Profilbild von Dajobama

Dajobama

Lesejury Star
offline

Dajobama ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Dajobama über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2025

Femizid

Lilianas unvergänglicher Sommer
0

Lilianas unvergänglicher Sommer – Cristina Rivera Garza
Cover und Titel ließen mich hier so etwas wie einen leichten Sommerroman vermuten – weit gefehlt!
Cristina Rivera Garza berichtet in diesem Werk ...

Lilianas unvergänglicher Sommer – Cristina Rivera Garza
Cover und Titel ließen mich hier so etwas wie einen leichten Sommerroman vermuten – weit gefehlt!
Cristina Rivera Garza berichtet in diesem Werk vom Femizid an ihrer Schwester Liliana, die vor mittlerweile 29 Jahren als zwanzigjährige Architekturstudentin in Mexico-City von ihrem Ex-Freund ermordet wurde.
Die Fakten liegen von Anfang an auf dem Tisch – gefasst wurde der Mörder allerdings bis heute nicht. Die Schwester erzählt hier nun Lilianas Geschichte. Von ihrer Kindheit und Jugend, dem Kennenlernen des späteren Ex-Freundes, Studenten-Leben und auch vom Tathergang und der jahrzehntelangen Trauerarbeit der Familie.
Die Autorin bedient sich dabei vieler Puzzlestücke, die sie mosaikartig aneinanderreiht. Von offiziellen Dokumenten über persönlichen Briefen und Tagebucheinträgen oder Notizen zeichnet sie nach und nach ein detailliertes Bild Lilianas, die das Schreiben liebte. Das ist durchaus abwechslungsreich und wirkt sehr authentisch, ganz einfach fand ich den Zugang allerdings nicht. Vom sehr förmlichen Ton von Polizeiberichten bis zu albern-verspielten Briefchen an die beste Schulfreundin ist alles dabei.
Über allem schwebt jedoch immer das Wissen über den Ausgang von Lilianas Geschichte. Dieses Werk ist ergreifend und bedrückend und unheimlich wichtig.
Sehr empfehlenswert! 5 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.10.2025

Grand Hotel Frohner

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels
0

Fabula Rasa oder die Königin des Grand Hotels – Vea Kaiser
Diesen Roman wollte ich gar nicht wegen seines Klappentextes lesen, der mich hier nicht soo sehr angesprochen hat – sondern wegen der Autorin ...

Fabula Rasa oder die Königin des Grand Hotels – Vea Kaiser
Diesen Roman wollte ich gar nicht wegen seines Klappentextes lesen, der mich hier nicht soo sehr angesprochen hat – sondern wegen der Autorin Vea Kaiser, die nach längerer Pause hiermit endlich ein neues Werk veröffentlicht hat. Und was soll ich sagen… sie ist wieder ganz in ihrem Element. Einfach grandios!
Angelika Moser hat keine einfachen Startbedingungen. Und trotz aller Mühe will sich das Blatt einfach nicht wenden. Als Buchhalterin im Wiener Grand Hotel Frohner der Achtzigerjahre nutzt sie jede Gelegenheit zum sozialen Aufstieg. Denn Angelika ist tough und hilft sich selbst, wo ihr sonst niemand hilft. Als sie dann auch noch allein mit Kleinkind dasteht, lässt sie sich auf fragwürdige Bilanz-Zahlenspielereien ein…
Als Leser kann man sich sehr gut in Angelika hineinversetzen und hat kaum einmal den Anflug des Gefühls, dass es nicht in Ordnung wäre, was sie da tut. Sie ist eine ganz normale Frau und schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben. Dabei zeigt sie Kampfgeist und Erfindungsreichtum. Eine Lebenskünstlerin.
Ähnliches habe ich glaube ich bereits zu einem ihrer früheren Romane geschrieben: Meine Heimat Bayern ist recht nah verwandt mit Österreich, sowohl sprachlich als auch kulturell und ideell. Ich persönlich fühlte mich auf Anhieb pudelwohl in dieser vor Lokalkolorit triefenden Welt von Angelika Moser und dem Grand Hotel Frohner.
Vea Kaiser nimmt kein Blatt vor den Mund. Etliche schwere Themen bilden die Grundlage der Handlung. Doch mit Witz und Spritz kämpft sich Angelika aus der Misere – nur um sich ihre nächste Fallgrube selbst zu bauen. Und so dürfen wir diese sympathische Protagonistin, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, über Jahrzehnte begleiten – bevor ihr schließlich alles um die Ohren fliegt…
Es ist ein flotter, humorvoller Erzählstil. Leicht zugänglich und mit Ausrufen wie „Bist deppert?“ gespickt. Ein Absatz aus meiner damaligen Rezension zu „Rückwärtswalzer“ passt auch hier perfekt: „..ich bin schwer beeindruckt von ihrer locker-flockig humorvollen Art über schwere und tragische Themen zu schreiben. Mit ihrem sehr eignen, teils bissigem Erzählstil bewegt sie sich manches Mal hart an der Grenze des guten Geschmacks, verfehlt dabei aber niemals den Ton. Denn dieser ist zwar frech, aber gleichzeitig sehr einfühlsam den Protagonisten dieser Geschichte gegenüber.“
Ich habe mich hervorragend unterhalten! 5 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2025

kafkaesker Zauberberg

Haus zur Sonne
0

Haus zur Sonne – Thomas Melle
Dieser beeindruckende Roman steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025.
Auch in diesem Werk verarbeitet Thomas Melle seine eigene Depression und Erfahrungen ...

Haus zur Sonne – Thomas Melle
Dieser beeindruckende Roman steht aktuell auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025.
Auch in diesem Werk verarbeitet Thomas Melle seine eigene Depression und Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen. Solch detaillierte und spezifische Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt depressiver und bipolarer Menschen kann nur ein Betroffener bieten. Alleine aufgrund des sehr schweren Themas ist dieses Buch sicherlich nicht für jeden geeignet. Beklemmend und faszinierend zugleich bringt der Autor seinen Protagonisten und natürlich seine Leser noch dazu in ein ganz spezielles Setting.
Nach einer schweren, sich über zwei Jahre hinziehenden manischen Episode mit darauf folgender Depression, sieht der Ich-Erzähler sich endgültig am Ende seines Lebens angelangt. Die Suizidgedanken, die ihn bereits seit Jahrzehnten begleiten, werden schier übermächtig – doch nicht einmal dazu fühlt er sich in der Lage. Da scheint das „Haus zur Sonne“, eine staatlich finanzierte Institution, die beim selbstbestimmten Suizid helfen soll, gerade richtig. Zuvor sollen jedoch noch alle offenen Wünsche erfüllt werden. Es entsteht eine faszinierende kafkaeske Zauberberg-Kulisse – nur eben mit dem Hintergrund des Todeswunsches. Nur ist der Erzähler hier nicht mehr allein mit seinen Gedanken, sondern unter Seinesgleichen. Es entspinnen sich teils sonderbare, teils tiefgründige Gespräche. Sowohl diese Begegnungen als auch das Thema an sich, Todeswunsch, immer neue Überlegungen über Todesarten etc. werden geradezu genüsslich ausgeführt. Im Kontrast dazu immer etliche Illusionen, denen der Patient unterzogen wird mit Szenarien, welche alternativen Leben möglich gewesen wären, wenn… Gleichzeitig blickt der Erzähler zurück auf ein zerrissenes Leben, auf Wendepunkte, Ursachen, auch auf gute Momente. Im Großen und Ganzen lernt man den armen Mann also doch ziemlich gut kennen.
Ein beeindruckendes Werk, das sich aber dennoch auch immer wieder wiederholt und hin und wieder auch etwas zieht. Die Gedanken des Patienten drehen sich im Kreis; er sieht keinen Ausweg, in diesem Leben nicht und auch nicht hinaus.
Ein Roman, der mir sicherlich im Gedächtnis bleiben wird ob seiner Ungewöhnlichkeit. Völlig zurecht steht er auf dieser Shortlist und ist dabei auch noch sehr gut lesbar!
5 Sterne trotz kleinerer Kritikpunkte.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.09.2025

Motte

Das Schwarz an den Händen meines Vaters
0

Das Schwarz an den Händen meines Vaters – Lena Schätte
Ein toller, sehr berührender Roman, der völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises aufgeführt ist.
Die Ich-Erzählerin Motte berichtet ...

Das Schwarz an den Händen meines Vaters – Lena Schätte
Ein toller, sehr berührender Roman, der völlig zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises aufgeführt ist.
Die Ich-Erzählerin Motte berichtet von ihrer Kindheit in sogenannten „einfachen Verhältnissen“, die geprägt ist von Armut und Alkoholsucht des Vaters. Nun liegt er im Sterben und Motte zieht Bilanz. Was hat ihre Kindheit mit ihr gemacht und war vielleicht doch nicht alles schlecht?
Es ist wohl diese Selbstverständlichkeit, mit der Motte und ihr Bruder ihre frühen Jahre erleben – und sicherlich auch das Deja-vu-Erlebnis, das mich doch immer mal wieder überkam (auch ich komme aus einer Arbeiterfamilie), das so betroffen macht. Der Schreibstil an sich ist nämlich eher nüchtern und sachlich gehalten.
Es werden hier auf moderne Art und Weise diverse Themen aufgegriffen, die vielen von uns bekannt vorkommen dürften. Eine Kindheit in einfachen Verhältnissen, in der die Bedürfnisse der Kinder nicht an erster Stelle stehen. Sorgen und Nöte von Arbeiterfamilien. Alkoholsucht und Co-Abhängigkeit (das hat mich hier besonders bestürzt, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Konsum einfach hingenommen wird und sich danach gerichtet wird). Schließlich auch Krankheit und Tod. Die Gefühle, die Kinder einer solchen Familie über die Jahre haben und die Auswirkungen auf das spätere Leben. Motte und ihr Bruder haben von Anfang an ganz andere Wege, damit umzugehen.
Spannend, wichtig, bedrückend. Unheimlich authentisch.
Ein Highlight. 5 Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.09.2025

Bucky

Strandgut
0

Strandgut – Benjamin Myers
Hier ist Benjamin Myers wieder ein großartiges Werk gelungen!
Mit 70 Jahren nimmt Bucky Bronco noch einmal seine letzten Kräfte zusammen und besteigt zum ersten Mal in seinem ...

Strandgut – Benjamin Myers
Hier ist Benjamin Myers wieder ein großartiges Werk gelungen!
Mit 70 Jahren nimmt Bucky Bronco noch einmal seine letzten Kräfte zusammen und besteigt zum ersten Mal in seinem Leben überhaupt ein Flugzeug, das ihn von Chicago bis ins englische Scarborough bringt. Hier soll der ehemalige Soul-Sänger seine Songs von damals zum Besten geben – eine Karriere, die seit einem halben Jahrhundert in Vergessenheit geraten ist. Nun ist Bucky alt und krank und macht doch neue Bekanntschaften, die ihm ein wenig Lebensmut zurückgeben.
Den sehr poetischen und ruhigen Erzählton ist man von Benjamin Myers ja bereits gewohnt. Diese Geschichte ist zusätzlich aber wirklich spannend! Es ist ein Rückblick auf ein Leben, das von Schicksalsschlägen und Ungerechtigkeiten, aber auch von der Liebe zur Musik geprägt ist. Sehr authentisch und extrem berührend, diesen alten Mann, seine Erinnerungen und Nöte zu begleiten.
Wenn man den Autor kennt, weiß man auch, dass man sich auf seine Geschichten einlassen muss. Er hat keine Angst vor Langeweile und erzählt mehr von Stimmungen denn von Handlungen. Hier ist es ihm aber durchaus gelungen, eine gewisse Grundspannung aufrecht zu erhalten. Fans dürften also nichts zu meckern haben.
Mir hat es ganz hervorragend gefallen!
5 Sterne.


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere