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Veröffentlicht am 26.04.2024

Literaturzirkel

Bitteres Ende
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Zu einem einwöchigen Literaturzirkel auf Sylt treffen einander sechs recht unterschiedliche Autoren unter fachkundiger Moderation einer bekannten Fernsehgröße. Als am letzten Tag der scharfzüngige Literaturkritiker ...

Zu einem einwöchigen Literaturzirkel auf Sylt treffen einander sechs recht unterschiedliche Autoren unter fachkundiger Moderation einer bekannten Fernsehgröße. Als am letzten Tag der scharfzüngige Literaturkritiker Konrad Otze aus ihrer Mitte verschwindet und wenige Stunden später mit sechs Messern im Körper auf einer Bank im Watt gefunden wird, geraten die anderen Teilnehmer unter Verdacht, allerdings fehlt entweder ein Motiv oder es gibt ein glaubhaftes Alibi.

Bereits zum elften Mal ermitteln Silja Blanck, Bastian Kreuzer und Sven Winterberg, auch der aus
früheren Bänden bekannte Gerichtsmediziner Dr. Bernstein und Staatsanwältin Bispingen sind wieder mit von der Partie. Kenner der Krimireihe haben es leicht, Andeutungen zu früheren Fällen einzuordnen, aber auch für Neueinsteiger wird Wesentliches wiederholt, um schnell im Bilde zu sein. Anfangs geht es gemächlich zu, der Leser wird in die illustre Runde der Literaten eingeführt und merkt sogleich die teils unterschwelligen, teils offen ausgetragenen Unstimigkeiten unter den sieben Leuten. Sorgfältig und detailliert stellt Eva Ehley ihre Figuren vor, sodass man sich fast selbst wie ein Teilnehmer des Fachkolloquiums fühlt. Interessante Überlegungen und viele Sackgassen prägen dann die Polizeiarbeit, welche stimmig und logisch abläuft, aber nicht und nicht zu einem Mörder – oder gar mehreren? – führen will. Kurz vor dem Ende gibt es jedoch überraschende Neuigkeiten, die Dramatik steigt deutlich an und das gewitzte Ermittlerteam kann endlich die Handschellen auspacken.

Für regelmäßige Serien-Begleiter ebenso wie für Neulinge bietet „Bitteres Ende“ gelungene Unterhaltung, ein flüssiger Schreibstil, bestens gezeichnete Charaktere und ein kniffliger Mordfall sorgen für fesselnde Lesestunden und laden ein zum Miträtseln.

Veröffentlicht am 23.04.2024

Bizarr

Der Killer in dir
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Alex hat seinen Polizeidienst quittiert und kümmert sich nun um seine kleine Tochter und den Haushalt, während seine Frau ihren Frisiersalon führt. Alles scheint perfekt, bis zu dem Tag, an dem ein sonderbarer ...

Alex hat seinen Polizeidienst quittiert und kümmert sich nun um seine kleine Tochter und den Haushalt, während seine Frau ihren Frisiersalon führt. Alles scheint perfekt, bis zu dem Tag, an dem ein sonderbarer Kerl Alex für einen Auftragskiller hält und ihn für einen Mord engagiert. Hält er sich nicht an die aufgezwungene Vereinbarung, könnte es seiner Familie an den Kragen gehen. Verzweifelt fügt sich Alex in sein Schicksal und gerät in eine Spirale, die sich unaufhörlich weiterdreht.

Für diese sehr ungewöhnliche, ja bizarre Geschichte wählt Max Reiter eine raffinierte Erzählform, nämlich die eines Tagebuchs. Auf diese Art und Weise erfährt der Leser viel über die Gedankengänge und Überlegungen von Max, die psychologischen Grundlagen für dessen Handeln sind grundsätzlich nachvollziehbar, aber dennoch kaum glaubwürdig. Wer würde sich schon zum Schutze seiner Familie als Auftragskiller anheuern lassen? Aber geringere Vergehen? Wie weit würde man gehen, wenn man erpresst würde? Wieviel Unrecht würde man in Kauf nehmen, wenn andernfalls das Leben der eigenen Ehefrau, des eigenen Kindes bedroht würde? So verfängt sich die Hauptfigur in Lügen und Täuschungen, bis der Sog nicht mehr aufzuhalten ist. Fesselnd zeigt der Autor, wie schnell es geht, bis man sich in einer Sackgasse wähnt, keinen vernünftigen Ausweg mehr sieht. Das Ende der Geschichte, nun aus der Sicht eines Erzählers, hält noch so manche Überraschung bereit, aber auch hier gilt: realistisch scheint dies nicht zu sein.

Trotz aller Absurdität hält dieses Buch großartige Gedankenspiele bereit, lädt ein zum Nachdenken, wie weit man möglicherweise selber gehen würde, wann und wie man einen Schlussstrich setzen könnte. Welche Abgründe stecken in einem Menschen, wodurch können sie geweckt werden? Interessante Fragen wirft Max Reiter auch diesmal wieder auf, für außergewöhnliche Unterhaltung ist jedenfalls gesorgt.

Veröffentlicht am 22.04.2024

Mexiko

Die Blumentöchter (Die Blumentöchter 1)
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Ein stattliches Herrenhaus in Cornwall und eine prächtige Gärtnerei – das ist Dalias Heimat, in der sie bei ihren Großeltern aufgewachsen ist, nachdem ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist und der ...

Ein stattliches Herrenhaus in Cornwall und eine prächtige Gärtnerei – das ist Dalias Heimat, in der sie bei ihren Großeltern aufgewachsen ist, nachdem ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist und der Vater niemandem bekannt zu sein scheint. Nach dem Tod der geliebten Oma Rose kommen Tanten und Cousinen – wie bisher bei wichtigen Anlässen – zusammen und ordnen den Nachlass. Dabei taucht ein Brief auf Mexiko auf, eine erste mögliche Spur zu Dalias Wurzeln.

Eine wunderbare Familie umgibt Dalia, schon während der ersten Seiten lernt man neben Rose deren Kinder und Enkel kennen und darf sich sofort wohlfühlen inmitten dieser aufgeweckten Schar, in der trotz aller Unterschiede stets jeder für jeden da ist. Bald jedoch geht die Reise weit weg von der südenglischen Küste Richtung Mexiko, wo sich Dalia auf die Suche nach ihrem Vater begibt, mit nichts außer einem Vornamen in der Hand und dem Wissen um ein Forschungsstipendium ihrer Mutter für die Maya-Ausgrabungsstätten auf der Halbinsel Yucatan. Eine aufregende Zeit beginnt nicht nur für Dalia, sondern auch für die Leser, welche sie nach Mexiko-Stadt und zu den archäologisch wichtigen Punkten der Maya-Kultur begleiten dürfen. Überwältigende Eindrücke von Land und Leuten präsentiert Autorin Tessa Collins neben exzellent herausgearbeiteten Charakteren. Trotz ihrer anfänglichen Naivität als Engländerin vom Dorf zeichnet sich Dalia als zielstrebige und hartnäckige junge Frau aus, die rasch Freundschaften schließt mit den lebenslustigen und unkomplizierten Mexikanern. Etliche von ihnen schließen sich hilfsbereit an bei der Suche nach dem Unbekannten und fiebern mit ihr mit, ob es nicht einfacher wäre, eine Nadel im Heuhaufen zu finden.

Collins einfühlsamer Schreibstil nimmt die Leser schnell gefangen, die Annäherung an die Geschehnisse etwa 29 Jahre früher ist mit Rückblenden und persönlichen Erzählungen raffiniert umgesetzt. So vermischen sich Jetzt und Damals immer wieder (übersichtlich gekennzeichnet an den Kapitelanfängen) und decken nur nach und nach auf, wie alles begonnen hat. Sehr bewegende und berührende Szenen lösen regelmäßig ganz alltägliche Ereignisse ab, üppige Mahlzeiten bis mitten in die Nacht hinein dürfen nicht fehlen – und weil alles so spannend, herzzerreißend und aufwühlend ist, könnte man fast selbst aufs Essen vergessen.

Ein überaus emotionales Buch, das mir sehr nahe gegangen ist und an das heranzukommen wohl eine große Herausforderung ist für die noch folgenden Bände dieser Reihe. Ich bin jedenfalls sehr gespannt und freue mich jetzt schon auf weitere Geschichten über die Blumentöchter. Für Teil Eins gebe ich sehr gerne und voller Überzeugung eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 21.04.2024

Entscheidungen

Sieben Sommer
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Liv ist Künstlerin und arbeitet nebenher noch in der urigen Bar in ihrem Heimatdorf in Cornwall, wo sie eines Sommers den ehemaligen Schulkollegen Finn wieder trifft. Er ist inzwischen Sänger in einer ...

Liv ist Künstlerin und arbeitet nebenher noch in der urigen Bar in ihrem Heimatdorf in Cornwall, wo sie eines Sommers den ehemaligen Schulkollegen Finn wieder trifft. Er ist inzwischen Sänger in einer Band und lebt in Los Angeles. Für kurze Zeit kommen sie einander näher, ein Unglück prägt jedoch diese Liebe. Ob sie hält oder vergänglich ist, wird sich zeigen, wenn Finn abermals in seiner Heimat urlaubt. Im siebenten Sommer tritt Tom in Livs Leben, aber auch er hält Geheimnisse bereit und so muss Liv eine schwierige, wenn nicht gar unmögliche Entscheidung treffen.

Warmherzig und voller Poesie lädt Paige Toon in eine Welt voller Künstler ein: Liv ist Bildhauerin, Finn Sänger und Tom gestaltet Flächen aus Sand und Stein. Dazu kommt die schroffe Küstenlandschaft Cornwalls, welche Livs Zerrissenheit perfekt widerspiegelt. Sie liebt Finn und sie liebt Tom, ein qualvolles Auf und Ab beginnt, einen Ausweg aus ihrem Dilemma scheint es nicht zu geben. Liebenswerte Charaktere hat Paige Toon mit diesem wunderbaren Roman erschaffen, am liebsten möchte man sich selbst mit den fröhlichen Mittzwanzigern anfreunden, mit ihnen tanzen und die Zeit genießen. Geschickt springt die Autorin zwischen den Sommern der Vergangenheit und dem aktuellen Sommer hin und her, beleuchtet nach und nach das Geschehen, in das der Leser erst schrittweise eintauchen kann. Ein Wechselbad der Gefühle erwartet einen mit diesem Buch, die Unsicherheit, ob Liv das Richtige tut, ist groß, noch größer aber die Unfähigkeit, zu entscheiden, wie man selbst an ihrer Stelle handeln würde. Berührende Szenen, großartige Einblicke in Familien- und Freundeskreise lassen einen kaum innehalten, stets fiebert man beim Lesen mit, wie es im aktuellen Jahr weitergeht und was in der Zwischenzeit schon geschehen ist. Die Annäherung an Livs Zwickmühle ist ausgezeichnet gelungen, ohne schwülstig oder kitschig zu werden. Auch wenn man denkt, die Geschichte sei unrealistisch, so kann ich mir sie doch sehr gut so vorstellen und spüre noch immer die Emotionen, welche sich durch Toons recht glaubwürdige Beschreibungen deutlich entwickelt haben. Freude und Trauer, Jubel und Niedergeschlagenheit liegen so nah beisammen, das zeigt sich hier ganz klar, ob die Liebe einen Weg findet, das muss man unbedingt mitverfolgen.

Sieben Sommer ist ein wunderschönes Buch, das durch Toons Sprachmelodie punktet und den Leser auf eine Achterbahn der Gefühle mitnimmt mit einem überraschenden und durchaus stimmigen Ende. Ich empfehle es sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 20.04.2024

DDR - Flair

Das Schweigen des Wassers
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Mecklenburg, 1991: Hauptkommissar Grothe wird aus Hamburg zurückbeordert in seine Heimat und versieht als Aufbauhelfer Ost nun seinen Dienst in der Polizeiwache Wechtershagen. Der Bootsverleiher Siegmar ...

Mecklenburg, 1991: Hauptkommissar Grothe wird aus Hamburg zurückbeordert in seine Heimat und versieht als Aufbauhelfer Ost nun seinen Dienst in der Polizeiwache Wechtershagen. Der Bootsverleiher Siegmar Eck beklagt sich, verfolgt zu werden, zwei Tage später wird er tot am örtlichen See gefunden. Ertrunken, lautet die rasche Lösung des Falles, aber die Tatsache, dass Eck ein hervorragender Schwimmer war, lässt Grothes Bauchgefühl anderes vermelden. Rasch ist der Kommissar verstrickt in ein Netz aus Schweigen und Intrigen.

Hervorragend fängt Susanne Tägder das Flair der ehemaligen DDR ein, mit Frau Schulte, einer Tüte Schrippen, Plastebeutel und Nierentisch findet man sich als Leser sofort im Osten der beginnenden 1990er-Jahre wieder, in der Zeit kurz nach der Wiedervereinigung, welche geprägt ist von Entwurzelung, Misstrauen und Verunsicherung. Durch kluge Charakterisierung zeigen sich diese Merkmale in den handelnden Figuren, wodurch eine gewisse Düsternis und Fremdheit in der eigenen Heimat entsteht. Wie nebenbei fließt der Kriminalfall ins Geschehen ein, basierend auf einer wahren Begebenheit im Jahre 1979 in einem mecklenburgischen Dorf. Die Ermittlungen sind höchst interessant, fast noch faszinierender sind jedoch die Informationen zu Politik und persönlichen Schicksalen, welche nicht nur Hauptkommissar Grothe prägen. Ohne große Ausschweifungen konzentriert sich Tägder auf Wesentliches, beschreibt Gefühle und Stimmungen kurz und prägnant, ja beschränkt sich teilweise überhaupt nur auf Andeutungen, die die Hintergründe knapp ausleuchten. Die exakte Recherche zu Örtlichkeit und Zeit spürt man in jeder Zeile der Autorin, dass ihre Familie aus der Gegend des fiktiven Krimis stammt, trägt nicht unwesentlich zur Authentizität bei. Diesbezüglich gefällt mir das Interview mit Susanne Tägder zu Beginn des Buches sehr gut, es passt perfekt als Einstimmung.

Als Erzählzeit wird das Präsens gewählt, wodurch eine ganz besondere Atmosphäre entsteht, der Leser spürt die Enge des Ostens, eine gewisse Bedrücktheit und Distanziertheit, die sich auch auf die Ermittlungstätigkeit erstreckt. Ohne Grothes Hartnäckigkeit wäre der Tod des Bootsverleihers längst als Unfall zu den Akten gewandert, so jedoch entwickeln sich interessante, wenn auch eher träge dahin dümpelde Nachforschungen, die schlussendlich auch zu einem logischen Ergebnis führen.

Fazit: ein Kriminalroman, der vor allem durch den Schreibstil und durch die atmosphärischen Szenen punkten kann.