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Veröffentlicht am 30.04.2017

Das weiße Blatt

Sommer unter schwarzen Flügeln
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Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin ...

Nuri kommt aus Syrien. Mit ihrer Familie lebt sie in einem Flüchtlingsheim in der Einöde des Ostens. Sie geht zu Frau Silbermann, um zu erzählen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass sie dort auf Calvin trifft, in ihrem Alter, Deutsch, stramm rechts. Nuri, die eigentlich Nura heißt, beginnt ihre Geschichte zu erzählen. Und Calvin wird entführt, nach Syrien, nach Damaskus, in ein Land der Schönheit, in ein Land, in dem die Gefahr immer gegenwärtig ist, immer größer wird. Doch auch im grünen Deutschland gibt es Gefahren, die nicht unterschätzt werden dürfen. Die Asylanten sind nicht wohlgelitten und Calvin gehört zu denen, die man am besten meidet wie der Teufel das Weihwasser.

Ausgerechnet bei Frau Silbermann, die Birkenau überlebt hat, treffen sich Nuri und Calvin. Nuri, die erzählen muss, um sich zu befreien. Und Calvin, der zunächst widerwillig zuhört und doch immer mehr in den Bann ihrer Geschichte gezogen wird. Calvin fängt langsam an zu begreifen, dass Nuri und ihre Familie wohl nicht ohne Grund geflohen sind. Nuri, die sieht, dass auch so fremdenfeindliche Typen wie Calvin ihre Erzählung der Flucht aushalten sollten. Doch kann das aufkeimende bessere Verständnis zwischen diesen beiden die Situation zwischen den Menschen, die in dem Asylantenheim leben, und denen, die in den Sozialwohnungen leben, entspannen. Eher bieten die beiden, für beide Gruppen einen Grund noch mehr aufeinander loszugehen.

Nach der Lektüre dieses aufwühlenden Romanes muss man erstmal innehalten und tief durchatmen. Eine ganze Weile sitzt man vor dem weißen Blatt bevor man beginnen kann, seine Eindrücke in Worte zu fassen. Der Autor berichtet in brutal offenen Worten von einer Wirklichkeit, von der man eigentlich nichts wissen will. Und dennoch saugt man die Worte auf, besonders die Nuris über das Leben in Syrien, wie der relative Frieden immer mehr zerbricht, wie es gefährlicher und grausamer wird. Vor Gewaltexzessen geflüchtet, landet Nuris Familie in dem so gelobten Deutschland gerade nicht in einer besseren Welt. Auch hier wird sie bedroht, auf eine brutale Art und Weise, die weit über bloßen Protest hinausgeht. In was für einem Land leben wir hier eigentlich? Natürlich geht es hier auch nicht jedem gut, doch wie kann das ein Grund sein, über andere, denen es noch schlechter geht, herzuziehen? Je weiter man liest, desto mehr ist man gebannt. Je weiter man liest, desto mehr zögert man. Es geht auf ein Ende zu, das man nicht kennen möchte. Und doch setzt man sich dem aus, um mit dem Denken fortzufahren, um endlich zu denken, sich zu informieren und zu begreifen, zu trauern und sich zu schämen. Dies ist eine Geschichte, die zwar nur ein Roman ist, in der aber so viel von unserer Wirklichkeit steckt, dass sie unbedingt gelesen werden muss.

Veröffentlicht am 18.11.2025

Garten der Knochen

Knochenkälte
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Dr. David Hunter wird in seiner Eigenschaft als forensischer Anthropologe von der Polizei um Hilfe gebeten. Er soll nach Carlyle kommen. Auf der Fahrt gerät er in einen Schneesturm und landet in einem ...

Dr. David Hunter wird in seiner Eigenschaft als forensischer Anthropologe von der Polizei um Hilfe gebeten. Er soll nach Carlyle kommen. Auf der Fahrt gerät er in einen Schneesturm und landet in einem kleinen Ort, in dem er übernachtet, weil das Wetter es unmöglich macht weiterzufahren. Die Menschen im Dorf sind sehr verschlossen. Dass das Hillside House für Übernachtungsgäste offen steht, ist ein schlechter Scherz eines Dorfbewohners. Doch Nisha und Jon heißen Dr. Hunter notgedrungen willkommen. Am nächsten Tag entdeckt David Hunter zufällig ein Skelett, das von den Wurzeln eins umgestürzten Baums umhüllt wird. Seinen Fund melden kann Hunter zunächst nicht, denn der Strom ist ausgefallen und die einzige Brücke eingestürzt.

In diesem siebten Band macht sich Dr. David Hunter auf gen Norden, eigentlich um sich nicht mit einer schmerzlichen privaten Nachricht auseinander setzten zu müssen. Er kann nicht ahnen, wo er auf dem Weg an sein Ziel hingeraten wird. Wegen des Wetters kann er die Fahrt nicht fortsetzen und landet in einem Dorf, in dem sich zwei Familien feindlich gegenüber stehen. In Ort haben sich viele auf die Seite der einen Familie geschlagen. Jon ist der Sohn der anderen Seite. Seine Eltern sind verstorben und nun ist er schlecht angesehen. Und Hunter gerät zwischen die Fronten.

Wie es manchmal bei einem Kriminalroman fängt es ganz harmlos an. Und nach und nach kommt Dr. David Hunter auf eine Geschichte, deren Wurzeln weit in der Vergangenheit liegen. Man vermutet nicht, was die Entdeckung eines viele Jahre alten Skeletts alles auslösen kann. Doch solange ein Mensch nicht vergessen ist, solange Menschen da sind, die ihn vermissen, so lange kann eine solche Entdeckung eine ganze Menge auslösen. Das erfährt auch Dr. Hunter. Die ausgesprochen spannende Story wäre vielleicht in einem gewissen Teil mit etwas weniger Eskalation ausgekommen, aber die verwickelte Familiengeschichte fesselt wirklich ungemein. Dabei ist sie klug konstruiert und manche Entwicklungen sind absolut nicht vorhersehbar. Man hat nicht vergessen, wieso man die Dr. David Hunter Krimis gerne liest, aber wenn man es vergessen hätte, wüsste man jetzt wieder Bescheid.

Veröffentlicht am 15.11.2025

Eine Dystopie

2033
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Die hoffentlich genau das bleiben wird. Die Bundeskanzlerin Freda Vogel ist gerade erst an die Macht gekommen. Ihre rechts-extreme Partei Aufstand hat die Mehrheit im Bundestag. Hängt das mit dem Anschlag ...

Die hoffentlich genau das bleiben wird. Die Bundeskanzlerin Freda Vogel ist gerade erst an die Macht gekommen. Ihre rechts-extreme Partei Aufstand hat die Mehrheit im Bundestag. Hängt das mit dem Anschlag zusammen, der auf die Parteizentrale verübt wurde? Die Angeklagte Skadi Emmerich, die zur einzigen Oppositionsparte Reform gehört, soll den Anschlag in Auftrag gegeben haben. Die junge Anwältin Marie Weigand und ihre Chefin übernehmen die Verteidigung nach einigem Zögern. Mit Semmerich ist die Ausübende der Tat vor Gericht. Möglicherweise ein normaler Fall. Wenn aber die gesamte Oppositionspartei mit der Sache in Verbindung gebracht würde, könnte es zu einem Parteiverbotsverfahren kommen.

In einer nicht allzu fernen Zukunft kommt es zu einem aufsehenerregende Prozess. Die junge Anwältin Marie Weigand übernimmt bei der Verteidigung eine führende Rolle. Ihr Bruder, der ein Anhänger der Regierung ist, kann das nicht nachvollziehen. Für Marie geht es zunächst mal um Recht und Unrecht. Sie will die Wahrheit finden und die Angeklagte, die ihre Unschuld beteuert, hat Weigands Meinung nach ein Recht auf Verteidigung. Ob eine Verurteilung verhindert werden kann, scheint sehr zweifelhaft. Zumal während des Prozesses neue Beweise zutage gefördert werden, die die Lage verschlechtern. Was können Marie und ihre Chefin Ava noch tun? So langsam scheint es um mehr zu gehen.

Zum Glück kann man nicht in die Zukunft schauen. In so eine Zukunft möchte man auch nicht schauen können. Schon heute werden die Demokratischen Institutionen, die Grundrecht manchmal mit Füßen getreten. War in dieser Zukunft geschieht, ist allerdings noch viel krasser. Diese Umkehrung der Normalität, dieses Lehrstück, wieso doch alles wieder passieren kann. Am Beispiel eines Gerichtsprozesses nach einem Anschlag, wird dargestellt, wie Dinge laufen können, wie Wahrheiten manipuliert werden. Vielleicht geht manches zu schnell oder zu einfach, aber grundsätzlich ist die Handlung ausgesprochen spannend. Und man denkt, das kann doch nicht sein. Die Wahrheit muss doch eine Wirkung haben. Mögen die Warnungen endlich gehört werden, möge eine Dystopie nie Wirklichkeit werden.

Veröffentlicht am 02.11.2025

Gute Tage

Jetzt gerade ist alles gut
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Plötzlich hohes Fieber, Schwäche und plötzliche Verschlechterung des Zustandes, er landet in der Klinik, wo eine Entzündung festgestellt wird und dann eine Sepsis diagnostiziert. Der Erzähler überlebt ...

Plötzlich hohes Fieber, Schwäche und plötzliche Verschlechterung des Zustandes, er landet in der Klinik, wo eine Entzündung festgestellt wird und dann eine Sepsis diagnostiziert. Der Erzähler überlebt die lebensbedrohliche Erkrankung. Nachdem er das Krankenhaus verlassen darf, beginnt er darüber nachzudenken wie er sein Leben künftig gestalten möchte. Für ihn gibt es ein vorher und ein nachher. Vorher regte er sich schon mal auf, hatte Stress oder war auch genervt von den familiären Pflichten. Doch nun will er den Moment genießen und in kleinen Dingen das Positive suchen. Er freut sich, dass er seine Hand noch hat, obwohl die Heilung viel Zeit in Anspruch nimmt. Er sucht auch den Kontakt zu seiner Schwiegermutter.

Man hört es häufiger, dass Menschen nach einem einschneidenden Ereignis beginnen ihre Art der Lebensführung zu überdenken, Hier lenkt der Erzähler seinen Blick auf das Positive. Er trifft sich mit seiner Schwiegermutter und lernt eine neue Seite von ihr kennen. Er tauscht mit Freunden kleine Geschicke aus. Er löst Freude aus und er empfängt Freude. Auch empfindet er Dankbarkeit für seine Genesung, die sich länger hinzieht als gedacht. Es sind manchmal die kleinen Dinge, die Glücksgefühle auslösen. Nicht immer läuft alles glatt, aber grundsätzlich hat er gelernt, eher die Freude zu suchen oder mehr noch zu geben.

Vielleicht haben einige schon solch lebensverändernde Ereignisse erlebt oder auch nur den Knacks, von dem der Autor spricht. Es ist dann nur noch wenig wie es war. Dann kann man es schwer nehmen und das Unangenehme fühlen. Man kann aber auch das Positive sehen, so wie der Erzähler in diesem Roman. Man spürt Erleichterung, dass hier mal einer nicht den Kopf in den Sand steckt, sondern das Leben, welches ihm quasi ein zweites Mal geschenkt wurde, beim Schopf packt und dann versucht an normalen Dingen möglichst viel Freude zu finden. Der Alltag erscheint beinahe nicht mehr wie ein alltäglicher Tag, sondern wie ein Abenteuer aus kleinen Ereignissen, die das Leben schöner machen. Dieser kleine Roman verbreitet wirklich gute Stimmung, was in diesem teilweise etwas dahin gejammerten Tagen, eine ausgesprochen erfreuliche Abwechslung ist.

Und es wird eindringlich auf die Gefahr einer Sepsis hingewiesen, die nicht rechtzeitig erkannt in einer erheblichen Anzahl von Fällen zum Tode führen kann.

Das Hörbuch wird von Götz Otto auf sehr angenehme Weise interpretiert.

Veröffentlicht am 30.10.2025

Rosen für Hilde

Die Knef
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Hildegard Knef erlebte den ersten Verlust, ohne sich direkt daran erinnern zu können. Ihr Vater starb als sie noch ein Baby war. Ihre Mutter heiratete wieder und die Familie wohnte ab den 1930er Jahren ...

Hildegard Knef erlebte den ersten Verlust, ohne sich direkt daran erinnern zu können. Ihr Vater starb als sie noch ein Baby war. Ihre Mutter heiratete wieder und die Familie wohnte ab den 1930er Jahren in Berlin. Hilde fühlte wie die Nazis in ihr Leben drangen, doch sie war jung und sie wollte unbedingt Schauspielerin werden. Sie hatte keine Chance und sie nutzte sie. Mit knapper Not verkleidet als Soldat überlebte sie den Krieg. 1948 drehte sie einen ersten deutschen Film und ging danach nach Amerika. Ihr Leben bestand aus Ups and Downs, doch aufgeben wollte sie nie.

Die Künstlerin Hildegard Knef ist vielen wahrscheinlich zumindest vage bekannt. Vielleicht hat man eine Erinnerung an einen Film oder ein Buch oder man hat mal ein Interview gesehen. Ziemlich sicher kennt man ein paar ihrer Chansons. Doch ein wenig ist die Erinnerung verblasst. Im Dezember diesen Jahres würde die Knef hundert Jahre als, wenn sie noch leben würde. Möglicherweise kann man dieses Buch als Reminiszenz eine diese große Künstlerin sehen, damit ihr Ehrentag nicht vergessen wird.

Es gibt verschiedene Arten sich einer Persönlichkeit anzunähern. Eine Biographie in gezeichneten Bildern ist bisher wohl eher ungewöhnlich. Der Comic als gebundenes Buch strahlt Wertigkeit aus. Wenn man sich für Hildegard Knef interessiert, bekommt man einen beeindruckenden Überblick über das wechselvolle Leben der Künstlerin. Sie war ihrer Zeit voraus, sie wagte es, den Mund aufzumachen und unkonventionelle Wege zu gehen. Die Zeichnungen transportieren die emotionalen Momente auf eindringliche und beeindruckende Weise. Gefesselt blättert man durch die Seiten, blättert auch mal zurück, um nochmal genau hinzusehen. Bei den Texten kann es passieren, dass man das Gefühl hat, sie sind optisch etwas schwer zu lesen. Vielleicht soll das eine leise Sprache ausdrücken. Und bei doppelseitigen Bilden geht durch die Falz mitunter ein wenig verloren. Das sind jedoch Kleinigkeiten bei einem hervorragend gestalteten Buch. Hier hat man sich einer Künstlerpersönlichkeit auf künstlerische und liebevolle Weise gewidmet.