Geisterstunden in der Vorgarten-Idylle
Kleine PalästeDie akkurat dekorierte Vase auf dem Cover platzt wie die vielen schönen Fassaden, hinter denen sich in Andreas Mosters neuem Roman „Kleine Paläste“ die Protagonisten verstecken. In penibel renovierten ...
Die akkurat dekorierte Vase auf dem Cover platzt wie die vielen schönen Fassaden, hinter denen sich in Andreas Mosters neuem Roman „Kleine Paläste“ die Protagonisten verstecken. In penibel renovierten Häusern, den kleinen Palästen, zeigt jeder von außen, was er hat, während sich im Inneren kleine Tragödien abspielen und die Nachbarn penibel beäugt und kritisiert werden. Susanne Dreyer hat sogar seit Jahrzehnten ihre eigene pedantische Art der Überwachung - mit dem Fernglas beobachtet und notiert sich die Frau jede Bewegung im Nachbarhaus. Ihr Objekt ist der mittlerweile senile Carl Holtz, seit einer Demenzerkrankung pflegebedürftig an den Rollstuhl gefesselt - nach dem durch einen Hund ausgelösten Unfalltod seiner Frau Sylvia (ein absolut fulminantes Einleitungskapitel schildert diese Szene) ist Hanno nach langer Abwesenheit ins Elternhaus zurückgekehrt, um sich um den Vater zu kümmern.
Susanne und Hanno waren früher in der Kindheit sehr gut befreundet, kamen sich sogar mal näher. Susannes Eltern Karin und Jürgen sind verstorben, kurzerhand beschließt Susanne die Pflege von Carl zu übernehmen. Der überforderte Hanno freut sich über die Selbstlosigkeit von Susanne, macht sich Hoffnungen, dass sie wieder zueinanderfinden und fängt an, das Haus zu renovieren. Doch Susannes mysteriöses Interesse gilt zunehmend Carl, der schon immer zu tief ins Glas geschaut hat und alle Stricke laufen subtil spannend und klug komponiert auf eine „Palast“-Einweihungsparty im Jahre 1986 ineinander, die alkoholdurchtränkt aus dem Ruder gelaufen ist. Ein traumatisches Ereignis hält beide Familien schicksalshaft aneinander fest.
Mit einer virtuos geschliffenen, poetischen und lakonischen Sprache, die in ihrer außergewöhnlichen, detailumwobenen und schwarzhumorigen beobachtenden Art tief bewegt und fasziniert, erschafft Andreas Moster eine eindringliche Nachbarschaftshölle voller zwischenmenschlicher Abgründe, die der Leser so schnell nicht vergessen wird. Abwechselnd in den Zeiten 2018 und 1986 und aus unterschiedlichen Perspektiven deckt er Schicht für Schicht die traumatischen Ereignisse auf. Mit einem erzählerisch genialen Kniff lässt Moster sogar Geister der verstorbenen Eltern auftreten und ermitteln, die selbst aus dem Jenseits die Dinge in ihren Palästen noch kontrollieren möchten. Detaillierte und sehr direkte Schilderungen von Carls Pflege treffen auf satirisch anmutende Charakterzeichnungen und gesellschaftliche Schattenseiten - doch der anfängliche schwarze Humor weicht im Laufe des Romans einer beklemmenden Tragödie, ausgelöst durch Nichteingreifen, Verdrängen und Unausgesprochenem in der eigenen Familie.
Andreas Mosters bestechende Prosa sucht in ihrer Besonderheit ihresgleichen und auch der Roman ist inhaltlich sehr eigen - aber beides unbedingt lesenswert!