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Veröffentlicht am 17.03.2017

Marx im Hosentaschenformat

MARX to go
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„Diese Sammlung kann die Marx-Lektüre nicht ersetzen, aber sie kann schlagartig in die Zentren seines Denkens führen.“ (5)

Bei Aphorismen- und Zitatesammlungen neigt man doch irgendwie dazu, das Buch ...

„Diese Sammlung kann die Marx-Lektüre nicht ersetzen, aber sie kann schlagartig in die Zentren seines Denkens führen.“ (5)

Bei Aphorismen- und Zitatesammlungen neigt man doch irgendwie dazu, das Buch aufs Geratewohl aufzuschlagen und hier und da etwas aufzuschnappen. Oder? Mir zumindest geht es so. Und zumindest von Layout und Struktur her, bietet diese Vorgehensweise sich auch bei "Marx to go" an. Die Zitate sind in sieben Themenbereiche aufgeteilt und das Layout ist sehr modern, irgendwie "popig". Auf jeden Fall sind die großen und variabel eingesetzten Schriften Eyecatcher und eine tolle Idee für eine Zitatesammlung.

Allerdings scheinen mir Marx' Aussagen dann doch etwas zu sperrig zu sein, um für ein knackiges Zitatebüchlein problemlos aneinanderreihbar zu sein. Ja, man gerät direkt in die Zentren seines Denken - ohne Vorwissen ist dies allerdings auch die Schwierigkeit, die man als Leser mit den losgelösten Zitaten von Karl Marx hat. Sie stehen teilweise etwas verloren da, sie sind sehr speziell, ihnen fehlt die Allgemeingültigkeit.
Aber man bekommt Lust, eine ausführliche Marx Lektüre anzuschließen und dann noch einmal dieses Heft zur Hand zu nehmen und zu durchstöbern.

Und dafür, dass Marx nur schwerlich in eine Zitatesammlung passt, wurde in dieser Auswahl ganze Arbeit geleistet. Deshalb und weil mir Layout und Format so gut gefallen, gibt es vier Sterne. Ein schönes, für Interessierte sehr empfehlenswertes Büchlein.

Veröffentlicht am 27.07.2017

Evolution und Revolution

Und Marx stand still in Darwins Garten
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„Dann schwiegen sie wieder. Nach einer ganzen Weile sagte Darwin: »Mir scheint, Sie [Marx] sind ein Idealist, obwohl ich natürlich weiß, dass Sie größten Wert darauf legen, die Welt auf materialistische ...

„Dann schwiegen sie wieder. Nach einer ganzen Weile sagte Darwin: »Mir scheint, Sie [Marx] sind ein Idealist, obwohl ich natürlich weiß, dass Sie größten Wert darauf legen, die Welt auf materialistische Weise zu betrachten.“ (69%)

Darwin und Marx. Zwei große Vor-Denker, die im Jahr 1881 nur wenige Kilometer voneinander entfernt in England leben.
Ilona Jerger nimmt diese Tatsache als Anlass zu spekulieren, wie ein Kennenlernen der beiden Männer hätte ablaufen können. Was hätten die beiden sich zu sagen? Wie passen ihre Weltansichten zueinander? Wie unterschiedlich sind ihre Charaktere und Temperamente?

Im Roman haben Darwin und Marx, beide schon alt und krank, denselben Arzt. Dr. Beckett erzählt seinen Patienten vom jeweils anderen. Er findet, dass ihre Theorien und Ansichten gewisse Überschneidungen haben und dass die beiden sich kennenlernen sollten.

Die Story ist sehr dialoglastig. Darwin redet mit Dr. Beckett über Marx, die Religion und seine Krankheiten. Marx redet mit Dr. Beckett über Darwin, die Religion und seine Krankheiten. Zu einem Treffen der beiden Großen kommt es dann eher zufällig und ohne das Dazutun des Arztes. Und auch erst, nachdem gut die Hälfte des Romanes gelesen ist.

An dieses ruhige Erzähltempo und die wenigen Schauplätze muss man sich als Leser erst gewöhnen. Bis auf einige Ausnahmen findet das gesamte Geschehen in einem der beiden Krankenzimmer und in Dialogform statt.
Auch merkt man, dass Darwin und Marx sich in der Realität nie begegnet sind, denn die Autorin zögert das Treffen hinaus und nähert sich der Thematik nur sehr vorsichtig. Sie scheint den realen Personen nicht allzu viele Worte in den Mund legen zu wollen. Entsprechend unspektakulär gestaltet sich der vermeintliche Höhepunkt des Romans: Marx und Darwin beobachten sich gegenseitig bei ihrem Treffen, die Gespräche übernehmen zu großen Teilen andere Figuren.

So ist dann auch die interessanteste Figur die des Dr. Beckett. Ein sehr moderner und progressiver Arzt, der seiner Zeit weit voraus ist. Er stellt die Arzt-Patient-Beziehung in den Vordergrund, weiß um die Wirkung der seelischen Verfassung auch auf den Körper.
"Am Bett des gebeutelten Professors war ihm klargeworden, dass es zwischen Arzt und Patient einer Allianz bedurfte, nicht nur einer Diagnose." (22%)

„Und Marx stand still in Darwins Garten“ ist ein eigenartiges Buch, wie ich es bisher noch nicht kannte. Aber es ist auch sehr unterhaltsam und lehrreich. Und auf jeden Fall etwas Besonderes.

Veröffentlicht am 28.08.2023

Von der Unabhängigkeit einer Frau

Die Fessel
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„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, ...

„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, in den Zwanziger Jahren. Renee, eine geschiedene (sic!) Frau und Schauspielerin, genießt hier ihre Ruhe. Das Erbe ihrer verstorbenen Schwägerin ermöglicht ihr diese Freiheit. Sie lernt im Hotel ein hitziges junges Paar kennen und lässt sich bald schon auf eine Affäre mit Jean ein.
Diese Beziehung steht nicht nur aufgrund der äußeren Umstände unter einem schlechten Stern. Jean ist aufbrausend, wird schon seiner Partnerin gegenüber handgreiflich, und auch in der Beziehung mit Renee nimmt er den dominanten und fast desinteressierten Part ein. Während Renee sich ihm - trotz ihrer sonstigen Skepsis und Vorsicht - anbietet und emotional abhängig macht.

„Die Fessel“ ist der Nachfolger zum Roman „La Vagabonde“. Man kann die Bücher unabhängig voneinander lesen, allerdings finde ich, dass die Geschichte in der Luft zu hängen scheint, wenn man dieses Buch liest ohne vom Vorgänger zu wissen. Die Sprache Colettes ist sehr pompös und gleichzeitig verdichtet. Das Erzähltempo in beiden Büchern ist ein unheimlich langsames und anstrengendes. „Die Fessel“ ist allerdings etwas aufregender und gleichzeitig entspannter zu lesen. Renee ist nicht mehr ganz so zurückhaltend und langweilig.

Man muss in der Stimmung sein, um dieses Buch genießen zu können. Es kann die perfekte Sommerlektüre sein, aber die Geschichte trägt die Leser*in nicht leichtfertig, sondern verlangt viel Konzentration und Geduld. Außerdem sollte man sich vor Augen halten, in welcher Zeit hier ganz selbstverständlich von der geschiedenen, freien und unabhängigen Frau erzählt wurde und wird.

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Veröffentlicht am 23.07.2023

Nicht die beste Lindgren-Biografie

Astrid Lindgren. Helle Nächte, dunkler Wald
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„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten ...

„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten Kreis preis.“

Vieles über Astrid Lindgrens Leben und Wirken ist bekannt. Zumindest die Teile, die sie selbst bekannt geben wollte. Eine engagierte Frau, die sich für Kinderrechte und insgesamt ein soziales, freies Miteinander stark gemacht hat. Und eine Autorin, die fantastische Kinderbücher geschrieben hat, die bis heute große internationale Erfolge feiern.

Ich bewundere Astrid Lindgren und habe deshalb schon sehr viel von ihr und über sie gelesen. Unter anderem die Biografie der Journalistin und Freundin Margareta Strömstedt. Auch habe ich mir vor wenigen Tagen ihr Geburtshaus in Vimmerby angeschaut und dort das Astrid Lindgren Museum besucht.

Nebenbei las ich dieses Buch; die Romanbiografie Maria Regina Kaisers. Und ich muss leider sagen, dass dieses Buch ein wenig im Kotrast zu den freundlich gezeichneten Darstellungen Astrid Lindgrens stand. Der Romanteil liest sich eher schleppend und ist eigentlich auch nicht viel tiefergehend als eine nicht literarisierte Biografie. Dem anschließenden ausführlichen Sachteil konnte ich noch ein paar interessante Gedanken entnehmen. Beide Teile klingen aber etwas unfreundlich und nicht unbedingt wohlgesonnen. Ich denke, es sollte Astrid Lindgren zugestanden werden, dass sie ein Bild von sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollte, das vielleicht nicht alles offenlegt, was sie ausmachte.

Es hätte etwas feinfühliger vorgegangen werden können bei einer Biografie.

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Veröffentlicht am 16.06.2023

Zeitschriftenbeiträge der berühmten Autorin

Der Boulevard
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„Die graue Kutte der Sinnlosigkeit legte sich um ihn. Vergeblich versuchte er sich an die Töne zu erinnern, die ihn über die Trübsal des Alltags und der Einsamkeit erhoben hatten. Alles war so wie vorher.“

Die ...


„Die graue Kutte der Sinnlosigkeit legte sich um ihn. Vergeblich versuchte er sich an die Töne zu erinnern, die ihn über die Trübsal des Alltags und der Einsamkeit erhoben hatten. Alles war so wie vorher.“

Die für ihre Mumin-Bücher berühmte Autorin und Illustratorin Tove Jansson war ein Ausnahmetalent. Vielen hierzulande dürfte nicht (mehr?) bekannt sein, dass sie auch Literatur für Erwachsene geschrieben hat. In „Der Boulevard“ versammeln sich Texte - Kurzgeschichten, Auszüge - der bekannten Schriftstellerin, die in Zeitschriften erschienen sind.
Nachdem ich den Kurzgeschichtenband „Reisen mit leichtem Gepäck“ von Jansson mit großer Begeisterung las, war ich sehr gespannt auf diesen Sammelband. Die Texte in „Der Boulevard“ beinhalten allerdings eine deutlich andere Zusammenstellung. Manche Anspielung versteht man nur, wenn man ihre Fantasiewelten bereits kennt. Einige Texte wirken etwas unfertig und nicht so pointiert, wie ich es von der Autorin zu kennen meinte. Dennoch finden sich auch in diesen Geschichten viele kluge Sätze und Begebenheiten.
Tove Jansson war eine kluge Beobachterin, eine Menschenkennerin, die in ihren Geschichten stets freundlich auf ihre Figuren schaut, so schwierig und eigensinnig sie auch sein mögen. Das spürt man auch in „Der Boulevard“.
Das Buch ist ein eher holpriges Lesevergnügen. Das liegt vermutlich an der Zusammenstellung der Texte, die nicht von der Autorin selbst kommt, sondern von der Jansson-Forscherin Sirke Happonen. Spannend ist hier wohl vor allem der literaturwissenschaftliche und neue Blick auf das Gesamtwerk der Autorin.

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