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Veröffentlicht am 16.04.2022

Fesselnde japanische Lektüre über einen mysteriösen Identitätstausch

Das Leben eines Anderen
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Japanliteratur, soweit ich sie gelegentlich immer mal wieder gelesen habe, wirkt auf den westeuropäischen Leser oft etwas schwermütig, behandelt aber durchweg sehr interessante Themen. Beides trifft auf ...

Japanliteratur, soweit ich sie gelegentlich immer mal wieder gelesen habe, wirkt auf den westeuropäischen Leser oft etwas schwermütig, behandelt aber durchweg sehr interessante Themen. Beides trifft auf den vorliegenden Roman zu, der aus der Feder eines japanischen Bestsellerautors stammt und sein erster ins Deutsche übersetzte ist.
Schwermütig und grüblerisch ist auch der Protagonist, ein renommierter Zivilrechtsanwalt aus Yokohama. Im Auftrag einer früher von ihm vertretenen Mandantin stellt er Ermittlungen über deren zweiten Ehemann an, der, wie sich nach dessen Tod herausstellt, aus in seiner Vergangenheit liegenden Gründen unter einer anderen Identität als der von ihm vorgegebenen lebte. Akribisch und nach Art eines Detektives ergründet Kido dessen Leben und findet Puzzleteil um Puzzleteil. Dabei deckt er ein komplexes Netz von Identitätstauschen auf. Es handelt sich um eine höchst interessante und spannende Geschichte, die da zu Tage befördert wird. Den nicht japanischen Leser wie mich verwirrt sie allerdings angesichts der vielen kaum unterscheidbaren japanischen Namen von involvierten Personen und von Orten in Japan. Hier wäre ein kleines Glossar von Hilfe gewesen. Zusätzlich fasziniert der Roman dadurch, dass Kido anlässlich seiner Recherchen mit dem eigenen Schicksal als Angehöriger einer Minderheit in Japan und dem dort zunehmenden Rassismus hadert und nachdenkenswerte Überlegungen dazu anstellt, wie es wäre, wenn auch er sich das Leben eines Anderen aneignen würde. Wer noch nicht japankundig ist, wird viele interessante Aspekte zum Land und zur Gesellschaft finden, die dann zum Weiterstöbern animieren.

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Veröffentlicht am 06.04.2022

Von verpassten Chancen

Boy meets Girl
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Protagonistin ist die etwa 50jährige Paartherapeutin Nora, die mit ihrem eigenen Beziehungsleben so gar nicht zurechtkommt. Immer wieder von ihrem Ehemann betrogen, bringt eine letzte Untreue das Fass ...

Protagonistin ist die etwa 50jährige Paartherapeutin Nora, die mit ihrem eigenen Beziehungsleben so gar nicht zurechtkommt. Immer wieder von ihrem Ehemann betrogen, bringt eine letzte Untreue das Fass zum Überlaufen und es kommt zur Trennung. Ersatz findet sie schnell in dem jüngeren Englischreferendar Gregory und ihrem besten Freund Yann, den sie zufällig wiedertrifft. So recht weiß sie nicht, was und wen der beiden sie will. Sie hat hohe Ansprüche und möchte für einen Partner die Frau des Lebens sein. Verpassten Chancen mit Yann trauert sie hinterher. Außer diesen drei Personen spielen am Rande eigentlich nur noch eine Rolle Noras beste Freundin und ihre betagten, kranken Eltern, während der Noch-Ehemann und ihre erwachsene Tochter sich rarmachen.
Um eine Liebesgeschichte im klassischen Sinne handelt es sich nicht. Es werden sehr viele Reflektionen von Nora über ihr Leben wiedergegeben. Ihr ständiges Hin- und Hergerissensein wird nach meinem Eindruck zu sehr in die Länge gezogen und die Handlung tritt auf der Stelle. Der ruhige Erzählton lässt sich angenehm lesen.
Alles in allem ein schönes Buch.

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Veröffentlicht am 26.03.2022

Über eine Flucht aus dem Irak - sehr aktuell

Der Erinnerungsfälscher
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Vieles von dem, was der Autor seinen Protagonisten Said erzählen lässt, ist wohl biografisch. Denn beide sind als junge Männer aus dem Irak über mehrere Stationen in verschiedenen Ländern nach Deutschland ...

Vieles von dem, was der Autor seinen Protagonisten Said erzählen lässt, ist wohl biografisch. Denn beide sind als junge Männer aus dem Irak über mehrere Stationen in verschiedenen Ländern nach Deutschland geflohen, um hier nach vielen Hürden Literatur zu studieren und letztlich Bücher zu schreiben. Said, inzwischen etwa 40 Jahre alt, begibt sich nach einem Anruf seines Bruders Hals über Kopf nach Bagdad, um noch einmal seine im Sterben liegende Mutter zu sehen. Auf der Reise gehen seine Gedanken immer wieder zurück an sein früheres Leben im Irak und die Stationen seiner späteren Flucht. Das eigentlich Faszinierende an den fragmentarischen Schilderungen ist, dass stets ungewiss bleibt, ob Saids Erinnerungen so tatsächlich zutreffen. Denn er leidet an einer Erinnerungsschwäche, der er mit einer Erinnerungsverfälschung entgegentritt. Doch egal, ob Said sich des fiktiven Ergänzens, des beliebigen Ausschmückens oder des unabsichtlichen Veränderns eigener bestehender Gedächtnisinhalte bemächtigt, herausgekommen ist auf jeden Fall ein packendes Schicksal eines Flüchtlings.
Sehr lesenswert gerade aktuell mit neuerlichen Flüchtlingsströmen.

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Veröffentlicht am 17.03.2022

Faszinierender Roman mit merkwürdigen Erzählperspektiven

Wir sind das Licht
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Ein bisschen Krimi, ganz viel Gesellschaftsroman – und herausgekommen ist ein sehr moderner, faszinierender Roman. Krimiartig ist, dass die Polizei gegen drei Bewohner einer Wohngruppe ermittelt, weil ...

Ein bisschen Krimi, ganz viel Gesellschaftsroman – und herausgekommen ist ein sehr moderner, faszinierender Roman. Krimiartig ist, dass die Polizei gegen drei Bewohner einer Wohngruppe ermittelt, weil eine vierte Bewohnerin dort vor ihren Augen an Unterernährung gestorben ist. Vorrangig aber geht es um eine merkwürdig anmutende Kommune, deren manipulative und dominante Anführerin einer Bewegung anhängt, die gebietet, mit der Nahrungsaufnahme aufzuhören und stattdessen von Licht zu leben sowie zu meditieren und gemeinsam zu musizieren. Das Besondere ist die Erzählweise. Die Geschichte wird aus zahlreichen Perspektiven erzählt, wobei es sich hier nur wenige Male um die von Menschen (z.B. der Eltern, Nachbarn) handelt, und überwiegend um die von Sachen (z.B. Kugelschreiber, Entsafter).
Eine interessante Leseerfahrung, auch wenn man mit der dargestellten Lehre wenig anfangen kann.

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Veröffentlicht am 10.03.2022

Eine Diplomatin verliert den Glauben an die Diplomatie

Die Diplomatin
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Dieser Roman entführt uns in die Welt der Diplomatie, die ja doch eher unbekannt und deshalb gerade interessant ist.
Protagonistin ist die langjährige deutsche Diplomatin Fred, die jetzt mit 50 Jahren ...

Dieser Roman entführt uns in die Welt der Diplomatie, die ja doch eher unbekannt und deshalb gerade interessant ist.
Protagonistin ist die langjährige deutsche Diplomatin Fred, die jetzt mit 50 Jahren den Glauben an die Diplomatie verliert. Das beginnt schon an ihrer Dienststelle in Montevideo, wo eine einflussreiche, reiche deutsche Bürgerin sie wegen der Entführung ihrer Tochter zur Verantwortung ziehen will, und setzt sich an ihrem nächsten Dienstort in Istanbul fort, wo sie hilflos zusehen muss, wie der türkische Präsident türkischstämmige Deutsche wegen ihrer ihm nicht genehmen politischen Tätigkeit festsetzt. Die Beamtin Fred erweist sich letztlich als Heldin, allerdings um den Preis, desillusioniert worden zu sein und nach ständigen Wechseln zwischen den Kontinenten kein Privatleben zu haben. Auf jeden Fall erhält man ein völlig neues Bild von der Diplomatie. Ironisch und zynisch sind oftmals die Spitzen auf Diplomaten und ihre Tätigkeit. Der Schreibstil ist eher verbittert und passt so ganz zu der Romanfigur Fred.
Angesichts der zunehmenden diplomatischen Krisen in der Welt ein lesenswertes Buch.

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