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Veröffentlicht am 31.10.2018

Dramatische Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen während des Zweiten Weltkrieges und des Mauerfalls

Sophies Tagebuch
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Am 2. Oktober 1989 wird Ulrich zur Linde tot von seiner Haushälterin aufgefunden. Die dazu gerufene Tochter Erika redet sich zunächst ein, dass sich beim Reinigen seiner Pistole versehentlich ein Schuss ...

Am 2. Oktober 1989 wird Ulrich zur Linde tot von seiner Haushälterin aufgefunden. Die dazu gerufene Tochter Erika redet sich zunächst ein, dass sich beim Reinigen seiner Pistole versehentlich ein Schuss gelöst haben muss, aber ein gezielter Schuss in die Schläfe kann nur als Selbstmord ausgelegt werden. Erika hatte wenig Kontakt zu ihrem Vater und kann sich einen Grund für eine solche Tat nicht vorstellen. Vor vier Tagen hatte ihr Vater nach Angaben der Haushälterin einen Brief erhalten, der ihn verstört hat. Beim Absender handelt es sich um Paul Singer aus Amerika, der auf der Suche nach seinem 1943 verschwundenen Onkel Felix Auerbach, einem Juden, ist, mit dem Ulrich zur Linde befreundet gewesen sein muss.

Parallel dazu findet Erika im Zimmer ihrer bereits vor dreißig Jahren verstorbenen Mutter Sophie Aufzeichnungen, die sie als Rezeptsammlung getarnt hatte. Ihre Tagebucheinträge beginnen am 20. April 1939, als sie bei einer Parade zu Ehren des Führers Felix Auerbach kennengelernt hat. Für Erika kann dies kein Zufall sein. Sie möchte Paul Singer, der für November einen Besuch in Deutschland angekündigt hat, treffen, um mehr über die Verbindung ihres Vaters bzw. ihrer Eltern zu einem Juden zu erfahren.

"Sophies Tagebuch" ist eine dramatische Familiengeschichte, die zur Zeit des Mauerfalls in Berlin handelt und dabei auf die Jahre während des Zweiten Weltkriegs zurückblickt. Die Ereignisse 1939 bis 1945 werden durch die Tagebucheinträge von Erikas Mutter erzählt, die diese mühevoll entziffert. Sophie ist eine junge Frau gewesen, die regimetreu von ihren Eltern erzogen wurde und mit neunzehn Jahren Ulrich zur Linde geheiratet hat, den sie allerdings im Vergleich zu seinem Schulfreund Felix Auerbach weniger attraktiv findet. Sophie macht mit ihren abfälligen Äußerungen über ihren Ehemann keinen sympathischen Eindruck. Auch ihre Ausführungen über die Kriegsereignisse und die Verfolgung der Juden wirken einfältig bis naiv. Der von ihr beschriebene Auerbach ist rätselhaft, bemüht er sich doch nur sehr halbherzig um eine Emigration aus Deutschland, während seine Schwester 1941 nach Shanghai geflohen ist.

Erika tippt die Tagebucheinträge ihrer Mutter ab und versinkt gerade zu in deren Geschichte. So wird auch in der Gegenwart Spannung erzeugt, was das eigenartige Verhalten Auerbachs auf sich haben und was letztlich mit ihm geschehen sein mag. Es ist offensichtlich, dass die vergangenen Ereignisse im Zusammenhang mit Ulrich zur Lindes Freitod stehen müssen. Erika zeigt kaum Regungen, liest das Tagebuch emotionslos, trauert weder um ihre Eltern, noch macht sie sich wirklich Gedanken um die Ereignisse um sie herum, verfolgt nur am Rande die Proteste im Oktober 1989 in der DDR. Stattdessen macht sich die geschiedene Lehrerin, die scheinbar keinerlei Freunde hat, Gedanken um ihre Frisur und ihren Kleidungsstil, den sie ändert, in dem sie die abgelegten Kostümjacken ihrer Mutter trägt. Sie kopiert unterbewusst ihre hübsche Mutter und setzt darauf, dass Paul Singer dem gut aussehenden Felix Auerbach ähnlich ist, um auf diese Weise zur Wahrheit über die Geschichte ihrer Familie zu gelangen.

Auch wenn kaum einer der Protagonisten ein Sympathieträger ist, fesselt die Geschichte hinter den schwer einschätzbaren Charakteren. Durch die Tagebucheinträge, mit denen Erika aufgrund der Sütterlinschrift nur schwer vorankommt, werden die Ereignisse der Kriegsjahre erst nach und nach offenbart und immer wieder durch die Vorgänge in der Gegenwart in der DDR unterbrochen.
Die Geschichte überrascht durch zahlreiche Wendungen und ist bis zum Schluss nicht vorhersehbar. Als Leser zweifelt man wie die Charaktere der Gegenwart, die Zeitzeugen treffen, an deren Erzählungen, an den Tagebucheinträgen und was in den letzten Kriegsjahren passiert ist. Insbesondere Felix Auerbach, aber auch Ulrich zur Linde bleiben lange undurchschaubar und so muss die Wahrheit für die nachfolgenden Generationen auch im Kontext des Regimes der Nationalsozialisten interpretiert werden, das das Verhalten der Menschen damals beeinflusste.

Veröffentlicht am 20.10.2018

Authentische und gefühlvolle Geschichte um drei liebevoll beschriebene, facettenreiche Figuren

Als sich unsere Herzen trafen
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Kat ist Ende 29 und arbeitet als Krankenschwester in Sheffield. Beruflich ist sie erfolgreich wurde sie doch kürzlich zur Stationsschwester befördert. Privat läuft es weniger gut. Sie trauert Exfreund ...

Kat ist Ende 29 und arbeitet als Krankenschwester in Sheffield. Beruflich ist sie erfolgreich wurde sie doch kürzlich zur Stationsschwester befördert. Privat läuft es weniger gut. Sie trauert Exfreund Mark hinterher, der sie vor sieben Wochen nach fünf Jahren Beziehung verlassen hat.
Eine ihrer Patientinnen, die nach einem Unfall aufgenommen wird, spricht nicht, was allerdings keine physischen Ursachen hat. Kat macht sich Gedanken um die Mittfünfzigerin, von der sie nur den Namen kennt und die scheinbar keine Verwandten oder Freunde hat, die sie vermissen. In Susans Notizbuch findet sie nur eine Telefonnummer, die sie kontaktiert. Es handelt sich dabei um Rhys Woods, einen Installateur, der bei Susan die Heizung repariert hat.
Rhys besucht Susan, ohne zu wissen, dass ihn mehr mit ihr verbindet, als die Arbeiten an ihrem Haus.

Der Roman handelt von drei unterschiedlichen Persönlichkeiten, die scheinbar zufällig aufeinander treffen und die alle ein gebrochenes Herz verbindet. Am meisten Raum nehmen dabei Kat und Rhys ein, während die stumme Patientin Susan zunächst rätselhaft bleibt.
Kat ist eine sehr sympathische Persönlichkeit und engagierte, warmherzige Krankenschwester, deren Arbeitsalltag, ihre Verantwortung und Sorgen, man anschaulich miterlebt. Auch Rhys ist ein einnehmender Charakter, der unter Bindungsängsten zu leiden scheint, seitdem der Vater die Familie vor Jahren verlassen hat und vor wenigen Monaten sein Bruder sich das Leben genommen hat.

Cover und Titel des Buches suggerieren eine Liebesgeschichte, aber die Liebe zwischen Mann und Frau ist nur ein Nebenaspekt des Romans. Anna Mansell verwendet einen emotionalen Schreibstil, der den Leser mitnimmt und der die traurigen Themen Selbstmord, Einsamkeit und Verlassenwerden eindringlich schildert, ohne rührselig zu werden oder ins Kitschige abzugleiten.
Auch wenn der Leser bald ahnt, was hinter Susans Schweigen stecken könnte und sich noch früher sicher sein kann, was Susan und Rhys verbindet, ist der Roman durch Wendungen und die dramatische Geschichte um die drei liebevoll beschriebenen, facettenreichen Individuen packend bis zum Schluss.

Es ist schön zu lesen, wie sich eigentlich fremde Menschen um einander sorgen und sich trotz aller Widerstände bemühen, zu helfen. Nicht nur Kat und Rhys überzeugen, auch die Nebencharaktere verleihen dem Buch Lebendigkeit.

Veröffentlicht am 15.10.2018

Gelungene Mischung aus empathischem Familiendrama, spannenden Kriminalroman und Mysterythriller, der bis zum Schluss fesselt

Alles, was wir verloren haben
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Lucy Durant war 14 Jahre alt, als ihr Bruder Nolan spurlos verschwunden ist. Die Verbindung zu ihrem älteren Bruder hatte sie aber schon länger verloren, da er sich zunehmend in seiner eigenen Gedankenwelt ...

Lucy Durant war 14 Jahre alt, als ihr Bruder Nolan spurlos verschwunden ist. Die Verbindung zu ihrem älteren Bruder hatte sie aber schon länger verloren, da er sich zunehmend in seiner eigenen Gedankenwelt abgeschottet, sich mit UFO-Verschwörungstheorien beschäftigte und selbst der Meinung war, dass Außerirdische unter ihnen seien. Sogar seine Freundin Celeste hatte er im Verdacht, in Wahrheit nicht von dieser Welt, ein "Sternenwesen", zu sein.

Als sich Nolans Verschwinden zum 10. Mal jährt, ist Lucy, die sich allein und von ihren getrennt lebenden Eltern im Stich gelassen fühlt, bereit, Nachforschungen anzustellen. Sie fährt von Los Angeles in ihren Heimatort Bishop, wo ihre Mutter noch wohnt. Durch ihre Rückkehr kommen Erinnerungen an die Nacht, in der Nolan verschwand, und an die Zeit davor, in ihr hoch. Diese sind lückenhaft, was der Verdrängung oder auch dem Alkoholkonsum damals geschuldet sein könnte. Sie gibt sich und ihrem Freundeskreis eine Mitschuld, wie die Situation um Nolan eskalierte und macht sich Vorwürfe, dass sie der Polizei gegenüber nicht die Wahrheit gesagt hat. Zusammen mit dem UFO-Forscher Wyatt versucht sie herauszufinden, was mit Nolan passiert ist.

Der Roman ist aus der Perspektive von Lucy, aber auch von Nolan erzählt, spielt in der Gegenwart, blickt aber auch zurück in die Vergangenheit, in das Jahr 1999, als Nolan verschwand.
Lucy ist eine junge Frau, die in einer Art Warteschleife gefangen ist, kaum einen Menschen an sich heranlässt und es tagtäglich erfolglos versucht, nicht an Nolan zu denken.
Als Teenager hat sie sich, enttäuscht vom Vater, der die Familie verlassen hat, bewusst abgegrenzt und einem Freundeskreis angeschlossen, die sich gehässig über ihren Bruder lustig machen. Nolan und seine schon wahnhaften UFO-Forschungen waren ihr peinlich und aus Sicht eines jungen Mädchen, das dazugehören wollte, ist ihr abweisendes Verhalten Nolan gegenüber nachvollziehbar.
Nolan war ein 16-jähriger kreativer Junge, ein Träumer, dem egal war, was andere über ihn dachten und der in seiner eigenen Welt lebte. Seine UFO-Forschung, der Glaube an Außerirdische, steigert sich in einen Wahn, der die Außenwelt an seinem Verstand zweifeln lässt.

Zehn Jahre später möchte Lucy, geplagt von Reue und Schuldgefühlen, sowie einer schwelenden Wut in Bezug auf ihre Eltern, endlich Gewissheit haben, was mit ihrem Bruder geschehen ist. Die nagende Ungewissheit ist Schuld daran, dass weder sie noch ihre Mutter Sandra, Nolan aufgegeben haben und nach all den Jahren loslassen können. Wurde er tatsächlich von Aliens entführt, ist er einfach weggelaufen oder hat er gar Selbstmord begangen?

Mit Spannung verfolgt man, wie immer mehr Details aus der Vergangenheit offenbar werden und sich die einzelnen Puzzlestücke zusammensetzen. "Alles, was wir verloren haben" ist ein melancholischer Roman über zwei Geschwister und eine zerbrochene Familie, der spannend geschrieben ist. Es geht um Obsessionen, Fragen des Glaubens und die Angst vor dem Unbekannten. Vergangenheit und Gegenwart werden in dieser mysteriösen Geschichte, bei der man nicht wissen kann, was Wahrheit, Einbildung oder krankhafter Wahn ist, anschaulich miteinander verbunden.
Als Leser ist man gefesselt und fiebert einer Auflösung des Rätsels um Nolan entgegen. Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, eine logische Erklärung zu finden oder sich darauf einzulassen, dass wir nicht allein auf der Welt sind und extraterrestrische Intelligenz existiert.

"Alles, was wir verloren haben" ist eine gelungene Mischung aus empathischem Familiendrama, spannenden Kriminalroman und Mysterythriller, der mich bis zum Schluss fesseln konnte.

Veröffentlicht am 10.10.2018

Fiktionale Geschichte, die auf historischen Fakten beruht und sehr einfühlsam und glaubhaft geschildert ist und mich schockiert hat

Und über mir das Meer
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Die 16-jährige Hana ist eine Haenyeo, eine Taucherin, die auf der südkoreanischen Insel Jejudo zusammen mit ihrer Mutter nach Meeresfrüchten taucht. Es ist das Jahr 1943, als sie von japanischen Soldaten ...

Die 16-jährige Hana ist eine Haenyeo, eine Taucherin, die auf der südkoreanischen Insel Jejudo zusammen mit ihrer Mutter nach Meeresfrüchten taucht. Es ist das Jahr 1943, als sie von japanischen Soldaten entführt wird, um ihre jüngere Schwester Emiko zu schützen. Das unschuldige Mädchen wird brutal in die Mandschurei verschleppt und muss dort in einem Militärbordell den japanischen Soldaten gefügig sein. Trotz aller Erniedrigungen, Schmerzen und Quaken lässt sich Hana nicht unterkriegen und träumt den unwahrscheinlichen Traum, ihre Familie wiederzusehen.

2011 reist die ältere Dame Emiko zu ihren Kindern nach Südkorea, um dort an der 1000. Demonstration der sogenannten Trostfrauen in Seoul gegen die japanischen Kriegsverbrechen teilzunehmen. Nach über 60 Jahren der Verdrängung hofft sie dort ihre Schwester wieder zu finden.

"Und über mir das Meer" erzählt die Geschichte Koreas anhand des herzzerreißenden Schicksals zweier Schwestern, die während des Zweiten Weltkriegs voneinander getrennt worden sind.
Romane über den Zweiten Weltkrieg in Europa habe ich einige gelesen, aber die Ereignisse während des Zweiten Weltkriegs in Asien waren mit bisher nicht geläufig. Sehr bildhaft und berührend erzählt die Autorin mit koreanischen Wurzeln von der Stärke der Haenyeo, die während der japanischen Besatzung in den Tiefen des Meeres mehr Freiheit genossen als der Rest der Bevölkerung.

Schockierend ist die Gewalt und Brutalität, die von japanischen Soldaten ausgeht und vor allem die wehrlosen und unschuldigen jungen Frauen und Kinder betrifft. Zehntausende wurden entführt, vergewaltigt und deportiert, um als Trostfrauen zu dienen. Hana ist dabei eine von vielen Zwangsprostituierten, die als Haenyeo nie ihren Kampfgeist und Mut verliert und die vor allem die Gedanken an ihre jüngere Schwester und Familie in Korea am Leben erhalten. Trotz der Gefahr für Leib und Leben und der Hoffnungslosigkeit einer Sklavin im Bordell gibt sie nicht auf, für ihre Freiheit zu kämpfen.

Die jünger Emi hat die Verschleppung ihrer Schwester all die Jahre verdrängt und versucht erst als Großmutter, Hana ausfindig zu machen. In Rückblenden erfährt man, wie sie den Krieg erlebt hat und auch ihr Leiden wird - wenn auch nicht in der Brutalität wie Hanas Schicksal - überzeugend und bewegend erzählt.

"Und über mir das Meer" ist eine fiktionale Geschichte, die auf historischen Fakten beruht und deshalb besonders schockierend ist. Einfühlsam und glaubhaft schilder Mary Lynn Bracht die traurigen Schicksale der beiden jungen Mädchen, die fesseln und mich das Buch kaum aus der Hand legen ließen. Man fühlt den Schmerz und die Entbehrungen fast selbst körperlich und bis zum Schluss ist es spannend zu erfahren, wie Hana ihrem Schicksal trotz, ob sie es als eine der wenigen "Trostfrauen" schafft, zu überleben und ob die beiden Schwestern nach all den Jahren wieder vereint werden.

Die Ereignisse des Jahres 1943 stehen im Fokus des Romans und zeigen die Sinnlosigkeit und Brutalität eines Krieges, der vor allem unschuldige Zivilisten trifft. Wichtig ist aber auch der Blick in die Zukunft, in das Jahr 2011, als die Frauen zum 1000. Mal seit 1992 mittwochs auf die Straße gehen und die Gräueltaten der Japaner anprangern. Entschuldigungen müssen geleistet und Reparationen vorgenommen werden, um Vergangenes wieder gut zu machen.

Tatsächlich hat die japanische Regierung erstmals 1993 eingeräumt, "Trostfrauen" gegen ihren Willen für sie arbeiten zu lassen, diese Erklärung aber 2007 wieder zurückgenommen. 2015 haben sich die japanische und südkoreanische Regierung darauf verständigt, dass über die Ereignisse um die "Trostfrauen" in Zukunft geschwiegen werden soll und eine eigens zum Gedenken errichtete Friedensstatue wieder entfernt. Entsetzlich! Umso wichtiger ist es, dass es Bücher wie die von Mary Lynn Bracht #gegendasVergessen, ein für mich beeindruckendes Debüt und fesselndes Drama gibt.

Veröffentlicht am 28.09.2018

Die Mischung aus historischem Hintergrund und zukünftiger Technologie ist hochspannend dargestellt, die Charaktere vielschichtig

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Helene Bodenkamp ist Anfang 20 und arbeitet als Programmstrickerin im Nationalen Sicherheits-Amt im Dritten Reich. Das NSA ist eine Behörde mit Sitz in Weimar, die noch unter Wilhelm II. gegründet wurde. ...

Helene Bodenkamp ist Anfang 20 und arbeitet als Programmstrickerin im Nationalen Sicherheits-Amt im Dritten Reich. Das NSA ist eine Behörde mit Sitz in Weimar, die noch unter Wilhelm II. gegründet wurde. Nach Ende des Weltkrieges im Jahr 1917 wurden die Aufgaben und Befugnisse des Amtes durch den ersten Regierungschef der Weimarer Republik, Philipp Scheidemann, neu geordnet. Es sollte alle technisch verfügbaren Daten sammeln und Datenströme im Netz der Komputer sowie der beweglichen Telephonie beobachten. Programmstrickerinnen wie Helene unterstützen dabei die Analysten des Amtes, indem sie die Massendaten nach festgelegten Kriterien und Fragestellungen aufbereiten.

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers geriet das Amt innerhalb der Bevölkerung zunehmend in Vergessenheit, das Gestapo, SA und SS in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen wurden.
Während des Krieges gibt es Überlegungen, das Amt aufzulösen, da die Mitarbeiter für wichtigere Aufgaben an der Front oder in der Rüstung gebraucht würden. Der Leiter des Amtes, August Adamek, aber insbesondere der Analyist Eugen Lettke, der auf keinen Fall als Soldat einberufen werden möchte, möchten eine Auflösung des Amtes verhindern und beweisen, dass das Amt eine wichtige Stütze ist, um den Krieg gewinnen zu können. Am 5. Oktober 1942 ist deshalb der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, mächtigster Mann hinter Hitler, für eine Inspektion zu Besuch. Helene, als eine der fähigsten Programmstrickerinnen, demonstriert ihm die schier unendlichen Möglichkeiten der Auswertung der massenhaft vorhandenen Daten über jeden Bürger. Insbesondere die Fähigkeit, illegal versteckte Personen über den Verbrauch von Lebensmitteln pro Haushalt ausfindig zu machen, stößt auf großes Interesse.

Helene befindet sich mit ihrer Tätigkeit, deren Auswirkungen ihr lange nicht bewusst waren, in einem Interessenkonflikt, versteckt sie doch seit Kurzem einen Fahnenflüchtigen, in den sie sich verliebt hat.

"NSA - Nationales Sicherheits-Amt" ist ein Politthriller, der zur Zeit des Dritten Reiches spielt, in der die Technik aber so weit fortgeschritten ist, dass es Komputer, elektronische Briefe, bewegliche Telephone und ein Weltnetz mit Unterhaltungsforen gibt. Das NSA sammelt unkontrolliert Daten über jeden Bürger, die sich allein durch einen Einkauf oder die Nutzung des Telephons ergeben. Die Massendaten werden in Datensilos gesammelt und kommen unter anderem dann zur Auswertung, wenn es einen Hinweis darauf gibt, das sich ein Bürger nicht konform verhält.

Es ist ein erschreckendes Szenario, das Andreas Eschbach aufbaut. Man fragt sich unweigerlich, wie die eigenen Daten im Internet, die bei Behörden, Versicherungen und Ärzten vorliegen, zweckentfremdet würden, wenn heute wieder ein Diktator in Deutschland an der Macht wäre und ob die Daten heute eigentlich sicher sind bzw. ob man zu unvorsichtig ist und zu viel von sich in sozialen Netzwerken preisgibt.

Die Mischung aus historischem Hintergrund und zukünftiger Technologie ist anschaulich und nachvollziehbar dargestellt, da man die historischen Ereignisse und die Entwicklung des NSA durch einen Rückblick in die 20er- und 30er-Jahre aus der Perspektive von Helene miterlebt.

Interessant ist dabei nicht nur die Einfachheit der Sammlung der Daten und die erschreckend leichte Bündelung und Aufbereitung derselben, um sie zur Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung zu nutzen. Die Spannung über die Verwendung der Daten wird vor allem dadurch gesteigert, dass Helene plötzlich persönlich von den Konsequenzen ihrer Tätigkeit betroffen ist und sich nicht nur um ihre eigene Sicherheit, sondern auch um die ihrer Freunde und ihres Geliebten fürchten muss. Wie kann sie die Tätigkeit bei der NSA noch mit ihrem Gewissen vereinbaren oder kann sie ihren direkten Zugriff auf die Daten für ihren eigenen Schutz verwenden? Und muss sie dann nicht auch versuchen, die Personen vor Verfolgung zu schützen, die durch ihre Recherchen als Bürger aufgedeckt werden, die den Gesetzen zuwider handeln?

Trotz des Umfangs des Romans von 800 Seiten hat der Roman keine Längen. Der Thriller überzeugt nicht nur durch die Recherche zur Historie, der perfekten Anpassung der Sprache an die damalige Zeit und die mühelosen Erklärungen der Technologie, die in die Geschichte eingebettet werden, sondern auch durch die Vielschichtigkeit der Charaktere und die bis zum Ende aufrechterhaltene Spannung, wie dieses Szenario enden kann.