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Veröffentlicht am 31.03.2024

Perspektivwechsel Neurodivergenz

Neuropunk
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Die Anthologie Neuropunk ist die erste Veröffentlichung des Weltenruder-Verlags, die mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde – vielen Dank!

Es gibt 11 Geschichten, in ...

Die Anthologie Neuropunk ist die erste Veröffentlichung des Weltenruder-Verlags, die mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde – vielen Dank!

Es gibt 11 Geschichten, in denen neurodivergente Perspektiven eingenommen werden (ADHS, Autismus u.a.). Ziel dieser Anthologie war es, diese Perspektiven zu repräsentieren und ihnen eine Plattform in der Phantastik zu geben und natürlich dieses Erfahren ein klein wenig greifbarer zu machen.

Wenn man an das Thema Neurodiversität denkt, fällt einem wahrscheinlich zuerst die Ebene der Psyche oder des Gehirns ein, was auch auf dem Cover dargestellt ist. Wie beim Thema Behinderung auch wird oftmals erst das Individuum selbst fokussiert: Welche Rolle spielt derdie Behinderte in der Gesamtgesellschaft, welche Rolle für* sie?

In dieser Anthologie sind die meisten Geschichten ebenfalls sehr nah am Selbst dran, nah an der erlebten Erfahrung neurodivergenter Figuren, aber: ich fand es gut, dass das Gesellschaftliche, die Communities und Found Families, im Sinne des sozialen bzw. kulturellen Modells von Behinderung, trotzdem viel Platz fanden. Das ergab für mich eine gute – und zugängliche – Balance.

Es gibt in dieser Anthologie Welten, in denen Figuren Hindernisse erst überwinden müssen, aber auch welche, in denen Neurodivergenz nicht die „Abweichung vom normalen“ darstellt, oder Welten, in denen sie sogar von Vorteil sein kann; Teilhabe an etwas, an Freundschaft, Partnerschaft, Community etc. war oftmals ein zentraler Faktor für die Geschichte. Alle Figuren verorten sich, oft auch in Bezug zu ihrem Körper und durch Sinneseindrücke, in ihrer materiellen Umwelt. Dabei standen Achtsamkeit auf diesen Körper und die Wahrnehmung im Vordergrund, was mich in Verbindung mit dem Thema der gesellschaftlichen Teilhabe am Ende stets positiv zurückgelassen hat.

Besonders in Erinnerung geblieben mir folgende Geschichten:

„Zurück zur Natur“ von Kián KoWananga ist eine kurze Tiefabel, die vom kleinen Kobold Puck erzählt, der in der Welt der Menschen quasi unsichtbar ist. Im Laufe der Geschichte lernt Puck wahrzunehmen, welche Umwelteinflüsse ihn negativ oder positiv beeinflussen und kann schließlich achtsamer mit sich selbst umgehen und seine Bedürfnisse äußern.

„Wurzelkind“ von Julia Winterthal sticht wegen des Schreibstils aus der Anthologie hervor. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, es war super atmosphärisch und das Motiv des „Monsters“ und der Rache gefiel mir richtig gut.

„Das Lied der einsamen Maschine“ verleitet mich dazu, mir endlich mehr von Jol Rosenberg anzuschauen. Zwischen Muderbot-Charme und Cyborg-Manifesto begleiten wir einen Androiden, der auf ein menschliches Kind stößt. Der Fokus der auditiven Geräuschwahrnehmung wurde interessant eingesetzt.

Insgesamt hat mir, wie in fast jeder Anthologie, die ich bisher gelesen habe, nicht jede Geschichte komplett zugesagt. Allerdings ist es mein ziem bei Anthos immer, einen gewissen roten Faden für mich rauszuarbeiten und mich mit diesem näher zu beschäftigen. Und das habe ich hier definitiv gefunden!

Ich vergebe daher 4 Sterne und bin gespannt, was wir aus diesem Verlag noch zu lesen bekommen.

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Veröffentlicht am 14.03.2024

What I eat in a day (as a vampire)

Die Hungrige
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“Ich hätte nicht sagen können, ob ich anfing, ihn zu mögen, und mit ihm zusammensein wollte, oder ob ich Hunger hatte und ihn als Nahrung begehrte.” - irgendwie relatable, was Claire Kohda in ihrem modernen ...

“Ich hätte nicht sagen können, ob ich anfing, ihn zu mögen, und mit ihm zusammensein wollte, oder ob ich Hunger hatte und ihn als Nahrung begehrte.” - irgendwie relatable, was Claire Kohda in ihrem modernen Vampirroman “Die Hungrige”, übersetzt von Barbara Schaden, schreibt.

In typischer “sad girl fiction”-Manier folgen wir einer (selbst)destruktiven, obsessiven jungen Frau/Vampirin. Lydia geht’s nicht gut. Ihre Vampirmutter ist dement, sie musste sie in ein Heim geben, was Schwierigkeiten mit sich bringt, weil, wie soll sie sich dort ernähren? Obendrein steht sie sich bei ihrem nicht-bezahlten Praktikum in einer Kunstgallerie die Beine in den Bauch, ohne Aussicht auf Erfolg als selbstständige Künstlerin. “Lydia hat Hunger. Seit sie denken kann, sehnt sie sich nach Sashimi, Ramen oder Onigiri mit saurer Pflaumenfüllung.”, steht im Klappentext, denn Speisen sind für Lydia der Inbegriff von Menschlichkeit, welche sie so sehr begehrt.

Ich liebe es, wenn ein Roman es schafft, eine Idee zu nehmen - hier: Hunger - und entlang dieser ganz viele Themen zu verbinden. Die leckeren Gerichte stellen für Lydia das dar, was sie nie haben wird, weil sie auf vielen Ebenen immer eine Außenseiterin war, die das Geschehen mehr beobachtet, als Teil von ihm sein zu können. Auch werden durch das Thema Differenzen und Gemeinsamkeiten erzählt, beispielsweise wenn es um die Speisen aus dem Land von Lydias Mutter geht, die sie begehrt, aber nie vollständig für sich haben durfte. Ganz subtil wurde Lydia zu einem total vielschichten Charakter, den ich liebgewonnen habe.

Außerdem habe ich mich nicht nur über die vielen Referenzen zu Künstler*innen und Kunstwerken gefreut, sondern auch darüber, dass die Schattenseiten des Kulturbetriebs, insbesondere Machtmissbrauch, beleuchtet wurden - ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.

Bin ich satt geworden? Der letzte Bissen hat gefehlt, für meinen Geschmack hätte sich Kohda noch weiter in die Weirdness reinlegen können. Aber “Die Hungrige” schafft es für mich, das Komische und das Melancholische auszubalancieren. Von mir gibt es eine klare Empfehlung und 4,25 Sterne.

Schaut euch vorher auf jeden Fall die Content Notes an - insbesondere das obsessive Verhalten zu Essen wird hier behandelt.

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Veröffentlicht am 29.02.2024

Rasante Lektüre!

Yellowface
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Ich habe eine zwiespältige Meinung zu Yellowface von R.F. Kuang, übersetzt von Jasmin Humburg, denn einerseits habe die Geschichte rund um die weiße Autorin June „Juniper Song“ Hayward, die einer Autorin ...

Ich habe eine zwiespältige Meinung zu Yellowface von R.F. Kuang, übersetzt von Jasmin Humburg, denn einerseits habe die Geschichte rund um die weiße Autorin June „Juniper Song“ Hayward, die einer Autorin of Colour, Athena Liu, das Manuskript stiehlt und es als ihr eigenes ausgibt, verschlungen! Zwischendurch hatte ich den Satz „it sucked me in like a juicy twitter drama“ im Kopf, denn so hat sich das Lesen angefühlt – witzig, denn das Buch hält den Twitter-Dramatiker:innen ganz schön den Spiegel vor. Andererseits hatte Yellowface aber nicht ganz den Nachhall, den ich mir erhofft hatte.

Ich habe erwartet, dass das Thema der kulturellen Aneignung und Ausbeutung von Diversität erkundet wird – wer darf welche Geschichten schreiben? Welche Intersektionen spielen eine Rolle? Athena Liu ist zwar Asian-American, kommt aber aus einem reichen Elternhaus und hatte einen privilegierten Bildungsweg. Sie schreibt dramatische, herzzerreißende Romane mit chinesischem Setting, ohne jedoch länger in China gelebt zu haben (die Parallelen zu Kuangs eigenem Hintergrund und Schaffen sind recht eindeutig). Teilweise verletzt sie ihre Familie damit, denn auch deren persönliche Geschichten bleiben von Athenas schonungsloser kreativen Verwertung nicht verschont. Mit welchem Recht dürfen diasporische Autor:innen über die Erfahrungen “anderer” schreiben, welche Rolle spielen postgenerationale Traumata? Diese komplexe Diskussion geriet im Verlauf des Buchs in den Hintergrund, was ich schade fand. Aber vielleicht war es auch zu viel erwartet, dass sich ein traditionell veröffentlichter, extrem gehypter Roman der neoliberalen Logiken einer ausbeuterischen Kreativindustrie entzieht?

Die angekündigte Kritik war für mich nicht konsequent zuende gedacht - dafür fand ich aber die Kritik, die auf individuelle Ebene ausgearbeitet wurde, spannend. Im Nachwort schreibt Kuang, dass Yellowface eine Geschichte über Einsamkeit als Schreibende, als „creative worker“, in der Buchindustrie ist - und das, das nehme ich dem Buch komplett ab.

June, aus deren Sicht erzählt wird, fängt an, ihren Selbstwert über bloße Zahlen zu definieren. Sie flüchtet sich in die Welt von Social Media und Oberflächlichkeiten, um sich immer und immer und immer wieder selbst zu bestätigen; ihre Bemühungen, sich wieder mit der Realität, mit ihren Mitmenschen zu befassen, scheitern. Kollegiale und freundschaftliche Beziehungen können von June nicht aufrechterhalten werden. Das ganze System ist auf Bewertung ausgelegt, was macht das mit einer kreativen Person? Was bedeutet es, produzieren zu müssen, ohne Pausen und mit viel Prekarität? Nebenbei lässt sie ihre Privilegien als weiße Autorin total aus, hat rassistisches Gedankengut verinnerlicht und verhält sich dementsprechend.

Gegen Ende gab es für meinen Geschmack zu viel Küchenpsychologisches, aber die Übertreibungen haben zum satirischen Ansatz gepasst. Und auch Athena hatte ein unfassbar einsames Leben, denn ihre Arbeit wird zwar vom Publikum wertgeschätzt, doch definierte sie sich über diesen Erfolg und insbesondere ihre Außendarstellung und Reichtum. Interessant, denn Kuang hat in einem Interview erwähnt, dass Athena all das verkörpert, was sie selbst hofft, niemals zu werden. Keine der beiden Figuren ist sympathisch und mir hat es Spaß gemacht, ihnen zu folgen und entlang ihrer moralischer Fragwürdigkeiten zu lesen.

Mein persönliches Fazit ist, dass es breite, intersektionale Bündnisse braucht, überall, auch - oder gerade bei - Personen, die kreativ tätig sind.

Vielen Dank an Vorablesen und den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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Veröffentlicht am 27.02.2024

Kurzweilige, witzige und spicy Fantasy-Romance

Der Tag, an dem ich mich betrank und einen Dämon rettete
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“Ich hatte nur zwei Dinge im Kopf - Käse und wie ich nach Hause kommen würde.”

Es geht um Cinnamon, die mit ihrer Familie, die ebenfalls allesamt nach Gewürzen benannt sind, eine Gewürzfarm betreibt. ...

“Ich hatte nur zwei Dinge im Kopf - Käse und wie ich nach Hause kommen würde.”

Es geht um Cinnamon, die mit ihrer Familie, die ebenfalls allesamt nach Gewürzen benannt sind, eine Gewürzfarm betreibt. Eines Tages betrinkt sie sich und rettet aus Versehen den Drachendämon/Shifter Fallon, denn wunderlicherweise bewirkt Zimt, dass Dämonen von ihrem Fluch erlöst werden. Und ganz zahm werden. Und ständig ihre Shirts verbrennen, ihr wisst schon.

Mit dem Dämon am Hals muss sich Cinnamon nun auf eine (ziemlich einfach gestrickte) Quest begeben, um noch mehr Dämonen mit ihren Gewürzen zu retten, das ganze natürlich gewürzt mit ganz vielen Spice-Metawitzen und… Spice. 🌶

Ich muss echt sagen, mir gefallen diese Art von Bücher, obwohl sie wirklich nicht das beste Fantasy-World-Building haben. Ich war einfach gut unterhalten, die Figuren waren sympathisch und man konnte den einfachen und modernen Schreibstil in nullkommanix weglesen.

Zugegeben, manchmal stolperte ich doch über die ein oder andere sehr platte Formulierung, und ein paar wenige Male hat mich der Cringe doch gepackt. Der Plot war nicht super spannend oder so, eher vom Typ lustige D&D-Kampagne, aber:

Ich fands aber insgesamt super witzig, es war einfach etwas Aufheiterndes für Zwischendurch. Wer sich über die typischen TikTok-Spice-Bücher aufregt, sollte dieses Buch nicht lesen. Vergleichbare Titel wären z.B. die Ice Planet Barbarians von Ruby Dixon oder die "A Deal with a Demon"-Reihe von Katee Robert.

Ich freue mich auf jeden Fall schon auf den zweiten Band “Der Tag, an dem ich mich betrank und einen Werwolf bezauberte” (der engl. Titel ist da gewitzter: That time I got drunk and yeeted a love potion at a Werewolf), der am 11. April erscheint. Es wird um die Käsemacherin Brie (ich nehme an, ihre Familienmitglieder sind ebenfalls nach Käsesorten benannt) und einen Werwolf gehen. 🧀

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 12.02.2024

Cozy queere Space Opera

Das Licht ungewöhnlicher Sterne
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Das Licht ungewöhnlicher Sterne von Ryka Aoki, übersetzt von Michael Pfingstl, ist eines dieser Bücher, die man nicht sinnvoll beschreiben kann, also entschuldigt meine verworrene Zusammenfassung: Es geht ...

Das Licht ungewöhnlicher Sterne von Ryka Aoki, übersetzt von Michael Pfingstl, ist eines dieser Bücher, die man nicht sinnvoll beschreiben kann, also entschuldigt meine verworrene Zusammenfassung: Es geht um Katrina Nguyen, ein trans Mädchen mit unbeschreiblicher Begabung fürs Geigenspiel, das von zuhause weggelaufen ist. Um Shizuka Satomi, die sieben Schülerinnen zu den besten Violinistinnen der Welt ausbilden muss, um ihre Seele nicht an den Teufel zu verlieren. Um die Familie Tran, die einen Donutshop betreibt. Um eine Geigenbauerin, die sich viel zu wenig zutraut. Und um einen fiesen Teufel.

Viele Figuren kommen hier zusammen, um eine Geschichte von Hoffnung und Akzeptanz zu erzählen und ganz warme, wohlige Gefühle bei Leser:innen auszulösen, ohne aber schwere Themen - die durchaus explizit und heftig gezeigt wurden - auszusparen.

Die Struktur war messy. Absolut chaotisch. Die Perspektiven wechselten unvorhersehbar von Absatz zu Absatz. Zwischendurch stellte sich ein Gefühl von Orientierungslosigkeit ein - aber gepaart mit dem absurden Humor à la Douglas Adams hat mir gerade das großen Spaß bereitet! Auch war die Liebe zu Kultur und Vielfalt allgegenwärtig.

Noch mehr Spaß hatte ich aber mit dem Thema der Musik. Ich selbst studiere Musiksoziologie, bin in klassischer Musik ausgebildet und fühlte Katrina und ihre Ablehnung von Wettbewerben und klassistischen Denkmustern sehr. Von der Erwähnung von Fakten über die Musikwelt, zum Beispiel dass der Geigenbau ein extrem gegenderter Beruf ist und viele Geigenbauerinnen immer noch nicht ernst genommen werden - bis hin zum krassen Elitismus, der die klassische Musik im Würgegriff hält; Aoki konnte mich auf ganz vielen Ebenen berühren. Denn Katrina mag zwar klassische Musik, aber eben auch Anime- und Videospielmusik, eben eine typische Teenagerin. Es wird total viel in Frage gestellt: Warum müssen “Wunderkinder” überhaupt von Wettbewerb zu Wettbewerb geschickt werden? Warum denken wir, dass Musiker:innen immerzu leiden müssen, um ihre Kreativität zu entfalten?

Ich könnte stundenlang so weitermachen, denn für mich wäre diese wunderbare, absurde, humor- und hoffnungsvolle Science-Fiction-Fantasy-Oper ein Jahreshighlight gewesen. So tut es mir unglaublich weh, dass ich wegen der Übersetzung keine volle fünf Sterne vergeben kann, sondern einen abziehe. Ich habe das Buch in einer Leserunde gelesen, bei der wir auch Zugriff auf das englische Original hatten. So stellten wir fest, dass nicht nur Pronomen und Begriffe rund um Gender seltsam altmodisch übersetzt wurden, sondern Figuren teilweise diskriminierende Worte in den Mund gelegt wurden. Ich bin sehr enttäuscht vom Heyne-Verlag, dass das so durchgegangen ist. Ich kann die deutschsprachige Version dieses Romans also nicht vollständig empfehlen.

Vielen Dank für dieses Rezensionsexemplar.

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