Profilbild von MarieOn

MarieOn

Lesejury Star
offline

MarieOn ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarieOn über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.09.2025

Toxische Beziehung

Schöne Scham
0

Christian streicht Amalia eine Strähne hinters Ohr. Er ist gut drauf. Kata fragt sich laut, wann Lenny das letzte Mal so aufmerksam zu ihr war. Christian geht Katas Kompliment runter wie Erdnussbutter. ...

Christian streicht Amalia eine Strähne hinters Ohr. Er ist gut drauf. Kata fragt sich laut, wann Lenny das letzte Mal so aufmerksam zu ihr war. Christian geht Katas Kompliment runter wie Erdnussbutter. Kata will Lenny herausfordern, der den Kopf an die Scheibe gelehnt hat und döst. Sie könne sich wirklich nicht erinnern, wann Lenny zuletzt ihren Nacken liebkost habe. „Seit du dich über meine rauen Hände beschwert hast“, brummt Lenny.

Ola hat sich noch bei niemandem gemeldet. Sie wollen schnell bei ihr Halt machen und Klingeln, bevor sie sich alle zusammen auf die zweieinhalb Stunden Fahrt in das Wochenendhäuschen von Katas Eltern machen. Und da sehen sie Ola auch schon und laden sie ein.

Kata

Lenny ist Weltmeister in Prokrastination. Er ist der bequemste Mensch, den Kata kennt. Ein echtes Trödeltalent. Eigentlich sollte diese Fahrt ein reiner Mädelstrip werden, aber Kata hat sich durch Lennys stoisches Schmollen breitschlagen lassen, mit der Tradition zu brechen. Zum Dank hat er sie alles allein organisieren lassen und dann nicht einmal seinen Koffer gepackt.

Ola

Warum sie keinen Freund mitgebracht hat, will Christian wissen. Sie hat keinen. Was sie beruflich macht. Lkw-Fahrerin. Christian lacht schallend. „Jetzt mach mal keinen Quatsch, Lkw-Fahrerin.“ Ola betrachtet Christian vom Rücksitz aus, spottet innerlich über den nach Zimt stinkenden Wunderbaum nebst Rosenkranz am Rückspiegel. Wie die zwei wohl zusammengekommen sind Amalia und Christian, die immer noch so aneinanderkleben wie am Anfang ihrer Beziehung.

Amalia

Vor ihnen ein Auto, doppelter Auspuff, dominanter Spoiler, Rammstein-Sticker. Christian kündigt an, dass er es dem jetzt mal zeigen wird und startet ein rasantes Überholmanöver. Im Grunde freut sie sich auf das Wochenende. Christian war in letzter Zeit so unterkühlt und aufbrausend zu ihr. Vielleicht hilft das hier ihrer Beziehung auf die Sprünge.

Fazit: Bianca Nawrath hat eine fein austarierte Geschichte, ganz ähnlich einer Sitcom ohne die Lacher geschaffen, wie sie ganz sicher häufig passiert. Sie lässt mich den fünf Menschen, die das Wochenende miteinander verbringe werden, über die Schulter schauen und erzählt die Geschehnisse abwechselnd aus Sicht der drei Frauen. Obwohl Christian und Kata eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet, ahnt niemand im Auto, wie er wirklich ist. Nur Amalia weiß das, weil sie mit ihm zusammen und mitten in einer toxischen Beziehung lebt. Die Autorin zeigt den Charakter Christians, der immer etwas drüber ist. Wie er Amalia mit und ohne Publikum behandelt. Die Geschichte steht stellvertretend für uns alle, bezieht uns gedanklich ein. Wie schnell wir uns blenden lassen. Unsere Zurückhaltung, weil wir in der Regel konfliktscheu sind, lieber die Augen vor den Tatsachen verschließen, als den anderen zu verärgern. In der Nachbarwohnung wird gebrüllt, etwas scheppert und wir drehen den Fernseher lauter. Die Betroffene zweifelt an sich selbst, versucht den Ball flach zu halten, ihn nicht zu verärgern. Die einzige, die den Täter glasklar durchschaut, ist Ola, aber sie steht ebenso allein da wie Amalia, die sich nicht mit ihr verbünden will, zu groß ist die Angst, alles noch schlimmer zu machen. Das Ende ist so krass wie tröstlich. Ein menschliches Desaster mit psychologischen Finessen gezeigt. Das war genau meins, solche Storys liebe ich und die Autorin merke ich mir ganz sicher.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.09.2025

Einsamkeit in ihrer erbarmungslosesten Form

Die Sprache meines Bruders | Deutscher Buchpreis 2025 Longlist
0

Parker stellt die Kaffeetasse ab. Kasimir spült Geschirr und beobachtet seinen Bruder aus den Augenwinkeln, ob der noch was essen will. Kasimir ist der Wächter der Speisen. Parker schnappt seine Autoschlüssel ...

Parker stellt die Kaffeetasse ab. Kasimir spült Geschirr und beobachtet seinen Bruder aus den Augenwinkeln, ob der noch was essen will. Kasimir ist der Wächter der Speisen. Parker schnappt seine Autoschlüssel und ist mit drei großen Schritten bei der Haustür. Hat Parker ein Lied gepfiffen? Das kann, das darf nicht sein in diesem Haus, in dem die Depression wohnt. Kasimir läuft Parker hinterher, sieht ihn ins Auto einsteigen, die Anlage aufdrehen, davonbrausen. So viel Gleichgültigkeit.

Parker ist dünn geworden, isst kaum noch. Kasimir zieht ihn damit auf. Jetzt hat er das Haus früher als sonst verlassen und Kasimir muss mit der Statistik über Parker pausieren.

Kasimir sollte eigentlich wieder ins Bett gehen, viel zu früh war er aufgestanden um zu sehen, was sein Bruder treibt. Nun, nachdem Luzia Parker verlassen hat, ist Veränderung vielleicht möglich. Die letzte Chance mit dreißig. Ein kleines Appartement Downtown für sie beide, in der Nähe der Chauffeurzentrale, dort wo Parker arbeitet. Vielleicht findet Kasi auch einen Job. Das Kino ist gleich um die Ecke, das kann er schaffen. Er wird hier am Küchentisch auf Parker warten. Nach der Arbeit redet der maulfaule Bruder noch weniger, Kasi wird ihn mit Argumenten bombardieren. Kasi zieht durchs Haus, setzt sich in Luzias Zimmer, im ehemaligen Mutterschlafzimmer, auf das Bett. Er steht auf, stromert durch Parkers Zimmer und verzieht den Mund vor lauter Geschmacklosigkeit.

Als der nächste Tag anbricht, wird Kasi unruhig, weil Parker immer noch abkömmlich ist. Er kann doch unmöglich drei Schichten hintereinander fahren und der Kühlschrank gibt auch nichts mehr her. Kurz durchzuckt Kasi eine schwelende Vision. Er wird doch nicht in die Heimat zurückgegangen sein?

Fazit: Gesa Olkusz ist eine erbarmungslose Geschichte gelungen. Sie führt mich in die Gedanken der vier am Leben verzweifelten Persönlichkeiten. Bis zum Schluss bleibt sie ihrem Ziel treu die tiefe, schmerzende Einsamkeit aller zu zeigen. Da ist Kasimir ein quirliger, zutiefst verunsicherter Mann und seine Soziophobie. Ich sehe Neid, Missgunst, Abscheu, Abhängigkeit und Unzufriedenheit. Kasimir kontrolliert seinen Bruder wie ein ängstlicher Hund. Parker ist der wortkarge, der trotz seines Jobs kaum über die Runden kommt und sich symbiotisch mit seinem Bruder verbunden und für ihn verantwortlich fühlt. Leider verwehrt er Kasimir dadurch jede Entwicklungsmöglichkeit. Luzia, die sich Veränderung wünscht und Parker, der sich nach Sicherheit sehnt, nicht motivieren kann. Und dann ist da noch der absonderliche Fahrgast Parkers, der ihn um einen Spezialgefallen bittet. Die Autorin reißt alle drei aus dem mütterlichen Haus und wirft jeden in eine eigene Handlung. Die Geschichte ist ruhig erzählt und konzentriert sich auf die Charaktere. Das Ende, das ich nicht kommen sah, hat mir Gänsehaut verursacht. Das ist eine ganz besondere, unglaublich gut gemachte Geschichte, die nicht grundlos auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2025 stand.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.09.2025

Ein feines Stück literarischer Popkultur

Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft
0

Der Kanal von Maja und Merle heißt FOAMO. Sie filmen sich dabei, wenn sie am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen. Sie tragen Sneaker, dunkle Tücher vor dem Mund, haben lange braune Haare ...

Der Kanal von Maja und Merle heißt FOAMO. Sie filmen sich dabei, wenn sie am Samstag in den Wald gehen und Sachen in die Luft jagen. Sie tragen Sneaker, dunkle Tücher vor dem Mund, haben lange braune Haare und verpixeln ihre Augen. Sie graben ein Loch, werfen Sachen rein, füllen auf, zünden an und rennen weg. Bumm. Era verfolgt den Stream der Mädchen regelmäßig. Sie selbst führt analog Buch, klebt jeden ausgestorbenen Vogel hinein, von dem sie hört, daneben kleine Infos auf Notizzetteln. Heute ist die Turteltaube dran (Streptopelia turtur)

Era lebt mit ihrer Mutter in einer Hütte direkt am Waldrand. Ihre Mutter will, dass sie ein wenig vor die Tür geht. Nicht nur weil sie in Ruhe an ihrem Archiv arbeiten will, auch weil Era die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbringt. Es ist Samstag. Era hört einen leisen Knall, folgt dem Geräusch eine ganze Weile und dann sieht sie die beiden. Sie sieht Maja in Real Life, unverpixelt und das gefällt ihr. Tatsächlich kennt sie Maja aus der Ferne. Sie auf der einen Seite des Schulhofs, Maja auf der anderen. Zwischen ihnen hundert Quadratmeter heißer Asphalt. An Sommertagen müssen sie sich von großen Asphaltflächen fernhalten, so die Vorgabe, aber wann ist eigentlich kein Sommer?

Die Mamas von Maja und Merle sind Momfluenzerinnen. Sie hatten als Jugendliche angefangen, Videochallenges zu produzieren und lebten bald von Markenkooperationen. Später kauften sie eine Villa und dokumentierten ihre Schwangerschaften und das Aufwachsen der Mädchen. Maja ist seit ein paar Jahren nicht mehr dabei. Majas Mamas bedienen viele geschlechterspezifische Stereotype. Deswegen schlägt ihnen reichlich Hass im Netz entgegen, aber auch per Post.

Fazit: Fiona Sironic ist ein feines Stück popkultureller Literatur gelungen. Ihre Protagonistin ist unfreiwillige Einzelgängerin. Sie lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter in den Auswirkungen einer Umwelt, die sich heute ankündigt. Tiersterben, Waldbrände, Überschwemmungen, Pandemien und Geldentwertung. Sie trifft auf die Momfluenzerinnentöchter und verliebt sich in Maja, die mit ihrer Schwester gegen ihre Mütter und die Datenspeicher rebelliert. Majas Desillusionierung und Machtlosigkeit schwappt um in Wut und sie radikalisiert sich, während Era ihr hilflos dabei zusieht. Die Geschichte ist aus der Sicht Eras erzählt. Ich mag das apokalyptische Setting, die Wut Majas wegen des digitalen Missbrauchs. Das ist schon ziemlich abgefahren, liest sich aber flüssig weg. Das Genre kann ich schlecht einordnen. Irgendwas zwischen Coming-of-Age, Dystopie und zeitgenössischer Romantik. Von mir eine klare Leseempfehlung für diese Story, die es gestern auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft hat.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.09.2025

Depression eine Erklärung

Nur für Mitglieder
0

Nie wieder Weihnachten in Deutschland hatte er sich letztes Jahr geschworen. Das tiefe Loch, in das er gefallen war, ließ ihn erst Monate später wieder frei. Helena sagte ihm am Klobichsee in der Märkischen ...

Nie wieder Weihnachten in Deutschland hatte er sich letztes Jahr geschworen. Das tiefe Loch, in das er gefallen war, ließ ihn erst Monate später wieder frei. Helena sagte ihm am Klobichsee in der Märkischen Schweiz, dass er bei seinen Eltern gerne eingeladen wäre. Für Helenas Familie ist Weihnachten das Highlight des Jahres. Baumschmuck, Kirche, Festessen. Helena und ihre Schwester klappern schon im Vorfeld alle Weihnachtsmärkte des Landes ab. Und ganz egal, wie vehement sie jedes Jahr aufs Neue versucht, ihn zu überzeugen, wie groß, auch seine Freude sein würde im heimischen Schoß ihrer Familie zu kuscheln, lehnt er jedes Mal entschieden ab.

Jetzt kommt er am 14.12. in Las Palmas an. Er wird seine Bildungslücke mit den Sopranos auf Gran Canaria füllen. Elf Tage lang, acht Stunden pro Tag, sechs Staffeln. Bevor es los geht, wird er zuerst einmal ein kleines Dinner zu sich nehmen. Das orange Bändchen, das der freundliche, gut aussehende Rezeptionist ihm gegeben hat, befähigt ihn in seinem High End Resort so ungefähr jede Türe zu öffnen und sich den Fünf-Sterne-Luxus um die Ohren hauen zu lassen. Auf dem Weg zum Restaurant studiert er die Architektur der Einschüchterung. Weißer Beton, Glas, kurvige Wege, gesäumt von Palmen.

Der vegetarische Burger ist lecker, die Kellnerin zwinkert ihm lächelnd zu. Hinter ihm sitzt ein älteres Pärchen an einem Tisch auf Barhockern, von denen aus sie eine gute Sicht auf alle Gäste haben. Sie hält sich an einer halb vollen Flasche Weißwein fest, er scheint seinen roten zu bevorzugen. Jetzt wird er sich die Beine vertreten. Der 1,5 Kilometer Weg zum Meer ist gesäumt von gesichtslosen Hotels, Shopping Malls, Supermärkten und kleinen Souveniergeschäften mit Tittentassen und Pimmelbierkrügen. Wenig Grün, viel Beton, Verkehrskreisel. Dann die Dünen, Naturschutzgebiet und Touristenmagnet. Laut Reisepodcast und Google Rezension erwartbar viele alte Nudisten und Schwule auf der Suche nach Abenteuer. So, fürs erste alles gesehen. Jetzt aber schnell zurück zur ersten Staffel The Sopranos.

Fazit: Thorsten Nagelschmidt, Autor und Texter, Sänger und Gitarrist der Band Muff Potter, hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine eigene Depression zu analysieren. Vordergrund ist ein beliebtes Urlaubsdomizil, dessen Urlauber er beobachtet und mit feinem Sarkasmus kommentiert. Dazu zählt die Unart, Liegen mit Handtüchern als Eigentum zu kennzeichnen, Sauforgien und Klassenunterschiede. Im Grunde ist ihm hiermit eine unterhaltsame gesellschaftliche Fallstudie gelungen. Im Hintergrund dreht sich Nagelschmidt um sich selbst, lässt mich an seiner Vergangenheit teilhaben, zieht familiäre Rückschlüsse und zeichnet das Bild eines überforderten Jungen, der früh Verantwortung tragen musste. Und so neigt er dazu, über seine Grenzen zu gehen, weil er einen hohen Leistungsstandard an sich stellt. Seine schlimmsten Erfahrungen spielten sich schon in der Kindheit zur Weihnachtszeit ab. Seine Erzählung ist gespickt mit Daten eigener Recherche zum heiligen Fest, aber auch mit seinen Ansichten zu heteronormativen Familien und Erwartungsdruck.

Kaum ein Konzept wird in patriarchal geprägten Gesellschaften so idealisiert wie das der Kleinfamilie. S. 156

Mir hat die Herangehensweise des Autors sehr gefallen. Er spricht ganz klar und deutlich über seinen Zusammenbruch und die möglichen Gründe. Wie die Dunkelheit sich anschlich, als er noch zu abgelenkt war, es zu merken. Seine Hilflosigkeit und Verzweiflung, das Gefühl, nie mehr aus diesem Loch herauszukommen. Und dann ist da auf der anderen Seite dieser zynische Typ mit den kritischen Gedanken zu den einfach strukturierten Menschen, die ein System am Laufen halten, das sich nicht bewährt hat. Ich mag ihn, seinen Stil und seine Offenheit. Volle Leseempfehlung für alle, die sich für das Thema Depression interessieren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.09.2025

Hochakturll, ralitätsnah und spannend

Wasserspiel
0

Prolog

Robert muss sich sein Seepferdchen erschwimmen. Es regnet. Er steht mit den anderen Kindern im Wasser, zittert, die anderen nicht. Ein Pfiff ertönt und alle starten mit ihren Schwimmzügen, nur ...

Prolog

Robert muss sich sein Seepferdchen erschwimmen. Es regnet. Er steht mit den anderen Kindern im Wasser, zittert, die anderen nicht. Ein Pfiff ertönt und alle starten mit ihren Schwimmzügen, nur Robert nicht. Seine Mutter hilft ihm aus dem Becken, legt das Handtuch um seine Schultern und flüstert „Du kannst jetzt die Augen öffnen“. Er glaubt ihr, blickt auf und sieht Eltern, die unter einem Sonnenschirm stehen, auf den das Wasser platscht, sie tuscheln. „Beachte sie nicht“, flüstert seine Mutter.

Der Vater nennt den Sohn Memme. Sie fahren jetzt nicht mehr ans Meer, sondern in die Berge. Dem Vater macht es nichts, er liebt Skifahren. Der Vater beschließt, seinem besten Freund, dem Besitzer der Lürener Holzmanufaktur zu helfen. Da ist die Firma schon pleite, sein Vater weiß das nicht, bürgt für ihn und verliert die eigene Firma, Papier Böger. Während der Vater Ski fährt, erfährt die Mutter von ihrer Hausbank, dass sie pleite sind. Der Vater bleibt verschwunden, der Mutter bleibt nur noch der Bungalow, vorerst. Die Kreise, in denen sie verkehrte, in die sie sich als gebürtige Hessin hineinarbeiten musste, meiden sie jetzt.

Athen

Dimitris und Ellen haben keinen Zugang mehr zu fließendem Wasser. Robert filmt für seinen Video-Blog. Natalia interviewt und der Polizist Giorgios erhält die Ordnung. Dimitris war einer der ersten, den die Wasserwerke entlassen haben. Danach wurde Ellens Stelle in der Schule gestrichen, während sie in Mutterschutz war. Jetzt hat die Stadt ihnen Wasser und Strom abgestellt. Natalia wird das Baby der beiden mitnehmen, denn ohne fließendes Wasser sei die ordnungsgemäße Versorgung Christinas nicht möglich. Währenddessen versucht der Großkonzern Dell Áqua in Roberts ehemaligem Heimatort Lüren die Rechte für die Mineralwasserquelle zu kaufen.

Fazit: Tim Staffel hat ein Szenario geschaffen, das mich völlig vereinnahmt hat. In rasantem Tempo erzählt er von der weltweiten Wasserknappheit. Eine große Firma (die mich an Nestlé erinnert) hat es sich zur Aufgabe gemacht, damit stinkreich zu werden. Sie kaufen weltweit Quellen und Nutzungsrechte und verkaufen ihre Wasserflaschen an die, die sie vom Wasser abgeschnitten haben. Robert berichtet auf seinem Account über diese Vorfälle und hofft, Einfluss nehmen zu können. Begleitet wird er von einigen Jugendlichen in seinem verhassten Heimatort. Unter anderem von Humphry, dem Sohn der Kommunalpolitikerin, der an Lungenfibrose erkrankt ist und permanent Sauerstoff braucht. Mit dabei ist auch der hochbegabte Mitschüler Kuno, der zwei Jahre jünger ist als Humphry. Das Setting ist so genial wie aktuell. Kein Regen, heiße Sommer, ausgetrocknete Flussbetten und Böden, Erdrutsche und dann eine kleine Gruppe Menschen, die sich sorgen und verstehen, was passiert gegen eine größere Gruppe Menschen, die das alles nicht interessiert, weil sie Veränderung scheuen. Ich finde, realitätsnäher geht es nicht. Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht Roberts und Humphrys. Hier stimmt alles, die Charaktere, das Tempo, die Handlung, die offensichtlich auf eine Katastrophe zusteuert, die Ideen, das Schicksal abzuwenden. Du meine Güte, habe ich dieses Buch gerne gelesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere