Eine mutmachende Geschichte
AmphibiumSusie mou liegt im Bett, als die elfjährige Sissy aus der Schule kommt. Die Vorhänge, wie immer zugezogen, liegt sie auf der Seite und sieht zur Wand. Ein Blick in den Kühlschrank spiegelt Sissys innere ...
Susie mou liegt im Bett, als die elfjährige Sissy aus der Schule kommt. Die Vorhänge, wie immer zugezogen, liegt sie auf der Seite und sieht zur Wand. Ein Blick in den Kühlschrank spiegelt Sissys innere Leere. Sie füllt eine Schale mir Cornflakes und schüttet die restliche Milch darüber, sie schmeckt sauer.
Sissy kennt Luke Perry nicht, trotzdem hat sie seinen Aufkleber aus der Illustrierten in der Arztpraxis geklaut. Jetzt klebt er unter dem Regal über ihrem Bett, wo nur sie ihn sehen kann. Ihr ist egal, wie er heißt, sie gibt seinem Gesicht eigene Namen (Ramses, Adam oder Freddie) und träumt davon, ihn zu verführen, um ihn dann zu ertränken. Sie hat gemerkt, dass, wenn sie sich auf ihre Matratze hockt und die rechte Ferse zwischen die Beine klemmt, das Becken ein wenig kreisen lässt, ihr Gesicht heiß wird und es in ihr flutet und pocht, wie die Supernova.
Koko aus Griechenland ist nicht mehr da, aber er war der Namensgeber für ihre Mutter. Er nannte sie Susie mou (meine Susie) oder matia mou (meine Augen) anders für ich liebe dich. Sie haben Koko irgendwo draußen auf der Nordsee gelassen. Vielleicht ist er immer noch auf den Bohrinseln, spart für ein kleines Häuschen mit Garten für Mom und seine Tochter.
Neue Schule, neue Sissy. Tegan sitzt auf einer Bank, kichert und flüstert mit einem anderen Mädchen. Hinter ihnen stehen sechs weitere in der Schlange. Sie hat die Illustrierte More auf dem Schoß, aber darum geht es nicht. Sie wollen alle in den Genuss kommen, neben Tegan zu sitzen, denn Tegan ist cool. Sissy läuft die Schulhofbegrenzung auf und ab und schaut ihnen verstohlen über die Schulter zu.
Fazit: Tyler Wetherall hat ein feinfühliges Romandebüt geliefert. Mit großer Empathie versetzt sie sich in ein junges Mädchen, dessen Mutter an einer Depression erkrankt ist. Sie ist nicht in der Lage, sich um ihre Tochter zu kümmern, die sich selbst überlassen bleibt. Die Mutter leidet unter ihrer Unfähigkeit und überträgt die Schuldgefühle auf die Tochter, die sich für deren Wohlergehen verantwortlich fühlt. Die Ängste der Mutter führen zu Übersprungshandlungen mit Fluchttendenzen. Derweil versucht Sissy ihr Leben zu meistern und den rasanten Sprung vom Kindsein zur Frau zu vollenden. Die Autorin trifft genau den richtigen Ton, hat in ihrer klugen Protagonistin die Richtige gefunden, um mich an meine eigenen pubertären Nöte zu erinnern. Immer in Begleitung der Angst, Nein zu sagen, des Gefühls, sich zu verweigern führe dazu, nicht gemocht zu werden. Diese Enttäuschung, wieder nur benutzt worden zu sein und die Hingabe an augenscheinlich Stärkere. Wetherall hat einige mystische Elemente eingebracht, die mich nicht gestört, sondern eher das Besondere an der jungen Heldin Sissy hervorgehoben haben. Die Ich-Erzählung im Präsens erleichtert den Lesefluss und bringt mich ganz nah an Sissy heran. Eine traurige, schöne, kluge und mutmachende Geschichte, die ich ganz arg genossen habe.