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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.08.2023

Traumatisch

Sterne über Berlin
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Indi ist Lampenkünstlerin. Aufgewachsen in Berlin bei ihrem Großvater, bei dem sie ihre Mutter einst vor der Tür zurückließ. Da sie ihre Eltern nicht kennt, trifft sie der frühe Tod ihres Großvaters umso ...

Indi ist Lampenkünstlerin. Aufgewachsen in Berlin bei ihrem Großvater, bei dem sie ihre Mutter einst vor der Tür zurückließ. Da sie ihre Eltern nicht kennt, trifft sie der frühe Tod ihres Großvaters umso mehr. Sie scheint den Halten im Leben verloren zu haben. Als sie René begegnet schwankt sie zwischen Hoffnung und Angst: Hoffnung auf einen neuen Anfang mit neuer Beziehung und vielleicht neuer Familie, aber auch Angst davor, ob sie sich beide gegenseitig den Halt geben können, den sie brauchen. Denn auch René hat Traumatisches erlebt als Kriegsreporter in Syrien. Auch er kämpft um ein wenig Normalität in seinem Leben, nicht nur für sich, sondern auch für seine kleine Tochter, die er gerade erst kennengelernt hat und die er gleich wieder verlieren könnte…
Eigentlich eine gute Basis für einen Unterhaltungsroman: eine schwierige Ausgangslage, verzwickte Umstände und dennoch die Aussicht auf ein gutes Ende. Die Figuren sind sympathisch angelegt, das Ambiente ist auf Wohlfühlfaktor programmiert: eine Künstler-Altbauwohnung in Berlin, und die Autorin hat ein enormes Potential an Phantasie, wenn sie für den Leser Indis Installationskünste entwirft, dass er das Gefühl bekommt, etwas ganz Großartiges zu sehen, ohne doch ein wirklich klares Bild davon zu haben. Der Rest bleibt Magie.
Leider kann sich das Buch aber nicht wirklich entscheiden, was es sein will: gute Unterhaltung, die ein bischen Drama verträgt, aber nicht zu schwer und zugleich nicht zu plakativ sein darf, oder tiefgründige Seelenstudie über postraumatische Belastungsstörung, die wohl schwere Kost sein darf, aber nicht zu melodramatisch und auch nicht zu platt. Leider haben wir davon in diesem Buch zu viel. Gerade zum Ende hin steigert sich die Handlung ist Überdramatische, um sich dann in einer Hundertachtziggraddrehung zum Positiven zu wenden. Unendliche Tränenflüsse und Enttäuschen über Vertrauensbrüche, die gar keine sind, Selbstvorwürfe und Verzweiflung auf beiden Seite wollen über Seiten bewältigt werden. Dabei bleibt bis zum Ende das ungute Gefühle, das sich fragt, ob man ein durch die Eindrücke des Krieges ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung auf gleiche Stufe stellen darf mit den Partyabstürzen einer Frau, die mit den Geheimnissen in ihrer Familie nicht klar kommt, wobei man sagen muss, dass ihr der Großvater und die skurile Hausgemeinschaft mehr liebevolle Familie waren, als manch anderer trotz Anwesenheit von Vater und Mutter je hatte. Auch wenn Leid sicher immer subjektiv ist, klingt das doch ein wenig nach Überproblematisierung und wird dem wirklichen Trauma nicht gerecht. Auch wenn die Autorin sich um vielschichtige Charaktere bemüht, alle sind irgendwo Opfer und Täter, so sind die Sym- und Antipathien doch sehr klar verteilt: Indi und René haben sind emotional, liebenwürdig, künstlerisch-kreativ und auf positive Weise ungewöhnlich. Den Gegenpart muss Renés Ex einnehmen: sie ist die Böse, Anwältin, kühl, nörglerisch, zickig, ohne Verständnis für ihr Gegenüber, bis sich herausstellt, dass auch sie nur geliebt werden will. Etwas platt.
Ich hätte lieber den Unterhaltungsroman gelesen über die Lampenkünstlerin Indi, die so wunderschöne Lichterfeste feiert, in einer bunten Hausgemeinschaft lebt und nach einigen Verirrungen ihrem René in die Arme fallen darf. Es dürfen auch ein paar Seelen gerettet werden, aber der Wohlfühlfaktor solte überwiegen. Denn das war meine Erwartungshaltung an das Buch und das wunderschöne Cover, das mir eigentlich verspricht, mich für ein paar stimmungsvoll beleuchtete Lesestunden von allen schlimmen Traumata dieser Welt zu entführen.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Gefühl
Veröffentlicht am 26.06.2023

Die Vergessenen der Geschichte

Die Wölfe von Pompeji
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Das Leben von Frauen, zumal von Sklavinnen in der Antike führte in der antiken Geschichtsschreibung immer ein Schattendasein: zu unbedeutend, um groß Worte darauf zu verschwenden. Umso weniger ist von ...

Das Leben von Frauen, zumal von Sklavinnen in der Antike führte in der antiken Geschichtsschreibung immer ein Schattendasein: zu unbedeutend, um groß Worte darauf zu verschwenden. Umso weniger ist von ihrem Alltag, ihren Wünschen und Träumen bekannt. Umso mehr bietet es Anlass für Spekulationen und fiktive Vervollständigung. Das Thema des historischen Romans „Die Wölfe von Pompeji“ ist durchaus gut gewählt und gelungener Gegenstand für einen opulenten historischen Wälzer à la Colleen Mcloughlin.
Amara, Tochter aus guten Hause, verschlägt das harte Schicksal in die Welt der Bordelle von Pompeji. Konfrontiert mit der brutalen Realität eines Lebens als Sklaven im Dienste der Liebe und getragen von der Hoffnung, ihre einstige Freiheit wieder zu erlangen, sucht sie Trost und Rückhalt bei den anderen Sklavinnen. Doch neben Liebe und Freundschaft regieren auch Intrigen und Verrat. Wird Amara eine Chance auf eine bessere Zukunft haben?
Insgesamt gibt die Autorin interessante Einblicke in das Bordellleben der Zeit und arbeitet ihre Hauptfiguren recht gut aus. Der Stil ist flüssig und leicht zu lesen. Allerdings bleibt der historische Ort, Pompeji, etwas blass. Und auch die Handlung zieht sich. Es scheint sich im Moment in der Unterhaltungsliteratur, besonders im Genre historischer Roman der Trend abzuzeichnen, mehr über die Gefühlslagen und Gedankenwelten der Figuren in der Innensicht zu erzählen, statt Handlung wirklich geschehen zu lassen und den Leser mit in den Strudel von Ereignissen zu ziehen. Da sind für mich die Wälzer einer Colleen Mcloughlin voll packender Spannung, dafür ohne seitenlange innere Monologe über Befindlichkeiten, dann doch das größere LeseERLEBNIS.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.06.2023

Ein zweifelhaftes Lob auf die Selbstverwirklichung

Der Traum vom einfacheren Leben
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Drei Generationen Frau zwischen Schweden und Dänemark auf der Suche nach einem gelingenden Leben: Die jüngste ist Josefin. Sie kämpft mit ihrem Freund Harald für den Erhalt eines alten Hofes, der einmal ...

Drei Generationen Frau zwischen Schweden und Dänemark auf der Suche nach einem gelingenden Leben: Die jüngste ist Josefin. Sie kämpft mit ihrem Freund Harald für den Erhalt eines alten Hofes, der einmal ein Selbstversorgerdasein ermöglichen soll. Doch das Geld ist immer knapp und die Arbeit immer viel. Da lockt ein Angebot in einem trendigen Laden mit nachhaltigen, aber teuren Klamotten in Malmö zu arbeiten und wieder Großstadtluft und – leben zu schnuppern und genießen. Passt das zum Traum vom einfachen Leben ohne Konsum? Und was wird aus ihrer Beziehung zu Harald?
Ihre Mutter Sally eröffnet währenddessen eine kleine Frühstückspension im Fischerdorf Kivik. Lange hat sie sich als alleinerziehender Mutter als Pflegehelferin durchschlagen müssen. Mit Männern hatte sie kein Glück. Auch bei ihr ist das Geld immer ein Problem. Und die Männer auch. Kann sie sich mit ihrer Pension durchsetzen? Und wird sie sich für den Richtigen entscheiden?
Die dritte im Bunde ist Sallys Mutter und Josefins Großmutter Vanja. Sie ist gestaltende Künstlerin, hat ihren Mann und ihre Tochter im Alter von drei Jahren verlassen, zog in der Welt umher und landete dann in Stockholm. Auch sie kann keine großen Sprünge machen. Und künstlerisch ist auch sie auf der Suche. Eigentlich zieht sie alles zurück nach Kivik, um sich mit ihrer Tochter zu versöhnen. Können die Frauen noch zu einander finden? Und kann sie ihrer Enkelin helfen, ihren Traum vom einfachen Leben zu leben?
Der Autorin gelingt es gut, die Sommerstimmung in Skandinavien einzufangen. Doch der so locker leichte äußerliche Rahmen zeigt drei Lebenswege, die alles andere als einfach sind. Die Figuren dabei sind durchaus interessant konzipiert und ihre Lebenswege thematisieren auf ganz unterschiedliche Weise diei Frage: Wie willst du leben? Und welchen Preis bist du dafür bereit zu zahlen? Ich finde die Entscheidungen der Figuren dabei allerdings häufig auch ein wenig schwer nachzuvollziehen. Sie wirken bisweilen doch sehr eigennützig oder sehr ich-bezogen. Die Selbstverwirklichung wird dann gerne auch einmal auf Kosten anderer durchgezogen, aber genauso leichtfertig wieder über den Haufen geworfen. Die Haltungen dabei scheinen mir von allen Parteien recht starr und dogmatisch, was auch immer wieder zu Konflikten zwischen den einzelnen Parteien, z. B. Harald und seinen Eltern, Sally und ihrer Mutter Vanja oder Josefin und Harald führt. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, den ersten Band der Reihe zu kennen, um die Beweggründe der Personen besser nachvollziehen zu können. So ist mir der Umschwung der Meinungen stellenweise zu abrupt.
Auch die Sprache in der Übersetzung ist stellenweise ein wenig unelegant, soddass man über Wendungen wie „am + substantiviertem Infinitiv“ hängen bleibt.
Insgesamt zeigt sich, dass der Traum vom einfacheren Leben einfacher zu träumen als zu leben ist.

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Veröffentlicht am 18.05.2023

Sommer eines Lebens

Gidget. Mein Sommer in Malibu
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Franzie ist 15, ein aufgewecktes Mädchen aus den 50er Jahren in Amerika. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Nähe zu Malibu und zum Meer. Und als sie eines Tages mit ihren Eltern den Strand besucht und die ...

Franzie ist 15, ein aufgewecktes Mädchen aus den 50er Jahren in Amerika. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Nähe zu Malibu und zum Meer. Und als sie eines Tages mit ihren Eltern den Strand besucht und die Surfer die Wellen vor der Küste reiten sieht, weiß sie, dass will sie auch können. Sie lernt nicht nur die coolen Surfer-Typen kennen, die ein ganz eigenes Lebensgefühl verkörpern, sondern auch die Liebe. Und sie wird, wie sagt, über Nacht erwachsen.
Der dünne Romanband beruht auf der wahren Geschichte eines amerikanischen Mädchens, das mit ihrem Traum von Surfen, den sie ihrem Vater erzählte, der daraus diesen Roman machte, zur Vorreiterin für eine ganze Sehnsuchtsbewegung wurde, die danach strebte, ein unbeschwertes Sommer-Sonne-Strand-und-Meer-Leben als Surfer:innen zu führen. Denn dieses Lebensgefühl fängt der Roman sehr gut ein. Mit den Augen eines frühreifen, recht selbstbewussten Teenagers, der in einem behütenden, aber auch sehr weltoffenen Haushalt groß wird, blickt der Leser auf die „Crew“, eine Gruppe alterslos jung erscheinender, braungebrannter Surfer, die den Wellen hinterher reisen, von Gelegenheitsjobs leben oder pro forma aufs College gehen und sich coole Namen geben. Sie leben stets im Hier und Jetzt, verschwenden keinen Gedanken an Sorgen oder Zukunftspläne. Ein verlockendes Lebensmodell. Konfrontiert wird dies mit den schwärmerischen Träumen eines Backfisch-Mädchens, das natürlich doch – trotz aller burschikosen Versuche, in dieser Crew gleichberechtigte Aufnahme zu finden – auf die große Liebe unter den sportlich braungebrannten Hünen hofft. Leider nimmt die Schilderung dieser glühend schwülstigen Sehnsüchte und der taktischen Überlegungen, sich zum begehrenswerten Objekt zu machen bei aller Angst, die Jungfräulichkeit doch allzu unüberlegt zu verlieren, zwischenzeitlich immer mehr Raum ein und wird zum dominierenden Thema. Hinzu kommt der für ein 15jähriges Mädchen der 50er Jahre doch bisweilen ziemlich schnoddrige Ton – „alter Falter“, der auch etwas nervtötend anmutet, auch wenn er vielleicht zu diesem unerschrockenen Mädchen passen mag.
Interessant und lesenswert ist auf jeden Fall das Nachwort von Volker Weidermann über die prominent Familie des Autors von „Gidget“ und seiner Tochter, der Vorlage für das Surfergirl im Roman.

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Veröffentlicht am 25.02.2023

Wenn weder das Leben noch der Tod es gut mit einem meinen

Kollektorgang
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Der 13jährige Erzähler der Geschichte hat ein markantes Merkmal. Er ist tot. Und er erzählt von seinem Grabstein aus, wie es dazu kam. Er lebt mit Mutter und ab und an auch Vater in einem Plattenbau. Der ...

Der 13jährige Erzähler der Geschichte hat ein markantes Merkmal. Er ist tot. Und er erzählt von seinem Grabstein aus, wie es dazu kam. Er lebt mit Mutter und ab und an auch Vater in einem Plattenbau. Der Hof ist Kampfplatz für Gangs von Halbstarken, die die jüngeren, ängstlicheren, schwächeren Kinder drangsalieren und ausnehmen. Und auch die ausländischen Kinder, wie den Jungen Rajko und seine Schwester Ema, mit denen sich der Erzähler im Laufe der Zeit anfreundet: Rajko bewundert er für seinen Mut, und in Ema verliebt er sich. Dramatisch spitzen sich die Ereignisse zu, als die drei mit einem weiteren vermeintlichen Freund einen Kollektorgang entdecken, einen Schacht für die Versorgungskanäle der Häuserblocks, über den man in die verschiedenen Höfe gelangt. Das ist Nicki, furchteinflößender Boss über die Höfe, ein Dorn im Auge. Sowieso gilt es, den mutigen Rajko in die Schranken zu weisen, und dafür ist Nicki jedes Mittel recht.
Der Autor erzeugt in seinem Jugendroman ein bedrohliche Atmosphäre von Willkür, Gewalt und Brutalität. Schon darum ist er sicherlich nicht für alle Leser geeignet. Da helfen auch die locker ironischen Kommentare des (un)toten Erzählers nicht, der mit seinem Grabnachbarn über das Leben und den Tod sowie das Leben der Lebenden philosophiert. Sowohl in diesen Passagen als auch in der Erzählung der Vorgänge, die aus den Augen des 13jährigen Mario geschildert werden, hat man weder vom Denk- noch vom Sprachduktus her das Gefühl, man habe es mit einem ängstlichen Jungen zu tun, der mit der Möglichkeit, ab dem nächsten Schuljahr aufs Gymnasium zu gehen, den gewalttätigen Wohnblocks entkommen könnte. Dafür sind Gedanken und Worte zu erwachsen, abgeklärt, bisweilen poetisch-philosophisch überhöht.
Dafür bleiben die Figuren, bisweilen auch die Handlung, und ihre Hintergründe zu schemenhaft und vage, wie die Schatten in dem Kollektorgang. Über niemand erfährt der Leser etwas Genaueres, lediglich ein paar klischeehafte Äußerlichkeiten und eine Nummer für den Block, in dem der jeweilige lebt.
Was nimmt der Leser mit aus der Geschichte? Wo liegt der Sinn eines Lebens, das so sinnlos endet? Kann Freundschaft etwas ausrichten gegenüber dem Recht des Stärkeren, auch wenn seine Stärke auf Einschüchterng beruht? Rettet die Liebe vor dem Tod? Gibt es eine Linie, die eventuell einen Übergang in ein ewiges Leben zu markieren scheint? Und ist ein ewiges Leben überhaupt erstrebenswert, wenn das Leben nach dem Tod auf dem Friedhof schon so wenig lebenswert erscheint? Die Lebenden führen ihr Leben weiter, scheinbar, ohne etwas gelernt zu haben. Von den Freunden erscheint keiner mehr an Marios Grab. Hat sich in ihrem Leben etwas verändert?
Das Buch ist keine leichte Kost. Müssen Bücher ja auch nicht immer sein. Aber mir fehlt hier etwas, das über die Sinnlosigkeit des Lebens und des Todes hinaus verweist, gerade wenn es sich an so junge Menschen richtet, wie Mario, die das Leben eigentlich noch vor sich haben.

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