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Veröffentlicht am 27.02.2024

Fremde Federn

Yellowface
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Die junge Autorin June Hayward schreibt mehr so vor sich hin und hofft auf einen Durchbruch, während ihre gleichaltrige Bekannte Athena Liu bereits eine Bestseller-Autorin ist. June kommt nicht umhin sich ...

Die junge Autorin June Hayward schreibt mehr so vor sich hin und hofft auf einen Durchbruch, während ihre gleichaltrige Bekannte Athena Liu bereits eine Bestseller-Autorin ist. June kommt nicht umhin sich zu vergleichen und schamhafte Gründe zu erfinden, warum Athena mehr Erfolg hat als sie selbst, zum Beispiel wegen der heutzutage geforderten und gefeierten Diversität und Athenas asiatischer Abstammung. Eines Abends erstickt Athena, als June zu Besuch ist. Obwohl dieser Todesfall tatsächlich ein Unfall ist und June sich in dieser Hinsicht nichts zu Schulde kommen lässt, sackt sie beim Verlassen der Wohnung noch schnell das bisher unveröffentlichte und ungesehene Manuskript von Athena ein. Es wird unter Junes Namen veröffentlicht und prompt zum Bestseller - ist also doch nicht nur alles Auftreten und Marketing, sondern wirklich Talent? Und wie passen Junes weiße Herkunft und das Thema des Buches, nämlich chinesische Soldaten im ersten Weltkrieg, zusammen?

Der Schreibstil von Rebecca F. Kuang und die Protagonistin June sind von der ersten Seite an einnehmend und so ehrlich und offen, dass es mir großen Spaß gemacht hat in das Buch einzutauchen. June hat einen unzensierten Blick auf ihre Freundschaft oder eher Bekanntschaft mit Athena. Ganz unverblümt werden hier Nähe und Faszination, aber auch Neid und Eifersucht aufgezeigt. Spannend fand ich dabei, dass ich Protagonistin June irgendwie sympathisch fand, obwohl sie sich so sehr vergleicht und Athenas bisherigen Ruhm in der Literaturszene herunterspielt und relativiert.

Dieser lebendige Schreibstil zieht sich auch weiter durch, wenn es immer mehr um die Literaturszene, Agenturen, Verlage und die Own-Voices-Debatte geht. June veröffentlicht als weiße Autorin ein Buch über chinesische Soldaten im ersten Weltkrieg und natürlich muss sie sich damit auseinandersetzen bzw. wird eher konfrontiert damit, dass sie keine asiatischen Wurzeln hat. Ganz spannend war hier zu lesen, wie June das für sich und die Presse rechtfertigt. Es geht viel darum, was Autor:Innen dürfen oder nicht dürfen, ob jemand zensiert werden sollte, ob mit viel Recherche- und Sensitivity-Arbeit nicht auch einem Blick “von außen” die Chance auf eine Publikation gegeben werden soll. Und dann zählt sie auch Beispiele aus ihrer Zeit mit Athena auf, die ja “bloß” chinesischer Abstammung war, aber immer in westlichen Schulen und Unis gelernt hat, kein Chinesisch spricht und auch niemals dort gelebt hat. Es geht um die Frage, ob man mit gewissen Wurzeln das Recht und gewissermaßen auch die Pflicht hat bestimmte Geschichten zu erzählen oder eben nicht. Das fand ich sehr spannend und vor allem clever gemacht, schließlich ist Rebecca F. Kuang selbst auch asiatisch-amerikanisch und “darf” somit so eine Geschichte schreiben. Wie wäre “Yellowface” aber angekommen, steckte eine weiße Autor:in dahinter? Es ergeben sich durch dieses Buch auf jeden Fall ganz spannende Fragen, Gedankenspiele und Einblicke in den Literaturbetrieb.

Zitat:
> Wer hat das Recht über Leid zu schreiben? (S. 131)

Gleichzeitig gibt es auch Beispielszenen, in denen Athena ein Stück koreanische Geschichte literarisch “für sich beansprucht”, obwohl sie keinerlei koreanische, sondern chinesische Wurzeln hat. Reicht es in den USA (oder auch hierzulande) dann schon, asiatische Wurzeln zu haben? Wie detailliert wollen es die Kritiker:innen wissen und wo wird die Grenze gezogen? Wollen die Verlage und Leser:innen überhaupt andere Bücher von Autor:innen mit Migrationsgeschichte in der Familie lesen, als welche, die mit dieser Migration im entferntesten Sinne zu tun haben? Das Buch war für mich vor allem wegen dieser sehr spannenden Diskussion eine wahre Freude.

Zitat:
> “Ich weiß nicht”, murmele ich. “Ganz ehrlich, Mr Lee, ich weiß nicht, ob ich die richtige Person war, um diese Geschichte zu erzählen.” Er drückt meine Hände fester. Sein Gesicht ist so gütig, ich fühle mich scheußlich. “Sie sind genau richtig”, versichert er. “Wir brauchen Sie. Mein Englisch ist nicht so gut. Ihre Generation kann sehr gutes Englisch. Sie können denen unsere Geschichte erzählen. Dafür sorgen, dass sie sich an uns erinnern.” Er nickt bestimmt. “Ja. Sorgen Sie dafür, dass sie sich an uns erinnern.” (S. 146)


Mit der Zeit reißt June immer mehr Grenzen ein und obwohl bei mir die Sympathie vollkommen umgeschwenkt ist, hat es weiterhin sehr viel Spaß gemacht, den Roman zu lesen. Es war lebendig, spannend und interessant und neben der Debatte um “Wer darf eigentlich was veröffentlichen” geht es auch um soziale Medien und deren Macht. Ist einmal ein Shitstorm ausgelöst, lässt er sich nicht mehr zurückholen und die betroffenen Personen leiden darunter für immer. Auch das fand ich gut dargestellt, auch wenn das Thema bereits häufiger in Romanen verarbeitet wurde und mich nicht so sehr beeindruckt hat wie das zentrale Thema rund um Identität, Authentizität und die Funktionsweise der Literatur- und Verlagswelt.

Zitat:
> “ […] Und wenn Athena als Erfolgsgeschichte gilt, was bedeutet das für den Rest von uns?”, Candices Stimme wird hart. “Weißt du, wie es ist, wenn man ein Buch pitchen will und sie dir sagen, dass sie schon eine asiatische Autorin haben? Dass sie nicht zwei Minderheitengeschichten in einem Programm haben können? Dass Athena Liu bereits existiert und du damit überflüssig bist? Diese Branche baut darauf auf, uns mundtot zu machen, uns in den Boden zu stampfen und weißen Menschen Geld in den Rachen zu werfen, damit sie rassistische Stereotype von uns reproduzieren.” (S. 366)

Kuangs Schreibstil, die Gedankenanstöße, die Charakterentwicklung und die ganze Metaebene in diesem Buch haben mir sehr gefallen. Ich habe mich selbst hinterfragt und wurde gleichzeitig unterhalten, ein sehr kurzweiliges und empfehlenswertes Buch am Puls der Zeit!

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Veröffentlicht am 30.01.2023

Ein Buch für mehr Sichtbarkeit

Macht
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Der erste ins Deutsche übersetzte Roman der norwegischen Autorin Heidi Furre ist zwar ein kurzes, dafür aber sehr eindringliches Werk. Sie schreibt von Pflegerin Liv, die auf den ersten Blick ein "normales" ...

Der erste ins Deutsche übersetzte Roman der norwegischen Autorin Heidi Furre ist zwar ein kurzes, dafür aber sehr eindringliches Werk. Sie schreibt von Pflegerin Liv, die auf den ersten Blick ein "normales" Leben mit Job, Haus, Mann und Kindern führt. Dass sie in ihrer Studienzeit vergewaltigt wurde und auch Jahre später mit den Nachwirkungen zu kämpfen hat, versucht Liv nicht nur vor ihrem Umfeld, sondern auch vor sich selbst zu verstecken.

Dass dieses Thema keine leichte Kost wird, merkt man schon auf den ersten Seiten. Es gibt keine richtigen Kapitel, das Buch ist eher eine Ansammlung aus alltäglichen Momenten und Situationen. Die Protagonistin Liv beschreibt ganz eindrücklich wie allgegenwärtig die Tat in ihr nachwirkt. Überall lauern Erinnerungen, Gefahren, Gedanken, mögliche Betroffene, Überlebende sowie Täter. Liv kann keinen Schritt mehr gehen ohne an die furchtbare Tat zu denken. Mal analysiert sie mehr sich selbst beziehungsweise ihr früheres Ich und mal mehr den Täter, wobei sie immer wieder zwischen Verständnis, Wut, Schuldzuweisungen, Verharmlosung und Hoffnung schwankt. Jedes dieser kurzen Kapitel und Abschnitte hat auf mich sehr beklemmend, aber auch sehr authentisch gewirkt.

"Manchmal ist es schlimmer zu sagen, ich bin vergewaltigt worden, als tatsächlich vergewaltigt worden zu werden. Als würde man eine Todesnachricht überbringen. Man muss dabei zusehen, wie die anderen mit Abscheu reagieren. Für sie ist die Abscheu nur ein vorübergehendes Gefühl, etwas, das sie ablegen können. Aber in mir hat sie einen festen Platz, wie ein inneres Organ." (S. 135)

Im Roman "Macht" kommt auch zur Sprache wie die Gesellschaft im Allgemeinen mit Vergewaltigungen umgeht. Zum Beispiel, ob es nun Opfer oder Überlende/r heißt, oder die immer wieder auftretenden Skandale um Schauspieler, Musiker, Patriachen, die aber nach wenigen Wochen wieder in der Versenkung verschwinden. Ich fand es spannend und auch realistisch, solche Aspekte aus Sicht einer Betroffenen zu lesen. Liv wirkt so authentisch, dass ich manchmal vergessen habe, dass es sich hier um ein fiktionales Werk handelt.

Denn auch gewisse Zwänge und Verhaltensmuster, die die Protagonistin entwickelt hat, haben mich sehr getroffen und wirkten gleichzeitig schlüssig. Sehr eindrücklich waren Livs Gedanken über ihre beiden Kinder und wie sie einerseits mit Erstaunen und Stolz dabei zusieht, wie sie aufwachsen und (noch) Vertrauen in die Menschheit haben, andererseits mit Sorge und Wut darauf blickt.

Heidi Furre hat mit "Macht" ein ganz wichtiges und eindringliches Buch geschrieben. Es war stellenweise schwer zu lesen, aber gleichzeitig finde ich die Sichtbarkeit absolut notwendig und bin dankbar für diesen Roman.

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Veröffentlicht am 31.03.2022

Zwischen Tradition und Emanzipation

Dschinns
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Wenn ein Buch diesen Februar so richtig durch die Decke ging, dann war es „Dschinns“ von Fatma Aydemir. Die Autorin erzählt in diesem Roman von einer türkisch-deutschen Familie. Vater Hüseyin kam in den ...

Wenn ein Buch diesen Februar so richtig durch die Decke ging, dann war es „Dschinns“ von Fatma Aydemir. Die Autorin erzählt in diesem Roman von einer türkisch-deutschen Familie. Vater Hüseyin kam in den 1970ern nach Deutschland, hat jahrelang geschuftet und gespart und sich nun den Traum einer eigenen Immobilie in Istanbul erfüllt. Kurz nach dem Einzug verstirbt er jedoch an einem Herzinfarkt und so stehen seine Frau Emine und seine zum Großteil in Deutschland aufgewachsenen Kinder plötzlich alleine mit einer Wohnung in der Türkei, einem Leben in Deutschland und Verbindungen zu beiden Ländern da. In verschiedenen Perspektiven geht die Autorin den Gefühlen und Schicksalen der Mitglieder dieser Familie auf den Grund. 

Gerade der Einstieg in Form einer Ansprache an Hüseyin hat mich total in das Buch gezogen, gefesselt und emotional mitgenommen. Der Schreibstil von Fatma Aydemir ist sehr intensiv und trifft genau auf den Punkt. Dabei werden Redewendungen und Bilder benutzt, die ich so noch nicht gelesen habe. Stilistisch hat mich der gesamte Roman wirklich beeindruckt.

Durch die Vielzahl der Perspektiven schafft die Autorin es natürlich auch eine Vielzahl von Themen anzuschneiden. Ich schreibe hier bewusst „anschneiden“, denn jedes einzelne Familienmitglied bietet wahrscheinlich eine eigene Romanvorlage. Interessant fand ich vor allem, wie sehr sich das Verhältnis der vier Kinder zur türkischen Kultur und zu den Eltern gestaltet. Sevda ist die älteste Tochter und bis in ihre Pubertät hinein bei den Großeltern in der Türkei geblieben, während der jüngste Sohn Ümit in Deutschland geboren wird. Allein der Blick auf die Eltern und umgekehrt war in jedem Romanabschnitt sehr bereichernd, interessant und vielschichtig.

Auch ein starker Aspekt ist das Thema Emanzipation im Kontrast mit den Traditionen und Idealbildern der Gesellschaft und der Eltern. Und damit meine ich nicht nur Hüseyin und Emine als Eltern, denn schon Emine selbst fühlte sich in ihrer Jugend bevormundet und machtlos. Fatma Aydemir hat einen sehr ehrlichen Blick auf diesen Teufelskreis geworfen, der sich auch in anderen Kulturen und Familien über Generationen wiederholt.

Alles in allem hat „Dschinns“ mich ebenfalls überzeugt. Ein ganz toller Roman über die Geschlechterbilder in der Türkei und Deutschland, über eine Mirgrationsgeschichte, über das Verhältnis von Kurden und Türken, über Identität, Toleranz und Diskriminierung. Und das alles sehr sehr kraftvoll und bildlich erzählt. Ganz stark!

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Veröffentlicht am 14.03.2022

Mehr Social Media Aufklärung als psychologische Raffinesse

Die Kinder sind Könige
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Die sechsjährige Influencerin Kimmy Diore verschwindet eines Nachmittags plötzlich. Ihre Mutter Mélanie, die sonst fast pausenlos das Leben ihrer Kinder Kimmy und Sammy filmt, hat sie für einen Augenblick ...

Die sechsjährige Influencerin Kimmy Diore verschwindet eines Nachmittags plötzlich. Ihre Mutter Mélanie, die sonst fast pausenlos das Leben ihrer Kinder Kimmy und Sammy filmt, hat sie für einen Augenblick beim Spielen aus den Augen gelassen. Wir begleiten sowohl Mélanie als auch Ermittlerin Clara in den Stunden und Tagen nach Kimmys Verschwinden und erfahren auch einiges aus deren Vergangenheiten und Werdegängen. Delphine de Vigan wirft in ihrem neusten Roman einen Blick hinter die Kulissen der Branche der Kinder-Influencer.

Delphine zählt zu meinen Lieblingsautorinnen und gerade ihr Roman „Loyalitäten“, indem sie ebenfalls über einen psychisch in Schieflage geratenen Jungen schrieb, hat mich sehr begeistert. Deswegen war ich tatsächlich ein wenig ernüchtert, dass es vor allem um die Gefühle und Innensichten von Kimmys Mutter und Ermittlerin Clara geht und nur indirekt um Kimmys und Sammys Stellung zu ihrem aufgezwungenen Star-Dasein. Für mich war es leider psychologisch und emotional nicht so intensiv, wie ich es von Delphine aus den Büchern kenne, die ich von ihr am liebsten gelesen habe.

Auch die Aufbereitung des Themas hat sich für mich nicht so gelesen, als würde ich zur Zielgruppe des Romans gehören. Die sozialen Medien und ihre Nutzung bzw. Monetarisierung werden in den Ermittlungen immer wieder erklärt und immer wieder finden Clara und ihre KollegInnen es unvorstellbar, wie viel Geld mit Videomaterial verdient werden kann. Das verlangsamte für mich das Tempo des Romans enorm und war teilweise sogar etwas langweilig. Vieles, was im Buch in Claras Augen ein „Durchbruch“ oder „Eye-Opener“ war, war für mich nicht neu und hat die Polizeiarbeit in ein sehr unprofessionelles Bild gerückt. Ich habe mich so gefühlt, als würde mir als Leserin nicht genügend Medienkompetenz zugetraut.

Trotzdem ist der Schreibstil auch in „Die Kinder sind Könige“ sehr präzise, wenig ausschweifend und exakt pointiert. Die Kombination aus Kriminalfall und Charakterstudie der beiden erwachsenen Frauen hat mich trotz meiner anders gelagerten Erwartungen unterhalten und es war aufgrund des Stils auch sehr angenehm und spannend, das Buch zu lesen. Ein solider Roman, der mich aber leider nicht komplett überzeugen konnte. Für mich hätte es weniger Aufklärung über Influencer und Social Media sein können und dafür mehr psychologische Raffinesse und intensivere Emotionen. Eben wieder mehr Delphine de Vigan.

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Veröffentlicht am 25.02.2022

Selbsthilfe für "Fortgeschrittene"

Sei stärker als die Angst
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An Sorgen, Ängsten und Phobien leiden wahrscheinlich mehr Menschen als man zunächst annehmen würde. Darüber offen zu sprechen ist jedoch leider immer noch ein Tabu-Thema oder zumindest ein sehr selten ...

An Sorgen, Ängsten und Phobien leiden wahrscheinlich mehr Menschen als man zunächst annehmen würde. Darüber offen zu sprechen ist jedoch leider immer noch ein Tabu-Thema oder zumindest ein sehr selten angesprochenes in unserem täglichen Miteinander. Sabrina Fleisch ist selbst Betroffene, gibt ihre persönlichen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien nun als Coach weiter und hat mit „Sei stärker als die Angst“ ein „Arbeitsbuch“ geschrieben, welches Besserung verspricht.

Zugegeben, der Untertitel „Ein Arbeitsbuch, das dein Leben verändern wird“ klingt nicht besonders seriös, dennoch lohnt sich die intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten. Das Buch enthält sehr viele Aufgaben und Fragen und dazu auch den passenden Platz zum Aufschreiben, Malen, Reflektieren und Ehrlich sein. Die Bearbeitung braucht Zeit und Mut, in ein paar Tagen ist man nicht durch und auch nach Abschluss eines Kapitels lohnt es sich, nach einigen Wochen wieder zurückzublättern und erneut zu reflektieren.

Vorneweg sei gesagt, dass das Buch aus einer sehr nahbaren und emotionalen Art auf das Thema blickt. Die Autorin ist keine Psychotherapeutin oder Angstforscherin und kann nur aus ihren eigenen Erfahrungen und denen ihrer KlientInnen berichten. Wer theoretische Hintergründe und fundierte Studien sucht, ist deswegen bei diesem Buch an der falschen Adresse. Es handelt sich wirklich um sehr praxisnahe Aufgaben, die fast schon an ein intensives aber wohlwollendes Gespräch erinnern.

Mir hat vor diesem Hintergrund definitiv der Hinweis auf weitere Möglichkeiten wie z.B. Psychotherapie und Selbsthilfegruppen gefehlt. Gerade Personen mit akuten und schweren Angststörungen sollten sich nicht allein auf Ratgeber wie diesen hier verlassen, sondern sich professionelle Hilfe suchen und mit ihrem Umfeld sprechen, auch wenn das zunächst einmal eine unüberwindbare Aufgabe zu sein scheint. Der Glaube, mit ein paar Selbsttests wäre die „Diagnose“ klar und mit ein paar Textaufgaben die Angst aufgelöst, ist irreführend und das hätte die Autorin meiner Meinung nach auch ganz klar herausstellen müssen!

Mich persönlich hätte das Buch wahrscheinlich überfordert oder ich hätte es eher halbherzig ausgefüllt ohne zum wahren Kern zu gelangen, hätte ich nicht schon einige Jahre der Psychotherapie hinter mir. Für mich persönlich hat das Buch aber eine gute Ergänzung zur Therapiearbeit dargestellt und viele Übungen haben mir beim Ausfüllen geholfen, mich selbst wieder besser zu verstehen und Erkenntnisse zu verinnerlichen und zu wiederholen.

Das Format des Buches ist zum richtigen Arbeiten und Notieren tatsächlich eher ungeeignet, denn das Reinschreiben gestaltet sich wegen der Klappenbroschur eher ungemütlich. Das führte bei mir leider dazu, dass ich manchmal Antworten abgekürzt oder so hingekritzelt habe, dass ich es in ein paar Wochen wahrscheinlich nicht mehr so gut entziffern kann.

Insgesamt finde ich den Untertitel zwar immer noch etwas unglücklich und würde das Buch eher denjenigen empfehlen, die sich selbst und ihre Ängste schon ganz gut kennen und im besten Fall auch mit professioneller Begleitung daran arbeiten oder gearbeitet haben. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Denkmustern und Impulsen, die beim Lesen kommen, empfand ich aber als sehr wertvoll, und der Stil der Autorin ist definitiv sehr positiv und motivierend.

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