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Veröffentlicht am 20.01.2022

Lebensgefährliche Wahrheitssuche

Todland
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Nach der Lektüre von "Winterland" des dänischen Autorengespanns Kim Faber und Janni Pedersen stand für mich fest: Ich will unbedingt wissen, wie es weiter geht? Warum wurden die Ermittler bei ihrer Arbeit ...

Nach der Lektüre von "Winterland" des dänischen Autorengespanns Kim Faber und Janni Pedersen stand für mich fest: Ich will unbedingt wissen, wie es weiter geht? Warum wurden die Ermittler bei ihrer Arbeit an der Aufklärung eines Teroranschlags auf den Kopenhagener Weihnachtsmarkt gestoppt? Der Tod eines Geheimdienstmannes, der die Polizistin Signe anonym kontaktiert hatte, er konnte doch kein Zufall gewesen sein?

Mit dem nun erschienenen zweiten Band "Todland" dauerte das Warten zum Glück nicht so lange - und es hat sich gelohnt. Denn Vertuschung und Verschleierung auf höchster Ebene bleiben hier eines der großen Themen. Wie im Vorgängerband kommt auch das Privatleben der Ermittler, vor allem von Signe und ihrem ehemaligen Kollegen Juncker, nicht zu kurz - und jenseits der politischen Ebene ist es ein Kriminalfall im semiprivaten Umfeld, der Juncker umtreibt.

Das Thema Aufklärung verlagert sich diesmal zunächst weg von den Polizisten und hin zu Junckers Noch-Ehefrau Charlotte, einer Investigativjourmalistin. Ein unbekannter Informant spielt ihr zwei Emails zu, die andeuten, dass Informationen zu dem geplanten Terroranschlag vorlagen und die Sicherheitsbehörden nicht rechtzeitig etwas unternahmen. Während Charlotte diese Information weiter verfolgt, wird bald klar, dass Wissen in diesem Fall tödlich sein könnte.

Eine junge Hackerin und Sinje verbünden sich mit Charlotte im Kampf um die Wahrheit, während Juncker im Fall eines ermordeten Anwalts ermittelt, der einst der Geschäftspartner seines Vaters war. Der Besuch seiner Tochter und die Neuigkeit, dass er Großvater wird, sind nicht nur eine willkommene Abwechslung, sie zwingen Juncker auch zur Auseinandersetzung mit seinem Vater, zu dem er ein Leben lang eine schwierige Beziehung hatte. Als seine Tochte die Tagebücher des toten Großvaters liest und auch Juncker zur Lektüre auffordert, findet er nicht nur einen neuen Zugang zu seinem Vater, sondern auch einen Hinweis, der mit seinem neuen Fall zu tun haben könnte.

Faber und Pedersen verbinden erneute Privates und Politisches, Polizeiarbeit und die ganz eigenen Interessen der Sicheheitsdienste. Einsamkeit, Beziehungen, Misstrauen in persönlichen und beruflichen Verhältnissen, viele Geheimnisse und Versuche, die Wahrheit um jeden Preis zu verhindern - Todland ist höchst spannend und gleichzeitig überzeugend auf der menschlichen Ebene. Die Figuren sind keine Supermänner und -frauen, sondern voller Schwächen und Unsicherheiten.

Die Autoren überzeugen mit realistischen Protagonisten und einer glaubwürdigen Schilderung von Polizeiarbeit und Journalismus - letzteres ist kein Wunder, da beide aus dem Bereich kommen und sich auch hauptberuflich mit Polizei und Justiz befasst haben. Fast ein wenig enttäuschend ist die Erkenntnis, warum die Nachricht über den bevorstehenden Terroranschlag keinen Alarm auslöste - hier verpufft ein wenig die Dramatik.

Doch Fragen bleiben, auch wenn Juncker, Signe und Charlotte mit hohem Risiko auf Wahrheiten stoßen - und mächtige, skrupellose Gegner. Auch manche Figur aus dem ersten Band ist verdächtig abwesend - wird es im dritten Band ein Wiedersehen geben? Und welche Konsequenzen wird die Hartnäckigkeit der drei haben? Durchatmen können sie noch nicht - und ich bin gespannt auf den dritten Teil der Triologie.

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Veröffentlicht am 15.01.2022

Gangster und SA-Horden in den Straßen von Berlin

Goldstein
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Erst vor wenigen Monaten wurde der illustrierte Briefroman "Mitte" um Figuren aus Volker Kutschers Gereon-Rath Reihe veröffentlicht, nun führt der Piper-Verlag mit einer Wiederauflage von "Goldstein" zurück ...

Erst vor wenigen Monaten wurde der illustrierte Briefroman "Mitte" um Figuren aus Volker Kutschers Gereon-Rath Reihe veröffentlicht, nun führt der Piper-Verlag mit einer Wiederauflage von "Goldstein" zurück zu den früheren Jahren des Kommissars der Berliner Mordkommission. Zu verdanken ist dies wohl den Vorbereitungen auf eine neue Netflix-Staffel von Babylon-Berlin, die auf der Romangrundlage von "Goldstein" aufbaut - wobei es einmal mehr eine deutliche Diskrepanz zwischen Roman- und Filmfiguren geben dürfte.

In den letzten Romanen um Gereon Rath sah sich der Ermittler immer mehr mit der Politisierung des Polizeiapparats und des Justizsystems im Dritten Reich konfrontiert. Die Handlung von "Goldstein" spielt 1931, doch die SA-Trupps marschieren bereits auf den Straßen Berlins, die Bevölkerung übt schon einmal das Wegschauen, wenn Braumhemden in einer U-Bahn-Station einen alten orthodoxen Juden bedrängen.

Sehr viel weniger hilflos ist ein anderer Jude, Abraham "Abe" Goldstein aus New York, Auftragskiller der "kosher nostra" und angesichts eines absehbaren Bandenkrieges auf Tauchstation in Berlin. Die Reise in die deutsche Hauptstadt, so wird sich zeigen, hat ein sehr persönliches Motiv, doch die Berliner Polizei, von den US-Behörden vorgewarnt, ist sicher, dass Goldstein aus "beruflichen" Gründen angereist ist. Die Justiz konnte ihm nie etwas nachweisen. So gibt es keine weitere Handhabe gegen den "Touristen" mit dem schlechten Ruf als lückenlose Überwachung - und dafür ist Gereon Rath zuständig.

Die Berliner Unterwelt steht am Rande eines Bandenkriegs - ist Goldstein hier eine Rolle zugedacht? Auch Doktor M., der Unterweltkönig, mit dem Rath eher unfreiwillig Umgang pflegt, drängt den Kommissar, einen seiner verschwundenen Männer ausfindig zu machen. Charlotte Ritter, Raths Freundin, engagiert sich unterdessen für ein Straßenmädchen, das auf der Flucht vor der Polizei ist und nach einem missgückten Einbruch Augenzeugin des Todes ihres jungen Komplizen wurde. Dass es sich beim Tod des Jungen keineswegs um einen Unglücksfall handelte, davon ist Kriminalassistent Lange zunehmend überzeugt. Seine Ermittlungen führen ihn zu einem Verdacht innerhalb der Polizei.

Einmal mehr zeigt Volker Kutscher die dunklen Zeiten Berlins jenseits des Glitzers und der schrillen Farben des Nachtlebens. Die Weimarer Republik, von vielen Vertretern des Establishments von Anfang an ungeliebt, liegt in den letzten Zuckungen, die Gewalt auf der Straße nimmt zu und die Wirtschatskrise verstärkt die enormen sozialen Spannungen und Kontraste. Atmosphärisch dicht und spannend erzählt werden die Handlungsfäden miteinander verwoben, bis am Ende alles in einem einzigen dichten Plot mündet.

Da ich erst später in die Gereon Rath-Reihe eingestiegen bis und noch nicht alle der Vorgängerbände gelesen habe, war die Neuauflage von "Goldstein" für mich eine Chance, einen Blick in die Vergangenheit von Gereon und Charlotte zu werfen. Auch in diesem Fall konnte ich mich wieder über einen spannenden Kriminalroman in einem faszinierenden Setting freuen. Der Tanz auf dem Vulkan hat gerade erst begonnen.



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Veröffentlicht am 30.12.2021

Ölbarone und Bolschewiken

Kaukasische Tage
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Frühreif, lebenshungrig und immer auf der Suche nach Liebe: Die 1905 geborene Banine wächst als Tochter eines "Ölbarons" in Baku in einer weitverzweigten Familie auf, in der sich alles um Geld, Geschäfte, ...

Frühreif, lebenshungrig und immer auf der Suche nach Liebe: Die 1905 geborene Banine wächst als Tochter eines "Ölbarons" in Baku in einer weitverzweigten Familie auf, in der sich alles um Geld, Geschäfte, Glückspiel und Erbstreitigkeiten dreht. In dem autobiographischen Roman "Kaukasische Tage", der nach der Erstveröffentlichung im Jahr 1949 nun mit neuer Übersetzung wieder erschienen ist, gibt sie einen Einblick in eine Zeit voller Umbrüche und in die vorrevolutionäre Gesellschaft. Der Blick zurück fällt wenig milde aus:" Wir alle kennen Familien, die als arm, aber anständig gelten. Meine hingegen war extrem reich, aber alles andere als anständig."

Der verwitwete Vater - die Mutter starb bei Banines Geburt - ist eine distante, aber nichtsdestoweniger dominierende Erscheinung. Banine und ihre drei älteren Schwestern wachsen auf in einer Welt die von Hinwendung an westliche Ideen - die Kinder werden von einem deutschbaltischen Kindermädchen aufgezogen und sprechen besser russisch als aserbaischanisch - und islamischer Tradition gleichermaßen geprägt ist.

Als Bewahrerin der Tradition spielt vor allem die Großmutter eine Rolle, eine beherrschende Matriarchin, deren herzhafte und fantasievolle Flüche den Soundvorhang von Banines Kindheit bilden. Banine träumt von der großen weite Welt, ihr Sehnsuchtsort ist Paris, vor allem aber sehnt sie sich nach Liebe. Unter dem Einfluss ihrer Schwestern und vor allem ihrer Cousine erwacht schon früh das Interesse am anderen Geschlecht.

Anders als die Cousine, die es kaum erwarten kann, verheiratet zu werden und ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, nur um dann bei jeder Gelegenheit fremdzugeheb, ist Banine eine Romantikerin. Sie schwelgt in Tagträumen über das Objekt ihrer Leidenschaft, zunächst gemeinsam mit den Schwestern, später ganz allein für den Revolutionär Andrej.

Banine schildert Sommerfrische auf dem Landsitz der Familie, die Streitigkeiten der exzentrischen Verwandtschaft, das vergebliche Ringen um die Liebe der mondänen und bewunderten Stiefmutter, die kurze Zeit aserbaidschanischer Unabhängigkeit und die Turbulenzen der russischen Revolution, die auch den Kaukasus erreichen - erst in Form der geflohenen Emigranten, dann der Bolschewiki.

Banines Familie wird, wenig überraschend, als Klassenfeind gesehen. Doch auch wenn die Verhaftung des Vaters Sorge bereitet - die Jahre des stalinistischen Terrors sind noch fern und auch die Enteignung des Familienbesitzes kann Banines Faszination für die russischen Revolutionäre nicht trüben. Da hilfst sie auch als neu konvertierte Nachwuchskommunistin mit erwachtem sozialen Gewissen, Inventarlisten des zu enteignenden Besitzes von entfernten Verwandten und Bekannten anzufertigen.

Dennoch fügt sie sich in eine arrangierte Heirat mit einem 20 Jahre älteren Mann und entscheidet sich gegen die Liebe zu Andrej.

Beeindruckend an dieser Biografie ist, dass die Erzählerin bei aller Dramatik der Ereignisse nicht resigniert, sondern unbekümmert, bildhaft, mitunter ironisch über die Wirren ihrer Jugend berichtet. Das ist anschaulich zu lesen, höchst unterhaltsam und zeichnet zugleich ein Sittengemälde einer untergegangenen Welt. Da verwundert es überhaupt nicht, dass die unter einem Pseudonym schreibende Banine, die am Ende des Buches den Orient-Express nach Paris besteigt, in ihrer Wahlheimat Frankreich der dortigen Boheme angehörte.

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Veröffentlicht am 27.12.2021

Tour de Force durch die Erdzeitalter

Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens
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4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte komprimiert auf gerade mal gut 300 Seiten - da hat der langjährige "Nature" Chefredakteur Henry Gee in der Tat "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" aufgeschrieben, ...

4,6 Milliarden Jahre Erdgeschichte komprimiert auf gerade mal gut 300 Seiten - da hat der langjährige "Nature" Chefredakteur Henry Gee in der Tat "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" aufgeschrieben, aus der ersichtlich wird, dass der Homo Sapiens, also unsere Spezies, letztlich nur eine winzige Fußnote in der Geschichte des Planeten ist. Mit der Mischung aus unterhaltsam und aufklärerisch, einem Ton leichten Understatements ist dieses Sachbuch im besten Sinne sehr britisch. Man kann sich geradezu die hochgezogene Augenbrauc des Autors vorstellen, während er Betrachtungen über die faszinierenden Wesen anstellt, die die Erde einst bevölkert haben und immer noch Nachfahren haben, die auf der Erde leben - nur, wie lange noch?

Die Karriere aller Lebewesen ende mit dem Aussterben, zitiert Gee in seinem Nachwort den britischen Politiker Enoch Powell. Und Homo Sapiens werde dabei keine Ausnahme sein. Das liegt nicht nur allein an den Zerstörungen, die die Menschen gerade in den letzten Jahren und Jahrzehnten angerichtet haben, sondern in der Natur des Planeten und des Universums. Die Massensterben, die die Erde schon erlebt hat, sind das beste Beispiel. Fast schon tröstlich, dass bei allen negativen Beiträgen unserer Spezies die befürchtete sixth extinction danach nicht allein auf menschliches Fehlbetragen zurückgeht, sondern eben auch in der Natur der Dinge liegt, dem Wechsel von Warm und Kaltzeiten.

Ein Paläontologe wie Gee blickt anders auf Zeiträume als andere Menschen, er denkt in Zeitreihen, die mehrere Millionen Jahre umfassen. Da stellt sich vielleicht eine gewisse Gelassenheit an, schließlich ist alles relativ, wenn Magmablasen und giftige Gase, Asteroiden und Riesentsunamis das Leben schon ein paarmal fast vollständig von der Erde gefegt haben. Dass Leben trotzdem entsteht und immer wieder entstanden ist, von winzigen Organismen bis hin zu hochkomplexen Arten, zeigt Gee in diesem Buch, dem die Faszination anzumerken ist, die auch der Autor angesichts der Vielfalt des Lebens lange vor unseer Zeit spürt.

Schade, dass es außer den schematischen Karten der Erdzeitalter keine Illustrationen gibt, die diese Vielfalt auch optisch verdeutlichen, obwohl die für ein Sachbuch durchaus bildhafte Schreibweise doch die Vorstellungskraft anregt. Wer als Kind mit Dinosauriern auf du und du war, ist hier klar im Vorteil. Der Anspruch, das zeigt schon der Titel, ist nicht, das endgültige Buch über die Geschichte des Lebens auf der Erde zu schreiben, sondern einen Abriss in für Laien verständlicher Form zu geben und eine Einordnung zu versuchen.

Und genau das ist sehr gut gelungen - mit ein paar Anekdoten, Fußnoten, die den interessierten Leser bei weiterem Eindringen in die Materie unterstützen und einer gewisen Leichtigkeit des Seins in dem Wissen, dass irgendwann einmal die Zeit für unsere Art ebenso abgelaufen sein wird wie für die Dinosaurier. Doch für Gee ist das kein Grund, Trübsal zu blasen (wir werden das ohnehin nicht erleben). Dum vivimus vivamus, sagten schon die alten Römer. Ganz ähnlich muntert Gee seine Leser mit den letztzen Worten seines Buchs auf: "Deshalb verzagt nicht. Noch dreht sich unsere Erde, und das Leben dauert an."

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Veröffentlicht am 09.12.2021

Unglücklich sind hier alle

Was wir verschweigen
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Aus dem berühmten Anfangssatz von "Anna Karenina" wissen wir, dass jede unglückliche Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. In Arttu Tuominens Kriminalroman "Was wir verschweigen" gilt das für so ...

Aus dem berühmten Anfangssatz von "Anna Karenina" wissen wir, dass jede unglückliche Familie auf ihre eigene Art unglücklich ist. In Arttu Tuominens Kriminalroman "Was wir verschweigen" gilt das für so ziemlich jede einzelne Romanfigur. Hier hat jeder seinen Packen Unglück durchs Leben zu schleppen, Geheimnisse und dunkle Erinnerungen, die er oder sie verschweigt. Einen Teil dieser Geheimnisse deckt Tuominen in seinem Roman auf und setzt dabei mehr auf psychologische Spannung und Einblicke in gequälte Persönlichkeiten als auf Gewalttaten und Action.

Der Fall, zu dem die Ermittler des finnischen Pori gerufen werden, scheint ziemlich klar: In einer abgelegenen Wochenendhütte fand ein Gelage statt. Ein Mitglied der Festgesellschaft liegt plötzlich tot am Boden, mit mehrerer Messerstichen im Rücken. Die Zeugen haben im Vollrausch nichts mitbekommen. Ein Mann, ebenfalls volltrunken, wird mit blutiger Kleidung im Wald gefunden. Fall gelöst?

Als Jari Paloviita, kommissarischer Leiter des Polizeireviers, am Morgen danach von seinen Kollegen über den Fall informiert wird, wird es allerdings kompliziert. Denn Antti Mielonen, der dringend tatverdächtige Mann, obdachloser Alkoholiker mit mehreren Vorstrafen, war Paloviitas bester Kindheitsfreund. Und auch der Tote ist kein Unbekannter, er mobbte Jari und verprügelte ihn.

Paloviitas Mitarbeiter wundern sich über das Interesse, dass ihr Chef an dem scheinbaren Routinefall nimmt und dass er ihre Erkenntnisse hinterfragt, auch als die vermutliche Tatwaffe gefunden wird - nicht zuletzt, weil Paloviitas früherer Partner Oksman hinter seinem Rücken eine große Suchaktion mit Tauchern, Spürhund und jedem mobilisierbaren Polizisten anleiert. Oksman, der unter Zwangsstörungen leidet und ein übergenauer Einzelgänger ist, fängt mit eigenen Nachforschungen an und stellt fest: Täter und Opfer kannten sich aus der Grundschulzeit und auch Paloviita war in der gleichen Schulklasse wie die beiden.

Während Misstrauen die Stimmung immer mehr vergiftet, führt eine zweite Erzählebene in die Vergangenheit des Jahre 1991zu dem 13-jährigen Jari und seinem Freund Antti. Obwohl sie aus völlig unterschiedlichen sozialen Milieus stammen - Jari ein behüteter Junge, dessen Vater Architekt ist, Antti in schwierigen sozialen Verhältnissen mit trinkenden Eltern und einem gewalttätigen Vater - verstehen sie sich bestens. Jaris kleine Schwester Tiina, die unter dem Down-Syndrom leidet, himmel Antti an. Doch die weitgehend unbeschwerte Kindheit mit Fahrradtouren und Angelausflügen wird in diesem Sommer tragisch enden, die Freunde werden sich aus den Augen verlieren. Hat die ewige Freundschaft, die sie sich einst geschworen hatten, auch unter den veränderten Umständen Bestand?

Tuominen schafft es, den Spannungsbogen auf beiden Erzählebenen konsequent zu halten und mit immer neuen kleinen Informationsstückchen weitere Puzzleteile hinzuzufügen, die zum großen Bild beitragen. Dabei gibt es immer wieder cliffhanger-Situationen und Wendungen in der Erzählung. Zwischen dem scheinbar unendlichen letzten Kindheitssommer und dem passenderweise frostig-dunklen Winter, in dem die Protagonisten der Gegenwart leben entfalten sich die Möglichhkeiten und verpassten Chancen, die abgebrannten Brücken und die Gründe für das Schweigen über all die Jahre hinweg.

"Was wir verschweigen" ist kein Kriminalroman einfacher Antworten, sondern stimmt nachdenklich. Vieles von dem, was zwischen den Zeilen geschieht, befasst sich mit Werten und Loyalitäten, vielleicht auch mit dem Sinn des Lebens. Die düster-melancholiche Note passt zu den langen nordischen Wintern. Kein Wunder, dass Tuominen für diese komplexe Geschichte mehrfach ausgezeichnet wurde.

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