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Veröffentlicht am 04.06.2022

Keine leichte Kost

Zum Paradies
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Zum Paradies? Nein, Hanya Yanagiharas Buch „Zum Paradies“ zeigt alles andere auf, nur nicht den Weg zum Paradies.

Drei Romane sind in „Zum Paradies“ vereint. Drei Romane, die im Abstand von 100 Jahren ...

Zum Paradies? Nein, Hanya Yanagiharas Buch „Zum Paradies“ zeigt alles andere auf, nur nicht den Weg zum Paradies.

Drei Romane sind in „Zum Paradies“ vereint. Drei Romane, die im Abstand von 100 Jahren spielen: 1893, 1993 und 2093. In allen drei Teilen geht es um Liebe, um zerbrechliche Beziehungen. Und alle drei Teile spielen in fiktiven Gesellschaften. Die Verknüpfungspunkte zwischen den drei Teilen sind eher zufällig, allerdings führen gleiche Namen und Rückbezüge auf geschichtliche Entwicklungen eher zur Irritation beim Leser.

Da ist zunächst das Jahr 1893: New York gehört zu den Gebieten, in denen liberale Freiheitsrechte gelten. Der Sohn eines Bankiers quält sich mit dem Gedanken an einen Ehemann, steht zwischen Verpflichtung und Leidenschaft, zwischen dem vom Vater ausgesuchten Heiratskandidat und einem wenig durchschaubaren Musiklehrer.

Im Jahr 1993 wiederum zieht sich ein junger Hawaiianer in die Einöde zurück – sein Liebesglück allerdings bricht immer mehr auseinander. Die andere Erzählebene thematisiert die AIDS-Epidemie, den Umfang mit Kulturgütern Hawaiis.

2093 dann beherrschen Epidemien die Gesellschaft. Der Einzelne muss sich in einer dystopischen Welt beweisen. Yanagihara beschreibt eine Welt, die trostlos, instabil und ohne echte Liebe ist. Erschüttert ist diese Welt von Epidemien, die in regelmäßigen Abständen das Leben auf der Erde immer schwieriger machten. Die Maßnahmen der Staatsmacht sind dabei schwer zu durchschauen, der Staat lässt sich aber als zutiefst autoritär beschreiben.
Es ist müßig, nach den Parallelen der drei Teile zu suchen. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten, Anknüpfungspunkte, gleiche Grundkonflikte, gleichermaßen Verletzlichkeiten und Sehnsüchte. Die Bezüge zwischen den Teilen entspringen aber eher einer Spielerei der Autorin, als dass sie sinnstiftend wären.Den drei Romanen fehlt hingegen eine erzählerische Verspieltheit.
Der Leser muss sich durch lange Beschreibungen, quälend lange Entscheidungsprozesse und ellenlange, eingefügte Briefe kämpfen. „Zum Paradies“ ist alles andere als leichte Kost.

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Veröffentlicht am 11.12.2021

Vorsichtige Annäherung

Die Enkelin
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Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis ...

Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis im Osten und nicht zuletzt über eine verlorene Liebe. 

So richtig ist "Die Enkelin" aber nichts von alledem. Der Verlust der Ehefrau spielt bald schon eine äußerst untergeordnete Rolle, die Suche nach der unbekannten Tochter erweist sich keineswegs als Road-Movie, sie ist einfacher als gedacht. Die Ost-West-Thematik spielt nur anfangs eine Rolle, wenn das Kennenlernen von Kaspar und Birgit erzählt wird und später dann Birgits Flucht aus der DDR. 

Dass Kaspar, die Hauptfigur des Romans, tatsächlich in seinen jungen Jahren so voller Elan und Wagemut war, dass er die Flucht seiner Freundin aus der DDR organisierte: man glaubt es kaum, wenn man den staubtrockenen, nüchternen und langweiligen Buchhändler Kaspar kennenlernt. Nach dem Tod seiner Frau findet er heraus, dass sie ein Kind in der DDR zurückgelassen hat. Bald schon findet er seine Stieftochter und seine Enkeltochter. 

Mit letzterer, Sigrun, baut er eine Verbindung auf, auch mithilfe von taktischem Geschick und finanziellen Verlockungen, denen ihre Eltern nicht widerstehen können. Dass Sigrun wie ihre Eltern im rechten Milieu Ostdeutschlands verankert ist, macht die Verbindung nicht einfach. Freilich: eine tragische Fallhöhe, wie man vielleicht erwarten könnte, entsteht nicht. 

Kaspar ist einer, der Überzeugungen hat. Aber er will sie niemandem aufzwängen, auch scheint er es nicht gewohnt zu sein, zu widersprechen. Insgesamt ist dieser Roman überraschend gefühlskühl erzählt, ja fast schon gefühlskalt. Nur wenige Szenen prägen sich ein, wie etwa wenn Kaspar nach der ersten Begegnung mit Sigrun und ihren Eltern völlig erschöpft im Auto übernachtet. 

Der Erzähler gönnt seiner Figur keine großen Gefühle. Kein Entsetzen, keine Enttäuschung, allenfalls einmal ein paar Tränen. Auch Sigrun, die (anfangs) 14-jährige Enkeltochter, ist die Selbstbeherrschung in Person. Ihr Abgleiten in die radikalere rechte Szene: man nimmt es ihr nicht ab.

"Die Enkelin" bleibt ein leises Buch, das immer neue Kreise um die Großvater-Enkel-Beziehung zieht. So sehr diese vorsichtige Annäherung der beiden aneinander ihren Reiz hat: mich hat Bernhard Schlink mit "Die Enkelin" nicht in seinen Bann ziehen können. 

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Veröffentlicht am 22.09.2021

Unzuverlässiger Erzähler

Das Archiv der Gefühle
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„Mein ganzes Leben kommt mir plötzlich elend vor, es scheint mir, als hätte ich gar nie wirklich gelebt, als hätte ich immer nur anderen beim Leben zugeschaut“ – das sagt die Hauptfigur in Peter Stamms ...

„Mein ganzes Leben kommt mir plötzlich elend vor, es scheint mir, als hätte ich gar nie wirklich gelebt, als hätte ich immer nur anderen beim Leben zugeschaut“ – das sagt die Hauptfigur in Peter Stamms neuem Roman „Das Archiv der Gefühle„.

Der namenlose Ich-Erzähler ist von Beruf Archivar. Er will in der Welt Ordnung schaffen. Als er entlassen wird, nimmt er das Zeitungsarchiv, in dem er gearbeitet hat, mit. In seinem Keller arbeitet er nun weiter, archiviert was in der Welt geschieht. Das Archiv als Abbild der Welt, als „eine Welt für sich“ gibt dem Ich-Erzähler Halt und hält ihn zugleich davon ab, sich in die Welt zu begeben.

Immer öfter stellt sich der Erzähler vor, seine alte Klassenkameradin Franziska zu sehen, er imaginiert sie immer häufiger, spricht mit ihr als sei sie anwesend, schließlich verliert seine Welt der Ordnung an Gewicht. Es dauert, bis sich der Archivar überwinden kann, Kontakt zu Franziska, die inzwischen eine erfolgreiche Sängerin ist, aufzunehmen. Es entwickelt sich zu einem Eiertanz sondergleichen, da der Erzähler immer wieder imaginiert, eine Beziehung mit Franziska zu führen, Angst davor hat, dass die Realität anders als seine Träume ist.

Der Protagonist erweist sich dabei als unzuverlässiger Erzähler, man traut ihm nicht mehr über den Weg: Ist es denn wirklich so, dass der Kontakt mit Franziska stattgefunden hat? Oder ist auch das nur eine weitere Fiktion bzw. Vision? Das Opfer ist in Wahrheit der Täter, heißt es an einer Stelle des Buches. Das muss hellhörig machen in Blick darauf, was man dem Erzähler alles zutrauen muss. Fast schon Schadenfreude empfindet man als Leser, wenn der Erzähler sich schließlich jammernd darüber beschwert, dass er es nicht mag, wenn andere Leute über ihn nachdenken.

„Das Archiv der Gefühle“ bietet dem Leser viele Anlässe, über die Hauptfigur und ihre Welt nachzudenken. Das ist nicht das Schlechteste. Nicht überzeugt hat mich dabei, wie sehr sich der Erzähler vor der Kontaktaufnahme mit Franziska hineinsteigert, ebenso empfand ich die Bibelbezüge (Franziska: Ich bin die ich bin) als äußerst platt.

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Veröffentlicht am 09.01.2021

Mikrokosmos der Randständigen

Malé
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Mit „Malé“ hat Roman Ehrlich einen dystopischen Roman geschrieben, der die Welt der Aussteiger, Abenteurer und Glückssucher in den Blick nimmt.

Eigentlich passiert nichts in dieser Stadt. Malé, die Hauptstadt ...

Mit „Malé“ hat Roman Ehrlich einen dystopischen Roman geschrieben, der die Welt der Aussteiger, Abenteurer und Glückssucher in den Blick nimmt.

Eigentlich passiert nichts in dieser Stadt. Malé, die Hauptstadt der Malediven, ist dem Untergang geweiht. Die Bemühungen, die Insel vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen, sind gescheitert. Es leben nicht mehr viele Menschen auf dieser im Meer versinkenden Insel.

Nach einem Umsturz haben „die Eigentlichen“ die Macht übernommen. Sie residieren in einem früheren Kreuzfahrtschiff und auf sie und ihre gelegentlichen Lieferungen sind die Bewohner angewiesen. Die Inselbewohner treffen sich dagegen in der Kneipe „Hühnersultan“. Und hier kommt es zu herrlich irrwitzigen Dialogen – etwa darüber, was Kunst vermag. Das waren Buchstellen, um deretwillen ich „Malé“ schätzen gelernt habe.

Ansonsten habe ich mich bei „Malé“ immer wieder gefragt, warum ich noch weiterlese. Zu chaotisch sind die Personenverhältnisse, zu verworren und undurchschaubar die Handlung (so man überhaupt von einer Handlung sprechen kann), zu sperrig die Sprache.

Als sperrig erweist sich vor allem der Satzbau. Ehrlich liebt die Schachtelsätze. Beispiel gefällig? Ein Satz aus dem Buch will ich zitieren:

Selbst in den Augenblicken,
in denen die Sonne hinter den schwer dahintreibenden Wolken verschwindet,
das Leuchten der schmutzigen Scheiben weggedimmt wird,
steht Frances Ford in einem lichten, hellblauen Rechteck,
im verwaisten Frühstücksraum des Royal Ramaan Residence Hotels,
in der sogenannten Daisy Street,
in einem Viertel,
das die neuen Bewohner der Stadt als Stearson Patch bezeichnen,
benannt wahrscheinlich im Andenken an einen der frühen Pioniere,
die sich hier nach dem völligen Zusammenbruch der Inselrepublik als Erste angesiedelt haben
und denen die bereits bestehenden Namen der Orte nichts bedeuten
oder einfach zum ständigen Aussprechen zu kompliziert waren.

Manchmal sind solche Satzknäuel ja schön, z.B. wenn es ihnen gelingt, eine Stimmung einzufangen. Manchmal sind sie aber – wie hier – einfach nur nervig.

Genauso erging es mir auch mit manchen Handlungssträngen des Romans. Da wird am Anfang von einem Gefesselten gesprochen, da gibt es eine verschwundene Frau, nach der der Vater sucht – weil er (zu Recht? zu Unrecht?) nicht wahrhaben will, dass sie tot ist. Dann gibt es noch einen verschwundenen Lyriker und eine amerikanische Literaturwissenschaftlerin, die nach ihm sucht. All diese Handlungsstränge tauchen irgendwann wieder auf, weitergeführt werden sie allerdings kaum. Alles bleibt vage, ungeklärt. Dann, wenn man sich am Mikrokosmos der Randständigen sattgelesen hat, stört einen das doch ganz gewaltig.

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Veröffentlicht am 19.03.2019

Starker Anfang, schwaches Ende

Die Mauer
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Starker Anfang – schwacher Mittelteil – laues Ende: so lässt sich meine Leseerfahrung von John Lanchesters neuem Roman „Die Mauer“ zusammenfassen.

„Die Mauer“ spielt in einem zukünftigen Großbritannien. ...

Starker Anfang – schwacher Mittelteil – laues Ende: so lässt sich meine Leseerfahrung von John Lanchesters neuem Roman „Die Mauer“ zusammenfassen.

„Die Mauer“ spielt in einem zukünftigen Großbritannien. Die Insel ist ringsum von einer Mauer umgeben – zum Schutz vor dem Wasser, aber auch vor Flüchtlingen. Vieles bleibt in dieser Dystopie im Unklaren, viele Entwicklungen werden nur angedeutet. Wie weit der Roman in der Zukunft spielt, wird nicht gesagt, ebenso wenig wie die Entwicklungen aussahen. Andeutungen zeigen, dass Rohstoffe wie Öl knapp sind, dass Wut auf die Eltern wegen der Folgen des Klimawandels das gesellschaftliche Klima beherrscht, dass ein neues Sklavensystem mit sogenannten „Dienstlingen“ etabliert wurde, dass die meisten Menschen sich nicht mehr fortpflanzen wollen.

Warum es aber dazu kam, wird im Roman nicht aufgelöst. Die Zukunft ist wie sie ist, basta. Das stört am Anfang beim Lesen nicht, denn umso wuchtiger wirkt die Mauer. Ein kalter, unheimlicher Koloss, auf dem die Hauptfigur ihren Dienst tut. Der Grenzschutz ist kein beliebter Dienst und es ist kein einfacher Dienst. Die Flüchtlinge, die es abzuwehren gilt, werden „die Anderen“ genannt – eine andere Bezeichnung haben sie nicht. Dass nicht alle Bewohner mit der Existenz der Mauer einverstanden sind und sich einen anderen Umgang mit den „Anderen“ wünschen, erfährt man im Buch – aber auch das bleibt sehr im Vagen.

Was am Anfang noch funktioniert, weil so die gesamte Aufmerksamkeit auf der Mauer liegt, scheitert im Mittelteil des Buches allerdings kläglich. Immer mehr wünscht man sich weitere, tiefer gehende Informationen. Doch wo anfangs sprachgewaltige Bilder einen fesseln, langweilen einen nun langwierige und langweilige Dialoge. Das Kraftvolle des ersten Teils ist völlig verflogen. Wäre dieser mittlere Teil wenigstens dazu genutzt worden, darzustellen, wie die Entwicklungen vonstatten gingen, hätte mich dies mit dem Buch etwas versöhnt – aber diese Chance wurde vertan.

Und auch der Schlussteil macht es nicht besser. Die Handlung gewinnt zwar nochmals an Fahrt, aber der Hauptfigur wächst kein politisches Bewusstsein. Wo Reibungen, Auseinandersetzungen über die gesellschaftlichen Verhältnisse möglich gewesen wären, wo Menschen unterschiedlicher Ansichten aufeinanderprallen, werden Diskussionen tunlichst vermieden. Die Hauptperson ist und bleibt ein Unpolitischer.

Es ist nachvollziehbar, dass der Verlag das Buch aufgrund seiner scheinbaren Aktualität durch den Brexit auf dem deutschen Markt stark gepusht hat. Berechtigt ist dies freilich nicht. „Die Mauer“ ist alles andere als ein großer Wurf.

Ein Textauszug vom ersten (besseren) Teil des Romans findet sich hie