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Veröffentlicht am 29.10.2025

Ein bitterböses Buch

Das Dream Hotel
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Was finsteres Buch! Es ist ein bisschen die moderne Version von 1984.

Man stelle sich vor, die Menschheit wird maximal überwacht. Überall wird dein Verhalten beobachtet, gescannt, bewertet und gespeichert. ...

Was finsteres Buch! Es ist ein bisschen die moderne Version von 1984.

Man stelle sich vor, die Menschheit wird maximal überwacht. Überall wird dein Verhalten beobachtet, gescannt, bewertet und gespeichert. Sogar deine Träume fließen mit in die Bewertung ein und wenn dann jemand als potenzieller Gefährder erkannt wird, wird er vorsorglich in Gewahrsam genommen.

Das passiert Sara, die sich keiner Schuld bewusst ist, aber trotzdem am Flughafen festgehalten wird. Sie wird vorübergehend zur Beobachtung einbehalten. Sara ist sich sicher, dass das ein Irrtum sein muss, aber es ist bitterer Ernst. Sie landet in einem Gefängnis, das nicht Gefängnis genannt wird und in dem ihr Verhalten ständig bewertet wird, je nach Laune der Bewacher. Es ist eigentlich gar nicht möglich deren Ansprüchen gerecht zu werden. Wie soll sie jemals wieder zu ihrer Familie zurückkommen?

Die Situation ist ausweglos und beklemmend und steigert sich tatsächlich immer weiter. Mit grausamer Konsequenz legt die Autorin immer wieder noch eine Schippe drauf. Und so absurd es klingt, kommt einem das Szenario doch schrecklich realistisch vor.

Was kann KI und was sollte man KI tun lassen? Ab wann wird technische Unterstützung zu Kontrolle und wer hat eigentlich den Nutzen davon? Wo bleibt Individualität, wenn sie nicht ins Profil passt und ein Algorithmus dein Leben bestimmt.

All das wird hier anhand eines höchst plastischen Beispiels untersucht. Es ist ein böses Buch, das gleichermaßen unterhält, verstört und nachdenklich macht. Ich habe es gerne und voller Ehrfurcht gelesen und bin beeindruckt.

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Veröffentlicht am 26.10.2025

Eine Gameshow der anderen Art

Die Unbußfertigen
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Solche Bücher braucht die Welt, mehr davon bitte!

Hier werden sie seziert, die Hater, Kommentierer, Influencer, Selbstdarsteller, Stalker. Für jedes Übel im Netz wurde ein Experte oder eine Expertin ausgesucht ...

Solche Bücher braucht die Welt, mehr davon bitte!

Hier werden sie seziert, die Hater, Kommentierer, Influencer, Selbstdarsteller, Stalker. Für jedes Übel im Netz wurde ein Experte oder eine Expertin ausgesucht und eingeladen. Sie sind alle erfolgsgewohnt in ihrem Bereich, niemand tut etwas Illegales und niemand hat je darüber nachgedacht, ob es moralisch verwerflich sein könnte, was er da tut.

Sie landen in einer gespenstischen Gameshow, wo plötzlich andere Regeln gelten. Ein Wochenende auf dem Land, das alle an ihre Grenzen bringt.

Dieses Buch ist finster und eine einzige Überraschung, vielleicht zwischendrin ein bisschen viel Nabelschau, aber sonst sagt es ja niemand. Dabei ist es bitter nötig, dass es mal jemand ausspricht: Das Internet ist nicht anonym, auch da geht es um Menschen und jeder hingerotzte Kommentar trifft Menschen.

Ich habe das Hörbuch inhaliert, bin beeindruckt und werde in Zukunft darauf achten, meine Rezensionen freundlich zu formulieren… meistens.

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Veröffentlicht am 22.08.2025

Traurig, nachdenklich und trotzdem hoch komisch

Die Ausweichschule
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Ich war mir nicht sicher, ob ich ein Buch über einen Amoklauf lesen möchte. Aber dann geht es los und da plaudert ein Autor mit seiner Freundin über einen Aufguss als Metapher, über Nutrias und Tee im ...

Ich war mir nicht sicher, ob ich ein Buch über einen Amoklauf lesen möchte. Aber dann geht es los und da plaudert ein Autor mit seiner Freundin über einen Aufguss als Metapher, über Nutrias und Tee im Allgemeinen.
Später trifft er sich mit einem Verlagsmenschen und führt uns vor, wie gut Suppe als Metapher funktioniert. Seinem neusten Werk fehlt das Salz, das ist schon mal klar. Und es ist auch wirklich schwierig, ein Buch über einen Amoklauf zu schreiben. Wer will das lesen?

Kaleb Erdmann führt uns langsam an das Thema heran. Dass ich mich bei diesem Buch amüsieren könnte, hätte ich nicht gedacht, aber es macht tatsächlich Spaß. Da erzählt ein sympathischer junger Autor mit Humor und Selbstironie von sich und seinem Ringen mit einem Text und auch mit sich selbst und seinen Kindheitserinnerungen. Er war dabei. Er war 11 Jahre alt, als ein maskierter Mann seine Schule stürmte und um sich schoss, 2002 in Erfurt. Ein Dramatiker will das Thema zu einem Theaterstück verarbeiten und möchte ihn befragen, aber möchte er befragt werden? Was bringt ein Theaterstück über so ein Thema und warum will er selbst unbedingt ein Buch darüber schreiben?

„Gibt es überhaupt einen guten Grund eine Katastrophe in Kunst zu verpacken?“

Das treibt ihn um. Verarbeitet man ein traumatisches Erlebnis, indem man es bearbeitet oder wärmt man damit das Trauma nur wieder auf? Hilft das Verarbeiten beim Vergessen oder hält es im Gegenteil die Erinnerung daran wach?

Eins steht fest: Er schleppt ein Trauma mit sich herum, auch noch 20 Jahre nach dem Ereignis und das, obwohl ihm selbst gar nichts passiert ist.

Mit diesem Buch sortiert er seine Gedanken und Erinnerungen und prüft auch alle nur denkbaren anderen Quellen. Es gibt Literatur zu dem Thema, Studien zum Täter, seine Therapeutin hat Ideen, seine Mutter sowieso, ein Schulfreund scheint ganz etwas anderes erlebt zu haben. Eine Bank ist immer seine Frau Hatice, die ihn verlässlich auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Dieses Buch ist ganz viel auf einmal. Es ist traurig und wirklich komisch, berührend, klug und nachdenklich und auch noch ein Stück Zeitgeschichte. Ich habe es tatsächlich gerne gelesen.

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Veröffentlicht am 12.08.2025

Pure Atmosphäre

Der Krabbenfischer
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Dieses Buch hätte ich fast nicht beachtet, es sieht harmlos aus, fast unscheinbar, dabei hat es ganz viel Inhalt. Wie perfekt es zum Buch passt, merkt man erst hinterher. Es spiegelt genau Thomas Flett.

Tomas ...

Dieses Buch hätte ich fast nicht beachtet, es sieht harmlos aus, fast unscheinbar, dabei hat es ganz viel Inhalt. Wie perfekt es zum Buch passt, merkt man erst hinterher. Es spiegelt genau Thomas Flett.

Tomas ist Krabbenfischer, genau wie sein Großvater, von dem er das Handwerk gelernt hat. Er fährt jeden Tag mit Pferd und Wagen ans Meer, um nach alter Tradition Krabben zu fangen, dabei gibt es in den 60er Jahren schon längst modernere Methoden. Er ist erst 20, aber gefangen in diesem Leben, das er vom Großvater geerbt hat. Auf die Idee, etwas zu ändern, ist er nie gekommen, bis plötzlich ein Filmregisseur im verschlafenen Longferry auftaucht.

Die Handlung erstreckt sich über gerade mal zwei Tage. Zwei Tage im Leben von Thomas Flett, die alles verändern, obwohl objektiv betrachtet gar nicht viel passiert. Und in dieser kurzen Zeit erfahren wir tatsächlich seine ganze Lebensgeschichte. Thomas ist klug, nur bekam er nie eine Chance, etwas daraus zu machen. Er ist auch ein bisschen hin- und hergerissen, er hat doch alles, was man braucht zum Leben, sollte man mehr wollen?

Dieses Buch ist pure Atmosphäre. Man sieht die Welt mit Thomas Augen. Sein Leben ist einfach, aber auch beschaulich schön. Er liebt das Meer und sieht jedes Detail seiner Umgebung. Er liebt auch sein Pferd, das keinen Namen hat, aber schon seit einer Ewigkeit ein treuer Freund ist. Ab und an gönnt er sich zu träumen. Das klingt vielleicht nicht sehr aufregend, fesselt aber maximal. Ich habe mich keine Sekunde mit diesem Buch gelangweilt, habe es aufgesogen, zwischendurch wird es sogar nervenzerfetzend spannend.

Das Hörbuch liest Raschid Daniel Sidgi großartig, schlüpft federleicht in unterschiedliche Rollen und verleiht jeder Figur eine eigene Stimme. Es dauert 6 Stunden, 9 Minuten.

„Der Krabbenfischer“ steht auf der Longlist The Booker Prize 2025 und hätte ihn verdient. Das Buch ist wirklich preisverdächtig.

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Veröffentlicht am 02.08.2025

Fesselnd und verstörend

Das Beste sind die Augen
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Das Erste, was mir zu diesem Buch einfällt ist: Wie bizarr! Eigentlich mochte ich es, aber bizarr ist es trotzdem. Darf man so etwas überhaupt mögen?

Da ist eine koreanische Familie in Amerika, Vater, ...

Das Erste, was mir zu diesem Buch einfällt ist: Wie bizarr! Eigentlich mochte ich es, aber bizarr ist es trotzdem. Darf man so etwas überhaupt mögen?

Da ist eine koreanische Familie in Amerika, Vater, Mutter und zwei Töchter. Als der Vater die Familie verlässt, sind die Mädchen 15 und 19, Teenager, die es eh schon schwer haben. Als Asiatinnen sind sie Exotinnen in der Schule, jetzt bricht auch noch ihr Fundament weg, ihre heile Familie. Die ältere Tochter Jiwon entwickelt eine Obsession für Augen, immerhin behauptet die Mutter ja immer, das Beste am gekochten Fisch wären die Augen, es bringt Glück, die zu essen. Jiwon überwindet ihren Ekel, probiert ihr erstes Auge und ist fasziniert.

Dann bringt die Mutter ihren neuen weißen Freund mit nach Hause. Die Mädchen sind entsetzt und verstört. Dieser Mann ist ein übler Macho und hat nicht nur Augen für die Mutter. Er hat allerdings blaue Augen, so blaue Augen… Jiwon hat zunächst nur schlimme Alpträume, die Augen verfolgen sie, dann beeinflussen ihre Träume ihr Verhalten. Man weiß oft erst einmal nicht, was hier los ist, träumt sie Schreckliches oder ist sie komplett verrückt geworden?

Hier werden virtuos unterschiedlichste Themen zu einem beklemmenden Psycho-Horror-Thriller verarbeitet. Es geht um Ausgrenzung, Außenseitertum, Rassismus, Obsessionen, Yellow Fever, Female Rage, Stalking und gleichzeitig werden auch moralische Grenzen ausgelotet. Darf Frau, sollte Frau, müsste Frau sich gegen toxische Männer wehren und wenn ja, mit welchen Mitteln? Auge um Auge?

Nüchtern, fast abgeklärt, erzählt Jiwon ihre Geschichte. Ich habe es als Hörbuch gehört und fand es gleichermaßen fesselnd und verstörend. Christiane Marx liest das Buch wunderbar, man glaubt, Jiwon persönlich zu hören. Es öffnet Augen im mehrfacher Hinsicht und das ist so makaber wie erhellend. Ein schönes Buch ist es nicht, ganz und gar nicht, aber besondere Lektüre ist es auf jeden Fall, sehr originell, intensiv und anders als alles, was man je gelesen hat.

Es dauert 8 Stunden und 31 Minuten.

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