Toxische Beziehung
Schöne SchamChristian streicht Amalia eine Strähne hinters Ohr. Er ist gut drauf. Kata fragt sich laut, wann Lenny das letzte Mal so aufmerksam zu ihr war. Christian geht Katas Kompliment runter wie Erdnussbutter. ...
Christian streicht Amalia eine Strähne hinters Ohr. Er ist gut drauf. Kata fragt sich laut, wann Lenny das letzte Mal so aufmerksam zu ihr war. Christian geht Katas Kompliment runter wie Erdnussbutter. Kata will Lenny herausfordern, der den Kopf an die Scheibe gelehnt hat und döst. Sie könne sich wirklich nicht erinnern, wann Lenny zuletzt ihren Nacken liebkost habe. „Seit du dich über meine rauen Hände beschwert hast“, brummt Lenny.
Ola hat sich noch bei niemandem gemeldet. Sie wollen schnell bei ihr Halt machen und Klingeln, bevor sie sich alle zusammen auf die zweieinhalb Stunden Fahrt in das Wochenendhäuschen von Katas Eltern machen. Und da sehen sie Ola auch schon und laden sie ein.
Kata
Lenny ist Weltmeister in Prokrastination. Er ist der bequemste Mensch, den Kata kennt. Ein echtes Trödeltalent. Eigentlich sollte diese Fahrt ein reiner Mädelstrip werden, aber Kata hat sich durch Lennys stoisches Schmollen breitschlagen lassen, mit der Tradition zu brechen. Zum Dank hat er sie alles allein organisieren lassen und dann nicht einmal seinen Koffer gepackt.
Ola
Warum sie keinen Freund mitgebracht hat, will Christian wissen. Sie hat keinen. Was sie beruflich macht. Lkw-Fahrerin. Christian lacht schallend. „Jetzt mach mal keinen Quatsch, Lkw-Fahrerin.“ Ola betrachtet Christian vom Rücksitz aus, spottet innerlich über den nach Zimt stinkenden Wunderbaum nebst Rosenkranz am Rückspiegel. Wie die zwei wohl zusammengekommen sind Amalia und Christian, die immer noch so aneinanderkleben wie am Anfang ihrer Beziehung.
Amalia
Vor ihnen ein Auto, doppelter Auspuff, dominanter Spoiler, Rammstein-Sticker. Christian kündigt an, dass er es dem jetzt mal zeigen wird und startet ein rasantes Überholmanöver. Im Grunde freut sie sich auf das Wochenende. Christian war in letzter Zeit so unterkühlt und aufbrausend zu ihr. Vielleicht hilft das hier ihrer Beziehung auf die Sprünge.
Fazit: Bianca Nawrath hat eine fein austarierte Geschichte, ganz ähnlich einer Sitcom ohne die Lacher geschaffen, wie sie ganz sicher häufig passiert. Sie lässt mich den fünf Menschen, die das Wochenende miteinander verbringe werden, über die Schulter schauen und erzählt die Geschehnisse abwechselnd aus Sicht der drei Frauen. Obwohl Christian und Kata eine jahrzehntelange Freundschaft verbindet, ahnt niemand im Auto, wie er wirklich ist. Nur Amalia weiß das, weil sie mit ihm zusammen und mitten in einer toxischen Beziehung lebt. Die Autorin zeigt den Charakter Christians, der immer etwas drüber ist. Wie er Amalia mit und ohne Publikum behandelt. Die Geschichte steht stellvertretend für uns alle, bezieht uns gedanklich ein. Wie schnell wir uns blenden lassen. Unsere Zurückhaltung, weil wir in der Regel konfliktscheu sind, lieber die Augen vor den Tatsachen verschließen, als den anderen zu verärgern. In der Nachbarwohnung wird gebrüllt, etwas scheppert und wir drehen den Fernseher lauter. Die Betroffene zweifelt an sich selbst, versucht den Ball flach zu halten, ihn nicht zu verärgern. Die einzige, die den Täter glasklar durchschaut, ist Ola, aber sie steht ebenso allein da wie Amalia, die sich nicht mit ihr verbünden will, zu groß ist die Angst, alles noch schlimmer zu machen. Das Ende ist so krass wie tröstlich. Ein menschliches Desaster mit psychologischen Finessen gezeigt. Das war genau meins, solche Storys liebe ich und die Autorin merke ich mir ganz sicher.