommen haben, sind sie weiterhin Außenseiter in der Schweizer Gesellschaft. Über fünf Generationen hinweg bis 1945 schildert Charles Lewinsky das Schicksal dieser Familie und vergisst dabei nicht die Geschehnisse der Weltgeschichte mit einzubinden, die sich auch im Leben der Familie Meijers widerspiegeln.

Salomon, der Viehzüchter und seine Frau Golde leben mit ihrer Tochter und einer Art Pflegetochter in dem kleinen Dorf Endingen, einem der beiden Dörfer in der Schweiz, in dem sich Juden niederlassen dürfen. Als der entfernte Verwandte Janki unerwartet bei ihnen auftaucht, wird es unruhig in der Familie. Ein Jahr später ist er verheiratet und eröffnet einen Laden in der nahegelegenen Kleinstadt Baden, wie alle Meijers getrieben von dem Wunsch, ein anerkannter und geachteter Bürger der Schweiz zu werden. Doch selbst der nächsten Generation, die es teilweise bis nach Zürich treibt, bleibt dieser Wunsch verwehrt.
Stets im Hintergrund dabei ist Onkel Melnitz, der als mahnender Geist die Familienmitglieder begleitet und ihnen immer wieder deutlich macht, wie fragil ihr Status ist und wie weit entfernt sie davon sind, anerkannte SchweizerInnen zu sein.

Charles Lewinsky ist ein außergewöhnlich guter Erzähler, der seine Romanfiguren so lebendig werden lässt, dass es einem schwer fällt, sie nach über 900 Seiten zu verlassen. Auch die vielen Geschichten der Familie Meijer sind so gekonnt zwischen Witz und Tragik angesiedelt mit jeder Menge überraschenden Wendungen, sodass man trotz der Dicke des Buches keine einzige Seite missen möchte, ebensowenig wie das im Anhang befindliche neunseitige Glossar mit jüdischen Begriffen. Obwohl im Text weitestgehend Alles erklärt ist, bleibt es eine wunderbare hilfreiche Ergänzung, die ich immer wieder gerne zu Rate zog.

Eine durchweg großartige Lektüre!

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Veröffentlicht am 23.08.2021

Zeitlos aktuell

Schachnovelle
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Auf einer mehrtägigen Schiffsreise von New York nach Buenos Aires in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, wird der österreichische Ich-Erzähler Zeuge einer beeindruckenden Schachpartie. Der an Bord ...

Auf einer mehrtägigen Schiffsreise von New York nach Buenos Aires in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, wird der österreichische Ich-Erzähler Zeuge einer beeindruckenden Schachpartie. Der an Bord weilende Schachweltmeister spielt gegen eine Gruppe Amateure, ohne dass der geringste Zweifel an dessen Sieg besteht. Doch dann mischt sich ein unbekannter Passagier ein und das Spiel endet mit einem Remis. Am nächsten Tag soll ein weiteres Spiel stattfinden und der Ich-Erzähler fordert den Unbekannten zur Teilnahme auf. Dieser sträubt sich zunächst und erzählt ihm zur Erklärung seine Geschichte.
Dieses kleine Büchlein, das gerade mal 104 Seiten mit verhältnismäßig groß gedruckten Buchstaben hat, ist sicherlich beeindruckender als viele andere Bücher, die einen drei- oder viermal so großen Umfang aufweisen. Vielleicht liegt es daran, dass Stefan Zweig viel mit Gegensätzlichkeiten gearbeitet hat, die eher im Gedächtnis bleiben. Einmal der introvertierte, ungebildete und langsame Schachweltmeister. Und der umgängliche, intellektuelle und beinahe manische 'Dilettant'. Oder der Ich-Erzähler, für den Schach 'nur' ein Spiel ist und sein Gegner, der alles als Wettkampf sieht und jede Niederlage als persönlichen Affront empfindet. Aber auch die Art, wie Zweig Schach beschreibt, wird mir im Gedächtnis bleiben. Insbesondere, weil er selbst überhaupt keinen großen Bezug dazu hatte.
Zitat: "Ist es nicht auch eine Wissenschaft, eine Kunst, schwebend zwischen diesen Kategorien wie der Sarg Mohammeds zwischen Himmel und Erde, eine einmalige Bindung aller Gegensatzpaare; uralt und doch ewig neu, mechanisch in der Anlage und doch nur wirksam durch Phantasie, begrenzt in geometrisch starrem Raum und dabei unbegrenzt in seinen Kombinationen, ständig sich entwickelnd und doch steril, ein Denken, das zu nichts führt, eine Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst ohne Werke, eine Architektur ohne Substanz und nichtsdestominder erwiesenermaßen dauerhafter in seinem Sein und Dasein als alle Bücher und Werke...*
Dazu die unglaublich genauen Beschreibungen der einzelnen Charaktere und Situationen, die derart zeitlos gut sind, dass Manches klingt, als wäre es eben erst geschrieben worden.
Zitat: "Nun hatten die Nationalsozialisten, längst ehe sie ihre Armeen gegen die Welt aufrüsteten, eine andere ebenso gefährliche und geschulte Armee in allen Nachbarländern zu organisieren begonnen, die Legion der Benachteiligten, der Zurückgesetzten, der Gekränkten."

Ein kleines, aber sehr feines Büchlein, das man nicht nur in der Schule lesen sollte - sofern es dort überhaupt noch im entsprechenden Kanon steht.

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