Unpassender Titel
Himmlischer FriedenIn ihrem Debüt „Himmlischer Frieden“ nimmt uns Lai Wen mit nach China, das Land, das sie im Juni 1989 verlassen musste. Damals gingen in Peking die Menschen auf die Straße. Anfangs war es eine kleine Gruppe ...
In ihrem Debüt „Himmlischer Frieden“ nimmt uns Lai Wen mit nach China, das Land, das sie im Juni 1989 verlassen musste. Damals gingen in Peking die Menschen auf die Straße. Anfangs war es eine kleine Gruppe von Studenten, aber bald schlossen sich ihnen immer mehr Unzufriedene aus allen Bevölkerungsschichten an und demonstrierten für Freiheit und Demokratie. In kurzer Zeit entstand eine Protestbewegung, die die Regierung nicht tolerieren konnte und wollte, weshalb sie mit aller Härte dagegen vorging. Das Ende ist uns bekannt und ging als das Massaker von Tian’anmen in die Geschichte ein.
Wer nun aber einen politischen Roman erwartet, wird enttäuscht sein, denn in erster Linie beschreibt dieses Buch das Aufwachsen eines Mädchens in einer Gesellschaft, das gelernt hat, sich an die Erwartungen des Systems anzupassen. Lediglich ein Viertel der knapp 560 Seiten beschreiben die zögerliche Politisierung der Protagonistin, die vermutlich mit der Autorin identisch und damals als Studentin auch unter den Demonstranten ist. Allerdings nicht an vordester Front.
Lai Wen beschreibt ihre Kindheit und Jugend mit leisen Tönen, aber deshalb nicht minder eindringlich. Sie verknüpft dabei weitestgehend gelungen kulturelle Besonderheiten und private Erfahrungen mit gesellschaftspolitischen Themen und gewährt und so einen Blick auf ihr Aufwachsen, das bestimmt wird von einem durch Selbstkontrolle geprägten Verhalten, welches ihr hilft, Bestrafungen zu vermeiden. Ihre Stimme findet sie erst inmitten ihrer Freunde an der Pekinger Universität, an der sie als Stipendiatin eingeschrieben ist.
Nur schade, dass die Autorin die Themenkomplexe so ungleich gewichtet und ihrer Kindheit und Jugend einen wesentlich breiteren Raum eingeräumt hat als den Studienjahren und ihrer Politisierung, was ich nach Titel und Inhaltsangabe eigentlich erwartet hatte. Über die Gründe kann man spekulieren, aber wahrscheinlich wurde mit dieser Light-Version eine größere Reichweite erwartet. Schade.