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Veröffentlicht am 25.04.2021

Wider den Rassismus

Drei Kameradinnen
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Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ erzählt die Geschichte von drei Freundinnen - Hani, Kasih und Saya -, die in einer Siedlung zusammen aufwuchsen und sich nun anlässlich einer Hochzeit in Berlin ...

Shida Bazyars Roman „Drei Kameradinnen“ erzählt die Geschichte von drei Freundinnen - Hani, Kasih und Saya -, die in einer Siedlung zusammen aufwuchsen und sich nun anlässlich einer Hochzeit in Berlin für einige Tage wieder treffen. Sie sind einander eng verbunden und verstehen sich ohne Worte. Kasih ist die zunächst namenlose Ich-Erzählerin, die Ereignisse aus der Vergangenheit und Gegenwart erzählt, aber nichts Genaues über den Hintergrund ihrer Familien und die Umstände ihrer Flucht. Die Erzählung ist nicht chronologisch, und die Erzählerin holt oft sehr weit aus. Hauptthema sind der alltägliche Rassismus und die wachsende Bedrohung durch Neonazis und Rechtspopulismus. Die Erfahrung von Ausgrenzung und Benachteiligung ist für sie Normalität, denn trotz guter Schulabschlüsse, bei denen ihnen die Bestnoten verweigert werden, finden sie keinen Job, der ihrer Qualifikation entspricht. Zur Sprache kommt auch der NSU-Prozess ohne ausdrückliche Nennung, der auf jahrelange Morde an Muslimen folgt, obwohl die Gruppe durch einen Informanten des Verfassungsschutzes infiltriert war und die Behörden eigentlich frühzeitig Bescheid wissen mussten. Bei Brandanschlägen und Terrorakten aller Art gibt es schnelle Schuldzuweisungen. Die mutige Saya, die ihre Wut oft nicht unter Kontrolle hat, soll einen Brand gelegt haben und wird verhaftet.
Bazyars Roman ist in mancher Hinsicht ungewöhnlich. Immer wieder wendet sich die Autorin direkt an die Leser, spekuliert über ihre Reaktion und fragt nach ihrer Meinung. Das Thema ist wichtig und bedenkenswert, aber es gibt zu viel Wiederholung, zu viel Gleichartiges. Jeder weiß, dass eine in einem Roman erzählte Geschichte Fiktion ist, aber dass eine Autorin durch ihre Erzählerin die Romanillusion am Ende zerstört, nachdem sie zuvor schon mehrfach zugegeben hat, dass sie gelogen hat, dass alles in Wirklichkeit ganz anders war, ist schon ungewöhnlich. Mir gefällt auch die Sprache nicht. Sie ist sehr direkt, zum Teil derb, umgangssprachlich und sehr speziell. Was genau muss man sich unter einer Arschfuhr vorstellen?
Insgesamt bin ich etwas enttäuscht von dem Buch.

Veröffentlicht am 16.03.2021

Finanzwelt am Abgrund

Montecrypto
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Der Start-up-Unternehmer Gregory Hollister hat ein vermutlich riesiges Vermögen in der Kryptowährung Bitcoin angelegt, als er eines Tages bei einem Flugzeugabsturz stirbt. Seine Halbschwester beauftragt ...

Der Start-up-Unternehmer Gregory Hollister hat ein vermutlich riesiges Vermögen in der Kryptowährung Bitcoin angelegt, als er eines Tages bei einem Flugzeugabsturz stirbt. Seine Halbschwester beauftragt den Privatdetektiv Ed Dante mit der Suche nach dem digitalen Vermögen. Es beginnt eine Schnitzeljagd mit immer neuen Hinweisen, an der sich bald nicht nur die Bloggerin Mercy Mondego, sondern Tausende von Internetnutzern, Geheimdienste und allerlei zwielichtige Gestalten beteiligen. Dante hat zwar als ehemaliger Banker Erfahrungen im Finanzwesen, aber kennt sich mit digitalen Währungen nicht besonders aus. So ist er oft auf Mercys Unterstützung angewiesen. Er weiß, dass sein Auftrag nicht ungefährlich ist und jeder seiner Schritte beobachtet wird. Er kommt viel herum, fliegt in die Schweiz, nach New York, zurück nach Kalifornien und schließlich nach Mexiko, wo ihn und den Leser die Auflösung aller Rätsel erwartet, und schließlich kommt alles anders, als man dachte. Der finale Showdown verdeutlicht auch dem Laien, wie nah wir einer weltweiten Bankenkrise und dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft jederzeit sind. Hillenbrand hat einen ungewöhnlichen Roman über ein nicht gerade gängiges Thema geschrieben, der eigentlich Kenntnisse über Finanzmärkte, Kryptowährungen und das hier übliche spezielle Vokabular voraussetzt. Auch sonst ist dieser Roman sprachlich besonders. Mir gefällt der Humor, aber nicht die teilweise recht derbe Wortwahl des Autors. Auch ist der dem Genre des Thrillers zugewiesene Roman nicht durchgängig spannend. Mich überzeugt er nicht völlig.

Veröffentlicht am 22.11.2020

Keine Tat bleibt ungesühnt

Ohne Schuld
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In “Ohne Schuld“, dem neuen Krimi um Detective Sergeant Kate Linville, schießt ein Unbekannter in einem Zug auf eine junge Frau. Zufällig befindet sich die Polizistin im Zug und kann die Frau in Sicherheit ...

In “Ohne Schuld“, dem neuen Krimi um Detective Sergeant Kate Linville, schießt ein Unbekannter in einem Zug auf eine junge Frau. Zufällig befindet sich die Polizistin im Zug und kann die Frau in Sicherheit bringen. Wenig später wird eine andere Frau schwer verletzt, als sie mit dem Fahrrad in einen über den Weg gespannten Draht gerät. Auch auf diese Frau wird geschossen, aber sie wird nicht getroffen. Die Schüsse stammen aus derselben Waffe. Die Polizei steht vor einem Rätsel, weil es keinerlei Überschneidungen im Leben der beiden Frauen gibt. Kate ermittelt mit Hilfe ihres suspendierten Chefs Caleb Hale und gerät dabei selbst in Lebensgefahr. Es wird ein langer Weg bis zur Lösung der beiden Fälle. Kate wird sich wegen ihres eigenmächtigen Handelns verantworten müssen. Ihre Zukunft ist am Ende genauso ungewiss wie die von Caleb Hale.
Es fängt interessant und spannend an und liest sich zunächst hervorragend. Gegen Ende lässt die Spannung jedoch erheblich nach, weil der Leser da längst Täter und Motiv kennt. Der letzte Teil hat deutliche Längen. Mich stört auch das halboffene Ende, das auf die geplante Fortsetzung der Reihe um Kate Linville hindeutet. Insgesamt bin ich ein wenig enttäuscht.

Veröffentlicht am 23.08.2020

Niemals aufgeben

Wilde Freude
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Im Mittelpunkt von Sorj Chalendons neuem Roman “Wilde Freude“ steht die Buchhändlerin Jeanne Hervineau. Sie erfährt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Die gute Nachricht: ihr wird nicht die Brust amputiert, ...

Im Mittelpunkt von Sorj Chalendons neuem Roman “Wilde Freude“ steht die Buchhändlerin Jeanne Hervineau. Sie erfährt, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Die gute Nachricht: ihr wird nicht die Brust amputiert, aber sie muss monatelang eine Chemo-, danach eine Strahlentherapie machen. Ihr Mann Matt reagiert abweisend und kalt. Er kann ihren Anblick und Geruch schon bald nicht mehr ertragen und verlässt sie. Da trifft es sich gut, dass sie bei der Therapie die empathische Brigitte kennenlernt, die sie schon bald einlädt, in die WG mit den Freundinnen Assia und Melody einzuziehen, die alle dasselbe durchmachen. Drei von ihnen teilen im Übrigen auch die Erfahrung, ein Kind verloren zu haben. Jeannes Sohn Jules starb mit sieben Jahren an einer unheilbaren Krankheit. Seit seinem Tod ist die Beziehung zu Matt bereits zerrüttet. Bei den drei Frauen fühlt sich Jeanne geborgen und fasst allmählich neuen Lebensmut. Sie verändert sich auch sonst, entschuldigt sich nicht mehr ständig, was ihr den Spitznamen Jeanne Sorry eingebracht hat. Sie merkt, dass sie ein Leben lang unauffällig und angepasst sein wollte. Jetzt nimmt sie ihr Schicksal in die Hand und wird zur mutigen Kämpferin. Diese Eigenschaft wird gebraucht, als die vier Frauen einen Überfall auf ein Juweliergeschäft planen, um einer von ihnen aus ihrer Notlage zu helfen. Dadurch bekommt der Roman, der in der ersten Hälfte eher von Traurigkeit angesichts der vielleicht tödlichen Krankheit dominiert wird, Elemente eines Thrillers mit zunehmender Spannung. Wilde Freude vermisse ich allerdings weitgehend – abgesehen von der Tatsache, dass die Frauen ihr Leben trotz aller Schmerzen und Ängste so normal wie möglich weiterführen.
Ich kenne fast alle Romane von Chalendon. Dieser ist anders und gefällt mit aus verschiedenen Gründen weniger als die anderen. Das liegt einmal an den detaillierten Beschreibungen der Krankheit und den Therapien mit den verheerenden Begleiterscheinungen, zum anderen an der nicht immer besonders plausiblen Romanhandlung – hier vor allem der bewaffnete Überfall. Positiv zu bewerten ist auf jeden Fall, dass die Geschichte den Leser nicht hoffnungslos zurücklässt. Dafür sorgt schon die beschriebene Solidarität und Freundschaft unter den Frauen, die ihnen den Mut und die Kraft zu kämpfen gibt. Bedingt zu empfehlen.

Veröffentlicht am 14.06.2020

Die Geschichte eines langen Abschieds

Kostbare Tage
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Auch Kent Harufs nunmehr in deutscher Übersetzung vorliegender Roman „Kostbare Tage“ spielt in der fiktiven Kleinstadt Holt in den Great Plains in Colorado. Im Mittelpunkt stehen der Eisenwarenhändler ...

Auch Kent Harufs nunmehr in deutscher Übersetzung vorliegender Roman „Kostbare Tage“ spielt in der fiktiven Kleinstadt Holt in den Great Plains in Colorado. Im Mittelpunkt stehen der Eisenwarenhändler „Dad“ Lewis, seine Frau Mary und Tochter Lorraine. Dad hat Krebs im Endstadium und nur noch kurze Zeit zu leben. Seine Familie umsorgt ihn, begleitet ihn liebevoll in dieser letzten Phase, aber auch die Nachbarn kümmern sich und unterstützen die Familie. Nur einer fehlt: Frank, der Sohn und Bruder. Der homosexuelle Frank hatte schon als junger Mann das Elternhaus im Streit verlassen. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist nicht bekannt. In Holt kennt jeder jeden, weiß alles über alle anderen. Da sind Menschen, die anders sind, nicht wohl gelitten. Das bekommt auch Reverend Lyle, der neue Pastor, zu spüren, der schon seine letzte Gemeinde in Denver unter unschönen Umständen verlassen musste. Seine auf der Bergpredigt basierende Auslegung der Aufforderung, seine Feinde zu lieben, legen die meisten Gemeindemitglieder voller Zorn und Ablehnung zu seinem Nachteil aus und beschimpfen ihn als Terroristenfreund. Es gibt einen enormen Zusammenhalt und mitmenschliches Verhalten in dem kleinen Ort, aber sofortige Ausgrenzung, wenn jemand sich nicht anpasst. Auch Lyles Familie wird zum Problem.
In Harufs Roman gibt es keine spektakuläre Handlung. Es geht um die Darstellung des ganz normalen Alltags in einer typischen amerikanischen Kleinstadt. Gleichzeitig liefert der Autor ein berührendes Porträt des Sterbenden, der sich an wichtige Begebenheiten in seinem Lieben erinnert, harte Entscheidungen in der Vergangenheit bereut, die er teilweise durch aktive Hilfe mildern konnte, wobei allein das Zerwürfnis mit seinem Sohn nicht durch Verzeihen und Aussöhnung aus der Welt geschafft werden kann. An seinem Sterbebett erscheinen die Geister der Vergangenheit, aber nicht alles lässt sich zum Abschluss bringen. Harufs Roman berührt, allerdings präsentiert er keine sensationell neuen Erkenntnisse, sondern so manches Klischee. Es menschelt ein bisschen zu sehr, und zum Ende hin wird die Geschichte zunehmend melodramatisch. “Unsere Seelen bei Nacht“ und “Lied der Weite“ haben mir besser gefallen.