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Veröffentlicht am 20.01.2022

Ein düsterer, fundiert recherchierter historischer Kriminalroman mit einer großen Portion Lokalkolorit

Eisflut 1784
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Inhalt: 1784: Eigentlich soll der bergische Amtmann Henrik Venray den Fortgang der Deichbauarbeiten im rechtsrheinischen Mülheim kontrollieren. Dort stößt er aber nicht nur auf eklatante Baurückstände, ...

Inhalt: 1784: Eigentlich soll der bergische Amtmann Henrik Venray den Fortgang der Deichbauarbeiten im rechtsrheinischen Mülheim kontrollieren. Dort stößt er aber nicht nur auf eklatante Baurückstände, sondern auch auf eine Leiche, die bei genauerem Hinsehen Stichwunden aufweist. Mithilfe der Apothekerin Anna-Maria Scheidt wird schnell klar: Es handelt sich um Mord. Um diesem auf den Grund zu gehen, reisen die beiden in das nahe gelegene Cöln. Doch der Mörder ist nicht die einzige Gefahr. Durch den überaus harten Winter türmen sich Eismassen auf dem Rhein, die, sobald das Wetter milder wird, zu schmelzen beginnen. Eine Eisflut mit unkalkulierbaren Folgen droht.

Persönliche Meinung: „Eisflut 1784“ ist ein historischer Kriminalroman von Marco Hasenkopf. Erzählt wird der Roman hauptsächlich aus der personalen Erzählperspektive von Henrik Venray. Zeitlich spielt die Handlung im ausgehenden 18. Jahrhundert: Das Heilige Römische Reich deutscher Nation existiert noch, ist aber durch seinen charakteristischen Flickenteppich politisch stark zerfasert, was Hasenkopf anschaulich darstellt. So hat in Mülheim am Rhein weniger der bergische Landesfürst das Sagen. Im Gegenteil: Die lokalen, dekadent lebenden Adligen/Unternehmer bestimmen die Geschicke Mülheims. In Cöln wiederum waltet der Rat eher pro forma; in Wahrheit regiert der Klüngel, weshalb Venray sich mehrmals vor verschlossenen Türen wiederfindet. Beide Städte stehen zudem wirtschaftlich in ständiger Konkurrenz, was die Ermittlungen Venrays ebenfalls nicht vereinfacht. Besonders lebhaft und eindrücklich zeichnet Hasenkopf den Handlungsort Cöln: Karnevalistische Exzesse finden neben bigotten Prozessionen statt; Reichtum und Armut sind auf engstem Raum nebeneinander. Schöne Kontrastpunkte zu der ansonsten verkrusteten Gesellschaft des "Alten Reiches" bilden die beiden Hauptfiguren Henrik Venray und Anna-Maria Scheidt, denn beide sind als fortschrittlich charakterisiert. Henrik Venray, als Amtmann und Adliger eigentlich Repräsentant der überkommenen Herrschaftsstruktur, ist reformorientiert, offen für Neues und insgesamt liberal eingestellt. Anna-Maria Scheidt ist selbstbewusst, begehrt gegen die von Männern dominierte Welt des 18. Jahrhunderts auf und geht selbstbestimmt ihren Weg. Was mir ebenfalls sehr gut an dem Krimi gefallen hat, ist, dass die Dramaturgie der Krimihandlung mit dem Verlauf der Eisflut verflochten ist (besonders der Klimax beider ist wirklich klasse geschrieben). Wortwahl und Satzbau des Romans orientieren sich an zeitgenössischen Vorbildern, wodurch die Handlung im Ganzen historisch authentisch wirkt. Insgesamt ist „Eisflut 1784“ ein düsterer, fundiert recherchierter historischer Kriminalroman mit einer großen Portion Lokalkolorit.

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Veröffentlicht am 19.01.2022

Ein fesselnder Roman, der unterschiedliche Genres miteinander vermischt

Regen von unten
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Inhalt: Lissabon 2018. Aus dem Nichts erhält Paulo einen Brief vom Anwalt seines Großvaters. Sein Großvater Mercúrio, den er noch nie getroffen hat, möchte ihm sein Haus in Santa Ovielo, einem abgelegenen ...

Inhalt: Lissabon 2018. Aus dem Nichts erhält Paulo einen Brief vom Anwalt seines Großvaters. Sein Großvater Mercúrio, den er noch nie getroffen hat, möchte ihm sein Haus in Santa Ovielo, einem abgelegenen Dorf, vererben. Paulo beschließt, seinem Großvater einen Besuch abzustatten. Dort angekommen, hat er eine Begegnung, die eigentlich unmöglich ist: Er trifft Emilia, eine junge Frau, die 1961 gestorben ist. Niemand weiß, warum Emilia nach ihrem Tod nicht in das Jenseits hinübergegangen ist. Irgendetwas scheint sie zurückzuhalten, sodass Paulo beginnt, Nachforschungen zu ihrem Tod anzustellen - womit nicht jeder im Dorf einverstanden ist...

Persönliche Meinung: „Regen von unten“ von Barbara Lah ist ein Roman, der Elemente mehrerer Gattungen in sich vereint. Erzählt wird der Roman auf verschiedenen Zeitebenen aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei existieren zwei Haupthandlungsstränge: Der erste wird aus der Ich-Perspektive von Emilia erzählt, spielt 1961 und behandelt die Ereignisse kurz vor Emilias Tod; der zweite, in dem wir Paulo bei seinen Nachforschungen zu Emilias Tod begleiten, findet 2018 statt. Hier wird eine personale Erzählperspektive eingenommen. Durch die verschiedenen Perspektiven, Zeitebenen und Handlungsstränge entsteht eine schöne Spannungskurve. Bereits zu Beginn werden mehrere Fragen aufgeworfen. Um nur einige zu nennen: Was ist mit Emilia passiert? Warum ist sie noch im Diesseits? Welche Rolle spielt Mercúrio dabei? Wieso verhält sich die Dorfgemeinschaft so feindselig gegenüber Paulos Nachforschungen? Mit anderen Worten: Jede Figur verbirgt ein Geheimnis, das es aufzudecken gilt. Nach und nach, mit jeder gelesenen Perspektive, fügt sich mosaikartig ein vollständiges Bild zusammen, wodurch „Regen von unten“ eine fesselnde Lektüre ist. Die Auflösung ist dabei so herzzerreißend-tragisch wie auch schön. Außerdem ist „Regen von unten“ ein vielschichtiger Roman, den man keiner einzelnen Gattung zuordnen kann. So gesellt sich zu den Krimielementen eine Portion Mystery mit einem feinen Quäntchen Grusel. In diese Mischung eingeflochten ist zudem eine Liebesgeschichte. Eingebettet ist wiederum alles in eine besondere Familiengeschichte. Auf den ersten Blick mag dieses Gattungsgemisch gewagt erscheinen. Aber: Sorgen sind völlig unbegründet. Die Vermengung verschiedener Genres funktioniert in „Regen von unten“ sehr gut und macht den Roman zu einer einzigartigen Lektüre. Insgesamt ist „Regen von unten“ ein fesselnder Roman, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird und unterschiedlichste Genres miteinander vermischt.

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Veröffentlicht am 08.01.2022

Eine prachtvolle Klassikerausgabe

Die göttliche Komödie
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„Die göttliche Komödie“ von Dante Alighieri ist ein Klassiker der Weltliteratur, der sich literarisch mit einer existentiellen Frage des Menschseins beschäftigt: Was geschieht nach dem Tod?

Erzählt wird ...

„Die göttliche Komödie“ von Dante Alighieri ist ein Klassiker der Weltliteratur, der sich literarisch mit einer existentiellen Frage des Menschseins beschäftigt: Was geschieht nach dem Tod?

Erzählt wird „Die göttliche Komödie“ aus der Ich-Perspektive der Figur Dante: Dante wird, orientierungslos und bedrängt von wilden Tieren (die jeweils eine allegorische Bedeutung besitzen), von dem antiken römischen Dichter Vergil („Aeneis“) aufgefunden. Vergil, der zum Handlungszeitpunkt bereits knapp 1.300 Jahre tot ist und geradewegs aus der Hölle stammt, hat den himmlischen Auftrag, Dante aus seiner misslichen Lage zu befreien. Doch der ursprüngliche Weg Dantes ist durch die Tiere versperrt, weshalb es nur eine Alternative gibt: den Pfad durch das Jenseits.

Das Jenseits ist in „Die göttliche Komödie“ in drei Bereiche unterteilt, die zugleich die Kernabschnitte des Textes bilden. Zuerst durchwandert Dante mit Vergil die Hölle („Inferno“). Es folgt das Fegefeuer („Purgatorio“), in dem die Seelen auf die Läuterung warten. Zuletzt fährt Dante – ohne Vergil – in den Himmel auf („Paradiso“). Jeder dieser drei Bereiche ist in unterschiedliche Bezirke unterteilt, die jeweils für bestimmte Figuren und ihre spezifischen „Sünden“ (Hölle und Fegefeuer) bzw. Tugenden (Himmel) reserviert sind. So besitzt bspw. die Hölle eine trichterartige Form, die nach unten hin schmaler wird. Nahe der Erdoberfläche – also ganz oben – trifft Dante u.a. auf die Dichter und Philosophen der römisch-griechischen Antike. Diese sind eigentlich frei von Verfehlungen, hätten auch einen Platz im Himmel verdient, wäre da nicht ihr – aus mittelalterlich-christlicher Sicht – „falscher“ Glaube (aus diesem Grund kann Vergil auch nicht mit Dante in den Himmel fahren). Der Negativpol hierzu findet sich ganz unten, im letzten Höllenbezirk. Hier begegnet Dante den großen Sünderfiguren des christlichen Glaubens wie z.B. Judas, der unentwegt in einem der drei Mäuler Luzifers gemahlen wird. Jeder Bezirk wird von einem Torwächter, meist einer Gestalt aus den antiken Mythen, bewacht, die Dante nur durch Vergil überwinden kann. (Um den Rahmen der Rezension nicht zu sprengen, gehe ich nicht gesondert auf die Bezirke des Fegefeuers und des Himmels ein. Sie sind strukturell anders gegliedert, folgen aber einem ähnlichen Muster).

Während seiner Jenseitsreise trifft Dante auf eine Vielzahl von Figuren. Neben den antiken Denkern begegnet er – v.a. im Himmel – auch Heiligenfiguren. Gleichzeitig hat Dante Alighieri aber auch Persönlichkeiten aus seiner Gegenwart, mit denen er selbst in Kontakt stand, in die Handlung eingebaut. Jede Figur – unabhängig, ob „erfunden“ oder „real“ – erzählt von ihrem Leben. So entstehen innerhalb der „göttlichen Komödie“ immer wieder kleine Mikroerzählungen, die jeweils erklären, warum die Figur in welchem Bezirk ist. Nicht jede der eingebauten Persönlichkeiten aus der Gegenwart Dante Alighieris kommt dabei gut weg, was auch mit der Entstehungszeit der „göttlichen Komödie“ zusammenhängt. Sie entstand vor dem Hintergrund politischer Konflikte in Italien, in denen sich Kaiser- und Papsttreue bekriegten. Dante Alighieri zählte zur ersteren Gruppe, weshalb sich wahrscheinlich auch einige persönliche Spitzen und Statements in der „göttlichen Komödie“ finden.

Die Ausgabe des Manesse Verlags gibt „Die göttliche Komödie“ – gemäß dem Originaltext – in Versform (und nicht in Prosaform) wieder. Außerdem beinhaltet sie eine kurze Einleitung, die in Leben und Werk Dantes einführt. Ihr Herzstück sind – neben dem Text – allerdings die vielen, sehr genauen und ausführlichen Kommentare von Walther von Wartburg. In seinen Kommentaren, die knapp 130 Seiten umfassen, erklärt von Wartburg Metaphern und den verstecken Sinn bestimmter Verse, gibt Hintergrundinformationen zu den auftretenden Persönlichkeiten und macht philosophische und theologische Exkurse, wodurch man „Die göttliche Komödie“ um einiges leichter verstehen kann. Abgerundet wird die Ausgabe durch 18 farbige Illustrationen von verschiedenen Künstlern, die sich malerisch mit der „göttlichen Komödie“ beschäftigt haben.

Insgesamt ist „Die göttliche Komödie“ ein Werk, für das man Durchhaltevermögen braucht und durch das man sich auch manchmal „kämpfen“ muss. Bleibt man am Ball, wird man mit einer opulenten und interessant konstruierten Erzählung belohnt, in der – unter der Schirmherrschaft des katholischen Glaubens – sowohl Altertum und Zeitgeschichte als auch antike Mythen und biblische Figuren miteinander verquickt werden.

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Veröffentlicht am 19.12.2021

Eine schöne Sammlung von weihnachtlichen Erzählungen

Sancta Lucia
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„Sancta Lucia“, erschienen im Reclam Verlag, versammelt fünf weihnachtliche Geschichten der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf. Den Anfang macht die kurze Erzählung „Die Heilige Nacht“. Eine ...

„Sancta Lucia“, erschienen im Reclam Verlag, versammelt fünf weihnachtliche Geschichten der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf. Den Anfang macht die kurze Erzählung „Die Heilige Nacht“. Eine namenlose, erwachsene Ich-Erzählerin erinnert sich in dieser Geschichte an ihre Großmutter, die ihr viele Geschichten erzählt hat. Am nachdrücklichsten ist der Ich-Erzählerin die Geschichte der Geburt Jesu in Erinnerung geblieben, die die Ich-Erzählerin nun ihrerseits den Lesenden erzählt. „Die Heilige Nacht“ ist insgesamt eine melancholisch-nostalgische Erzählung, in die vermutlich auch autobiographische Momente Lagerlöfs eingeflossen sind. Es folgt die Erzählung „Die Legende vom Luciatag“. Hier wird der Ursprung des Luciafestes, das in den skandinavischen Ländern am 13. Dezember gefeiert wird, ersponnen. Nicht Lucia von Syrakus steht in dieser Erzählung im Mittelpunkt (die Heiligenfigur tritt nur am Rande auf), sondern eine Namensschwester, die in Värmland lebt. Die Handlung dreht sich um diese schwedische Lucia, die Bedürftigen hilft, dadurch aber mit einer bösen Verwandten aneinandergerät. In „Die Legende vom Luciatag“ fließen Elemente der Märchengattung ein (Kampf von „Gut“ gegen „Böse“, Wiederholungsstruktur, Variation der „bösen Stiefmutter“). Die dritte Erzählung ist „Die Legende der Christrose“, welche von der (magischen) Herkunft der Christrose erzählt. Ein Räuberehepaar weist in dieser Geschichte zwei Mönchen den Weg zu einer besonderen Stelle, wobei in die Handlung Paradies-Motive eingeflochten werden. Sowohl „Die Legende vom Luciatag“ als auch „Die Legende von der Christrose“ sind die Kernstücke von „Sancta Lucia“. Es folgt die Erzählung „Gottesfriede“, die einen moralisch-pädagogischen Anspruch besitzt und von einem besonderen Frieden zwischen Mensch und Tier handelt. Einen ähnlichen Anspruch besitzt auch die letzte Erzählung „Der Weihnachtsgast“, die das Auftreten eines (ungebetenen) Weihnachtsgastes behandelt. Besonders „Gottesfriede“ und „Der Weihnachtsgast“ sind Weihnachtsgeschichten im eigentlichen Sinne: In beiden spielt das Weihnachtsfest, dessen Geschäftigkeit, die (Vor)Freude auf dieses und weihnachtliche Traditionen eine Rolle. Insgesamt ist „Sancta Lucia. Weihnachtliche Geschichten“ eine schöne Sammlung von verschiedenen Erzählungen, die auf das Weihnachtsfest einstimmen.

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Veröffentlicht am 11.12.2021

Ein spannender Thriller mit atmosphärischen Szenen

Das Korsett
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Inhalt: Dorothea strebt, im Sinne ihrer verstorbenen Mutter, danach, barmherzige Taten zu vollbringen. Daher besucht sie regelmäßig die Insassinnen des Oakgate-Gefängnisses, redet mit ihnen und leistet ...

Inhalt: Dorothea strebt, im Sinne ihrer verstorbenen Mutter, danach, barmherzige Taten zu vollbringen. Daher besucht sie regelmäßig die Insassinnen des Oakgate-Gefängnisses, redet mit ihnen und leistet mentalen Beistand. Die Besuche sind allerdings nicht völlig uneigennützig: Nebenbei versucht Dorothea in Praxis die Thesen der Phrenologie zu verifizieren. (In der Phrenologie wird davon ausgegangen, dass man anhand der Schädelform auf den jeweiligen Charakter des Menschen schließen könne). Doch als Ruth, eine des Mordes angeklagte Schneiderin, in das Gefängnis eingewiesen wird, drängen sich Dorothea neue Rätsel auf: Ruth ist davon überzeugt, dass durch ihre Stiche eine mörderische Energie in die Kleidungsstücke geflossen ist, die mehreren Menschen das Leben gekostet haben soll…

Persönliche Meinung: „Das Korsett“ von Laura Purcell ist ein Thriller, der im viktorianischen England spielt. Erzählt wird er wechselweise aus den Perspektiven von Dorothea und Ruth, wobei beide als Ich-Erzählerinnen auftreten. Die beiden Figuren und ihre jeweilige Seelenlage werden anschaulich und dreidimensional dargestellt: Beide haben mit verschiedenen Problemlagen zu kämpfen. So leidet Dorothea unter den Zwängen und Rollenerwartungen der viktorianischen Epoche. In den Augen ihres Vaters ist sie zu selbstbewusst und aufmüpfig; soll mit ihren phrenologischen Versuchen aufhören, ehe sie noch den letzten heiratswilligen Standesgenossen vergrault. Ruth ist traumatisiert von ihrer Vergangenheit und stark belastet von den (vermeintlichen) Morden. Besonders der Erzählstrang von Ruth ist sehr stark. Einerseits finden sich hier sehr viele bildgewaltige und atmosphärisch dicht erzählte Szenen, die wahrscheinlich die wenigsten Lesenden kalt lassen werden. Andererseits entfaltet sich eine schöne Spannungskurve: Ruth erzählt Dorothea (und damit auch den Lesenden) ihre Geschichte chronologisch, beginnend noch vor den ersten Morden, sodass man schrittweise erfährt, was die genauen Gründe für die Inhaftierung von Ruth waren. Für zusätzliche Spannung sorgt, dass man nicht sicher weiß, inwiefern man Ruth vertrauen kann, da sie Züge einer unzuverlässigen Erzählerin besitzt. Besitzt sie wirklich die übernatürliche Kraft, Kleidungsstücke in Mordinstrumenten zu verwandeln? Oder handelt es sich um die fixe Idee einer Figur mit traumatisierender Vergangenheit? Interessant ist dabei, dass dieses Spannungsverhältnis über die gesamte Handlung hinweg aufrechterhalten wird. Zwar begegnet die eher rational denkende Dorothea der Geschichte von Ruth mit einer gehörigen Portion Skepsis, doch eine zuverlässige, übergeordnete Erzählinstanz fehlt. Daher bleiben bestimmte Dinge bewusst vage, wodurch sich für die Lesenden ein Interpretationsspielraum öffnet. Dennoch ist die Handlung insgesamt rund. Außerdem endet sie mit einem schönen Twist, der kaum zu erahnen ist. Der Schreibstil von Laura Purcell ist sehr eingängig und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Das Korsett“ ein spannender Thriller mit vielen düsteren, atmosphärischen Szenen und zwei interessanten Protagonistinnen/Erzählerinnen.

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