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Veröffentlicht am 22.06.2020

Roman und Ratgeber in einem

The Modern Break-Up
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Amelia und Freundin Zara machen Urlaub in New York und wollen Typen kennenlernen. In einer Bar treffen sie auf Nick und seinen Freund Jordan. Sie kommen ins Gespräch und präsentieren dem Leser damit eine ...

Amelia und Freundin Zara machen Urlaub in New York und wollen Typen kennenlernen. In einer Bar treffen sie auf Nick und seinen Freund Jordan. Sie kommen ins Gespräch und präsentieren dem Leser damit eine Dating Situation, die der Autor (Daniel Chidiac) von „The Modern Break-Up – Warum Liebe f*cking kompliziert ist“ nicht nur der Unterhaltung wegen geschaffen hat.

In einem Rückblick wird Amelias Situation erklärt. Sie hat eine Trennung hinter sich und leidet noch am Liebeskummer. Nichtsdestotrotz hat sie Freunde und Familie um sich, die ihr Rat und Trost spenden. Ihre Mitbewohnerin Rachel ist mit Paul zusammen. Die beiden führen eine harmonische Beziehung und irgendwie scheint es bei den beiden einfach zu funktionieren. Warum aber scheitern Amelias Beziehungen? Sie hat viel zu geben, dennoch will es mit der Liebe nicht funktionieren. Warum scheinen einige erst interessiert zu sein, wenn sie dann einen Tag später nichts mehr von sich hören lassen?

Dieser und andere Fragen möchte Daniel Chidiac in seinem Roman auf die Schliche kommen. Wechselseitig lässt er Amelia, Nick und andere Charaktere in die Ich-Perspektive switchen und präsentiert so über sie seine Gedanken bezüglich der Dating-Situation unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft. Wer einen typischen Roman mit Wendepunkten, Klimax und Auflösung erwartet, der irrt. Viel mehr befindet sich hinter der Erzählung eine Analyse zum heutigen Umgang miteinander. Insofern versteckt sich hinter diesem Roman eine Art Ratgeber, der es auf verspielte Weise versteht, augenöffnend zu wirken.

Wie ticken Männer? Was wollen Frauen? Wissen Suchende eigentlich was sie wollen? Oder laufen sie eine Idealvorstellung hinterher, ohne zu hinterfragen, was ihnen guttut?
Einige Aspekte aus diesem Buch kenne ich aus meiner Vergangenheit. Vieles davon habe ich ebenfalls auf schmerzvolle Art lernen müssen. Ich glaube, es ist der natürliche Lauf der Dinge und ein Prozess des „Erwachsenwerdens“ erst einmal das zu wollen, was wir bewundern. Und auch wenn (oder gerade weil) das Dating von Heute sich verändert hat, ist es wahrscheinlich für jeden, der bereits eigene Erfahrungen in der Liebe gemacht hat, eine spannende Angelegenheit, die Motive, Wünsche und Ansichten von Männern und Frauen zu verstehen, die natürlich individuell sein können, aber doch ihre ganz eigene Tendenz haben.

Ich denke, der Autor hat sich tiefgreifend damit beschäftigt und ein wundervolles Werk erschaffen, dass einen interessanten Querschnitt vom heutigen Dating veranschaulicht. So manch einer oder eine, wird sich an der ein oder anderen Stelle wiedererkennen und möglicherweise eine Erkenntnis herausziehen. Natürlich geht das Buch nicht auf alle Menschentypen ein und es behandelt auch eher die Herausforderungen, die auftreten oder entstehen, wenn es bereits zum Dating kommt. Zudem glaube ich, dass Analyse-lastige Texte (die mir zusagen) in diesem Buch als Kritikpunkt aufgenommen werden können, da der Romancharakter dadurch zurücktritt.

„The Modern Break-up“ ist ein gut geschriebenes Buch, mit einem allseits beliebten Thema, das ich gerne jeden ans Herzen legen möchte, der auf der Suche nach Liebe ist.

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Veröffentlicht am 13.06.2020

Persönliche Herausforderungen erkennen

Der Gepäckträger
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„Eine Erzählung über die Kunst, unbeschwert zu leben“ – David Rawlings verpackt in diesem Buch auf knapp 170 Seiten drei Einzelschicksale und gibt ihnen durch den Gepäckträger die Möglichkeit ihre jeweilige ...

„Eine Erzählung über die Kunst, unbeschwert zu leben“ – David Rawlings verpackt in diesem Buch auf knapp 170 Seiten drei Einzelschicksale und gibt ihnen durch den Gepäckträger die Möglichkeit ihre jeweilige Situation neu zu bewerten.

Gillian ist dreifache Mutter und es graut ihr vor dem Besuch bei ihrer perfekten Schwester Becky. David ist ein ehrgeiziger Geschäftsmann – er fürchtet den Verlust seines Jobs und seiner Frau. Micheal ist talentiert und erhofft sich ein Sportstipendium, obwohl sein Herz für die Kunst schlägt. Diese drei begegnen sich nicht bewusst, aber sie befinden sich alle auf demselben Flughafen. Es gibt eine Verwechslung und die Koffer werden vertauscht. Außerdem sind die Koffer sind vollgepackter, als ihre Besitzer glauben. Auf dem Weg, die Sache wieder grade zu biegen, werden Gillian, David und Michael vor ihre persönlichen Herausforderungen gestellt. Ein freundlicher, junger Mann – der Gepäckträger – hilft und hält ihnen den Spiegel vor.

Geschichten haben das Potenzial Wissen und Verständnis zu bringen, ohne dabei persönlich zu werden. Das ist das Wunderbare an diesem Buch. Durch die Situationen von Gillian, David und Michael hat der Lesende die Möglichkeit, seine eigene Situation auf sanfte Weise zu hinterfragen und eigene Herausforderungen in seinem Leben zu erkennen. Das Buch ist einfach geschrieben und die Handlung wird in moderatem Tempo erzählt. Abwechselnd begleitet der Lesende einen der drei Charaktere durch die Erlebnisse des Tages. In Häppchen wird so das Hauptproblem der jeweiligen Person dargestellt, mit der sie letztendlich konfrontiert wird.

Ich würde sagen, dass Buch ist auch für wenig Lesende gut bekömmlich, da es sich fix durchlesen lässt und ganz unkompliziert auch nebenbei geschmökert werden kann. Mich hat es an Werke wie „Das Café am Rande der Welt“ oder „Der Alchimist“ erinnert. Weiterhin positiv anzumerken ist, dass David Rawlings am Ende des Buchs „FRAGEN ZUM WEITERDENKEN“ formuliert hat. Diese beziehen sich auf die Kapitel im Buch und können einzeln oder im Gespräch mit anderen erörtert und interpretiert werden und regen zu spannenden Diskussionen an. Ich bin begeistert und möchte es definitiv Anderen ausleihen, um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes Gepäck zu erkennen, um es auszupacken und danach erleichterter zu sein.

Beim Lesen markierte ich mir einigen Zitate, die ich ausschlaggebend für das Buch fand.

SPOILER

Zitate:

Der Gepäckträger seufzte traurig. „Weil es schwer ist, sich um sein Gepäck zu kümmern. Es kostet Kraft und manchmal muss man seinen Stolz hinunterschlucken. Und manche Leute haben sich so daran gewöhnt, dass sie davon überzeugt sind, nicht mehr ohne es leben zu können. Andere sagen, sie brauchen Zeit, um sich darum zu kümmern, aber diese Zeit kommt nie. Der häufigste Grund ist allerdings, dass es einfacher erscheint, das Gepäck weiter mit sich herumzuschleppen, trotz der Last.“

„Ich habe so viel gelesen, gesehen, gehört, gefühlt, erlebt. Ich habe schon mit so vielen Menschen in ihrer Situation gesprochen und sie alle haben eines gemeinsam: Sie klammern sich an die Verbitterung, weil sie glauben, damit die andere Person zu bestrafen. Aber schlussendlich sind sie derjenige, der den Preis bezahlt.“
David ließ den Kopf hängen.

Michael starrte auf den Fußboden.
„Wenn Dads Gepäck Raum in meinem Leben einnimmt, warum trage ich es dann?“
„Das ist eine sehr gute Frage, die nur schwer zu beantworten ist. Zum Teil liegt es daran, dass du gar nicht gemerkt hast, wie es dir zugeschoben wurden ist. Weißt du, das Problem ist nicht, dass du Gepäck hast. Jeder von uns hat welches. Das Problem ist, dass es dich daran hindert voranzukommen. Wenn sich dir eine Chance bietet, hast du nie die Möglichkeit, schnell zu reagieren, weil du dieses Gewicht mitschleifst.“

Dem Gepäckträger lief eine Träne über die Wange. „Du bist es sehr wohl wert. Es hat seinen Grund, dass du auf dieser Welt bist! Deine spezielle Kombination aus Talenten, Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften ist kein Zufall. Die ständigen Vergleiche gehen allesamt an dem vorbei, was dich ausmacht. Du solltest nicht jemand anders sein. Du bist Gillian.“ Er stand auf. „Verstehst du das nicht? Das ist dein Problem! Weil du so schlecht von dir denkst, siehst du die anderen als besser an., als sie sind. Damit rechtfertigst du deine Sicht auf sie.“ Er sah sie eindringlich an. „Dabei ist sie falsch“, fügte er leise hinzu.

„Aber Becky ist doch sowas wie Superwoman …“
„Sie will, dass du so denkst, aber ich habe schon so viele Leute gesehen, die den Umhang nicht deshalb tragen, weil sie damit fliegen können, sondern weil sie damit wie ein Held aussehen.“

Michael winkte ab. „Das ist doch Erbsenzählerei.“
Der Gepäckträger lehnte sich vor, stützte sich auf den Ellenbogen ab und legte die Fingerspitzen aneinander. „Oh nein, es ist weit mehr. Das ist genau der Punkt, bei dem es immer zu Missverständnissen kommt. Wenn du mir dein Gepäck gibst, dann ist das ein willentlicher Akt. Du reichst es mir und dann kommt der wichtigste Teil: Du musst es loslassen.“

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Veröffentlicht am 18.05.2020

Mysteriöses Verschwinden

Das Dorf der toten Seelen
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Alice ist eine Absolventin der Filmhochschule in Stockholm. Für ihr Debüt plant sie einen Dokumentarfilm zu drehen – über Silvertjärn, einen abgelegenen Grubenort im Wald von Norrland. Sie stellt ein kleines ...

Alice ist eine Absolventin der Filmhochschule in Stockholm. Für ihr Debüt plant sie einen Dokumentarfilm zu drehen – über Silvertjärn, einen abgelegenen Grubenort im Wald von Norrland. Sie stellt ein kleines Team zusammen und macht sich auf den Weg. Auf den Spuren der rund 900 verschwundenen Seelen, die vor 60 Jahren wie vom Erdboden verschluckt sind, erforschen Alice, Tone, Emmy, Robert und Max das Geheimnis um das Dorf und seine ehemaligen Einwohner. Alice Großmutter Margareta zog einst von dort weg. Einige Anhaltspunkte über die Geschehnisse im Dorf vor dem Verschwinden geben Briefe aus den späten 1950er Jahren von Margaretas jüngerer Schwester Aina. Diese berichtete von einem jungen, attraktiven Pfarrer, der den Job seines Vorgängers – ein Trunkenbold – übernahm und fortan immer mehr Dorfbewohner in seinen Bann zog...

Nachdem vor 60 Jahren die Polizei das Rätsel um das kleine Örtchen nicht lösen konnte – es gab weder Leichen noch andere Anhaltspunkte auf den Aufenthaltsort der 900 Menschen – stellten sich einige grundlegende Fragen: Wer war die gesteinigte Frau, die mitten auf dem Marktplatz an einem Pfahl angebunden von er Polizei gefunden wurde? Und wieso fanden sie außerdem einen Säugling – mutterseelenallein?

Ich habe mich sehr in die Geschichte hineinziehen lassen. In kleinen Häppchen präsentierte die Autorin mit jedem weiteren Kapitel im „Heute“ oder „Damals“ – zum Teil über die Briefe von Aina an Margareta – weitere Details, die den Spannungsaufbau wunderbar vorantrieben. Es fühlte sich für mich tatsächlich an wie ein Puzzle, das ich mit jedem passenden Teil immer mehr in Augenschein nehmen konnte. Und das ist meiner Meinung nach eine große Stärke von diesem Buch. Dabei geht es nicht ausschließlich um Silvertjörns Geheimnisse, sondern auch um die ehemalige Freundschaft zwischen Alice und Emmy, die aufgrund einer schwierigen Lebensphase auseinanderging. Es geht um die psychisch labile Tone, deren Großmutter das Baby war, das einst gefunden wurden war. Auch im „Damals“ hinterfragt die skeptische Elsa – Ainas und Margaretas Mutter – die Ereignisse, misstraut dem jungen Pfarrer und kümmert sich liebevoll um jene, die plötzlich zu mehr als Außenseitern werden.

Das Figurenkonstruckt scheint mir sehr gelungen. Unterschiedliche Temperamente treffen aufeinander und sorgen für ein hohes Konfliktpotenzial, welches zusätzliche – in der unheilschwangeren Lage – den Spannungsbogen dehnt und mich des Öfteren zum sofortigen Weiterlesen antrieb. Ich würde behaupten, die Autorin hat ein gutes Gespür für die Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen – und das auf einem simplen Weg ohne Ausschweifungen oder großartige Erklärungen.

Trotz aller Spannung habe ich einen Kritikpunkt. Was den charismatischen Pfarrer angeht – der Leser erfährt einige, wenige Details über ihn – ist nicht ganz klar, wie er es schafft, so viele Menschen für sich einzunehmen. Und hier wird es spannend. Für den mysteriösen Horrorcharakter des Thrillers ist das sicher sehr unterstützend. Religiöser Fanatismus oder politischer Extremismus sind mir bekannte Ideologien oder Überzeugungen. Jedoch hätte ich gerne einen weitgehenderen Eindruck von der Vorgehensweise des Pfarrers erhalten.

Für mich ist „Das Dorf der toten Seelen“ von Camilla Sten ein spannender Thriller mit guter Charakterentwicklung. Das Setting der Geschichte und die Intentionen der Handelnden überzeugen mich. In den Wäldern von Schweden, in einer Region, die einst vom Bergbau geprägt war, steht ein verlassenes Dorf – Brrrrrrr, Gänsehaut-Feeling! – überzeuge dich selbst!

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Veröffentlicht am 01.03.2020

Die Kraft der Wendepunkte

Das Gewicht der Worte
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Ich fasse mich kurz. „Das Gewicht der Worte“ ist mein erster Roman von Pascal Mercier. Der renommierte Schriftsteller wurde bereits für seine literarischen Werke mehrfach ausgezeichnet. „Nachtzug nach ...

Ich fasse mich kurz. „Das Gewicht der Worte“ ist mein erster Roman von Pascal Mercier. Der renommierte Schriftsteller wurde bereits für seine literarischen Werke mehrfach ausgezeichnet. „Nachtzug nach Lissabon“ sei wohl ein favorisierter Roman. Und auch ich bin neugierig auf dieses Buch, da mich das aktuell vorliegende Hörbuch mit seinen philosophischen Tiefen erreicht hat.
Pascal Mercier ist ein Synonym für den aus Bern stammenden Schriftsteller und Philosophen Peter Bieri. Er wurde 1944 geboren und beschäftigte sich unter anderen mit Erkenntnistheorie und Moralphilosophie.
Gelesen wird das Hörbuch von dem ausgebildeten Schauspieler Markus Hoffmann, der mit seinem beruhigenden warmen Klang der Geschichte und den Gedanken der Hauptfigur Simon Leyland seine Stimme leiht. Herr Hoffmann war unter anderen mit Lesungen der Paolo-Coelho-Romane monatelang auf den Hörbuch-Bestseller-Listen.
„Das Gewicht der Worte“ beinhaltet viele Passagen aus dem Leben von Simon Leyland, der ungefähr 60 Jahre alt ist und als Übersetzer in dem Verlag seiner verstorbenen Frau Livia arbeitet. Ursprünglich aus England kommend bauten sich „Leyland“ und Livia ein gemeinsames Leben am Meer im italienischen Triest auf. Das Mittelmeer hat einen besonderen Stellenwert für den Hauptcharakter, da er schon von klein auf den Traum verfolgt alle Sprachen, die am Mittelmeer gesprochen werden, zu lernen – auch eine Sprache wie Maltesisch, die auf der Insel Malta zum Einsatz kommt. Als einzige semitische Sprache wird Maltesisch mit lateinischen Buchstaben geschrieben.
Leyland leidet unter starken Migräneanfällen. Als er eines Tages die Diagnose „Hirntumor“ erhält bekommt sein Leben eine unerwartete Wendung. Plötzlich rast für ihn die Zeit dahin und Leyland ist sich nicht sicher, wie er damit umgehen soll.
Zu Beginn des Hörbuchs erfuhr ich, das Leyland sich auf den Londoner Flughafen befindet, da er das wunderschöne Haus seines Onkels in London vererbt bekommen hatte und er dieses Haus nun aufsucht. Nach und nach wird die momentane Situation von Leyland beleuchtet, indem er sich erinnert, in alten Briefen liest oder Neue an seine verstorbene Frau verfasst.
Die Sichtweisen auf das Leben von Leyland und den Menschen, mit denen er interagiert, sind ein zentraler Aspekt dieses Romans. Zu diesen Menschen gehören seine beiden erwachsenen Kinder, Sophia und Sidney, alte und neue Freunde, Bekannte und Nachbarn aus London und Triest, sowie einige Mitarbeiter des Verlags, den er nach den Tod Livias übernahm, sowie Schriftsteller, denen er als Übersetzer zur Seite steht/stand.
Im Mittelpunkt dabei stehen außerdem sehr oft Wörter und Formulierungen, wie diese klingen, was sie aussagen und bedeuten und auf welche Weise sie ausgelegt und verstanden werden können. Gerne philosophiert Leyland tiefschürfend über diverse Übersetzungen und versetzt sich dabei in die Grundhaltung des Autors. Diese Art des Umgangs mit den Sprachen ist für Leyland etwas überaus Wichtiges und Durchdringendes. Jederzeit ist er darauf bedacht „die richtigen Worte“ zu finden, um das für ihn korrekte Gleichgewicht an Bedeutung, Sinn und Emotion abzubilden und die Essenz dessen, was der Autor zu vermitteln mag, wiederzugeben. Dabei geht Leyland offenherzig und neugierig vor, tritt gleichermaßen sensibel und annehmend an seine Mitmenschen heran, lässt sie und ihre Sichtweisen sein, wie sie sind und lernt so zu verstehen, was er vorher nicht vom Leben ahnte.
Viele Schlüsselfiguren in Leylands Leben bekommen eine eigene tiefgreifende Zeitspanne, in der sie vorgestellt, beschrieben, analysiert und auf die eine oder andere Art verstanden werden.
Das Hörbuch ist auf drei CDs aufgeteilt und umfasst 1.240 Minuten Spielzeit. Das sind ungefähr 22,3 Stunden. Ich habe es an mehreren Morgen oder bei Spaziergängen gehört. Um Hörbücher zu verfolgen brauch es eine Aufmerksamkeitsspanne, die stabil bleibt. Meine ist ab und an abhandengekommen, aber die Handlung ließ sich dennoch gut verfolgen und an einige Stellen werden inhaltliche Wendungen wiederholt oder erneut besprochen. In meinem Fall war es Glück, in einem anderen könnten diese Wiederholungen eventuell als Kritikpunkt aufgezählt werden, da diese eher nicht dazu beitragen, das Erfahrene aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Dennoch veranschaulichen sie mitunter die Tragweite der Intensität von Leylands Gedankenwelt.
Die Message dieses Werks ist für mich diese: Welche Dinge wirklich im Leben zählen wird insbesondere dann eindringlich klar, wenn die Kraft besonderer Wendepunkte oder Schicksalsschläge im Leben verändert, was wichtig oder unwichtig scheint.
Ich habe wirklich versucht mich kurz zu halten. 😉
Aber ein philosophischer Roman dieser Art lässt sich nicht in wenigen Sätzen skizzieren. Ich glaube, für dieses Hörbuch solltest du dir aktiv Zeit nehmen. Und es ist erforderlich, dass du dich mit dir selbst auseinandersetzen möchtest. Dann wirst du Freude an ihm haben.

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Veröffentlicht am 25.01.2020

Frauenschicksale nach dem Ersten Weltkrieg

Die Frauen vom Alexanderplatz
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„Die Frauen vom Alexanderplatz“ erzählt von den Lebensabschnitten dreier Frauen, die zu Beginn nicht viel gemeinsam haben und auch während des Romans eher indirekt miteinander Bekanntschaft machen. Berlin ...

„Die Frauen vom Alexanderplatz“ erzählt von den Lebensabschnitten dreier Frauen, die zu Beginn nicht viel gemeinsam haben und auch während des Romans eher indirekt miteinander Bekanntschaft machen. Berlin ist erschüttert von den Folgen des Ersten Weltkriegs. Schneiderstochter Vera begegnet dem Matrosen Benno und hilft ihm über Weihnachten zunächst wiederwillig einen Unterschlupf zu erhalten. Sie verlieben sich ineinander. Hanna ist Tochter eines Automobilfabrikanten und kehrt von der Front zu ihrer Familie nach Berlin zurück. Sie war als Krankenschwester tätig und muss sich nun vorübergehend von ihre Geliebten Cora trennen, ebenfalls Krankenschwester. Die beiden wollen sich wiedersehen und sich auch weiterhin den kranken und hilfsbedürftigen Menschen widmen. Die junge Mutter Fritzi macht sich aus einem kleinen Dorf im Norden von Deutschland auf um den Vater ihrer Tochter zu finden, der sich nach Ende des Krieges in Berlin aufhalten soll und zu dem sie seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr hat. Dieser weiß nicht, dass er Vater ist, da er vier Jahre zuvor eingezogen wurde und seit Beginn des Krieges nicht mehr in der gemeinsamen Heimat war.

Die Autorin Frau Schneefuss wurde in Lüneburg geboren, hat Rechtswissenschaften studiert und schreibt für Tageszeitungen. Sie interessiert sich sehr für historische Umbrüche.

Das Cover des Buchs hat mich schnell angesprochen. Es zeigt im Hintergrund scheinbar die Hauptstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Vordergrund steht eine Frau, adrett gekleidet und mit Sehnsucht im Blick. Zudem verortet der Text auf der Rückseite Zeit und Ort und verspricht somit einen Einblick in das walten und leben der Frauen vom Alexanderplatz um 1918.

Auch der Schreibstil ist flüssig und verständlich geschrieben, viele Dialoge tragen die Handlung und geben einen Eindruck von den Gedanken und Wünschen der Agierenden. Ansonsten werden ausnahmslos Vera, Hanna und Fritzi näher beleuchtet, das bedeutet in diesem Fall, ihre Situationen werden geschildert und immer mal wieder neu untermauert. In wenigen Nebeninformationen habe ich detailliert etwas über ihre Optik oder den Eindruck, den sie auf andere machen, erfahren. Wie andere Personen zu ihnen stehen war schlussendlich über die dialoggetriebenen Zeilen zu erkennen.

Gerne hätte ich mehr über ihren inneren Antrieb erfahren. Gerne hätte ich mehr emotionale Zwickmühlen gespürt. Und gerne hätte ich individuelle Ansichten jeder Frau entdeckt, die sie weniger einheitlich erscheinen lassen. Das Potenzial dafür war vorhanden, aber für mich hat es sich manchmal nicht authentisch angefühlt. Handlungsmuster waren schwer nachzuvollziehen und einige Gefühle nicht einzuordnen, obwohl sie natürlich beschrieben wurden oder zumindest am Rande kurz Erwähnung fanden – nüchtern betrachtet (Hanna weint auf einer Beerdigung und kurz darauf ist das Thema wie „fertig erzählt“). Alle Frauen trafen durchaus schwierige Entscheidungen, die ihre Leben verändern würden. Da darf es ruhig etwas gefühlsbetonter sein.

Beispiele dafür sind, dass Fritzi als unverheiratete Mutter ihren Ruf in ihrem kleinen Heimatdorf fürchtet oder eben auch schon mit den Auswirkungen kämpfen muss, es aber vier Jahre nicht geschafft hat, den Vater des Mädchens über sein vatersein in Kenntnis zu setzen. Es war Krieg und ungewiss, ob dieser zurückkommen würde, zudem hätte der Vater eine weitere Motivation zu ihr zurückzukehren.

Vera hilft Benno und verliebt sich in ihn. Die beiden werden ein Paar. Dazu sind drei Tage nötig, an denen sie laut Roman scheinbar nur zehn Minuten am Tag miteinander reden, da Vera „den roten Matrosen“ heimlich in der alten Schneiderwerkstatt des Vaters versteckt und ihr ebenfalls aus dem Krieg zurückgekehrter Bruder Georg Benno nicht dulden würde.

Zu guter Letzt gehe ich diesbezüglich noch auf eine Situation von Hanna ein. Sie stammt aus gutem Hause und soll heiraten, damit sie abgesichert ist. Sie liebt jedoch Cora und möchte Ärztin werden. Ihre Eltern dulden das nicht. Dennoch hat sie zu ihrem leider schwerkranken Vater eine gute Beziehung. Ihre Mutter verachtet sie aus tiefster Seele. Diese nimmt die Rolle der Mutter nicht allzu ernst, vergnügt sich hinter den Rücken der Familie mir Liebhabern und scheint generell durchtrieben und egoistisch. Scheinbar hat Hanna aber auch noch Schwestern. Auf diese wird jedoch nicht eingegangen. Diese Situation wurde mir als Leserin gegeben, aber ich fand es sehr unbefriedigend nicht zu verstehen, warum diese Mutter sich derart verhält und warum Hanna, die sich zu Frauen hingezogen fühlt, ist, wie sie ist. Hier wurden spannende Ansätze verschenkt. Niemand ist einfach nur „böse“.

Historisch gesehen ist der Schauplatz Berlin für diesen Roman sicher durchaus sehr bereichernd. Berlin und der im Titel stehende Alexanderplatz, sowie einige für Berlin typische Bezeichnungen und Straßenamen wurden im Buch immer mal wieder genannt.

Der Roman begann stark. Vera in Männerkleidern schleicht sich in die gefährliche Innenstadt um Medizin für die kranke Mutter zu besorgen, Fritzi ist das erste Mal alleine unterwegs in die große Stadt und lässt dafür die Tochter zurück, Hanna liebt eine Frau und muss Furchtbares an der Front gesehen haben. Leider lässt der Spannungsaufbau nach. Die Geschichten plätschern so dahin und sind gegen Ende schleppend weiterentwickelt wurden.

An erster Stelle standen die Erzählstränge der Frauen. Der historische Hintergrund wurde geschickt eingeflochten, aber nicht erklärt. Mit vielen Begriffen und Namen konnte ich nichts anfangen, da ich diesbezüglich geschichtlich nicht bewandert war. Folgendes fand ich heraus.

In der Endphase des Ersten Weltkrieges führte die Novemberrevolution von 1918/19 zum Sturz der Monarchie im Deutschen Reich und zu dessen Umwandlung in eine parlamentarische Demokratie.

Karl Liebknecht war ein prominenter Marxist und Antimilitarist zu Zeiten des Deutschen Kaiserreiches. Am 11. November gründete er gemeinsam mit Rosa Luxemburg und anderen den Spartakusbund. Zum Jahreswechsel 1918/19 war Liebknecht einer der Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands. Kurz nach der Niederschlagung des Berliner Januaraufstands wurden er und Luxemburg von Angehörigen der Garde-Kavallerie-Schützen-Division ermordet.

Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division war ein im Frühjahr 1918 gebildeter Großverband der Preußischen Armee, aus dem nach der Novemberrevolution eine Vielzahl von Freikorps hervorging. „Freikorps“ bestanden beispielsweise aus einheimischen Freiwilligen, gegnerischen Überläufern, Deserteuren und Straffälligen.

Dank Wikipedia war es mir möglich diese Informationen rasch zusammenzusuchen und ein entsprechendes Hintergrundwissen aufzubauen, was helfen wird, um den Roman „Die Frauen vom Alexanderplatz“ von Elke Schneefuss ganzheitlicher zu erfassen.

Letztendlich habe ich einiges dazu gelernt (wenn auch zum Teil durch zusätzliche Recherche), einen oberflächlichen Eindruck von der Atmosphäre in Berlin um 1918 erhalten und wurde seicht durch die Geschichten von Vera, Hanna und Fritzi unterhalten. Einige der gesellschaftlichen Themen dieser Periode wurden aufgegriffen. Zudem fand ich das Buch einfach zu lesen.

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