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Veröffentlicht am 26.04.2024

Episoden eines Lebens

Mit den Jahren
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Janna Steenfatt beschreibt in ihrem zweiten Roman „Mit den Jahren” auf feinfühlig-kluge Weise die verschiedenen Lebensentwürfe und intimen Augenblicke dreier Menschen in ihren 40er-Jahren in Leipzig. Dabei ...

Janna Steenfatt beschreibt in ihrem zweiten Roman „Mit den Jahren” auf feinfühlig-kluge Weise die verschiedenen Lebensentwürfe und intimen Augenblicke dreier Menschen in ihren 40er-Jahren in Leipzig. Dabei verweben sich ihre Wege und es bildet sich eine spannende Dreier-Konstellation, bei der unterschiedlichste Ängste, Wünsche und Vorprägungen intensiv aufeinanderprallen.

Der Künstler Lukuas und die Lehrerin Eva sind seit knapp 20 Jahren ein Paar, verheiratet, haben zwei Kinder und haben sich in ihrem Leben soweit eingerichtet – trotzdem ist ihr Zusammensein von stiller Einsamkeit, unerfüllten Sehnsüchten und Unausgesprochenem belastet. Lukas verbringt neben seiner Arbeit im Atelier zu Evas Missgunst viel Zeit in seiner Lieblingskneipe und trifft dort auf die unabhängige Jette – sie ist Single, hat prekäre Arbeitsverhältnisse, möchte ein Buch schreiben und steht eigentlich auf Frauen. Es entwickelt sich eine zaghafte Affäre mit Auf und Abs, aus der jeder verändert hervorgeht und die viele reflektierende Gedankengänge in jedem der drei Protagonisten lostritt – und auch Eva wird Jette kennenlernen.

Janna Steenfatt gelingt es auf eindringliche Art, in jede ihrer drei Figuren tief einzutauchen und die facettenreiche Seelenwelt aus der jeweiligen Perspektive aufzublättern – kleine, feine, aneinandergereihte Augenblicke untermalen die Zweifel und vielschichtigen Reflexionen von Lukas, Eva und Jette, während alle mit ihrem bisherigen Leben zweifeln und sich fragen, ob ein anderes nicht besser wäre. Ausbrechen oder Bleiben? Gedanken, die bestimmt viele in ihren 40er-Jahren kennen und sich wiedererkennen werden. Dabei bleibt Steenfatt stets subtil humorvoll und keineswegs larmoyant, wenn sie die Irrungen und Wirrungen ihrer dicht ausgearbeiteten Protagonisten nachzeichnet.

Ein realitätsnaher, authentischer und lesenswerter Roman mit vielen schlauen Gedanken und eindringlichen Szenen aus dem (Beziehungs-) und (Arbeits-)Leben, das gekonnt und faszinierend mit den individuellen Lebenskonzepten jongliert.

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Veröffentlicht am 03.04.2024

Echo der Vorfahren

Issa
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Mirrianne Mahns eindringlicher Debütroman „Issa“ spannt einen weiten, generationsübergreifenden Bogen um starke Frauen aus Kamerun und einer jungen Protagonistin aus Deutschland, die zwischen den Kulturen ...

Mirrianne Mahns eindringlicher Debütroman „Issa“ spannt einen weiten, generationsübergreifenden Bogen um starke Frauen aus Kamerun und einer jungen Protagonistin aus Deutschland, die zwischen den Kulturen hin und hergerissen ist und trotzdem sehr feinfühlig den Ruf ihrer Ahninnen hört und folgt. Dabei taucht sie szenisch dicht nicht nur in Kameruns Geschichte und Kultur, sondern auch in familiäre Traumata, aber auch in eine kraftvolle Resilienz, die ihre Wurzeln im weiblichen Zusammenhalt hat.

Die schwangere Issa hat ein kompliziertes Verhältnis zu ihrer Mutter und ihrem Freund - sehr angespannt sitzt sie zu Beginn des Romans im Flugzeug nach Kamerun, um ihrer Mutter den Wunsch zu erfüllen, das ungeborene Kind durch ein Ritual zu schützen. Zwar hat sie die ersten Jahre ihres Lebens dort verbracht, spricht aber die Sprache nicht vollständig und ist erstmal überwältigt von der Anzahl ihrer Verwandten und deren kulturellen Glaubenssätzen. Es stehen noch einige Hürden bis zum Vollzug des Rituals an und Issa taucht tief in die Welt ihrer mutigen Ahninnen ein. Dabei verwebt Mirrianne Mahn eine kluge, bewegende zweite Erzählebene, in der sie atmosphärisch in die gewaltvolle Kolonialzeit eintaucht, um das packende Schicksal ihrer Urgroßmutter und deren Mutter zu erzählen. Fließend und über eine Zeitspanne von fast 100 Jahren folgen die weiteren turbulenten Lebenslinien ihrer Großmutter und Mutter, die Issa auch in sich erkennt.

So wechseln die lebhaften, teils humorvollen Szenen aus Issas Reise nach Kamerun mit ergreifenden Szenen aus der Vergangenheit, in der die Frauen um ihre Selbstbestimmtheit mehr als kämpfen und viel Leid ertragen mussten. Präzise ist dabei auch der Übergang gelungen, wie die Rituale und Spiritualität weitergegeben wurden bis in die Gegenwart und wie die Vorfahren das Heute weiter beeinflussen. Und Issa beginnt sich auf ihrer Reise zu verändern, blickt tief in ihre zerrissene Seele und in die ihrer weiblichen Vorgängerinnen, die trotz schmerzvoller Erlebnisse nie ihren Lebensmut und Willensstärke verloren haben.

Ein außergewöhnlicher, kraftvoller und tiefgründiger Familienroman, der soghaft in Issas bewegende Selbsterkundung und gleichzeitig in andere kulturelle und historische Kontexte entführt, ohne wichtige Themen der Gegenwart zu verlieren.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Orakel der Götter

Elyssa, Königin von Karthago
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Die spanische Autorin Irene Vallejo beweist in ihrem neuen Roman „Elyssa – Königin von Karthago“ erneut ihr Talent, antike Stoffe in modernes Gewand zu kleiden und erzählt einen tragischen, griechischen ...

Die spanische Autorin Irene Vallejo beweist in ihrem neuen Roman „Elyssa – Königin von Karthago“ erneut ihr Talent, antike Stoffe in modernes Gewand zu kleiden und erzählt einen tragischen, griechischen Mythos neu.

Eines Tages stranden in Karthago Schiffbrüchige, unter denen auch der Held Aeneas verweilt – die charakterstarke Königin Elyssa ist verwitwet und nimmt ihn bei sich auf. Es entsteht eine schicksalshafte, leidenschaftliche Liebe, die besonders Elyssa trifft. Aeneas bringt seinen Sohn Iulus mit und hat immer noch traumatische Erlebnisse an das brennende Troja und seine zurückgelassene Frau. Als sich in Karthago neben den Intrigen ein weiterer Krieg und Verschiebungen der Machtverhältnisse anbahnen, trifft Aeneas eine folgenschwere Entscheidung.

Irene Vallejo komponiert ihre Erzählung klug und vielstimmig, denn es kommen mehrere Protagonisten zum Schildern ihrer eindringlichen, sich langsam aufbauenden Perspektive – neben Elyssa und Aeneas sind das der Gott Zeus sowie der römische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.), der mit seinem Epos „Aeneis“ einst die Grundlage des Romans geschaffen hat, sowie die mystische Seherin Anna.

Die Autorin erschafft mit ihrem packenden, ruhig gehaltenen Schreibstil und ihrer dichten Atmosphäre einen Brücke zwischen Antike und Moderne und lässt viele mystische Elemente einfließen. Stets schwebt über der Liebe ein Damoklesschwert, denn die Prophezeiungen und Orakel der Götter haben trotz Zeus' Bemühungen andere Vorhaben. So nimmt der unterhaltsam-abenteuerreiche Roman nach mehreren Wendungen ein spannendes Ende und macht neugierig auf mehr griechische Mythen.

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Veröffentlicht am 13.03.2024

Grandiose Hommage

James
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Der preisgekrönte Autor Percival Everett erzählt die „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ raffiniert neu und erschafft damit ein kluges, präzise durchdachtes Meisterwerk, das bewegend die Stimme des Sklavenjungen ...

Der preisgekrönte Autor Percival Everett erzählt die „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ raffiniert neu und erschafft damit ein kluges, präzise durchdachtes Meisterwerk, das bewegend die Stimme des Sklavenjungen Jim (James) in den Vordergrund rückt – dabei verwebt Everett brutale Szenen mit ausgeklügelter Lakonie.

Die Eckpfeiler des Romans von Mark Twain aus dem Jahr 1884 stimmen auch in „James“ überein – voller Abenteuer ziehen Jim und Huck kurz vor dem Bürgerkrieg auf dem wilden Mississippi ihre verschlungenen Bahnen, aber eindringlich erzählt wird die Geschichte von Jim, der der barbarischen Sklaverei zwar entflohen ist, aber seine Frau und Tochter zurücklassen musste und ständig in Lebensgefahr schwebt. Huck wird von seinem Vater misshandelt und ist vor dieser häuslichen Gewalt ausgerissen. Jim ist ein sehr schlauer, belesener Kopf, der die Welt philosophisch betrachtet und seine Gedanken schriftlich festhält. Vor Weißen stellt er sich mit einem Dialekt absichtlich dumm, um nicht aufzufallen oder die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn es drauf ankommt, kann er Gewalt anwenden, auch wenn er sonst eher mit Empathie ausgestattet ist. Er wechselt permanent zwischen seinen zwei Seiten, die auch an den zwei Namen konkretisiert wird.

„Ich werde selbstverständlich empört sein. Aber mich interessiert, wie diese Zeichen, die ich auf dieses Blatt kratze, überhaupt etwas bedeuten können. Wenn sie eine Bedeutung haben können, dann kann auch das Leben eine Bedeutung haben, und dann kann auch ich eine Bedeutung haben.“ S. 62

Percival Everett hat mit „James“ nicht nur eine grandiose Hommage an Mark Twain sowie weiteren literarischen Klassikern, sondern auch eine schlaue und erschütternde Betrachtung auf Sklaverei, Rassismus und Ungerechtigkeit entworfen – Jims ergreifend-fesselnde und zugleich schwarzhumorige Reflexionen, Beobachtungen und Schilderungen werden zwar im Roman zeitlich um Jahre zurückversetzt, sind aber zeitgenössischer denn je. Mit Chuzpe und Mut reagiert Jim auf die gefährlichen Hindernisse der Reise wie Schlangenbisse, Betrüger oder Sklavenjäger und mit viel Cleverness meistert er eine packende Episode bei den Blackface-Sängern.

Der intelligente Roman mit viel Gesellschaftskritik endet mit einem fulminanten, überraschenden Finale und steckt auch zwischen den Zeilen voller Anspielungen auf literarische Figuren sowie unseren Interpretationen als Leser. Ein scharfsinniges, intensives Meisterwerk auf mehreren Ebenen!

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Veröffentlicht am 31.01.2024

Regeln der Kehilla

Die Hoffnung der Chani Kaufman
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Mit dem packenden Roman „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ setzt Autorin Eve Harris die Geschichte von Chani in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde fort – bewegend, authentisch und teils trotz ernsten Themen ...

Mit dem packenden Roman „Die Hoffnung der Chani Kaufman“ setzt Autorin Eve Harris die Geschichte von Chani in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde fort – bewegend, authentisch und teils trotz ernsten Themen mit einer Brise Humor zeigt sie einen tiefen Einblick in die sehr strengen Regeln einer orthodoxen Kehilla und zeichnet ein authentisches Bild voller starker Frauen.

Chani und ihr Ehemann Baruch sind glücklich verheiratet, leben nach den Vorgaben und Traditionen ihrer jüdischen Gemeinde und Baruch möchte Rabbiner werden. Zu den von den Männern vorgegebenen Regeln gehört, dass die Frau dem Mann Kinder schenken muss und die Empfängnis muss in der „reinen Zeit“ passieren. Doch Chani hat von Spezialisten erfahren, dass ihr Eisprung noch in der unreinen Phase entsteht und das gläubige Paar steht vor einer großen Gewissensfrage. Chanis schwierige Schwiegermutter wittert schon die Chance, die Zwei auseinanderzubringen und schmiedet Intrigen.

In weiteren Erzählsträngen schildert Harris ergreifend das turbulente Leben von Rivka, ihrem Mann Chaim und den Söhnen: Rivka hat die orthodoxe Gemeinde ohne ihre Kinder verlassen, was zu großen Auswirkungen geführt hat – Chaim muss sich scheiden lassen und eine neue Frau finden, während Rivka und ihr kleinster Sohn beschimpft und bedroht werden. Der älteste Sohn Avromi schlittert währenddessen in eine tiefe Glaubenskrise, möchte das moderne Leben mit Frauen in Einklang mit den rigiden Regeln bringen und nimmt sich eine Auszeit in Tel Aviv.

Der gelungene, feinfühlige Roman glänzt durch seine emotionale Bandbreite an menschlichen Gefühlen – die Protagonisten hoffen, zweifeln, beten und manche Frauen brechen selbstbestimmt aus den starren Zwängen aus. Mit vielen jiddischen Begriffen, die im hinteren Glossarteil erläutert werden, zeichnet Harris ein tiefgreifendes, dichtes Bild vom traditionellen Leben in einer orthodoxen Glaubensgemeinschaft mit allen Höhen und Tiefen. Eine lesenswerte, flüssig geschriebene Fortsetzung, die auch ohne den ersten Teil zu kennen verständlich ist und tief in den Lesesog zieht.

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