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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 08.05.2024

Begegnungen

An einem anderen Ort
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An einem anderen Ort sammelt Essays mit denen die Leserin gemeinsam mit Zdenka Becker einmal um die Welt und in der Zeit reisen kann. Neben den zahlreichen Reisen zwischen den USA, Asien und in Europa ...

An einem anderen Ort sammelt Essays mit denen die Leserin gemeinsam mit Zdenka Becker einmal um die Welt und in der Zeit reisen kann. Neben den zahlreichen Reisen zwischen den USA, Asien und in Europa und ihren Begegnungen und Beobachtungen auf diesen, gibt die Autorin in einigen Essays auch viel persönliches Preis: ihr Aufwachsen noch hinter dem Eisernen Vorhang, das neue, zweite Leben in Österreich, das Gefühl der Fremde und des Fremd-gemacht-Werdens. Insbesondere die Beschreibung der Empfindungen der Fremde und die Reflexion welche Rolle Sprache dabei spielt, fand ich sehr gelungen.

Im weiteren Verlauf stehen die Reisen der Autorin, oft zu Kongressen oder Lesungen im Ausland im Mittelpunkt. Hier begeistern nicht nur die Einblicke in das Leben einer Schriftstellerin, sondern auch und gerade die feinen, aufmerksamen Beobachtungen, die Zdenka Becker beim Entdecken ihrer Gastländer macht, immer interessiert und zugewandt den Menschen gegenüber, denen sie begegnet. Es sind Zufallsbekanntschaften, die uns manchmal auf ungeahnte Weise berühren und Geschichten wie Schicksale bergen, die uns anderenfalls verborgen blieben.

Doch auch die schwierige Zeit der Corona-Isolation, die Situation in der Ukraine und der Geflüchteten, greift die Autorin auf. Dabei stets ein wacher, sensibler Blick für die Menschen, ihre individuelle Situation und die Herausforderungen ihres Lebens.

Bereichert werden die Essays durch sehr schöne Aufnahmen von Nikolaus Korab, die die jeweiligen Kapitel einrahmen.

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Veröffentlicht am 06.05.2024

Gibt es eine echte Rettung vor Krieg und (vererbten) Traumata?

Und dann sind wir gerettet
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Aida ist 6 Jahre alt, als sie im Jahr 1992 mit ihren Eltern aus ihrer bosnischen Heimat vor dem Krieg flieht. Was folgt, ist nicht nur eine gefährliche Flucht durch ein bereits kriegsgebeuteltes Gebiet, ...

Aida ist 6 Jahre alt, als sie im Jahr 1992 mit ihren Eltern aus ihrer bosnischen Heimat vor dem Krieg flieht. Was folgt, ist nicht nur eine gefährliche Flucht durch ein bereits kriegsgebeuteltes Gebiet, sondern auch ein Ankommen in Italien, das zwar physisch zunächst Frieden verspricht, innerlich kann jedoch kein Familienmitglied die schrecklichen Erfahrungen abstreifen. Hinzu kommt die stete Sorge und Trauer um die zurückgelassenen Familienmitglieder und Freunde.

In diesem Rahmen erzählt Alessandra Carati auf drei Zeitebenen zwischen 1992 und 2013 die Geschichte einer Flucht, eines Ankommens und einer Rückkehr.

Poetisch und sensibel, mit einem besonderen Blick für die menschlichen Zwischentöne beschreibt die Autorin die Herausforderungen für das Familienleben, bei dem die Integration in das neue Umfeld der Sehnsucht nach der Heimat und dem Schmerz der Kriegserfahrung gegenübersteht und wie ein Pendel ausschlagen, ohne je in ein echtes Gleichgewicht zu finden, eben weil dies vielleicht auch kaum möglich ist.

In einer Familie zeigt Carati so die Variation von Traumata durch Kriegs- und Fluchterfahrung und den Umgang mit diesen, von Abgrenzung, Aggression über innere Verschlossenheit bis hin zur Psychose.

Und dann sind wir gerettet ist ein schmerzhaftes und hoffnungsvolles Buch zugleich, das nicht nur inhaltlich mit einem sensiblen Blick für psychische und soziale Herausforderungen in Verbindung mit Krieg, Flucht und Neuanfang, sondern auch einer wundervoll poetischen Sprache der Autorin überzeugt. An dieser Stelle muss auch die herausragende Übersetzung aus dem Italienischen unbedingt erwähnt werden.

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Veröffentlicht am 02.05.2024

Dauererregung und Polarisierung sind eine Gefahr für unsere Demokratie und gehen damit uns alle etwas an

Heult leise, Habibis
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In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene ...

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene Stimmen in den Hintergrund geraten und so letztlich auch in den Debatten um die Zukunft unserer Demokratie fehlen. Die Autorin liefert interessante Denkanstöße und sensibilisiert für gesellschaftliche und diskursive Dynamiken, die letztlich unsere Demokratie bedrohen können. Der Schreibstil ist eingängig und leicht zu folgen.

Was mich nicht überzeugt hat, ist das fast vollständige Ausblenden struktureller Faktoren in der Analyse bei gleichzeitiger Überbetonung diskursiver und psychoanalytischer Elemente, die vermeintlich monokausal zu bestimmten gesellschaftlichen Konsequenzen führen. So wird beispielsweise der NSU als Folge der von der Autorin beschriebenen kommunikativen Dynamik genannt. Hier bedient die Autorin sich ähnlicher Werkzeuge, die sie an anderer Stelle kritisiert. Während sie Ideologisierung und Polarisierung über weite Strecken sehr gut und nachvollziehbar als problematisch herausarbeitet, zur besonnenen Reflexion aufruft, verfällt die Schrift selbst im Verlauf in den Dienst der Proklamation sehr einseitiger Positionen der Autorin und der Überlegenheit eines wirtschaftsliberalen Konservatismus.

Insbesondere in der zweiten Hälfte verliert das Buch damit für mich an Stärke. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verfestigt, dass zunehmend einige Gedankengänge und Argumente in sich inkonsistent, eindimensional und auch redundant sind, andere scheinen wiederum selbst einer Aufmerksamkeitslogik zu folgen, wie wenn die Autorin unter Orgasmische Polarisierung die Sexualisierung von Polarisierung ausführt. Von einem soziologisch und sozialpsychologisch geschulten Lektorat hätte die Schrift sicher profitiert, insbesondere mit Blick auf die einschlägigen theoretischen Grundlagen zu sozialer Identität und Intergruppenkonflikten.

Einer starken ersten Hälfte, die viele wichtige Denkanstöße liefert und mit einer erfrischend ausgewogenen Analyse und Betrachtung überzeugt, steht so ein deutlich schwächerer zweiter Teil gegenüber, in dem die Autorin in der Umsetzung dem eigenen, zuvor formulierten Anspruch leider nicht gerecht werden kann. Das Ziel der Schrift bleibt damit letztlich unklar.

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Veröffentlicht am 01.05.2024

Kurzweiliges, romantisches Lesevergnügen mit Urlaubsfeeling in Travemünde

Blind Date mit Möwe
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Lisa ist Biologin in der Naturstation auf dem Priwall und trauert heimlich noch ihrem Ex Ryan hinterher, der nach Australien ausgewandert ist. Jonas ist Architekt und geht mit seinem eher oberflächlichen ...

Lisa ist Biologin in der Naturstation auf dem Priwall und trauert heimlich noch ihrem Ex Ryan hinterher, der nach Australien ausgewandert ist. Jonas ist Architekt und geht mit seinem eher oberflächlichen Freund und Chef Timo eine Wette ein, dass die inneren Werte einer Frau mehr zählen. Die neue Dating-App The Voice of Love, bei dem die gematchten Paare erst fünf Online-Dates nur mit ihren Stimmen haben, kommt daher für Lisa und Jonas gerade zur rechten Zeit. Wird das ungewöhnliche Konzept von The Voice of Love funktionieren und die beiden tatsächlich zusammenbringen?

Neben der sich anbahnenden Romanze bekommt die Erzählung durch Jonas Vater-Tochter-Beziehung mit Teenagertochter Leonie sowie Lisas Job in der Naturstation weitere Ebenen, die die Geschichte bereichern. So erfährt man ganz nebenbei auch noch Hintergründe zur Flora und Fauna des Priwalls, und kann über die Herausforderungen des Alltags mit Teenagern schmunzeln.

Die Beschreibungen der Landschaft, Architektur und Besonderheiten von Lübeck, Travemünde und Priwall sind wirklich gelungen und versetzen beim Lesen unmittelbar in die Szenerie.

Leider wird der Lesegenuss etwas durch einige Logikfehler getrübt, die hoffentlich in der nächsten Auflage korrigiert werden können. So liegt beispielsweise ein Handy neben einem Bier, das erst auf der nächsten Seite serviert wird, oder Personen werden namentlich angesprochen, obwohl deren Name erst später in der Handlung offenbart wird.

Alles in allem ist Blind Date mit Möwe ein leichtes, kurzweiliges Lesevergnügen mit Urlaubsfeeling in Travemünde!

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Veröffentlicht am 29.04.2024

Die Wegwerfmenschen - Nicht gehört, nicht gesehen, nicht geachtet

Und alle so still
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Elin, Ruth, Alma, Nuri. Vier Personen und jede leidet auf jeweils eigene Art unter den patriarchalen Strukturen, der Diskriminierung und Ausbeutung in der Gegenwartsgesellschaft. Während die junge Elin ...

Elin, Ruth, Alma, Nuri. Vier Personen und jede leidet auf jeweils eigene Art unter den patriarchalen Strukturen, der Diskriminierung und Ausbeutung in der Gegenwartsgesellschaft. Während die junge Elin als Social Media Star an der hohlen Selbstdarstellung zweifelt und Nähe und Anerkennung in kurzen sexuellen Abenteuern sucht, bekommt Nuri jeden Tag zu spüren, was es als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund bedeutet zu den nicht privilegierten Klassen in der modernen kapitalistischen Dienstleistungsökonomie mit zum Teil nicht mal rudimentärer sozialer Absicherung zu gehören. Ruth wiederum bekommt als Krankenpflegerin täglich die Konsequenzen eines Gesundheitssystems zu spüren, in dem echte Fürsorge und menschenwürdige Pflege nicht honoriert wird, im Gegenzug jedoch das Sparen auf Kosten von Patient:innen und dem Personal. Der Personalmangel in der Pflege wird so mit allen Konsequenzen für Patientinnen und Pflegekräfte bildlich herausgearbeitet.

Was die Protagonist:innen eint ist Einsamkeit und eine Verzweiflung an den Zumutungen, die dieses System an jeden einzelnen von ihnen und letztlich uns alle stellt. Doch wie dem entkommen? Wie kann Veränderung gelingen? Die Autorin skizziert im Roman hierzu ein mögliches Szenario und setzt dieses auch sprachlich hervorragend um.

Gekonnt buchstabiert Mareike Fallwickl die Bedeutung von Systemrelevanz literarisch aus und führt uns damit vor Augen was tatsächlich passiert, wenn all die als selbstverständlich wahrgenommenen Tätigkeiten von Frauen im Privaten wie im Beruflichen nicht erledigt werden. Dabei beweist sie einen sensiblen Blick nicht nur auf Sexismus und Misogynie sondern ebenso auf all die Zumutungen eines harten Arbeiter:innenlebens.

Und alle so still - ist das Gegenteil seines Titels, denn still ist dieser aufwühlende, emanzipatorische Roman sicher nicht! Und das ist genau richtig!

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