Ausbruch aus patriarchalen und traditionellen Zwängen
Evil EyeYara ist glücklich. Sie hat einen Mann, zwei wunderbare Töchter und einen erfüllenden Job. Sie wollte es stets anders machen als ihre palästinensischen Vorfahrinnen und das ist ihr auch gelungen - denkt ...
Yara ist glücklich. Sie hat einen Mann, zwei wunderbare Töchter und einen erfüllenden Job. Sie wollte es stets anders machen als ihre palästinensischen Vorfahrinnen und das ist ihr auch gelungen - denkt sie.
Als sie nach einem Vorfall psychologische Beratung in Anspruch nehmen muss, offenbart sie Stück für Stück ihr Innenleben und stellt fest, dass sie genauso in patriarchalen Zwängen gefangen ist wie schon ihre Mutter und Großmutter.
“Evil Eye” ist ein Roman, der sich mit patriarchalen Strukturen in der westlichen Welt, aber auch mit denen im Nahen Osten auseinandersetzt. Wir haben eine Protagonistin, die denkt, sich von ihrer Vergangenheit befreit zu haben, jedoch immer noch tief in den Strukturen gefangen ist - ohne es zu merken.
Neben diesem Konflikt gibt es einen weiteren: Die innere Zerrissenheit Yaras. Denn sie fühlt sich weder Palästina zugehörig - wie ihre Eltern und Großeltern -, noch den USA, wo sie geboren wurde.
Von diesen beiden inneren Konflikten weiß Yara zunächst gar nicht, bzw. sie will nichts davon wissen und verdrängt jegliche negative Gefühle lieber. Doch es kommt zu Wutausbrüchen und verzweifelten Überreaktionen. Als sie sich im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss, werden Traumata zutage gefördert, die tief in ihr verwurzelt waren.
Etaf Rum hat mit Yara eine Protagonistin geschaffen, mit der ich unglaublich gut mitfühlen konnte, obwohl wir nicht viel gemeinsam haben. Obwohl ich viele Probleme und Sorgen nicht kenne, fühlte es sich beim Lesen an, als seien es meine eigenen. Ich bin ihr also gerne durch die 400 Seiten des Romans gefolgt und habe bereitwillig ihre Perspektive eingenommen.
Außerdem fand ich es spannend, die Traditionen und Geschichten ihrer Vorfahrinnen kennenzulernen und zu sehen, welchen Einfluss sie auf Generationen von Frauen hatten. Interessant ist hierbei, dass Yara zwar einerseits als Cycle Breakerin fungieren möchte, andererseits lernen muss, ihre Vergangenheit und die der palästinensischen Kultur anzunehmen.
Es gibt also keine einfache, allgemeingültige Lösung, sondern eine individuelle, menschliche.
Sehr berührt haben mich auch die Beschreibungen, in denen Yara anfängt, sich in ihre eigene Mutter hineinzufühlen, von den Vorwürfen zu Verständnis wechselt und ihr verzeihen kann.
“Evil Eye” ist ein Roman, der mir eine neue Perspektive ermöglicht hat. Ein Roman über Selbstermächtigung, den Ausbruch aus patriarchalen und traditionellen Strukturen und dem Versöhnen mit der Vergangenheit. ⭐️4/5⭐️
*Übersetzt von Heike Reissig