Der Untergang des Hauses Coker
Nacht über SohoEs ist das Jahr 1926, die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und das Sterben in den Schützengräben Flanderns ist noch frisch. Doch in den Clubs von Soho wird gekokst, getanzt und amüsiert, als gäbe es ...
Es ist das Jahr 1926, die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und das Sterben in den Schützengräben Flanderns ist noch frisch. Doch in den Clubs von Soho wird gekokst, getanzt und amüsiert, als gäbe es kein Morgen. Halbwelt mischt sich mit Geldadel und Aristokratie, Pelz mit Pailletten. Hier ist Nellie Coker, frisch aus dem Gefängnis entlassen, die Königin der Clubs. Sechs Nachtklubs gehören zu ihrem Soho-Imperium, doch in der Abwesenheit der Matriarchin haben sich Konkurrenten bereits in Aufstellung gebracht. Eine feindliche Übernahme droht, und vielleicht der Untergang des Hauses Coker - denn Nelies sechs Kinder mischen zwar bereits im Geschäft mit, können aber größtenteils nicht mit dem Geschäftssinn und den eisernen Ellbogen ihrer Mutter mithalten.
Das ist die Szenerie in Kate Atkinsons historischem Roman "Nacht über Soho", der die glitzernden 1920-er Jahre zum Leben erweckt. Wäre es ein Berlin-Roman der gleichen Zeit, würde vielleicht noir-Stimmung dominieren, doch Atkinson erzählt auch Ernstes mit leichter Hand, einem gewissen Understatement und einer Prise Ironie. Britannia Cool statt deutscher Schwere gewissermaßen.
Kontrahenten hat Nellie Choker nicht nur in der Halb- und Unterwelt. Scotland Yard Detective Frobisher will ihr das Handwerk legen, gleichzeitig aber auch den Korruptionssumpf des örtlichen Polizeireviers trocken legen. Unerwartete Hilfe erhält er von einer Bibliothekarin aus York, die in die Großstadt gekommen ist, um zwei 14-jährige Ausreißerinnen zu finden, die von Bühnenruhm träumen und nur allzu schnell die Schattenseiten der Glitzermetropole kennenlernen. Dass die unscheinbare Bibliothekarin aus der Provinz nicht zu unterschätzen ist, stellt auch Cokers ältester Sohn schnell fest. Die junge Frau, die als Krankenschwester das Sterben im Ersten Weltkrieg miterlebte, hat eiserne Nerven und kann Krisensituationen bestens meistern.
Auch wenn es um verschiedene Verbrechen geht, ist "Nacht über Soho" eher Gesellschaftsroman und Porträt einer Ära als ein Kriminalroman. Die Clubs von Soho sind ein Ort von Selbstdarstellung und Lebenslust, aber auch eine Scheinwelt verlorener Illusionen und brutaler Gier. Spannende Unterhaltung ist hier mit überzeugendem Zeitkolorit kombiniert.