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Veröffentlicht am 01.10.2025

Gereon Rath im spannenden Interview

Westend
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Dieses (Hör)-Buch ist nicht nur ein Abschiedsgeschenk des Autors an die Gereon-Rath- und Volker-Kutscher-Fans, es ist eine Liebesgabe und ein kleines Meisterwerk schriftstellerischer Kunst. Als Hörer vernimmt ...

Dieses (Hör)-Buch ist nicht nur ein Abschiedsgeschenk des Autors an die Gereon-Rath- und Volker-Kutscher-Fans, es ist eine Liebesgabe und ein kleines Meisterwerk schriftstellerischer Kunst. Als Hörer vernimmt man zusätzlich das Klacken des Recorders, das Knistern und Schleifen der Bänder, das komplett als Interview konzipierte Buch ist genial!
1973, Gereon Rath, der Kommissar, der in den 1920ern aus dem Rheinland nach Berlin kam, lebt in einem Berliner Seniorenheim. Nicht erstrebenswert, aber ihm geht es wohl ganz gut. Er hat sich mit den Preußen und den Zeiten arrangiert, ist kaum aus der Ruhe zu bringen, denkt man wenigstens. Unverhofft wird er von einem Historiker namens Hans Singer zu einem Interview gebeten. Rath gibt sich leutselig und amüsiert, aber Singer bohrt und bohrt. Rath als Unschuldslamm, das will er nicht durchgehen lassen. En passant gibt es Rückblicke auf Romane aus der Rath-Reihe, Rath wehrt alles, was ihm zu "persönlich" erscheint, vehement ab.
Die Thematik der Nazis, die nach Kriegsende nicht im Gefängnis sondern auf einem Beamtenposten landeten und u. a. auch durch Adenauer vor Strafverfolgung geschützt wurden, ist für meinen Geschmack ein bisschen dick aufgetragen. Aber das tut der Geschichte keinen Abbruch. Kommt das Gespräch auf Charlotte zu sprechen, wird Rath schnell unwirsch. Warum eigentlich? Hat er etwas zu verbergen, fragt sich wahrscheinlich Singer.
Für mich sehr interessant war die Beschreibung der Vorgänge nach dem Krieg, als Charlotte alias Charlie in Ostberlin mit ihrem zweiten Ehemann Böhm Fuß fasst. Warum die vermeintliche Familienidylle zerbricht, erfährt der Hörer bzw. Leser in kleinen Häppchen. Mich hat das sehr gefesselt, die Spurensuche von Singer erinnerte mich sehr an eigenen Recherchen für ein Buch über meinen Vater.
Der Titel, der sich auf das Seniorenheim in Westberlin bezieht, ist etwas irreführend. Hätte ich die Wahl gehabt, wäre es vielleicht "Pankow" geworden oder "Ossietzkystraße 27".
Ich werde das Hörbuch jedenfalls noch einmal hören, es gefällt mir außerordentlich gut. Tatsächlich war es mir viel zu kurz, ich hätte gerne noch weiter zugehört. Also: Lese- und Hörempfehlung. Und als Idee, das wäre auch ein tolles Theaterstück!

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Veröffentlicht am 14.09.2025

Groths Archiv der Unmenschlichkeit

Die Farbe des Schattens
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Vor eineinhalb Jahren lernte ich die Autorin Susanne Tägder mit ihrem ersten Kriminalroman „Das Schweigen des Wassers“ kennen und war begeistert vom Stil und der Empathie für ihre Protagonisten. Denn sie ...

Vor eineinhalb Jahren lernte ich die Autorin Susanne Tägder mit ihrem ersten Kriminalroman „Das Schweigen des Wassers“ kennen und war begeistert vom Stil und der Empathie für ihre Protagonisten. Denn sie behandelt alle gleich, seien es die Opfer, die Täter, die betroffenen Familien oder die Zeugen, das war damals so und auch im neuen Roman ist es nicht anders. Ich schreibe bewusst im neuen Roman und nicht Krimi, denn Susanne Tägder sucht nicht nur kriminelle Aufhänger für ihre Geschichten, sie verpackt sie kunstvoll in zeitgenössische Romane. Der Leser befindet sich innerhalb kürzester Zeit in den frühen 1990er-Jahren, ohne Handy, ohne Internet, ohne Facebook, Whatsapp oder Instagram, keine KI hilft. Jedes Stück Papier, jedes Stück Wissen wird noch per Hand bewegt, die kleinen Zettel sind es dann auch, die das Zünglein an der Waage sein werden bei den Ermittlungen im neuen Fall.
Der Leser begegnet Arno Groth wieder, der gebürtige Wechternhagener, der über 20 Jahre in Hamburg lebte und Polizist war, nun zurück ist in der ostdeutschen Kleinstadt. Der Unterschied könnte nicht größer sein, der sich ihm zeigt und doch wurde und wird sein Archiv der Unmenschlichkeit im Westen wie im Osten gleichermaßen gefüllt.
An einen dunklen Winterabend mitten in der Woche verschwindet ein Kind, Matti Beck, auf dem kurzen Weg zwischen Wohnung und Kaufhalle, den er schon so viele Male gegangen ist. Zuerst suchen die Eltern, dann die Polizei, vergeblich. Der Elfjährige bleibt verschwunden, Groth und sein Team drehen jeden Stein um, befragen die Eltern, Kinder, Lehrer, Mieter der Wohnsiedlung. Nichts. Aber es liegt ein Raunen in der Luft, zuerst leise, dann deutlicher, es sei schon einmal ein Junge verschwunden, der Fall nie aufgeklärt. Groth beißt sich fest, glaubt, es könnte derselbe Täter sein. Sein Ex-Kollege Gerstacker, kürzlich aus dem Dienst entlassen wegen seiner früheren Stasitätigkeit, war vor sechs Jahren der leitende Kommissar. Ihn wird Groth um Hilfe bitten. Denn der Vermisstenfall wird zum Mordfall, als das tote Kind endlich gefunden wird.
Ein spannender und bewegender Seitenblick gelingt der Autorin auf die Lebensgeschichte der Taxifahrerin Ina und ihrem Sohn Benno. Hier zeigt sich die erzählerische Kraft von Susanne Tägder genauso, wie bei der Schilderung der Verhältnisse, in denen der Verdächtige Karl lebt. Mir gefällt diese Art der Annäherung an ihre Protagonisten, auch wenn ich sie vielleicht nicht alle mag oder nicht verstehen kann.
Der Leser erlebt im Roman eine Zeit, die von Missgunst, Ärger, Verlusten, Alkohol, Gewalt, Arbeitslosigkeit, Misstrauen, Armut und auch von rechten Einflüssen gezeichnet ist. Obwohl seitdem über 30 Jahre vergangen sind, kommt an mancher Stelle beim Lesen der Gedanke auf, dass diese nach der Wende für die Menschen ungünstigen Verhältnisse bis heute nachwirken. Das Leben auf dem Mönkeberg, der Plattenbausiedlung am Rande Wechtershagens, ist ein Siedekessel für entstehendes Unheil. Der Roman spielt vor allem dort und zeichnet ein tristes und trauriges Bild. Die nun neu entstandenen „blühenden Landschaften“ sind das eine, die innere Zufriedenheit mit den Ereignissen und politischen Entwicklungen sind die andere Seite der Medaille. Wie mag das jetzt sein auf dem Mönkeberg?
Groth geht seinen Weg, aber nicht immer den, den die Vorgesetzten erwarten. Auch mit seiner ehemaligen Schulkameradin Irina Diehl und ihrer nun neuen Beziehung läuft nicht alles rund, er weiß nicht einmal, ob er überhaupt eine neue Beziehung hat. Das gemeinsame Interesse an Uwe Johnson ist ein schönes literarisches Bindeglied. Erst nach langen Anläufen wagt er Irina zu erzählen, was mit seiner Tochter Saskia geschah. Dass Groth weitere Fälle lösen könnte, davon bin ich überzeugt, wie es in seinem Privatleben weitergehen wird, das interessiert mich fast noch mehr.
So wie es Wechtershagen auf der Deutschlandkarte nicht gibt, so gibt es auch kein Braunlage im Erzgebirge. Trotzdem hat mich diese Ortsbezeichnung etwas irritiert, die im Laufe der Geschichte auftaucht. Ich musste sofort an Braunlage im Harz denken, das bekanntlich im Westen liegt, insbesondere in den 1980er-Jahren war das kein Urlaubsort für DDR-Bürger. Da wäre aus meiner Sicht eine andere Ortsnamenswahl besser gewesen.
Der Reiz des Neuen hat sich gelegt, aber der Schreibstil von Susanne Tägder und ihre Detailgenauigkeit haben mich auch bei diesem Roman so sehr gefesselt, dass ich ihn kaum weglegen konnte. Interessant ist es, am Ende von den Recherchen der Autorin und den tatsächlichen Verbrechen zu lesen. Das gibt dem Buch noch einmal eine besondere Bedeutung. Wer das erste Buch nicht kennt, kann dann auch gleich noch eine Leseprobe genießen.
Fazit: ein fesselnder Kriminalroman mit viel Zeitgeschichte und Lokalkolorit. Mir hat er sehr gefallen. Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 09.09.2025

Enfant terrible, femme fatale und geniale Kunstmäzenin

Peggy Guggenheim
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Diese Biografie von Mona Horncastle sollten sich Kunstliebhaber und Geschichtsinteressierte auf keinen Fall entgehen lassen. Die Autorin hat nicht nur sehr detailreich das Leben von Peggy Guggenheim recherchiert, ...

Diese Biografie von Mona Horncastle sollten sich Kunstliebhaber und Geschichtsinteressierte auf keinen Fall entgehen lassen. Die Autorin hat nicht nur sehr detailreich das Leben von Peggy Guggenheim recherchiert, es ist auch ein äußerst ansprechendes Buch entstanden, bei dem es Spaß macht, es in die Hand zu nehmen, darin zu blättern und die zahlreichen, sehr emotional und passend ausgewählten Fotos in Ruhe zu betrachten.
Die Reihe beim Molden Verlag heißt ja nicht umsonst „Reihenweise kluge Frauen“, mit Peggy Guggenheim hat sie nun ein Sahnehäubchen erhalten. Das Blau des Einbands, das sich im Inneren bei den Überschriften und Fonts für die Bilder wiederfindet, wird mit einem matten Grün für das Vor- und Nachsatzpapier perfekt eingerahmt. Angenehm ist auch, dass auf den Einsatz von Hochglanzpapier verzichtet wurde, man kann alles lesen und betrachten, ohne dass Spiegelungen ärgern. Der Layouter ist bewusst vom sogenannten Goldenen Schnitt für die Typografie der Seiten abgewichen, damit ermöglicht er dem Leser einen Lesegenuss, der nicht durch das Auseinanderbrechen des Bundes beeinträchtigt wird. Trotzdem hat er ein bisschen Zuviel des Guten getan, der Außensteg ist vergleichsweise schmal, da ragt mein Daumen (ich habe eine wirklich kleine Hand) beim Festhalten schon in den Text hinein. Nichts ist perfekt. Aber die Schriften sind gut gewählt, auch für den Anhang. Beim Stammbaum, der das Kapitel „Herkunft“ einleitet, wurde leider nicht so sehr auf Lesbarkeit geachtet. Der Bundsteg ist hier bis zur Fadenheftung bedruckt, so dass manche Person ein Rätsel bleibt. Die Nummerierung der beiden Ehemänner gibt mir auch Rätsel auf, Max Ernst war meiner Meinung nach der zweite, trägt aber die Nummer 1.
Die Lebensgeschichte der Peggy Guggenheim ist bereits in vielen Büchern, seien es Biografien oder ihre Autobiografie, seien es Romane oder Dokumentarfilme, nicht zu vergessen Wikipedia etc., beschrieben worden. Einiges davon kenne ich, zuletzt war es der Roman „Peggy“ von Rebecca Godfrey, der mich zu weiterem Lesen und Filmschauen animiert hat. Dieses Leben ist wirklich faszinierend, und in jedem Buch, so auch in diesem, finden sich neue Aspekte, unbekannte Details und Ereignisse. Die Autorin schreibt all ihre Erkenntnisse in einem gut lesbaren Stil, sie hat die Kapitel und Unterkapitel so gegliedert, dass diese nicht zu Bleiwüsten ausarten, trotz der Kürze wurde mir manches etwas lang. Mich interessierte besonders der Zeitabschnitt, der die Besetzung Frankreichs und die Rettung von Kunstwerken wie Künstlern durch Peggy Guggenheim thematisiert. Ich hatte darüber bei Uwe Wittstocks „Marseille 1940“ einiges erfahren, wollte das gern vertiefen. Im Prinzip beginnt die Rettungsaktion schon vor dem Krieg, als Peggy Guggenheim es sich zur Lebensaufgabe auserkoren hat, Künstler zu unterstützen, sei es durch Geldspenden oder den Ankauf von Kunstwerken. Sie merkt schnell, dass dieses Vorhaben ein Fass ohne Boden ist, selbst für ihre Verhältnisse. Trotzdem wird sie während der Besetzung Frankreichs nichts unversucht lassen, was den Künstlern und den Kunstwerken das Überleben und die Flucht ins Exil ermöglichen kann.
Das Buch liest sich wie ein Who-Is-Who der modernen Kunst, nicht nur der bildenden, sondern auch der schreibenden. Als femme fatale macht sich Peggy Guggenheim ganz besonders gut, Klatsch und Tratsch haben nie aufgehört, auch nicht nach ihrem Tod. Die Autorin dieser Biografie belässt es bei dezenten Hinweisen, das fand ich angenehm.
Fazit: Ich empfehle diese Biografie gern weiter, sie verführte mich auch mit dem Literaturverzeichnis und dem Personenindex zu weiteren literarischen Nachforschungen.

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Veröffentlicht am 05.09.2025

Das laute Schweigen der Vergangenheit

Du musst meine Hand fester halten, Nr. 104
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Sollte jemand keine Geduld für längere Rezensionen haben, dann beginne ich hier mit dem Fazit: Dieses Buch muss man lesen, dieses Hörbuch muss man hören, es ist einfach sensationell und trotzdem so hart ...

Sollte jemand keine Geduld für längere Rezensionen haben, dann beginne ich hier mit dem Fazit: Dieses Buch muss man lesen, dieses Hörbuch muss man hören, es ist einfach sensationell und trotzdem so hart zu akzeptieren, dass es dem Leser oder Hörer unwillkürlich Tränen der Wut und des Mitgefühls in die Augen treibt.
Aber jetzt der Reihe nach. Schon die Gretchen-Reihe von Susanne Abel habe ich als Hörbücher geliebt, Vera Teltz ist die passendste Sprecherin für Susanne Abels Werke. Auch im neuesten Hörbuch bringt sie diese Geschichte mit ihren unterschiedlichen Protagonisten so zum Leben, wie es sonst nur Verfilmungen mit vielen Schauspielern gelingt. Grandioses Kino für den Kopf!
Zuerst hatte ich Zweifel, ob ich mich den Themen Kriegskinder, Kinderheime, Kriegstrauma, zerstörte Kindheit, zerstörte Familien schon wieder über 13 Stunden auseinandersetzen wollte, aber nach der Hörprobe konnte ich eigentlich gar nicht mehr aufhören zuzuhören.
Ich wurde Ohrenzeuge unsagbaren Leids von Kindern, die den Krieg knapp überlebt hatten und in die Hände verantwortungs- und herzloser Menschen fielen, seien sie von Gott geleitet oder vom Geldverdienen. Es gibt seit Jahren Veröffentlichungen in den Medien über die Qualen, denen gerade Kinder in kirchlichen, aber auch in staatlichen Einrichtungen ausgesetzt waren. Susanne Abel geht in ihrem Nachwort sehr fundiert darauf ein.
Die Protagonisten sind zuerst Hardy und Margret Willeiski, die sich 1945 als Kinder im Heim kennenlernen, Margret wird die Beschützerin des jüngeren Hardy, der nur als Nr. 104 bezeichnet wird, bis sie das Heim verlassen muss. Viele Jahre später finden sich beide wieder und gründen eine Familie. Hardy baut für sie ein eigenes Haus, das für beide Zufluchtsort wird. Besonders Margret leidet unter psychischen Störungen wegen der erlittenen Gewalt, fällt nach Geburt der Tochter Sabine in eine tiefe Depression. Trotzdem wird bis zu ihrem Tod Hardy der einzige sein, der um ihre seelischen Qualen weiß. Und sie nimmt auch alle Geheimnisse von Hardy mit ins Grab. Weder ihre Tochter, noch Enkeltochter Julia wissen etwas über ihre Vergangenheit. Als Julia mit der Erziehung ihrer kleinen Tochter Emily überfordert ist, bewahren sie sie vor der Heimeinweisung und das Mädchen wächst bei ihnen, die da bereits 70 Jahre alt sind, auf. Besonders das liebevolle Verhältnis zwischen Uropa Hardy und Emily ist wunderbar beschrieben.
Das insgesamt von dauernden Problemen gezeichnete Familienleben und das schwierige Aufwachsen von Emily zwischen der unzuverlässigen Mutter, der selbstsüchtigen Großmutter und der wahnsinnig besorgten Urgroßmutter machen ihr das Leben nicht leicht. Interessante Nebenfiguren lockern die Geschichte auf, so z. B. der Vater ihrer Schulkameradin Semin. Erfreut hat mich auch das Auftreten von Tom Monderath, den Leser der Gretchen-Reihe bereits gut kennen.
Der Roman wechselt gekonnt zwischen den Zeiten und Ereignissen, wobei die zurückliegenden 1950er und 1960er Jahre ebenso fesseln, wie die Kindheits- und Jugendjahre von Emily. Dass ich das Buch zum Ende hin ob der sich immer mehr steigernden Dramatik nicht mehr weglegen konnte, sei hier nur als Hinweis verstanden. Welchen Ausgang die Geschichte nimmt, möchte ich nicht vorwegnehmen.
Die zurückliegenden Verbrechen an den Kindern können nicht wieder gutgemacht werden, auch nicht gerächt oder gesühnt. Was aber möglich wird, ist das Aufbrechen des Schweigens, das sich über Jahrzehnte durch die Lebensgeschichten der Betroffenen zieht. Und betroffen sind eben nicht nur die einst vergewaltigten, misshandelten und missbrauchten Kinder, es sind auch ihre eigenen Kinder und Kindeskinder, die unter diesem Schweigen leiden. Wie viel leichter wäre es für ein Kind wie Emily gewesen, um das Unglück ihrer Urgroßeltern wenigstens teilweise Bescheid zu wissen. Aber dieses Schweigen aufzubrechen, ist eine Jahrhundertaufgabe. Im Großen wie im Kleinen.
Susanne Abel gelingt es in ihrem Roman, ihre Protagonisten nicht nur zu beschreiben, sondern ihnen Charakter zu verleihen. Es fällt dadurch nicht schwer, sich in diese hineinzuversetzen. Besonders gut ist das bei Harry und Emily gelungen. Wenn mir als Leser beide regelrecht ans Herz gewachsen sind, ist das bisweilen ob ihrer Erlebnisse auch schmerzhaft, aber es fühlt sich auch wahrhaftig an. Besonders Emilys wiederkehrende Enttäuschungen durch ihre Mutter taten auch mir in der Seele weh. Einige Protagonisten sind jedoch aus meiner Sicht, auch wenn das Buch schon recht umfangreich war, zu kurz gekommen, Sabine und ihre Probleme werden nur sehr skizzenhaft gezeichnet. Das Verhältnis zu ihren Eltern, wie auch zur Tochter Julia ist nicht so einfach, aber es wäre interessant zu wissen, ob Margrets „Helicopter“-Angewohnheiten auch bei den beiden schon so ausgeprägt waren, wie bei Emily.
Für mich sehr interessant ist die Beschreibung des Rheinlands, inklusive der Mundart und anderer Eigenheiten. Mein Vater stammt aus Duisburg, ich bin in Ostberlin aufgewachsen. Die Unterschiede sind groß, aber einiges hätte genauso im Osten ablaufen können wie im Westen. Die Vergangenheit verfolgt hier wie dort unerbittlich.
Das Cover für Buch/Hörbuch zeigt einen kleinen traurigen Jungen, es ist das Ebenbild von Hardy, wie man es sich bei Hören oder Lesen vorstellt. Ca. 300.000 solcher verlorenen Kinder hat der DRK-Suchdienst im Laufe der Jahre mit Verwandten wiedervereint. Das vergangene Leid blieb aber allgegenwärtig.
Mir hat das Hörbuch (Buch) sehr gefallen, ich bin froh, dass ich mich selbst und meine Angst vor der schwierigen Thematik überwunden habe. Danke, Susanne Abel. Ich bin gespannt, welches Ihr nächstes großes Thema sein wird.

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Veröffentlicht am 27.08.2025

Kann man von Leid genesen?

Ciao bis zu den schönen Tagen
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Es ist der zweite Roman von Roberta Recchia, ich weiß nicht, ob man von einer Serie sprechen kann, aber einige Protagonisten aus „Endlich das ganze Leben“ tauchen wieder auf und nehmen einen ganz besonderen ...

Es ist der zweite Roman von Roberta Recchia, ich weiß nicht, ob man von einer Serie sprechen kann, aber einige Protagonisten aus „Endlich das ganze Leben“ tauchen wieder auf und nehmen einen ganz besonderen Platz ein. Heutzutage ist es ja bereits als ungewöhnlich anzusehen, wenn die Hauptperson eines Romans keine unterdrückte oder anderweitig geschädigte Frau ist. Den Leser erwartet trotz des romantischen und traurig klingenden Titels aber auch eine geballte Portion Feminismus, jedoch kein geschlechtergerechtes Gendern oder Doppelpunkte. Schon deshalb gefiel mir der Roman so gut, ich konnte den Text lesen und genießen und mir meine Gedanken machen, ohne mich gegängelt zu fühlen.
An Dramatik fehlt es diesem Buch auch nicht, die Wendungen, die sich urplötzlich ergeben, sind einfach atemberaubend. Und dabei fängt alles ganz still und unspektakulär an, Luca, noch 12, verliebt sich zum ersten Mal, beginnt sich für Mädchen zu interessieren. Besonders Betta, die für ihn noch Unerreichbare, hat es ihm angetan. Lucas kleine Familie lebt ein normales, bescheidenes Leben unter der südlichen Sonne Italiens. Der Verlag schreibt in seinem Werbetext „Der bewegende Roman der italienischen Bestsellerautorin – mit dem Flair eines italienischen Spätsommerabends.“ So habe ich das auch empfunden, Luca wird zuerst langsam erwachsen und dann erlebt er unbeschreibliches Unglück. Seine Angebetete Betta wird tot aufgefunden, für ihn ist es ein Sturz ins Bodenlose. Als zwei Jahre später sein Bruder dafür verantwortlich gemacht wird, zerbricht sein gesamtes Dasein. Von einer Stunde zur anderen muss er fortan bei seinem Onkel Umberto und dessen Familie in Bergamo leben. Die Dramatik der folgenden Jahre wird so lebendig beschrieben, dass ich als Leser mit Luca mitgelitten, mitgehofft und geliebt habe. Weitere Spoiler liefere ich nicht!
Die Autorin beschreibt diesen Bruch in Lucas Leben sehr anschaulich und mit viel Empathie. Im Nachwort klingt das so „Letztlich haben wir (ich und Luca) seine Geschichte gemeinsam erzählt: Ich habe ihn an die Hand genommen und ihm zugehört wie einem Sohn. Deshalb bin ich ihm dankbar, dass er nie lockergelassen hat. …“ Aber sie zeichnet nicht nur Luca, sondern jede Figur mit feinsten Pinselstrichen, wenn man das bei einem Schriftsteller so sagen darf.
Fazit: Ich habe das Buch sehr gern gelesen und empfehle es unbedingt weiter. Es ist ein Buch wie gemacht für diesen Sommer, einfach perfekt!

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