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Veröffentlicht am 07.09.2018

Gewalt ist keine Option

Mit der Faust in die Welt schlagen
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Schornsteine, die nicht mehr rauchen, Überreste von Schienen und verlassene Fabriken erinnern an das Leben vor der Wiedervereinigung und erzählen davon, wie das Leben der Menschen früher verlaufen ...

Schornsteine, die nicht mehr rauchen, Überreste von Schienen und verlassene Fabriken erinnern an das Leben vor der Wiedervereinigung und erzählen davon, wie das Leben der Menschen früher verlaufen ist.
Im Jahr 2000 freuen sich Vater und Mutter mit ihren Söhnen Philipp und Tobias über den Neubau ihres Hauses in Neschwitz, einer Kleinstadt in Sachsen, und damit auch auf ihr neues Leben. Doch die Zukunft mit ihren Wünschen und Plänen sieht anders aus als in ihren Vorstellungen. Großen Anteil daran hat das Weltgeschehen.

Die Geschichte ist in 3 Bücher eingeteilt. Das erste erzählt aus den Jahren 2000 bis 2004, das zweite aus 2004 bis 2006 und das dritte aus 2013 bis 2015.
Der Autor, selbst in Ostsachsen geboren, erzählt die Geschichte eher sachlich und unverschnörkelt, aber realitätsnah.
Wie leicht man auf eine Bahn gerät, auf der man gar nicht sein möchte, und Dinge – auch mit eigener Beteiligung – geschehen lässt, nur um dazuzugehören, ist einfach erschreckend, wird aber sehr glaubhaft vermittelt.
Philipp und Tobias leben in einer Familie, in der keine Liebe zu spüren ist. Der Vater lässt offen seinen Fremdenhass spüren. Tobias, der Jüngste, muss erfahren, dass seine selbstgemachten Geschenke nichts wert sind. Das lässt ihn so wütend werden, dass er sie nicht verschenkt, sondern mit den Füßen zertrampelt. Irgendwann gibt es keine Perspektiven mehr.
Der Bezug zum Weltgeschehen, besonders die Aufnahme vieler Flüchtlinge und das Zusammenleben mit ihnen, ist ein Problem vieler Menschen, nicht nur in Sachsen, sondern leider in unserem ganzen Land.
Am Ende des Romans angelangt und durch das Beispiel das Wissen zu haben, wie sich Hass aufbauen kann, verstehe ich, dass man manchmal am liebsten „Mit der Faust in die Welt schlagen“ möchte.
Doch Gewalt ist keine Option!
Die hochaktuelle Geschichte lässt mich nachdenklich zurück.
Sehr empfehlenswertes Buch!


Veröffentlicht am 29.08.2018

Volle Kraft voraus!

Manhattan Beach
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Die Geschichte von Anna hat mir sehr gut gefallen. Bewundernswert, mit welchem Eifer, mit welcher Verbissenheit und Entschlossenheit sie ihr Ziel verfolgt, Taucherin zu werden. Auf der anderen ...

Die Geschichte von Anna hat mir sehr gut gefallen. Bewundernswert, mit welchem Eifer, mit welcher Verbissenheit und Entschlossenheit sie ihr Ziel verfolgt, Taucherin zu werden. Auf der anderen Seite ist sie der Familienmensch der sich hingebungsvoll ihrer kleinen pflegebedürftigen Schwester Lydia widmet, in die Anna sich so hingebungsvoll hineinversetzen kann, dass es einfach nur schön ist. Gern hätte ich mir diesen Teil - um Anna - etwas ausführlicher gewünscht.
Sehr gut hat mir die auch Erzählung von Annas Vater Eddie gefallen, die zum großen Teil spannend, an einigen Stellen aber auch sehr gefühlsbestimmt war.
Alles andere, was selbstverständlich zur Beschreibung von „Manhattan Beach“ interessant und wissenswert ist, hat für mein Empfinden einen zu großen Raum eingenommen und ist teilweise zu ausführlich beschrieben worden.
Darum von mir nur 3 von 5 Punkten.

Veröffentlicht am 27.08.2018

Unheimliche Suche

Hazel Wood
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Alice mit ihren Eigenarten, die sie nicht unbedingt sympathisch erscheinen lassen, lebt allein mit ihrer Mutter Ella, die sehr ruhelos ist und es nie lange an einem Ort aushält, so als ob sie ...

Alice mit ihren Eigenarten, die sie nicht unbedingt sympathisch erscheinen lassen, lebt allein mit ihrer Mutter Ella, die sehr ruhelos ist und es nie lange an einem Ort aushält, so als ob sie vor etwas davonläuft. Alice kennt es nicht anders, als dass sie ständig umziehen. Eine Familie gibt es nicht. Alice weiß nur, dass sie eine Großmutter hat, die Althea heißt und Märchenerzählerin ist. Aber Fragen danach weicht Ella stets aus und Alice muss sich damit zufrieden geben, keine Antworten zu bekommen. Als Althea stirbt, verschwindet Ella unverhofft. Alice sieht keine andere Möglichkeit, als sich auf den Weg zu machen um ihre Mutter zu suchen, obwohl sie noch deren Worte im Ohr hat: „Halte dich fern von Hazel Wood!“
In Finch, einem Fan und Liebhaber von Altheas Märchen, findet Alice einen gleichaltrigen hilfsbereiten Begleiter.
Das Buch "Hazel Wood" ist schon äußerlich ein Schatz. Das Cover ist märchenhaft schön und so fühlt es sich auch an. Auch unter dem Schutzumschlag ist das Buch wunderschön anzusehen.
Mir gefällt der Schreibstil, er ist fesselnd, geheimnisvoll und spannend. Ich fühlte mich sofort mit hineingenommen in die Geschichte wie in eine andere Zeit und eine andere Welt. Das liegt sicher zum einen daran, dass die Autorin es versteht, Orte und Situationen auf ihre ganz eigene Art zu beschreiben, in der die Spannung nicht nachlässt und alles sehr geheimnisvoll, märchenhaft und fantastisch wirkt, zum anderen aber auch daran, dass Alice und Finch viele Abenteuer bestehen müssen, die oft von furchteinflößenden Wesen begleitet und erschwert werden.
Finch wirkt wie ein Beschützer. Im Gegensatz zu Alice kennt er die Märchen und er erzählt ihr auch eines davon. Auch hier wieder das Gefühl, dass Finch Alice beschützen möchte, indem er vielleicht einige Stellen des Märchens nicht erzählt.
Dabei gefällt mir, dass sich das abgedruckte Märchen durch Rahmen an den Seitenrändern von dem anderen Text absetzt.
Es ist schon eigenartig: Ich halte mich in der Regel für einen realitätsnahen Menschen und finde es grandios, dass die Erzählung, die manchmal märchenhaft schön, aber häufig düster, unheimlich und gruselig ist, mich so fesseln und solch eine Wirkung auf mich haben kann.
„Wo alles beginnt“ heißt der Untertitel dieses Buches, das noch eine Fortsetzung finden soll. Allerdings hat dieses Buch auch ohne Fortsetzung einen guten Abschluss.

Veröffentlicht am 20.08.2018

Ein ganzes Leben

Das rote Adressbuch
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Doris ist 96 Jahre alt. Zu ihrem 10. Geburtstag bekam sie von ihrem Vater ein rotes Adressbuch geschenkt, in dem sie alle Adressen der Menschen festhalten sollte, die eine Bedeutung in ihrem ...



Doris ist 96 Jahre alt. Zu ihrem 10. Geburtstag bekam sie von ihrem Vater ein rotes Adressbuch geschenkt, in dem sie alle Adressen der Menschen festhalten sollte, die eine Bedeutung in ihrem Leben haben. Dieses Buch hat sie ihr Leben lang gehütet und gepflegt. Jedes Mal, wenn sie erfahren hat, dass einer dieser Menschen verstorben war, hat Doris dessen Namen durchgestrichen und TOT daneben geschrieben. Inzwischen gibt es nur noch wenige Namen, die nicht durchgestrichen sind. Zu ihnen gehört Jenny, Doris‘ Großnichte, die sie liebt wie ihr eigenes Kind.
Für Jenny schreibt Doris zu jeder Adresse die Geschichte. Dadurch reist auch sie selbst gedanklich noch einmal an die verschiedenen Orte ihrer Vergangenheit.
So bezaubernd wie das Cover sind auch die Geschichten, die Doris erzählt, auch wenn die Stationen ihres Lebens nicht einfach waren.
Ein warmherziger Schreibstil, der zwar das Lesen leicht macht, aber der es schwer macht, das Buch auch mal aus der Hand zu legen. Dazu tragen nicht zuletzt die kurzen Kapitel bei, in denen wechselweise aus Doris‘ Gegenwart und die Geschichten der Menschen aus dem Adressbuch und damit auch aus Doris‘ Vergangenheit sehr spannend erzählt werden, die aber auch Einblick geben in Jennys Leben und das ihrer Familie. Die Warmherzigkeit zwischen Doris und Jenny wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, selbst wenn sie örtlich weit voneinander entfernt wohnen und ein Kontakt nur durch Skypen aufrechterhalten wird.
Was ich nicht unerwähnt lassen möchte: Doris war auf häusliche Pflege angewiesen. Die Autorin scheint genau zu wissen, welche Unterschiede es gibt im Bereich der Altenpflege. Da gibt es Pflegerinnen wie Sara, die sich liebevoll um Doris kümmern, die ein Gespür für deren Wünsche haben und ohne großen Aufwand erreichen, dass Doris zufrieden ist. Doch es gibt leider auch Pflegerinnen, die dieses Gespür nicht haben. So habe ich mir – allein nach der Beschreibung, wie sie das Essen für Doris vorbereitet und serviert hat – gewünscht, Ulrika hätte doch besser einen anderen Beruf erlernt.
Ein wunderschönes Buch, mal anders als alle anderen!


Veröffentlicht am 27.07.2018

Miteinander in einer Welt

Sprichst du Schokolade?
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Die Geschichte spielt in England. Als Nadima als „Neue“ in Josies Klasse kommt, ist es mit der Verständigung nicht ganz einfach. Über die Sprache gibt es jedenfalls zunächst keine Möglichkeit, ...

Die Geschichte spielt in England. Als Nadima als „Neue“ in Josies Klasse kommt, ist es mit der Verständigung nicht ganz einfach. Über die Sprache gibt es jedenfalls zunächst keine Möglichkeit, denn Nadima spricht kein Englisch. Doch die Sprachbarriere wird durchbrochen, als Josie Nadima ein Stück Schokolade anbietet und dazu die Frage stellt: „Sprichst du Schokolade?“ Auch Nadima hat etwas zum Naschen dabei – und schon klappt es zwischen den beiden Mädchen mit der Verständigung. Immer wieder finden sie Wege, wie sie „ohne Worte“ miteinander kommunizieren können.
Allerdings ist die Sprache nicht das einzige, was die Mädchen voneinander unterscheidet. Nadima, ihre Eltern und Geschwister kommen aus einem anderen Kulturkreis, sind als Flüchtlinge nach England gekommen und versuchen hier ein neues Leben zu beginnen.
Ganz langsam nähern sich Josie und Nadima an. Feinfühligkeit und Fingerspitzengefühl sind notwendig. Das ist für Josie nicht immer ganz einfach. Sie hat zwar ein großes Herz, einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und setzt sich für andere ein, allerdings kommen die Worte oft schneller aus ihrem Mund, als dass sie sich Gedanken darüber macht, was unüberlegte Worte anrichten können.
Das Cover sieht fremdartig und sehr ansprechend aus. Viele Geschichten aus dem Buch tauchen dort in Bildern auf. Die einzelnen Kapitel, die im Schnitt fünf Seiten lang sind, sind mit Überschriften versehen. Themen sind Legasthenie, Essen aus anderer Kultur, Katastrophen, die manchmal durch Unüberlegtheit entstehen, es geht um Ausraster, um Wut, Tränen und Eifersucht, aber auch um Verständnis füreinander, um Freundschaft und Einsicht, um Armut und um Stolz.
Was viele Menschen nicht bedenken, wird in diesem Buch, das sicherlich nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene lesenswert ist, sehr einfühlsam beschrieben: was einzelne Menschen und Familien erlebt haben, die ihre Heimat sicherlich nicht gern verlassen haben, aber dennoch als Flüchtlinge in einem für sie fremden Land versuchen, sich ein neues – ein sicheres – Leben aufzubauen.