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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Historisch, spirituell, aktuell und in sich stimmig

Vor dem Erben kommt das Sterben
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Der Autorin ist es hier gelungen, eine Geschichte zwischen Realität, Schwindel und kompletter Fiktion zu entfalten und die drei Bereiche so aufeinander abzustimmen, dass man geneigt ist, weit mehr davon ...

Der Autorin ist es hier gelungen, eine Geschichte zwischen Realität, Schwindel und kompletter Fiktion zu entfalten und die drei Bereiche so aufeinander abzustimmen, dass man geneigt ist, weit mehr davon zu glauben, als das, was geschichtlich tatsächlich verbürgt ist.
Zu Beginn ist es noch eigenartig, von einem Erzähler angesprochen zu werden und als man sich dann daran gewöhnt hat, kommt die nächste Überraschung. Wer erzählt und warum erfährt der Leser erst nach und nach. Diese Tatsache und ein Mord hält die Spannung über das erste Drittel des Buches hoch, in dem viel erklärt werden muss, Örtlichkeiten beschrieben werden und die Geschichte langsam ins Laufen kommt.
Die Hauptfigur, Blanche, hat ein bewegtes Leben hinter und noch vor sich, als sie in ihre Heimatstadt Köln zurückkehrt. Ihre größte Gabe, Menschen manipulieren zu können, ist gleichzeitig ihre größte Schwäche (abgesehen von materiellen Dingen) und führt letztlich zu einem tragischen Ende. Als Lebensberaterin erzählt sie Klienten viel Übersinnliches, glaubt aber selbst nicht daran. Das ist nur einer der zahlreichen Fehler, die sie teils aus Unwissen, teils mit der Absicht begeht, dass sich bald alles für sie zum Guten wendet und es dann wohl keine Bedeutung mehr hätte.
Da sich neben Blanches Weisheiten noch vieles in diesem Buch um Spiritualität, Glaube und Wiedergeburt dreht, könnte es dem einen oder anderen mit Fortdauer immer „unlogischer“ erscheinen, doch die Fäden sind auf amüsante Weise miteinander verknüpft, sodass man sich um Logik in dem Sinne weniger Gedanken macht, sondern eher auf das Ende der Erzählung hinfiebert. Und da wird man als Leser wieder hart in die Realität zurückgeholt, was noch durch das Nachwort und die Quellenerklärungen der Autorin verstärkt wird.
Ein Buch, in dem Kölner wohl vieles wiedererkennen, aber das auch für andere Leser durchaus viel zu bieten hat, ob man nun an Wiedergeburt glaubt oder nicht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Bühne frei für Sherlocks Wegbegleiter

Von Mr. Holmes zu Sherlock
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Ich selbst bin – obwohl ich einzelne Holmes-Geschichten schon vor einigen Jahren gelesen habe - erst durch die BBC-Serie Sherlock so richtig auf Holmes und Watson aufmerksam geworden und dies hat mich ...

Ich selbst bin – obwohl ich einzelne Holmes-Geschichten schon vor einigen Jahren gelesen habe - erst durch die BBC-Serie Sherlock so richtig auf Holmes und Watson aufmerksam geworden und dies hat mich dann wiederum zu diesem Buch geführt.
Dass es gleich zu Beginn kurz um die Entstehung der Serie geht, kam mir daher sehr entgegen. Aber ebenso faszinierend ist es dann, Arthur Conan Doyle durch sein bewegtes Leben zu folgen und „mitzuerleben“, wie es ihm selbst mit den Geschichten erging. Man lernt den Menschen hinter Holmes kennen und merkt, dass es wohl von Zeit zu Zeit ein eher schwieriger Charakter sein konnte. Nicht alle seine Aussagen und Entscheidungen sind für mich (oder für uns heutzutage) nachvollziehbar, aber das mag eben auch an den vielen Jahren, die seit damals vergangen sind, liegen.
Ich hatte mich vorher abgesehen von der Serie noch mit sehr wenigen Fakten oder Schriften zum Thema Conan Doyle und Holmes beschäftigt, daher gab es hier für mich sehr viel Neues zu lesen. So patent Arthur meist in seinem Leben wirkte, so sehr hat mich erschreckt, was seine Familie, allen voran die Söhne so gemacht haben. Gut für Arthur, dass er das nicht miterleben musste.
Aber Boström hat sich nicht nur mit der Holmes-Inspiration, der Familie und dem Autor selbst auseinandergesetzt, er vergisst nicht auf diverse Illustratoren, Anwälte, Agenten, Kollegen, Schauspieler, Sprecher, Manuskriptschreiber, Nachahmer, Club-Gründer und viele viele andere. Über weite Strecken kann man der Handlung, wenn man das so nennen kann, gut folgen, auch wenn sie, weil doch streng chronologisch immer wieder zwischen den Personen, den Kontinenten hin- und herspringt. Nur ab und zu gibt es Stellen, ein paar aufeinanderfolgende Kapitel, wo auf einen Schlag sehr viele (teils neue) Namen genannt werden. Da fällt es schwer, sich wieder gut zu orientieren. Oft kommen Personen nicht häufig, dafür aber mal nach längerer Zeit wieder vor – auch hier muss man erst nachdenken, wer das nun war und in welcher Funktion er denn schon aufgetreten ist.

Alles in allem ist dieses Buch ein Werk, das wohl noch den eingefleischtesten Holmes-Fans etwas bieten kann, aber auch jenen, die grundsätzlich Gefallen an der Figur finden und weniger etwas über Holmes selbst wissen wollen (wie der so tickt, sieht und liest man ja öfter), sondern über seine Begleiter – die, die wirklich leben und gelebt haben.
Ich kann die Kritik anderer Leser an diesem Buch nur zum Teil nachvollziehen. Ja, der Titel samt Untertitel passt nicht komplett zu Buch und wurde vom Verlag so gewählt, um viele Exemplare zu verkaufen. Aber sobald man das Vorwort des Autors liest, weiß man, was man zu erwarten hat. Dieser stellt seine Intention, ein Buch über die an Sherlock Holmes beteiligten Menschen, zu schreiben, gut dar und genau das hat er auch umgesetzt. Ihm selbst ist da kein Vorwurf zu machen, im Gegenteil: Hochachtung vor dieser umfassenden Recherche.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Viel Spannung und einige entscheidende Fragen

Das Böse in euch
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Rhena Weiss wirft in diesem Thriller einige Fragen auf, die sich der Leser im Verlauf des Buches öfter selbst stellen muss. Wie sehr beeinflussen Kindheitserlebnisse das, was wir später tun? Wie gut kenne ...

Rhena Weiss wirft in diesem Thriller einige Fragen auf, die sich der Leser im Verlauf des Buches öfter selbst stellen muss. Wie sehr beeinflussen Kindheitserlebnisse das, was wir später tun? Wie gut kenne ich Menschen, denen ich täglich in der Freizeit oder im Beruf begegne, wirklich? Und wie gut kenne ich mich selbst? Käme ich damit zurecht, wenn sich grundlegende Parameter in meinem Leben von einem Tag auf den anderen ändern?
Genau damit muss Michaela Baltzer, Ermittlerin des Landeskriminalamts, neben ihrer ohnehin fordernden Arbeit fertigwerden, denn da ihr Bruder und seine Frau ein Jahr beruflich in Afrika verbringen, zieht ihre Nichte Valerie bei ihr ein. Doch weil sich der Teenager selbst eine Zukunft bei der Polizei vorstellen kann und seine Neugier nicht unter Kontrolle hat, sind nicht nur Alltagsstreitigkeiten vorprogrammiert. Und nebenbei soll Michaela gemeinsam mit zwei Kollegen eine Entführungsserie beenden. Mädchen verschwinden scheinbar ohne Zusammenhang und die, die wieder auftauchen, sind tot. Mehrfach sind die Ermittler gefordert, den Blickwinkel zu ändern, neue Spuren miteinzubeziehen und dabei werden sie selbst psychisch immer weiter in diese grausamen Verbrechen hineingezogen. Michaela fällt es, auch bedingt durch das Interesse ihrer Nichte an diesem Fall, zusehends schwerer, professionelle Distanz zu wahren. Und doch führt genau diese Eigenschaft, gepaart mit der Hartnäckigkeit der kämpferischen Polizistin, schließlich zur Lösung.
Mit den großteils sehr authentischen Hauptcharakteren und den Perspektivwechseln zwischen Ermittlern, Mädchen und Täter hält die Autorin die Freude am Lesen und die Spannung aufrecht. Mit der Stadt Wien hat sich der perfekte Ort für die Handlung gefunden, doch auch wer die österreichische Hauptstadt nicht kennt, kann den Geschehnissen ohne Probleme folgen. Ein paar Kleinigkeiten in Dialogen oder Reaktionen der Personen sowie bestimmte Ausdrücke fügen den richtigen Touch Lokalkolorit hinzu – auch wenn Wien eine Millionenstadt ist.
Dieses Buch ist eine runde Sache und wer es schafft, den Klappentext nicht (oder nicht allzu intensiv) zu lesen, kann seine eigenen Ermittlerinstinkte spielen lassen und wird den einen oder anderen Überraschungsmoment erleben.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Provinzkrimi mit kleiner Geschichtslehrstunde

Galgenmann
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Der Prolog steht lange für sich und man hat im Verlauf der Geschichte schon fast vergessen, was zu Beginn angedeutet wurde. So ist es dann eine nette Überraschung, als die Autorin dann diesen Prolog in ...

Der Prolog steht lange für sich und man hat im Verlauf der Geschichte schon fast vergessen, was zu Beginn angedeutet wurde. So ist es dann eine nette Überraschung, als die Autorin dann diesen Prolog in die aktuelle Handlung miteinfließen lässt und damit den Kreis schließt.
Ansonsten beginnt der Roman fast klassisch: Ein Polizist, Simon Dreemer, wird strafversetzt und landet in der Provinz, wo er sich erst behutsam an seine neuen Kollegen herantasten muss. Im Dorf Varange wird ein Mädchen ermordet in einer Felsspalte gefunden. Und während die Ermittler mühsam schweigsame Dorfbewohner befragen, passiert ein ähnliches Verbrechen. Zart spinnt die Autorin die Fäden zwischen den Polizisten, den Morden, den Zeugen und auch der Vergangenheit sowohl des Dorfes als auch einer der Polizistinnen, die aus eben jedem Dorf stammt und das am liebsten vergessen würde. Sollte sie nicht am ehesten in der Lage sein, Aussagen zu bekommen? Müssten ihr die Leute denn nicht freudig entgegenkommen?
Für den strafversetzten Polizisten kommt es dann zum doppelten Happy-End: Er löst den Fall, findet den Mörder und wird in seiner ehemaligen Dienststelle durch einen Zufall rehabilitiert. Wie es aussieht, wird es also keinen weiteren Krimi mit Dreemer in der Provinz geben.
Man merkt, dass die Autorin selbst aus einer solchen Gegend, einem ähnlichen Ort stammt wie dem fiktiven Varange. Auch wenn wenig Positives in der Schilderung im Roman steckt, skizziert sie dies dennoch verständlich und lässt die Straßen, Häuser und Personen real wirken und trotz der Bosheit und Bitterkeit blitzen immer wieder gute Eigenschaften durch und auch die Hilflosigkeit der Leute kann der Leser gut nachvollziehen. Auch wenn einiges schief läuft im Ort (und auch in der Vergangenheit schief lief), grundsätzlich böse und widerwärtig ist in dieser Geschichte eigentlich niemand. So wird sich jeder Leser wohl Personen finden, mit denen er sich in ähnlichen Situationen wie im Roman identifizieren könnte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Eine Stimme für das Umfeld

Die Witwe
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Gänzlich unblutig und ohne „James-Bond-Action“ erzählt die Autorin hier ein packendes Psychodrama rund um ein Ehepaar, ein verschwundenes Kleinkind, die ermittelnden Polizisten und die neugierigen Journalisten. ...

Gänzlich unblutig und ohne „James-Bond-Action“ erzählt die Autorin hier ein packendes Psychodrama rund um ein Ehepaar, ein verschwundenes Kleinkind, die ermittelnden Polizisten und die neugierigen Journalisten. Die wechselnden Schilderungen der beteiligten Personen erzeugen beim Leser eine starke innere psychische Spannung und sowohl die Einblicke rund um die Zeit des Verbrechens und jene ein paar Jahre später sind sehr authentisch und brauchen daher auch keine zusätzliche Spannungselemente.
Ebenso gibt es wenig hollywoodreife Wendungen, wie oft in Thrillern verwendet. Hier kann der Leser mitermitteln und kommt wohl auch selbst auf einen Teil der Lösung, doch das tut der Geschichte keinen Abbruch, sondern unterstützt eher die Intention der Autorin: den Fokus nicht auf die Story selbst, sondern die Menschen zu legen, die damit zu tun haben. Was denkt der Ermittler nach einer Befragung? Wie geht es dem Beschuldigten in der Zelle, was sagt er am Besuchstag zu seiner Frau? Verbirgt auch diese etwas? Einzelschicksale bestimmen dieses Buch.
Auf den Part der Journalisten verwendet Fiona Barton viel Zeit, was auch nicht verwunderlich ist, schrieb sie doch selbst viele Jahre für Zeitungen.
Auch die wahre, mühsame Polizeiarbeit kommt nicht zu kurz. CSI ist nun einmal nicht die Realität, sondern schweigsame Befragte, unsichere Zeugen und vieles mehr machen die Ermittlungen und Gerichtsverhandlungen zwar spannend, aber auch manchmal wenig unterhaltsam. Thematisiert wird auch die Tatsache, dass sowohl Journalisten als auch Polizisten ihre Arbeit oftmals mit nach Hause nehmen, schwierige Fälle wie jener in diesem Krimi hängen allen Beteiligten über Jahre nach und alle sind unterschiedlich davon betroffen.
Fiona Barton lässt sie alle zu Wort kommen: Täter, Opfer, Beschuldigte, Geschädigte, Verrückte, Kranke, Außenstehende,… und gibt somit besonders dem Umfeld eines Verbrechens eine Stimme. Diese Perspektiven und dass sie sich nicht auf die Tat fokussiert, machen diesen Roman zu etwas Besonderem. Einzig am Ende hätte ich mir noch ein wenig mehr „Nachbetrachtung“ gewünscht.