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Veröffentlicht am 28.02.2018

Ein echter John Green: berührend, verstörend, authentisch!

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
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Allgemeines:

Titel: Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
Autor: John Green
Verlag: Carl Hanser Verlag (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3446259031
ISBN-13: 978-3446259034
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
Autor: John Green
Verlag: Carl Hanser Verlag (10. November 2017)
Genre: Roman
ISBN-10: 3446259031
ISBN-13: 978-3446259034
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 17 Jahre
Seitenzahl: 288 Seiten
Originaltitel: Turtles All the Way Down
Preis: 15,99€ (Kindle-Edition)
12€ (gebundene Ausgabe)


Inhalt:

"Das wahre Grauen ist nicht, Angst zu haben; es ist, keine andere Wahl zu haben."

Die 16-jährige Aza Holmes hatte ganz sicher nicht vor, sich an der Suche nach dem verschwundenen Milliardär Russell Pickett zu beteiligen. Sie hat genug mit ihren eigenen Sorgen und Ängsten zu kämpfen, die ihre Gedankenwelt zwanghaft beherrschen. Doch als eine Hunderttausend-Dollar-Belohnung auf dem Spiel steht und ihre furchtlose beste Freundin Daisy es kaum erwarten kann, das Geheimnis um Pickett aufzuklären, macht Aza mit. Sie versucht Mut zu beweisen und überwindet durch Daisy nicht nur kleine Hindernisse, sondern auch große Gegensätze, die sie von anderen Menschen trennen. Für Aza wird es ein großes Abenteuer und eine Reise ins Zentrum ihrer Gedankenspirale, der sie zu entkommen versucht.


Bewertung:

"Du bist ein Wir. Du bist ein Du. Du bist eine Sie, ein Es, Sie Mehrzahl. Ein Königreich für ein Ich."

"Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken" ist wie alle anderen Romane John Greens kein Buch, was man mal eben so weg liest, vom Inhalt, den Charakteren und auch der Sprache nicht. Natürlich war für mich gleich nach der Veröffentlichung klar, dass diese Geschichte früher oder später den Weg zu mir finden wird, auch wenn sie mal wieder auf viel Gegen- wie Rückenwind gestoßen ist.


„Die Leute tun immer so, als gäbe es eine klare Grenze zwischen der Erinnerung und der Fantasie, aber die gibt es nicht, jedenfalls nicht bei mir. Ich erinnere mich an das, was ich mir ausgedacht habe, und denke mir aus, woran ich mich erinnere.“


Das Cover gefällt mir grundsätzlich sehr gut. Zusehen ist eine schwarze Spirale auf blau-weißem Untergrund, welche Azas seelische Unruhe und Gedankenspiralen verkörpern soll. Der orangefarbene Titel fügt sich gut in die Lücken zwischen den dunklen Strichen ein. Im Gegensatz zum englischen Original wirkt es viel zurückhaltender und weniger aufdringlich, mir gefällt die düsterere Ausgabe mit dem dunkelblauen Hintergrund, dem angedeuteten Boot und den winzigen Sternen aber viel besser. Schade, dass sich die Leserschaft bei der Befragung, welches Cover die deutsche Ausgabe zieren soll, für das jetzige entschieden hat und ich auch keines der limitierten Erstausgaben mit dem Wendecover ergattern konnte. Gut gefallen mit hier die zwei kleinen Schildkröten am Rand, welche auf den englischen Titel "Turtles all the way down" anspielen. Das somit wenigstens ein Element des perfekt passenden Titels in der Hanser-Ausgabe erhalten wurde, wenn schon der wunderbare Hintergrund des Titels entkernt wurde, ist ein kleiner Trost. Auch wenn man nach der Lektüre des Buches durchaus nachvollziehen kann, wie der Titel gemeint ist, fehlt ihm einfach die Tiefgründigkeit des Originaltitels. "Schildkröten bis untenhin" hätte auf der anderen Seite aber auch nicht besonders ansprechend geklungen...


Erster Satz: "Als mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich vielleicht Fiktion bin, verbrachte ich meine Tage an einer öffentlichen Bildungsanstalt namens White River High im Norden von Indianapolis, wo ich von fremden Kräften, die so übermächtig waren, dass ich sie nicht ansatzweise identifizieren konnte, dazu gezwungen wurde, jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit Mittag zu essen, nämlich zwischen 12 Uhr 37 und 13 Uhr 14."


(Puh, das ist wohl die Königin aller Schachtelsätze! Wenn sich mein Deutschlehrer bei meiner nächsten Klausur beschwert, meine Sätze seien zu lang, werde ich ihm diesen Beweis hier vorlegen. Wenn John Green das darf - und er wurde mehrfach mit etlichen wichtigen Preisen auf der ganzen Welt ausgezeichnet - beweist das wohl, dass Schachtelsätze keine grundsätzlich schwarze Seele haben, oder nicht?)


"Die Schritte meiner Mutter, waren so leise,
ich hörte sie kaum, als sie ging. (...)
Das Leben reimt sich, aber nie an der Stelle, wo man es erwartet"


Naja, bleiben wir beim Thema.
Im Fokus der Geschichte steht die 16-jährige Aza, die aus der Ich-Perspektive zuerst einmal von ihrem Teenager-Alltag erzählt, welcher sich neben den gewöhnlichen Problemen einer Heranwachsenden wie Schule, Familie und Freunde durch eine Angststörung beherrscht wird. Jeden Tag und jede Minute muss sie gegen ihre inneren Dämonen ankämpfen, um ein halbwegs normales Leben führen zu können. Um sich von ihren immer wiederkehrenden Gedankenspiralen abzulenken stürzt sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Daisy in die Suche nach dem verschollenen Milliardären Russel Pickett, welcher gleichzeitig der Vater ihres Kindheitsfreundes Davis ist. Als sie beginnen nach dem Verschollenen zu suchen, wissen beide noch nicht, wie sehr sich dabei ihre Beziehung und ihr ganzes Leben verändern werden...


„Ich konnte mein Leben lang nicht geradeaus denken oder auch nur einen Gedanken zu Ende denken, weil meine Gedanken keine Linien, sondern ineinander verknotete Schleifen waren, Treibsand, Wurmlöcher, die alles Licht verschluckten“


Ich muss zugeben, die Geschichte startet mit angezogener Handbremse, während Aza von ihrem Alltag erzählt. Nachdem wir Azas Alltag und die Hintergründe ihres Lebens besser kennengelernt haben, scheint die Suche nach Pickett in den Fokus der Geschichte zu rücken. Doch die detektivischen Tätigkeiten der beiden Freundinnen beschränken sich auf minimalistischer Suche im Internat und einem Besuch bei der Familie des Milliardärs. Schon bald wird klar, dass eigentlich Aza als Mensch Haupthandlung ist, und man außer ihren Gedanken, Ängsten und ihrem drohenden Kontrollverlust angesichts ihrer Angststörung nicht besonders viel an Handlung präsentiert bekommt. Das fand ich als Gegenstand der Geschichte unheimlich spannend, hätte das aber trotzdem gerne vorher gewusst: der Klapptext ist in dieser Hinsicht recht irreführend.


"Ich denke: Du wirst nie frei davon sein."
Ich denke: "Du suchst dir deine Gedanken nicht aus.
Ich denke: "Du stirbst, und du hast Keime in dir, die sich am Ende von innen durch deine Haut fressen."
Ich denke und denke und denke."


Wer hier eine abenteuerliche Hinweissuche nach einem verschollenen Milliardär sucht, ist also eindeutig an der falschen Adresse. Doch das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir es hier mit einer Geschichte zu tun haben die langweilig ist. Manchmal habe ich das Gefühl dass John Green einfach über erzähltechnischen Elementen wie unvorhersehbaren Wendungen, einer komplexe Story Line mit rotem Faden, einen zum bersten gespannten Spannungsbogen oder schockierender Action steht - all das, was das durchschnittliche Buch spannend und lesenswert macht, scheint er einfach nicht zu brauchen. Oft haben seine Bücher eigentlich nicht besonders viel Handlung, sind aber trotzdem spannender als jeder Krimi. Die ganze Welt fragt sich beim Lesen seiner Bücher: Wie bekommt er das bloß hin? Der Autor weiß einfach mit ganz besonderen Figuren, Lebensweisheiten und einer fantastischen Atmosphäre zu überzeugen und mit leisen Tönen still und heimlich den Leser um den Finger zu wickeln, zu packen und bis zum Schluss nicht mehr loszulassen.
Auch wenn das Buch anders ist als seine vorhergehende Romane, ernster, ruhiger und in sich ruhender daherkommt ist es doch wieder ein echter John Green: berührend, verstörend, authentisch.


„Hast du Angst?“
„Ein bisschen.“
„Wovor?“
„Kann ich nicht sagen. Es gibt kein Wovor. Ich habe einfach Angst.“


Berührend und authentisch, klar, aber warum verstörend? Die Konfrontation mit Azas Angst- und Zwangsstörung hat mich durchaus überrumpelt und sowohl unangenehme Fakten über das menschliche Mikrobiom als auch selbst verletzende Züge wie das zwanghafte Öffnen einer nie ganz verheilenden Wunder an ihrem Mittelfinger können dem Leser schon mal auf den Magen schlagen. Wer will schon wissen, dass der eigene Körper zu 50% aus fremden Organismen besteht oder beim küssen über 80 Millionen Bakterien übertragen werden? Ich nicht, und Aza eigentlich auch nicht, doch ihre Angst lässt sie immer wieder Wikipedia Artikel über solche Fakten lesen. Oder sie zwingt sie dazu, an nichts anderes denken, als an C. difficile, ein Bakterium, das sich in ihrem Körper vermehren und zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung führen könnte, während sie eigentlich in der Cafeteria sitzt und versucht, sich ganz normal mit ihren Freunden zu unterhalten.


"Sorgen sind die angemessene Reaktion auf das Leben. Das Leben ist besorgniserregend."


John Green beschreibt sehr intensiv und nachvollziehbar schockierend wie Aza sich immer wieder in ihren eigenen Gedankenspiralen verläuft, unfähig ihrem eigenen Kopf zu entfliehen. Obwohl Azas Reaktionen auf ihre Angst und viele ihrer Handlungen, wie zum Beispiel Desinfektionsmittel zu trinken oder zwanghaft das Pflaster an ihrem Finger zu wechseln, rein rational betrachtet gar keinen Sinn machen und für den Durchschnittsmenschen verrückt und unlogisch erscheinen, schafft der Autor es, dem Leser klarzumachen, warum Aza so handelt, warum sie so handeln muss. Als Leser hab ich mit ihr gelitten und ihr versucht mental Kraft zu schicken, aus ihren Gedankenspiralen auszubrechen. Dass John Green ebenfalls an Störungen aus dem Angst- und Zwangsbereich leidet, wie man in seiner Danksagung nachlesen kann, gibt dem Buch nochmal einen viel ernsteren Beigeschmack.


„Aber was ich mich frage, ist, gibt es überhaupt ein Selbst, unabhängig von den Umständen? [...] Ich entscheide nicht, ob ich schwitze, oder ob ich Krebs oder C. difficile kriege oder so was, also ist es auch nicht wirklich mein Körper. Ich entscheide überhaupt nichts - es wird alles von äußeren Kräften entschieden. Ich bin eine Geschichte, die jemand anderes erzählt. Ich bin eine Verkettung von Umständen.“


Trotz der ernsten Thematik schafft es John Green wie wir es von ihm gewohnt sind, ab und zu durch trockenen Humor, wunderschöne philosophische Sätzen und eine ruhige, leichte Liebesgeschichte, die sich aber hier eher am Rand abspielt, aufzulockern. Im Gegensatz zu seinen anderen Werken schafft er es hier nicht, der Handlung die ganze Schwere zu nehmen, trotzdem ist sein Stil mal wieder wunderschön und etwas anspruchsvoller als sonst in Jugendbüchern. Mit vielen unterschiedlichen Metaphern und Formulierungsweisen versichert er, dass auch wirklich jeder Leser verstehen kann, was er meint und bringt Gefühle und Gedanken seiner Figuren wunderbar direkt und erlebbar auf den Punkt. Feinfühlige Zitate berühmter Personen, die in Auszügen von Davis´ Blog vorkommen, unterstützen die philosophischen Überlegungen der Charaktere, die aber immer so bodenständig und dezent bleiben, dass keine plumpe Belehrungssituationen zu Stande kommen.


"Wenn man lange genug in den Himmel hoch sieht, fängt man an die eigene Winzigkeit zu spüren. Der Unterschied zwischen lebendig oder nicht lebendig - das ist etwas. Aber von den Sternen aus betrachtet, gibt es fast keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von lebendig, zwischen mir und dem frisch gemähten Gras, auf dem ich liege. Beide sind wir Unwahrscheinlichkeiten: das, was im Universum einem Wunder am nächsten kommt."



Das Kernstück der Geschichte ist hier aber wie so oft die Vielfalt an skurriler aber liebenswerter Protagonisten. Natürlich handelt die Geschichte in erster Linie von Aza und ihrem Kampf gegen ihre Zwangsstörung, charakterisiert sie als ganz besondere Person und erzählt von ihren Beziehungen zu anderen Personen: ihrer Freundschaft zu Daisy, ihre Beziehung zu Davis, das Verhältnis mit ihrer Mutter, die Liebe zu Harold, ihrem Auto...


"Unsere Herzen waren an der gleichen Stelle gebrochen. Das ist so etwas wie Liebe, aber vielleicht nicht ganz dasselbe."



Das Buch handelt aber auch von Davis, dessen Vater verschwunden ist, der sich furchtbar einsam fühlt und nicht bereit dazu ist, die Verantwortung für seinen kleinen Bruder zu übernehmen. Es handelt von Daisy, Azas bester Freundin, die sich in Starwars Fanfiction vor der Armut ihrer Eltern flüchtet und aus Angst vor der Stille ununterbrochen plappert. Und von Noah, Davis‘ kleinem Bruder, der auf der einen Seite den großen Macker raushängen lässt, sich aber vor allem nach Geborgenheit und Sicherheit sehnt und deshalb nachts weinend zu Davis ins Bett schlüpft, wenn es keiner sieht. Es handelt von Verlust und Ohnmacht, Liebe, Kraft und Hoffnung. Es handelt von realistisch geschriebenen Charakteren, die mit dem Leben kämpfen. Das Problem: "Keiner versteht den anderen, nicht richtig. Wir sind alle in uns selbst gefangen."
Das Ende hat es dann nochmal in sich. Auf der einen Seite hasse ich es, weil es kein wirkliches Happyend ist, auf der anderen Seite muss ich John Green leider zustimmen wenn er durch Aza sagt:


„Das Problem bei Happy Ends ist, dass sie entweder nicht richtig glücklich sind, oder sie sind kein richtiges Ende. Im richtigen Leben werden manche Dinge besser und manche Dinge werden schlechter und irgendwann stirbst Du“


Ja, irgendwann stirbt man dann, und wenn das passiert kann man es nicht ändern, doch man kann dieses Buch gelesen haben, was das zurückgelegte Leben dann um ein winziges bisschen besser macht!

Zum Schluss noch mein Lieblingszitat:

"In die Augen kann man jedem sehen. Aber jemand zu finden, der dieselbe Welt sieht, ist ziemlich selten."


Fazit:

Ein echter John Green: berührend, verstörend, authentisch. Leider ist es schleppender und erdrückender als seine anderen Werke, dennoch voller leisem Tiefgang, wundervollen Charakteren und Mut.

Veröffentlicht am 18.02.2018

"Du gehörst mir, Kleine Eule!"

Gated - Sie sind überall
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Allgemeines:

Titel: Gated - Sie sind überall
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv (1. Mai 2015)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423761083
ISBN-13: 978-3423761086
ASIN: B00SMRWZJW
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Gated - Sie sind überall
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv (1. Mai 2015)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423761083
ISBN-13: 978-3423761086
ASIN: B00SMRWZJW
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 16 Jahre
Seitenzahl: 336 Seiten
Originaltitel: Astray
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
16,95€ (Gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: Gated - Die letzten 12 Tage



Inhalt:

"Mutig zu sein, bedeutet nicht, keine Angst zu haben; es bedeutet nur, dass man in der Lage ist, trotz seiner Angst zu handeln", sagte er. "Und das kannst du außerordentlich gut." Er tätschelt mir den Kopf und ich spüre seine Wärme noch, als er die Hand längst weggezogen hat."

Die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows ist offiziell aufgelöst, die ehemaligen Mitglieder leben in Freiheit, und Pioneer, ihr brandgefährlicher Führer, wartet hinter Gittern auf seinen Prozess. Lyla glaubt, das Böse sei besiegt – doch während sie versucht, sich in Codys Familie einzuleben und einen normalen Teenageralltag zu führen, lenkt Pioneer aus dem Gefängnis heraus unbemerkt weiter die Geschicke der Gemeinschaft. Er und seine Jünger haben nur ein Ziel: Sie wollen Lyla wieder zu einer der ihren machen; koste es, was es wolle ...


Bewertung:

"Ein guter Hirte
legt sich nicht schlafen,
solange sich eines seiner Schafe
auf Abwegen befindet."
-Pioneer, Gemeindeführer -

Nach dem fesselnden ersten Teil war bei mir nicht sofort klar, ob ich die Fortsetzung ebenfalls lesen möchte. Denn eigentlich war die Geschichte nach Band 1 relativ abgeschlossen und zu einem logischen Ende gebracht. Nachdem ich Band 2 nun gelesen habe, wurde mir aber klar, wie dringend dieser noch nötig war: nicht nur zu unserer Unterhaltung, damit wir noch ein Teil mit fiebern können. Nein, dieser Teil zeigt, dass nach einer spektakulären Befreiungsaktion noch nicht immer Schluss mit der Geschichte ist, dass ein polizeilich unterstützter Showdown keinem ganzen Leben Gehorsam und Glauben ein Ende setzen kann, sondern dass das Entkommen aus den gefährlichen Verstrickungen einer Sekte viel schwieriger zu lösen ist und manche Abhängigkeiten niemals verfliegen.


"Du gehörst mir, Kleine Eule."


Das Cover ist dem ersten Band in Machart und Motiv sehr ähnlich. Wo zuvor ein Wald und Brauntöne zusehen waren, dominieren hier dunkle Grünschattierungen und das Setting ist die Wohnwagensiedlung, in der die Gemeinde nun lebt. Gleichgeblieben ist jedoch die düstere Grundstimmung und das übernatürlich anmutende Licht am Ende der Dunkelheit, das eher wieder an ein Weltuntergangsszenario denken lässt, als an einen Thriller um eine außer Kontrolle geratene Sekte. Mit dem verzerrt, verschwommenen Blick, der sich hier durch das Grün besser ausmachen lässt und super aufzeigt, wie entrückt der Blick auf die Realität in der Geschichte manchmal ist und dem mysteriösen Vignetten-Effekt verbreitet es eine packende, geheimnisvolle Stimmung und auch die Silhouette des Mädchens, das auf ein helles Licht zuhält stimmt den Betrachter auf die Geschichte ein. Alles in allem wird durch den Titel, bei dem sich nur der Untertitel ändert, was den Wiedererkennungswert steigert, das Cover und durch die ganze restliche Gestaltung wunderbar auf den kommenden Thriller eingestimmt.


Erster Satz: "Es ist einen Monat her, seit die Welt untergehen sollte."


Mit diesem Satz beginnt dieses Final der kurzen Dilogie um das junge Mädchen Lyla in ihrem Kampf gegen die Sekte um ihren Anführer Pioneer und ordnet die folgende Geschichte gleich zeitlich ein. Ein Monat ist es her, seit die Welt untergehen sollte, sie es aber nicht tat und stattdessen Pioneer in einer haarsträubenden Polizeiaktion festgenommen wurde. Ein Monat sitzt er jetzt schon in Haft und wartet auf seinen Prozess, der bald starten wird, ein Monat wohnt Lyla bei Codys Familie und versucht alles zu verarbeiten, was sie in den letzten Monaten erlebt hat. Ein Monat, nach dem sich alles der Normalität zuwenden sollte, doch was ist ein einziger Monat im Vergleich zu mehreren Jahrzehnten Gehirnwäsche?
Als versteckte Drohungen bei ihr auftauchen und sie auf Schritt und Tritt verfolgt wird, muss Lyla sich eingestehen, dass Pioneer auch noch inhaftiert in den Köpfen ihrer Gemeinde wütet und sie mit Lügen auf sie hetzt. Und als ihre Gemeinde dann auch noch das erneut nahende Ende ankündigt und sich alles Geschehene zu wiederholen scheint, muss sie erkennen, dass sie noch lange nicht entkommen ist. Welchen Preis ist sie bereit für ihre Freiheit zu zahlen?


"Wie lange wird es dauern, bis ich frei bin? (...) Ich habe ihn zweimal getroffen. In die Brust. Aus nächste Nähe. Die Kugeln haben sein Herz nur Millimeter verpasst. Er müsste tot sein. Er hätte sterben müssen."


"Once you’re in, you’re in for life . . . or death.“, steht auf dem Cover der englischsprachigen Ausgabe und kein Satz könnte die hier auftretende Problematik besser beschreiben. Auch wenn Lyla versucht an Codys Seite und mit Hilfe von ihrer Therapeutin Mrs. Rosen mit ihrer Situation klarzukommen, ihren Platz in den neuen Gesellschaft zu suchen und neue Möglichkeiten auszuloten, lässt sie die Gemeinde einfach nicht los. Ihre alten Ängste und Zweifel kommen immer wieder hoch, sodass sie während des Prozesses um Pioneer immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Auch wenn sie zum ersten Mal eine High-School besucht, ein Date hat, ein Restaurant besucht, Filme schaut und tut, was andere Teenager in ihrem Alter auch tun, kann sie die verpassten Jahre nicht aufholen und Albträume suchen sie jede Nacht heim. Auch wenn die Handlung zu Beginn ein wenig auf der Stelle tritt und sich ganz mit Lylas Alltag und ihren Gefühlen bezüglich des Prozesses beschäftigt, wird das Erzähltempo schon bald wieder gehörig angezogen. Die Autorin schafft es hier wieder ganz wunderbar, mit leisen Worten und Situationen, den Leser zuerst in Sicherheit zu wiegen, dann aber immer wieder kleine Details einzufädeln, welches einem das Blut in den Adern gefrieren und einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lassen und nach und nach das immer gefährlicher anmutende Gesamtbild offenbaren. Denn als Lyla immer wieder eine kleine Eule aus Holz in ihren Sachen findet und schließlich eine Schleiereule als Warnung direkt vor ihrem Augen getötet wird ist klar: die Gemeinde schreckt vor nichts zurück, um sie zurückzuholen.


"Komm zurück in die Herde, zurück in die Herde.
Dein Leib muss schon bald entseelt in die Erde.
Das Ende ist nah, er ruft die Schafe zu sein.
Eine andere Weide hast du hier nicht."
"Als Ganzes sind wird stark.
Wir sind ein Kopf.
Ein Körper.
Ein Geist.
Immer"
(...) Ich habe das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Ich mag die Gemeinde verlassen haben, aber ich bin sie nicht los. Ich werde sie niemals los sein."


Zusätzlich kommt erschwerend dazu, dass Lyla mehr denn je zwischen der Gemeinde und den Außenstehenden steht, zu beiden aber nicht ganz dazuzugehören scheint. Die Stadtbewohner sehen in ihr eine Verrückte, ein Gemeindemitglied, eine Gefahr für ihre eigenen Kinder, die Gemeinde sieht in ihr eine Abtrünnige, die es zurückzuholen gilt. Nicht zuletzt die ambivalenten Reaktionen der Einwohner von Culver Creek auf die Gemeinde machen dieses Buch auch so authentisch. Die einen fürchten sie, fürchten ihren Wahnsinn, die Ansteckungsgefahr damit und wollen sie nicht in die Nähe ihrer Kinder lassen, die anderen lachen sie aus, wenn sie mit verstränkten Händen auf dem Boden sitzen, beten, psalmodieren und die kahlen Köpfe das irre Bild vervollständigen. Es entstehen zwei Lager, die sich gegenseitig für verrückt und dumm halten - und Lyla steht direkt dazwischen.


"Der Tag der Abrechnung naht. Ihr werdet noch an mich denken, wenn es so weit ist. Dann werdet ihr sehen, dass uns Pioneer wirklich ein Prophet ist, aber es wird zu spät sein. Ihr hattet eure Chance zu bereuen und ihr habt sie vergeudet."


Und trotz dass die Gemeindemitglieder mit ihren gruseligen Liedern und Psalmen, die sie ständig in der Öffentlichkeit singen, den kahlgeschorenen Köpfen, mit denen sie ihre Zugehörigkeit zu ihrem Propheten Pioneer zeigen wollen und ihre Versteifung in noch mehr Lügen, immer irrer und gefährlicher erscheinen, kommt Lyla doch wieder ins Zweifeln. Dass ein paar Worte, nachts in ein Walky-Talky gehaucht ihre Beobachtungen und Erinnerungen anzweifeln lassen, dass sie bald gar nicht mehr weiß, was sie glauben soll, wenn einige Minuten in Gegenwart der Gemeinde, Stunden der Therapie zunichte machen, zeigt wieder auf sehr frustrierende und einfühlsame Art und Weise wie eindrücklich und wirkungsvoll die Manipulationen der anderen Sektenmitglieder sind und dass Pioneer immer noch die Fäden in der Hand hält.


"Manchmal vermisse ich sie - die Gemeinde. Weil ich noch nicht hierher gehöre, Cody. Noch nicht, nicht ganz ... vielleicht auch nie wirklich. Was ist, wenn ich nicht normal sein kann?"
Ganz sanft legt Cody mir die Hand unter das Kinn und hebt es an, bis ich ihm in die Augen schaue. "Zufällig finde ich, dass Normalsein völlig überschätzt wird."


Als Leser ist es sehr beklemmend zusehen zu müssen, wie Lyla und die ganze Stadt Culver Creek auf das nächste Unglück zusteuert und man rein gar nichts dagegen tun kann. Ähnlich wie in Band 1 beginnen sich die Ereignisse im letzten Drittel geradezu zu überschlagen man kann das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Spannung steigert sich ins Unermessliche als Lyla sich schließlich dazu gezwungen sieht, zur Gemeinde zurückzukehren um die Stadt zu schützen und eine Actionszene jagt die nächste. Man leidet mit, hofft mit und fürchtet mit, als Lyla immer verzweifelter versucht, Pioneer und der Gemeinde zu entkommen, stattdessen aber immer mehr in ihre ausgebreiteten, grausamen Arme läuft.


"Das ist nicht fair. Alle wollen etwas von mir. Will möchte, dass ich wieder seine Versprochene werde, Jack will meine Geschichte, Pioneer meine Seele, meinen Eltern meinen Gehorsam und Brian meine Reue. Alle erwarten, dass ich weiß, was ich zu tun habe, aber das tue ich nicht. Ich wünschte, es wäre so."


Wieder lässt Amy Christine Parker Lyla selbst aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählen. Dadurch dass Lyla selbst erzählt, sind wir näher am Geschehen und erleben ihre Gefühle aus erster Hand, wissen aber auf der anderen Seite nur was sie weiß, wodurch die Spannung weiter aufgebaut werden kann. Daneben ist Amy Parkers Schreibstil wieder recht einfach, nüchtern und kühl ohne emotionale Ausuferungen, dafür umso rasanter und schonungsloser am Ende. Dass die Liebesgeschichte hier wieder nicht zu viel Raum einnimmt und nicht breitgetreten wird, auch wenn Lyla jetzt sogar bei Cody wohnt, hat mir wieder sehr gut gefallen. Nachdem sie schon in Band 1 verdammt viel Willensstärke und Mut bewiesen hat, muss die junge Protagonistin auch hier wieder heftig Kämpfen. Ihre Zweifel, ihre Angst vor der Wahrheit, ihre Rückfälle machen sie umso glaubwürdiger und bringen den Leser dazu, sie immer mehr für ihre Stärke zu bewundern, gegen diese Gefühle in sich selbst anzukämpfen und sich gegen alles zu stellen, was sie jemals gekannt und an was sie jemals geglaubt hatte. Denn wenn fremde, laute Stimmen die eigene übertönen, geht man einfach in einer Gemeinschaft unter und verirrt sich in Gefilden, in denen man eigentlich gar nicht sein möchte.


"Ich kann dein Zuhause sein, wenn du mich lässt." Die Worte dringen mir direkt ins Herz und bleiben dort stecken. (...) Die Stimmen von Pioneer und Mr Brown in meinem Kopf verstumme. Die einzige Stimme, die ich höre, ist meine eigene."


Allein die Nebencharaktere haben mich in der ersten Hälfte des Romas etwas enttäuscht, was der einzige Grund ist, weshalb ich hier keine vollständigen 5 Punkte vergeben will. Während das Handeln Lylas wunderbar verständlich wird und auch die versteifte und irrsinnige Haltung einzelner Gemeindemitgliedern, wie zum Beispiel Mr. Brown, welcher sich schon in Band 1 als skrupellos und blindwütig herausgestellt hat, oder Lylas Mutter, die am liebsten einfach komplett vor der ganzen Welt fliehen würde, logisch hervorkommt, bleibt sehr lange etwas unlogisch weshalb die anderen Mitglieder der Sekte, wie zum Beispiel die eigentlich aufgeweckten Freunde Brian und Will weiter machen und das Netz aus Lügen weiter akzeptieren, wo Lyla doch eigentlich genügend Argumente geliefert hätte, sich abzugrenzen. Auch wenn in erschreckenden Szenen am Ende klar wird, was die Gemeinde für grausame Gehirnwäsche betreibt und welche Mittel sie einsetzen um Lyla wieder von ihrer Sache zu überzeugen, finde ich es ein wenig fragwürdig, dass alle geschlossen weiter hinter Pioneer stehen, auch wenn er bewiesenermaßen ein Mörder ist und weiter blind einer Sache hinterherrennen, die ganz klar falsch war, denn der Termin für die Armageddon ist ja ungenutzt verstrichen. Gegen Ende werden die Positionen der einzelnen Nebencharaktere noch weiter ausgearbeitet, ich hätte mir aber von Anfang an noch ein bisschen besseres Porträt eines anderen Standpunktes gewünscht.


"Grinsend schaue ich über die Schulter zu Cody. Ich fühle mich mit einem mal ganz merkwürdig. Unbeschwert. Selbstbewusst. Im siebten Himmel.
Ich kann mich nicht erinnern, mich schon einmal so gefühlt zu haben, auch nicht in Mandrodage Meadows. Mein Glücksgefühl von dort kommt mir dumpf vor im Vergleich zu diesem. Das hier ist glücklich hoch zehn. Ich fühle mich frei."


Besonders schade fand ich aber, dass Pioneer, die zweite Säule, auf dem diese Reihe gebaut ist, nur noch so wenig auftaucht und mehr wie ein dunkles Omen über der Handlung schwebt, als wirklich als richtige Person. Natürlich musste das gewisser Maße passieren, hier wird der wahrlich genialer Antagonist jedoch ein wenig als fanatischer Wahnsinniger abgestempelt, ohne das Hintergründe für sein Handeln erklärt wurden. Ich hätte mir von diesem Teil also ein wenig mehr Tiefgründigkeit in Bezug auf andere Charaktere gewünscht, gerade weil ich es der Geschichte durchaus zugetraut hätte, noch eine Schippe drauf zu legen.


"Wir sind alle unser eigenes Gefängnis, alle unsere
eigenen Wächter, sitzen alle unsere eigene Zeit ab.
Das Gefängnis ist in euren Köpfen.
Seht ihr denn nicht, dass ich frei bin?"
- Charles Manson, Anführer der Manson Family-


Positiv aufgefallen sind mir hingegen wieder die Zitate, die die Kapitelanfänge zieren. Wie auch schon in Band 1 beginnen wir mit den kranken Weltanschauungen Pioneers, die wie häppchenweise in kurzen Gänsehaut-Sätzen präsentiert bekommen, bekommen aber im Laufe der Handlung zunehmend Einblicke in die ebenso verstörenden Meinungen einzelner Gemeindemitgliedern. Zusätzlich sind auch wieder einige Zitate von realen Personen wie Jim Jones, dem ehemaligen Sektenführer des Peoples Temple, Charles Mansons oder David Koresh, dem Anführer der Branch Davidians, dabei. In Zusammenhang mit diesen Realitätsbezügen erscheinen die Ansichten der Gemeinde noch viel unheimlicher, denn einmal mehr wird klar, dass das Buch keine gesellschaftliche Dystopie zeichnet, sondern von der Realität vieler Menschen gar nicht so weit entfernt ist. Gerade in den USA gibt es etliche Sekten, es gibt also in der Tat einige Menschen für die der dargestellte Thriller bittere Realität ist. Gerade in Bezug auf das Ende, das nochmal alles herausholt und in einem epischen, grausamen und hochspannenden Showdown gipfelt, wird die Abhängigkeit und die große und gefährliche Macht hinter dem Sog einer Sekte noch viel deutlicher als in Band 1.


"Sie halten die Gemeinde für böse. Die Gemeinde hält sie für böse. Beide Seiten sind überzeugt, die Guten zu sein. Nur warum sehe ich dann auf beiden Seiten so viel Hass und Wut?"


Ganz besonders sensibilisiert diese Romanreihe jedoch dazu, sich nicht von Idealen und Grundsätzen leiten zu lassen, sondern selbst nachzudenken. Es wird klar, dass fast jeder aus der Überzeugung heraus handelt, selbst Gut zu sein, dass es in der menschlichen Natur liegt, zwischen Gut und Böse zu entscheiden und dass diese Entscheidung häufig positiv für die Person selbst ausfällt. Ganz viel geht es hier darum, wer nun zu welcher Seite gehört, Gut oder Böse und wie man sich vor dem Bösen schützen kann. Dass es nichts nutzt, abseits der normalen Gesellschaft zu leben, um dem Bösen zu entfliehen, hat schon der erste Teil klar gemacht. Dass es zudem schwer ist, zu entscheiden, was Gut und was Böse ist, ist zusätzlich bekannt. Doch hier wird nochmal deutlich, dass es gar nichts bringt, vor dem "Bösen" zu fliehen, sondern sich lieber ganz darauf konzentrieren sollte, sich selbst auf der entgegengesetzten Seite zu befinden und sich deshalb immer zu fragen, ob man auch wirklich richtig steht. Und wenn man wie Lyla mal auf Abwegen gerät, muss man sich eben zusammenreißen und die Seite wechseln, die Welt ist gut genug, damit solche Menschen dann Hilfe bekommen. Deshalb möchte ich meine Rezension mit meinem Lieblingszitat beenden, welches wohl die Hauptaussage des Romans widerspiegelt:


"Die Gemeinde wurde auf der Vorstellung gegründet, dass uns das Böse nicht erreichen kann, wenn wir uns von der Welt fernhalten. Aber wie sich herausgestellt hat, spielt es keine Rolle, was man tut oder wohin man geht, weil einen das Böse trotzdem findet. Es geht nicht darum, es zu verhindern; es geht darum, es auf die andere Seite zu schaffen, wenn es einen gefunden hat."


Fazit:

Ein packendes Finale, das auf höchst faszinierende, erschreckende und total realistische Art und Weise die gefährlichen Verstrickungen einer Sekte darstellt. Fesselnd, verstörend und hochspannend.

Veröffentlicht am 18.02.2018

"Du gehörst mir, Kleine Eule!"

Gated - Sie sind überall
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Allgemeines:

Titel: Gated - Sie sind überall
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv (1. Mai 2015)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423761083
ISBN-13: 978-3423761086
ASIN: B00SMRWZJW
Vom Hersteller empfohlenes ...

Allgemeines:

Titel: Gated - Sie sind überall
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv (1. Mai 2015)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423761083
ISBN-13: 978-3423761086
ASIN: B00SMRWZJW
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 16 Jahre
Seitenzahl: 336 Seiten
Originaltitel: Astray
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
16,95€ (Gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: Gated - Die letzten 12 Tage



Inhalt:

"Mutig zu sein, bedeutet nicht, keine Angst zu haben; es bedeutet nur, dass man in der Lage ist, trotz seiner Angst zu handeln", sagte er. "Und das kannst du außerordentlich gut." Er tätschelt mir den Kopf und ich spüre seine Wärme noch, als er die Hand längst weggezogen hat."

Die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows ist offiziell aufgelöst, die ehemaligen Mitglieder leben in Freiheit, und Pioneer, ihr brandgefährlicher Führer, wartet hinter Gittern auf seinen Prozess. Lyla glaubt, das Böse sei besiegt – doch während sie versucht, sich in Codys Familie einzuleben und einen normalen Teenageralltag zu führen, lenkt Pioneer aus dem Gefängnis heraus unbemerkt weiter die Geschicke der Gemeinschaft. Er und seine Jünger haben nur ein Ziel: Sie wollen Lyla wieder zu einer der ihren machen; koste es, was es wolle ...


Bewertung:

"Ein guter Hirte
legt sich nicht schlafen,
solange sich eines seiner Schafe
auf Abwegen befindet."
-Pioneer, Gemeindeführer -

Nach dem fesselnden ersten Teil war bei mir nicht sofort klar, ob ich die Fortsetzung ebenfalls lesen möchte. Denn eigentlich war die Geschichte nach Band 1 relativ abgeschlossen und zu einem logischen Ende gebracht. Nachdem ich Band 2 nun gelesen habe, wurde mir aber klar, wie dringend dieser noch nötig war: nicht nur zu unserer Unterhaltung, damit wir noch ein Teil mit fiebern können. Nein, dieser Teil zeigt, dass nach einer spektakulären Befreiungsaktion noch nicht immer Schluss mit der Geschichte ist, dass ein polizeilich unterstützter Showdown keinem ganzen Leben Gehorsam und Glauben ein Ende setzen kann, sondern dass das Entkommen aus den gefährlichen Verstrickungen einer Sekte viel schwieriger zu lösen ist und manche Abhängigkeiten niemals verfliegen.


"Du gehörst mir, Kleine Eule."


Das Cover ist dem ersten Band in Machart und Motiv sehr ähnlich. Wo zuvor ein Wald und Brauntöne zusehen waren, dominieren hier dunkle Grünschattierungen und das Setting ist die Wohnwagensiedlung, in der die Gemeinde nun lebt. Gleichgeblieben ist jedoch die düstere Grundstimmung und das übernatürlich anmutende Licht am Ende der Dunkelheit, das eher wieder an ein Weltuntergangsszenario denken lässt, als an einen Thriller um eine außer Kontrolle geratene Sekte. Mit dem verzerrt, verschwommenen Blick, der sich hier durch das Grün besser ausmachen lässt und super aufzeigt, wie entrückt der Blick auf die Realität in der Geschichte manchmal ist und dem mysteriösen Vignetten-Effekt verbreitet es eine packende, geheimnisvolle Stimmung und auch die Silhouette des Mädchens, das auf ein helles Licht zuhält stimmt den Betrachter auf die Geschichte ein. Alles in allem wird durch den Titel, bei dem sich nur der Untertitel ändert, was den Wiedererkennungswert steigert, das Cover und durch die ganze restliche Gestaltung wunderbar auf den kommenden Thriller eingestimmt.


Erster Satz: "Es ist einen Monat her, seit die Welt untergehen sollte."


Mit diesem Satz beginnt dieses Final der kurzen Dilogie um das junge Mädchen Lyla in ihrem Kampf gegen die Sekte um ihren Anführer Pioneer und ordnet die folgende Geschichte gleich zeitlich ein. Ein Monat ist es her, seit die Welt untergehen sollte, sie es aber nicht tat und stattdessen Pioneer in einer haarsträubenden Polizeiaktion festgenommen wurde. Ein Monat sitzt er jetzt schon in Haft und wartet auf seinen Prozess, der bald starten wird, ein Monat wohnt Lyla bei Codys Familie und versucht alles zu verarbeiten, was sie in den letzten Monaten erlebt hat. Ein Monat, nach dem sich alles der Normalität zuwenden sollte, doch was ist ein einziger Monat im Vergleich zu mehreren Jahrzehnten Gehirnwäsche?
Als versteckte Drohungen bei ihr auftauchen und sie auf Schritt und Tritt verfolgt wird, muss Lyla sich eingestehen, dass Pioneer auch noch inhaftiert in den Köpfen ihrer Gemeinde wütet und sie mit Lügen auf sie hetzt. Und als ihre Gemeinde dann auch noch das erneut nahende Ende ankündigt und sich alles Geschehene zu wiederholen scheint, muss sie erkennen, dass sie noch lange nicht entkommen ist. Welchen Preis ist sie bereit für ihre Freiheit zu zahlen?


"Wie lange wird es dauern, bis ich frei bin? (...) Ich habe ihn zweimal getroffen. In die Brust. Aus nächste Nähe. Die Kugeln haben sein Herz nur Millimeter verpasst. Er müsste tot sein. Er hätte sterben müssen."


"Once you’re in, you’re in for life . . . or death.“, steht auf dem Cover der englischsprachigen Ausgabe und kein Satz könnte die hier auftretende Problematik besser beschreiben. Auch wenn Lyla versucht an Codys Seite und mit Hilfe von ihrer Therapeutin Mrs. Rosen mit ihrer Situation klarzukommen, ihren Platz in den neuen Gesellschaft zu suchen und neue Möglichkeiten auszuloten, lässt sie die Gemeinde einfach nicht los. Ihre alten Ängste und Zweifel kommen immer wieder hoch, sodass sie während des Prozesses um Pioneer immer wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Auch wenn sie zum ersten Mal eine High-School besucht, ein Date hat, ein Restaurant besucht, Filme schaut und tut, was andere Teenager in ihrem Alter auch tun, kann sie die verpassten Jahre nicht aufholen und Albträume suchen sie jede Nacht heim. Auch wenn die Handlung zu Beginn ein wenig auf der Stelle tritt und sich ganz mit Lylas Alltag und ihren Gefühlen bezüglich des Prozesses beschäftigt, wird das Erzähltempo schon bald wieder gehörig angezogen. Die Autorin schafft es hier wieder ganz wunderbar, mit leisen Worten und Situationen, den Leser zuerst in Sicherheit zu wiegen, dann aber immer wieder kleine Details einzufädeln, welches einem das Blut in den Adern gefrieren und einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen lassen und nach und nach das immer gefährlicher anmutende Gesamtbild offenbaren. Denn als Lyla immer wieder eine kleine Eule aus Holz in ihren Sachen findet und schließlich eine Schleiereule als Warnung direkt vor ihrem Augen getötet wird ist klar: die Gemeinde schreckt vor nichts zurück, um sie zurückzuholen.


"Komm zurück in die Herde, zurück in die Herde.
Dein Leib muss schon bald entseelt in die Erde.
Das Ende ist nah, er ruft die Schafe zu sein.
Eine andere Weide hast du hier nicht."
"Als Ganzes sind wird stark.
Wir sind ein Kopf.
Ein Körper.
Ein Geist.
Immer"
(...) Ich habe das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Ich mag die Gemeinde verlassen haben, aber ich bin sie nicht los. Ich werde sie niemals los sein."


Zusätzlich kommt erschwerend dazu, dass Lyla mehr denn je zwischen der Gemeinde und den Außenstehenden steht, zu beiden aber nicht ganz dazuzugehören scheint. Die Stadtbewohner sehen in ihr eine Verrückte, ein Gemeindemitglied, eine Gefahr für ihre eigenen Kinder, die Gemeinde sieht in ihr eine Abtrünnige, die es zurückzuholen gilt. Nicht zuletzt die ambivalenten Reaktionen der Einwohner von Culver Creek auf die Gemeinde machen dieses Buch auch so authentisch. Die einen fürchten sie, fürchten ihren Wahnsinn, die Ansteckungsgefahr damit und wollen sie nicht in die Nähe ihrer Kinder lassen, die anderen lachen sie aus, wenn sie mit verstränkten Händen auf dem Boden sitzen, beten, psalmodieren und die kahlen Köpfe das irre Bild vervollständigen. Es entstehen zwei Lager, die sich gegenseitig für verrückt und dumm halten - und Lyla steht direkt dazwischen.


"Der Tag der Abrechnung naht. Ihr werdet noch an mich denken, wenn es so weit ist. Dann werdet ihr sehen, dass uns Pioneer wirklich ein Prophet ist, aber es wird zu spät sein. Ihr hattet eure Chance zu bereuen und ihr habt sie vergeudet."


Und trotz dass die Gemeindemitglieder mit ihren gruseligen Liedern und Psalmen, die sie ständig in der Öffentlichkeit singen, den kahlgeschorenen Köpfen, mit denen sie ihre Zugehörigkeit zu ihrem Propheten Pioneer zeigen wollen und ihre Versteifung in noch mehr Lügen, immer irrer und gefährlicher erscheinen, kommt Lyla doch wieder ins Zweifeln. Dass ein paar Worte, nachts in ein Walky-Talky gehaucht ihre Beobachtungen und Erinnerungen anzweifeln lassen, dass sie bald gar nicht mehr weiß, was sie glauben soll, wenn einige Minuten in Gegenwart der Gemeinde, Stunden der Therapie zunichte machen, zeigt wieder auf sehr frustrierende und einfühlsame Art und Weise wie eindrücklich und wirkungsvoll die Manipulationen der anderen Sektenmitglieder sind und dass Pioneer immer noch die Fäden in der Hand hält.


"Manchmal vermisse ich sie - die Gemeinde. Weil ich noch nicht hierher gehöre, Cody. Noch nicht, nicht ganz ... vielleicht auch nie wirklich. Was ist, wenn ich nicht normal sein kann?"
Ganz sanft legt Cody mir die Hand unter das Kinn und hebt es an, bis ich ihm in die Augen schaue. "Zufällig finde ich, dass Normalsein völlig überschätzt wird."


Als Leser ist es sehr beklemmend zusehen zu müssen, wie Lyla und die ganze Stadt Culver Creek auf das nächste Unglück zusteuert und man rein gar nichts dagegen tun kann. Ähnlich wie in Band 1 beginnen sich die Ereignisse im letzten Drittel geradezu zu überschlagen man kann das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Die Spannung steigert sich ins Unermessliche als Lyla sich schließlich dazu gezwungen sieht, zur Gemeinde zurückzukehren um die Stadt zu schützen und eine Actionszene jagt die nächste. Man leidet mit, hofft mit und fürchtet mit, als Lyla immer verzweifelter versucht, Pioneer und der Gemeinde zu entkommen, stattdessen aber immer mehr in ihre ausgebreiteten, grausamen Arme läuft.


"Das ist nicht fair. Alle wollen etwas von mir. Will möchte, dass ich wieder seine Versprochene werde, Jack will meine Geschichte, Pioneer meine Seele, meinen Eltern meinen Gehorsam und Brian meine Reue. Alle erwarten, dass ich weiß, was ich zu tun habe, aber das tue ich nicht. Ich wünschte, es wäre so."


Wieder lässt Amy Christine Parker Lyla selbst aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählen. Dadurch dass Lyla selbst erzählt, sind wir näher am Geschehen und erleben ihre Gefühle aus erster Hand, wissen aber auf der anderen Seite nur was sie weiß, wodurch die Spannung weiter aufgebaut werden kann. Daneben ist Amy Parkers Schreibstil wieder recht einfach, nüchtern und kühl ohne emotionale Ausuferungen, dafür umso rasanter und schonungsloser am Ende. Dass die Liebesgeschichte hier wieder nicht zu viel Raum einnimmt und nicht breitgetreten wird, auch wenn Lyla jetzt sogar bei Cody wohnt, hat mir wieder sehr gut gefallen. Nachdem sie schon in Band 1 verdammt viel Willensstärke und Mut bewiesen hat, muss die junge Protagonistin auch hier wieder heftig Kämpfen. Ihre Zweifel, ihre Angst vor der Wahrheit, ihre Rückfälle machen sie umso glaubwürdiger und bringen den Leser dazu, sie immer mehr für ihre Stärke zu bewundern, gegen diese Gefühle in sich selbst anzukämpfen und sich gegen alles zu stellen, was sie jemals gekannt und an was sie jemals geglaubt hatte. Denn wenn fremde, laute Stimmen die eigene übertönen, geht man einfach in einer Gemeinschaft unter und verirrt sich in Gefilden, in denen man eigentlich gar nicht sein möchte.


"Ich kann dein Zuhause sein, wenn du mich lässt." Die Worte dringen mir direkt ins Herz und bleiben dort stecken. (...) Die Stimmen von Pioneer und Mr Brown in meinem Kopf verstumme. Die einzige Stimme, die ich höre, ist meine eigene."


Allein die Nebencharaktere haben mich in der ersten Hälfte des Romas etwas enttäuscht, was der einzige Grund ist, weshalb ich hier keine vollständigen 5 Punkte vergeben will. Während das Handeln Lylas wunderbar verständlich wird und auch die versteifte und irrsinnige Haltung einzelner Gemeindemitgliedern, wie zum Beispiel Mr. Brown, welcher sich schon in Band 1 als skrupellos und blindwütig herausgestellt hat, oder Lylas Mutter, die am liebsten einfach komplett vor der ganzen Welt fliehen würde, logisch hervorkommt, bleibt sehr lange etwas unlogisch weshalb die anderen Mitglieder der Sekte, wie zum Beispiel die eigentlich aufgeweckten Freunde Brian und Will weiter machen und das Netz aus Lügen weiter akzeptieren, wo Lyla doch eigentlich genügend Argumente geliefert hätte, sich abzugrenzen. Auch wenn in erschreckenden Szenen am Ende klar wird, was die Gemeinde für grausame Gehirnwäsche betreibt und welche Mittel sie einsetzen um Lyla wieder von ihrer Sache zu überzeugen, finde ich es ein wenig fragwürdig, dass alle geschlossen weiter hinter Pioneer stehen, auch wenn er bewiesenermaßen ein Mörder ist und weiter blind einer Sache hinterherrennen, die ganz klar falsch war, denn der Termin für die Armageddon ist ja ungenutzt verstrichen. Gegen Ende werden die Positionen der einzelnen Nebencharaktere noch weiter ausgearbeitet, ich hätte mir aber von Anfang an noch ein bisschen besseres Porträt eines anderen Standpunktes gewünscht.


"Grinsend schaue ich über die Schulter zu Cody. Ich fühle mich mit einem mal ganz merkwürdig. Unbeschwert. Selbstbewusst. Im siebten Himmel.
Ich kann mich nicht erinnern, mich schon einmal so gefühlt zu haben, auch nicht in Mandrodage Meadows. Mein Glücksgefühl von dort kommt mir dumpf vor im Vergleich zu diesem. Das hier ist glücklich hoch zehn. Ich fühle mich frei."


Besonders schade fand ich aber, dass Pioneer, die zweite Säule, auf dem diese Reihe gebaut ist, nur noch so wenig auftaucht und mehr wie ein dunkles Omen über der Handlung schwebt, als wirklich als richtige Person. Natürlich musste das gewisser Maße passieren, hier wird der wahrlich genialer Antagonist jedoch ein wenig als fanatischer Wahnsinniger abgestempelt, ohne das Hintergründe für sein Handeln erklärt wurden. Ich hätte mir von diesem Teil also ein wenig mehr Tiefgründigkeit in Bezug auf andere Charaktere gewünscht, gerade weil ich es der Geschichte durchaus zugetraut hätte, noch eine Schippe drauf zu legen.


"Wir sind alle unser eigenes Gefängnis, alle unsere
eigenen Wächter, sitzen alle unsere eigene Zeit ab.
Das Gefängnis ist in euren Köpfen.
Seht ihr denn nicht, dass ich frei bin?"
- Charles Manson, Anführer der Manson Family-


Positiv aufgefallen sind mir hingegen wieder die Zitate, die die Kapitelanfänge zieren. Wie auch schon in Band 1 beginnen wir mit den kranken Weltanschauungen Pioneers, die wie häppchenweise in kurzen Gänsehaut-Sätzen präsentiert bekommen, bekommen aber im Laufe der Handlung zunehmend Einblicke in die ebenso verstörenden Meinungen einzelner Gemeindemitgliedern. Zusätzlich sind auch wieder einige Zitate von realen Personen wie Jim Jones, dem ehemaligen Sektenführer des Peoples Temple, Charles Mansons oder David Koresh, dem Anführer der Branch Davidians, dabei. In Zusammenhang mit diesen Realitätsbezügen erscheinen die Ansichten der Gemeinde noch viel unheimlicher, denn einmal mehr wird klar, dass das Buch keine gesellschaftliche Dystopie zeichnet, sondern von der Realität vieler Menschen gar nicht so weit entfernt ist. Gerade in den USA gibt es etliche Sekten, es gibt also in der Tat einige Menschen für die der dargestellte Thriller bittere Realität ist. Gerade in Bezug auf das Ende, das nochmal alles herausholt und in einem epischen, grausamen und hochspannenden Showdown gipfelt, wird die Abhängigkeit und die große und gefährliche Macht hinter dem Sog einer Sekte noch viel deutlicher als in Band 1.


"Sie halten die Gemeinde für böse. Die Gemeinde hält sie für böse. Beide Seiten sind überzeugt, die Guten zu sein. Nur warum sehe ich dann auf beiden Seiten so viel Hass und Wut?"


Ganz besonders sensibilisiert diese Romanreihe jedoch dazu, sich nicht von Idealen und Grundsätzen leiten zu lassen, sondern selbst nachzudenken. Es wird klar, dass fast jeder aus der Überzeugung heraus handelt, selbst Gut zu sein, dass es in der menschlichen Natur liegt, zwischen Gut und Böse zu entscheiden und dass diese Entscheidung häufig positiv für die Person selbst ausfällt. Ganz viel geht es hier darum, wer nun zu welcher Seite gehört, Gut oder Böse und wie man sich vor dem Bösen schützen kann. Dass es nichts nutzt, abseits der normalen Gesellschaft zu leben, um dem Bösen zu entfliehen, hat schon der erste Teil klar gemacht. Dass es zudem schwer ist, zu entscheiden, was Gut und was Böse ist, ist zusätzlich bekannt. Doch hier wird nochmal deutlich, dass es gar nichts bringt, vor dem "Bösen" zu fliehen, sondern sich lieber ganz darauf konzentrieren sollte, sich selbst auf der entgegengesetzten Seite zu befinden und sich deshalb immer zu fragen, ob man auch wirklich richtig steht. Und wenn man wie Lyla mal auf Abwegen gerät, muss man sich eben zusammenreißen und die Seite wechseln, die Welt ist gut genug, damit solche Menschen dann Hilfe bekommen. Deshalb möchte ich meine Rezension mit meinem Lieblingszitat beenden, welches wohl die Hauptaussage des Romans widerspiegelt:


"Die Gemeinde wurde auf der Vorstellung gegründet, dass uns das Böse nicht erreichen kann, wenn wir uns von der Welt fernhalten. Aber wie sich herausgestellt hat, spielt es keine Rolle, was man tut oder wohin man geht, weil einen das Böse trotzdem findet. Es geht nicht darum, es zu verhindern; es geht darum, es auf die andere Seite zu schaffen, wenn es einen gefunden hat."


Fazit:

Ein packendes Finale, das auf höchst faszinierende, erschreckende und total realistische Art und Weise die gefährlichen Verstrickungen einer Sekte darstellt. Fesselnd, verstörend und hochspannend.

Veröffentlicht am 14.02.2018

"Wir waren etwas Besonderes. Wir waren auserwählt. Wir würden die Überlebenden sein"

Gated - Die letzten 12 Tage
0

Allgemeines:

Titel: Gated - die letzten 12 Tage
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. September 2014)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423760982
ISBN-13: 978-3423760980
ASIN: B00K0NE2BK
Vom ...

Allgemeines:

Titel: Gated - die letzten 12 Tage
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. September 2014)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423760982
ISBN-13: 978-3423760980
ASIN: B00K0NE2BK
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 16 Jahre
Originaltitel: Gated
Seitenzahl: 336 Seiten
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
16,95€ (Gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: Gated - Sie sind überall



Inhalt:

"Wir waren etwas Besonderes. Wir waren auserwählt. Wir würden die Überlebenden sein."

Bis vor Kurzem glaubte die siebzehnjährige Lyla, die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows, in der sie mit ihrer Familie lebt, bewahre sie vor dem Bösen in der Welt und dem bevorstehenden Weltuntergang. Dann trifft sie Cody, einen Jungen von außerhalb, und stellt fest, dass sie in Wahrheit in einem perfiden Unterdrückungssystem gefangen ist. Doch Lylas Versuch, gegen Pioneer, den ebenso charismatischen wie gefährlichen Führer der Gemeinschaft, zu rebellieren, führt zum Kampf.
Furchterregend, bedrohlich und erschreckend wahr


Bewertung:

Erster Satz: „Diesmal schießt du, um zu töten, okay?“

Mit diesem Satz beginnt "Gated", welches schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf meinem SuB liegt und von dem ich eigentlich dachte, einen düsteren Endzeit-Thriller vor mir zu haben. Gerade weil das wirkliche Thema ein wenig an meinen Apokalypsen-Erwartungen vorbeiging, konnte mich der Roman aber auf eine ganz hartnäckige Weise fesseln. Der Roman ist eine einzige klare Warnung und schildert das langsame Aufwachen eines jungen Mädchens in einer Sekte, das beginnt an den Worten ihres Anführers zu zweifeln, ihr Leben in der Gemeinschaft zu hinterfragen und versucht aus einem Leben zu entfliehen, dem sie sich nicht gewachsen fühlt.


„Sie sind meine Leute. Meine Gemeinde. Meine Familie. Ich kann mir nicht länger um den Rest der Welt Gedanken machen. Ihr Schicksal wurde vor langer Zeit entschieden – genau wie meins.“


Das Cover lässt mit der düsteren Grundstimmung und dem übernatürlich anmutenden Licht am Ende der Dunkelheit eher an ein Weltuntergangsszenario denken, als an einen Thriller um eine außer Kontrolle geratene Sekte, trotzdem finde ich, passt es ganz gut. Das dunkle Braun mit dem mysteriösen Vignetten-Effekt verbreitet eine packende, geheimnisvolle Stimmung und auch die Silhouette des Mädchens, das auf ein helles Licht zuhält stimmt den Betrachter auf die Geschichte ein. Trotz der mystischen Ausstrahlung und der interessanten Machart gefällt mir aber einfach der Farbton nicht und um ein wirklicher Eye-Catcher zu sein. Die englische Originalversion (links) hingegen ist in wahrhaftiger Horrormanier gehalten. Das Mädchen mit dem gelben Kleid und dem von Haaren verdeckten Gesicht ist in Zusammenhang mit dem weitläufigen braunen Feld und dem aufdringlichen Titel eine perfekte Kombination. Der Titel "Gated" ist ebenfalls eine perfekte Wahl, wobei ich den deutschen Untertitel, welcher ganz eindeutig einen doppelten Boden hat also gleichzeitig auf die Apokalypse hindeutet, aber in Zusammengang mit dem Haupttitel in eine ganz andere Richtung deutet, etwas zu verwirrend finde. Positiv erwähnen möchte ich noch das praktische braune Lesebändchen, das in der gebundenen Ausgabe zu finden ist.


"Ich dachte, wir wären hierhergekommen, um dem Bösen auf der Welt zu entfliehen. Das hier sollte unsere Zuflucht werden. Hier sollte es besser sein. Wir wollten besser sein. Aber das hier ist das Schlimmste, was ich je im Leben gesehen habe."


"Gated", also eingeschlossen, eingesperrt, so fühlt sich Lyla recht bald. Das 17 jährige Mädchen lebt in einer von der Außenwelt abgeschotteten Gemeinde in den USA, die von einem Mann geführt wird, der sich Pioneer nennt. 20 Familien bilden die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows, in der weder so einfache Dinge wie Zeitschriften, Cola, oder Fernsehen erlaubt sind, noch Regelbruch oder etwas anderes als bedingungsloser Gehorsam dankbar wäre. Ihr Leben liegt schon wie in Stein gemeißelt vor ihr: dem gleichaltrigen Will versprochen wird sie ihn heiraten, sobald sie 18 Jahre alt geworden ist und sobald die Apokalypse startet wird die ganze Gemeinde in einen Bunker, dem Silo, unter der Erde ziehen. So hat es zumindest Pioneer in seinen Visionen hervorgesehen. Seine Eingebungen erhält dieser von den "Brüdern", welche er an seine Gemeinde weitergibt und ihnen klar macht, sie seien die wenigen Auserwählten, die das Armageddon überleben sollen. Auch wenn in Lyla ein wenig Unmut über der Entscheidungsmacht Pioneers und ihrer bevorstehenden Partnerschaft mit Will besteht, würde sie nicht im Traum darauf kommen, irgendwelche Grundsätze ihrer Gemeinde in Frage zu stellen. Doch dann lernt sie durch einen Zufall Cody kennen, einen gutaussehenden Jungen von außerhalb, bei dem ihre Gefühle Achterbahn fahren und alle klaren Gedanken verschwinden. Doch ist er wirklich so böse, wie es immer von den Menschen wie ihm behauptet wird, hat er es verdient, im Weltuntergang zu sterben? Mit seiner Hilfe kommt sie einigen Geheimnissen auf die Spur, und bald kommen ihr Zweifel an Pioneers Mission, doch wie soll sie es schaffen seinem wohlüberlegten Netz aus Lügen und vermeintlicher Sicherheit zu entkommen, bevor es zu spät ist...?


"Ich bin gefangen und allein.
Begraben. Das Silo war nie als Zuflucht gedacht. Das begreife ich jetzt. Es sollte von Anfang an ein Sarg werden."


Das Thema Sekte ist für mich buchiges Neuland. Ich habe bis jetzt noch nie ein Roman gelesen, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und habe bis jetzt immer zu der Gruppe Mensch gehört, die kopfschüttelnd abwinkt, wenn sie von solchen Gruppierungen hören und nicht verstehen, wie Leute in solch fantastische Gefilde rutschen können. Diese Geschichte wird es mir in Zukunft einfacher machen, die Gefühle von Leuten in solchen Gruppierung verständlicher zu machen. Die Geschichte beginnt relativ ruhig mit moderaten Beschreibungen Lylas Alltagslebens. Wir lernen die Gemeinde als nette, kleine Zusammenkunft an verschiedenen Familien kennen, die friedlich im hübsches, idyllisches Setting Mandrodage Meadows vor sich hin leben und abgeschottet vom Rest der Welt eine heile Welt leben. Positive Kindheitserinnerungen an Spiele im hohen Gras der Sierra, Reitausflüge auf Lylas geliebtem Pferd Indy und farbenfrohen Landschaftsbilder unterstreichen die scheinbar heile Welt der kleinen Kolonie und räumen dem Leser ein behagliches Gefühl ein.
Da ich zu Beginn angesichts des wirklichen Themas des Buches noch ein wenig im Dunklen tappte, nahm ich sogar wirklich an, dass die Gruppe an Menschen, die wir in Mandrodage Meadows präsentiert bekommen, Auserwählte sind und die Welt bald am untergehen sein wird. Für ganze 20 Seiten habe ich jedes Wort über die Apokalypse für bahre Münze genommen, weshalb es für mich noch viel realistischer und erschreckender erschien, als Lyla langsam begann aufzuwachen.


„Ich sollte mich hier nicht gefangen fühlen, aber jetzt, in diesem Augenblick – und wenn ich ehrlich bin, immer häufiger, empfinde ich es so, ich kann es nicht ändern.“


Die erzählerische Herangehensweise, die Amy Christine Parker hier gewählt hat, passt wunderbar. Sie lässt Lyla selbst aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählen, schiebt jedoch für die Hälfte des Buches jedes zweite Kapitel Rückblicke in die Vergangenheit zum Beispiel zu Karens Verschwinden oder ihre Ankunft in Mandrodage Meadows ein, was es leichter macht, den Hintergrund der Familie nachzuvollziehen. Dadurch dass Lyla selbst erzählt, sind wir näher am Geschehen und erleben ihre Gefühle aus erster Hand, wissen aber auf der anderen Seite nur was sie weiß, wodurch die Spannung weiter aufgebaut werden kann. Daneben ist Amy Parkers Schreibstil recht einfach, nüchtern und kühl ohne emotionale Ausuferungen, dafür umso rasanter und schonungsloser am Ende.


"Es gibt nur noch die Stille. Einen ganzen Ozean davon. Und ich ertrinke darin. Ich weine, bis ich keine Tränen mehr habe. Jetzt ist alles aus. Das hier ist das Ende."


Das Leben in der abgeschotteten Gemeinde wird sehr glaubwürdig und authentisch dargestellt.
Immer wieder tauchen Details auf, die etwas aus dem logischen Rahmen fallen, harte Bestrafungen durch Pioneer, die schon fast an Folter grenzen, monotone Einheitskleidung, Redeverbote mit Außenstehenden, viele kleine Puzzleteile, die die Gemeinschaft schon bald als das outet, was sie wirklich ist: ein von Gewalt und Gehorsam geprägtes Regime, geführt von einem selbstherrlichen Wahnsinnigen. Als das auch langsam zum Rest der Außenwelt durchsickert und ein neugieriger Cherif zusammen mit seinem Sohn vorbeischneit und in Lyla langsam Zweifel zu keimen starten, beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen und es bildet sich eine äußerst beklemmende Sogwirkung aus. Gerade im letzten Drittel steigert sich die Spannung immer weiter und eine Actionszene jagt die nächste. Man leidet mit, hofft mit und fürchtet mit, als Lyla immer verzweifelter versucht, Pioneer und der Gemeinde zu entkommen, alles in allem wird aber gerade im letzten Drittel einiges an Potential zugunsten der Action verschenkt, was zwar unterhaltend ist, noch ein wenig mehr in Lylas Innere zu blicken und verfolgen zu können, was es mit ihr macht, dass ihr Weltbild auseinanderbricht wäre aber fast besser gewesen.


"Ich mag es, wo und wie ich lebe. Weißt du, je kleiner die eigene Welt ist, desto sicherer ist sie auch. Ich kenne vielleicht nicht sämtliche Arten von Junkfood, nicht jeden Film oder jedes Buch, aber dafür muss ich mir auch keine Sorgen machen, dass jemand kommt und einen Menschen wegholt, den ich liebe, oder dass ich etwas esse, was mich irgendwann umbringt, oder mich jeden Morgen fragen, ob heute jemand mit einem Gewehr in meine Schule stürmt und mich oder meine Freunde erschießt oder ob ein Haufen Terroristen das Gebäude in die Luft jagt, in dem meine Eltern arbeiten."


Denn gerade das macht dieses Buch so fesselnd: die junge Protagonistin hängt zwischen zwei Welten, immer knapp an der Grenze zum freien Fall. Ihr Zwiespalt und ihre Entwicklung sind das Kernstück der Geschichte. Auf der einen Seite ist sie naiv, unentschlossen und hat Angst davor, der Wahrheit ins Auge zu blicken, auf der anderen Seite kann man ihr das auf keinen Fall verübeln und muss sie vielmehr für ihre Stärke bewundern, gegen diese Gefühle in sich selbst anzukämpfen und sich gegen alles zu stellen, was sie jemals gekannt und an was sie jemals geglaubt hatte. Anders als ihren Eltern ist ihr keine Blindheit oder Verblendung vorzuwerfen, sie kennt es nicht anders und wächst in dem festen Glauben auf, dass die Welt endet und nur sie und ihre Gruppe überleben können weil sie gut sind; im Herzen rein, im Gegensatz zum Rest der Menschheit, der nur aus Mördern, Dieben und Lügnern besteht.


"Ich bin so froh über euren Eifer. Haltet an ihm fest. Bewahrt ihn in eurem Herzen. Lasst euch von dieser Welt und ihren Menschen nicht in die Irre führen. Nicht jetzt und niemals wieder. Geht in euch. Meditiert weiter darüber, warum wir das alles tun. Wir müssen überleben. Wir sind beauftragt zu überleben. Und wenn das Überleben von uns verlangt, Opfer zu bringen, dann ist es eben so. Lasst den Countdown beginnen.“


Ihr wird ein klares Weltbild vorgegeben, eins von schwarz und weiß, gut und böse und sie gehört zu den Guten in dieser Welt. Warum daran zweifeln, alles in Frage stellen, was man denkt und sich selbst vom moralisch hohen Ross herunterholen? Weil es falsch ist und das ganze Ross aus Lügen besteht, klar, doch das muss man sich erst einmal eingestehen. Und genau hier setzt die Geschichte an. Es ist faszinierend, berührend und erschreckend zu gleich, in welche Dilemmas Lyla hineinrutscht und welche Gräuel und Grausamkeiten sie erdulden muss, bis sie endlich versteht, dass das eigentliche Übel mitten unter ihnen sitzt und seinen Namen trägt: Pioneer.


"Gib einem Kind das, was es sich am meisten wünscht, und es legt dir sein Herz in die Hände."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Er ist die zweite Säule, auf dem dieser Roman gebaut ist, ein wahrlich genialer Antagonist, den ich -wäre er nicht so unfassbar abstoßend gewesen- aus tiefstem Herzen gemocht hätte. Er ist der Inbegriff eines religiösen Fanatikers mit Visionen, die zwar keiner vorhandenen Sekte der Welt gleicht, der jedoch ziemlich dieselben Methoden benutzt, um seine Leute gefügig zu machen. Er weiß ganz genau, welche Knöpfe er drücken muss, um die Menschen unter ihm gekonnt zu manipulieren. Mit profanen, teilweise sehr schlichten Mitteln schafft er es, sich auf charmante Art und Weise in das Herz von Menschen in Notsituationen oder Schwächeperioden zu schleichen und sich dann zu einer Art Erlöser aufzuspielen und sie in sein Netz aus Lügen und vermeintlicher Sicherheit einzuwickeln, dem keiner entfliehen kann. Es ist wirklich erschreckend, wie schnell er es geschafft hat, ganz normale, rational denkende Bürger dazu zu bringen, ihr ganzes bisheriges Leben einfach hinter sich zu lassen und sich einen hirnrissigen Glauben einreden zu lassen, nur um sie von ihren Problemen und Schicksalsschlägen abzulenken. Von den anderen Familien erfährt man leider nicht besonders viel, Lylas Familie floh aber vor der Trauer um Karen, die als Kind entführt und nie gefunden wurde. Wenn man einfach der Realität entfliehen kann, die Welt ausblenden will, dann haben Leute wie Pioneer leichtes Spiel.


"Zwölf Tage ist nicht lange genug. Ich merke, wie ich insgeheim bete und hoffe, dass sie mich erhören. Ich flehe um mehr Zeit, um mehr Mut... um ein Wunder."


Das ist es, wonach sich die Gemeindemitglieder sehnen: Sicherheit. In diesem Roman schwingt eine ganze Menge Kritik an allem mit, was in der Welt nicht optimal läuft: "Keine Welt kann weiter existieren, in der Kinder von der eigenen Türschwelle weggeholt werden, aus Familien, die sie lieben. Terrorosten jagen Flugzeuge in Gebäude; Männer schlagen Frauen; Kinder, Teenager erschießen ihre Klassenkameraden und Länder führen gegeneinander Krieg."
Doch auch wenn die Welt voller "Bösem" ist, wie Lylas Mutter Pioneer nur zu gerne nachplappert nachdem ihre Tochter entführt wurde und seitdem nicht mehr auffindbar ist, zeigt dieser Roman auch auf, was man neben Junkfood und Promiklatsch noch alles vermissen würde, wenn man sich ganz der Sicherheit verschreibt: Freiheit. So wird wieder die altbekannte Diskussion ausgelöst, was denn nun wichtiger ist, frei zu sein oder sich sicher zu fühlen. Im besten Falle schließen sich diese zwei Optionen nicht aus, doch hier in der Geschichte würde Lyla wohl die Freiheit wählen während ihre Eltern die Sicherheit vorziehen. Und sie liefert auch die Antwort, wieso: "Weil es leichter ist aufzugeben, als wieder in diese Welt hinauszumüssen." Deshalb lässt sie sich nur zu gerne anlügen und einsperren, ganz in eine andere Realität entführen, was mich wirklich berührt und verstört hat.


"Grenzen sind gut für Menschen; sie geben ihnen Sicherheit. Wenn ihnen die Welt zu offen steht, ziehen sie womöglich los und kommen auf dumme Ideen."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Besonders beklemmend sind die Zitate Pioneers, die die Kapitelanfänge zieren, bis sie irgendwann schleichend, dann aber immer häufiger von realen Personen wie Jim Jones, dem ehemaligen Sektenführer des Peoples Temple, Charles Mansons oder David Koresh, dem Anführer der Branch Davidians, abgelöst werden. Wer die Geschichte der Peoples Temple kennt, wird sehen, dass hier klare Parallelen gezogen werden, die der Geschichte einen weiteren eindrücklichen Ernst verleihen. Denn so abgedreht und verrückt die Handlung manchmal auch wirken mag, sie ist nicht weit von der Realität vieler Menschen entfernt. Gerade in den USA gibt es etliche Sekten, es gibt also in der Tat einige Menschen für die der dargestellte Thriller bittere Realität ist.


"Wenn man jemanden wirklich liebt muss man bereit sein, alles zu tun, was nötig ist, damit er lernt und wächst, selbst wenn es für beide schmerzhaft ist."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Cody, der Love Interest dieser Geschichte bleibt sehr blass, was mir hier sehr gut gefallen hat. Seine Präsenz ist genau so dosiert, dass er zwar den Stein ins Rollen bringt, aber nicht die Geschichte ins Klischeehafte abstürzen lässt und Aufmerksamkeit von Lyla auf die Liebesgeschichte verschiebt. Im Gegenteil: er bleibt dezent im Hintergrund und vielmehr die Verwandlung von Lyla und die Vorbereitungen der Gemeinde auf den Untergang der Welt stehen im Fokus des Lesers.


"Es ist Cody, den ich will, und egal wie sehr ich das wegzurationalisieren versuche, es wird nichts daran ändern. Was immer das hier sein mag, es ist alles andere als rational - es ist verrückt, dumm, rücksichtslos ... und irgendwie absolut richtig. (...) Er ist mein Cheeto - nicht gut für mich, aber jetzt, wo ich auf den Geschmack gekommen bin, kann ich nicht mehr von ihm lassen."


Das Ende ist nach dem schonungslosen Showdown eigentlich recht abgeschlossen, ich werde aber auf jeden Fall in naher Zukunft zum zweiten Teil "Gated - Sie sind überall" greifen, welches die Geschichte um Lyla und Pioneer noch weiterführt.


"In der Gemeinde erschien das Leben perfekt. Ich dachte, das Böse lebe außerhalb unserer Mauern - ich habe mich geirrt."
-Lyla Hamilton, Mitglied der Gemeinde-




Fazit:

Ein fesselnder Jugendroman über die gefährlichen Verstrickungen einer Sekte und die Selbstfindung eines jungen Mädchens: aufkratzend, authentisch, hartnäckig und hochspannend

Veröffentlicht am 14.02.2018

"Wir waren etwas Besonderes. Wir waren auserwählt. Wir würden die Überlebenden sein."

Gated - Die letzten 12 Tage
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Allgemeines:

Titel: Gated - die letzten 12 Tage
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. September 2014)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423760982
ISBN-13: 978-3423760980
ASIN: B00K0NE2BK
Vom ...

Allgemeines:

Titel: Gated - die letzten 12 Tage
Autor: Amy Christine Parker
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. September 2014)
Genre: Thriller
ISBN-10: 3423760982
ISBN-13: 978-3423760980
ASIN: B00K0NE2BK
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 14 - 16 Jahre
Originaltitel: Gated
Seitenzahl: 336 Seiten
Preis: 14,99€ (Kindle-Edition)
16,95€ (Gebundene Ausgabe)
Weitere Bände: Gated - Sie sind überall



Inhalt:

"Wir waren etwas Besonderes. Wir waren auserwählt. Wir würden die Überlebenden sein."

Bis vor Kurzem glaubte die siebzehnjährige Lyla, die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows, in der sie mit ihrer Familie lebt, bewahre sie vor dem Bösen in der Welt und dem bevorstehenden Weltuntergang. Dann trifft sie Cody, einen Jungen von außerhalb, und stellt fest, dass sie in Wahrheit in einem perfiden Unterdrückungssystem gefangen ist. Doch Lylas Versuch, gegen Pioneer, den ebenso charismatischen wie gefährlichen Führer der Gemeinschaft, zu rebellieren, führt zum Kampf.
Furchterregend, bedrohlich und erschreckend wahr


Bewertung:

Erster Satz: „Diesmal schießt du, um zu töten, okay?“

Mit diesem Satz beginnt "Gated", welches schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf meinem SuB liegt und von dem ich eigentlich dachte, einen düsteren Endzeit-Thriller vor mir zu haben. Gerade weil das wirkliche Thema ein wenig an meinen Apokalypsen-Erwartungen vorbeiging, konnte mich der Roman aber auf eine ganz hartnäckige Weise fesseln. Der Roman ist eine einzige klare Warnung und schildert das langsame Aufwachen eines jungen Mädchens in einer Sekte, das beginnt an den Worten ihres Anführers zu zweifeln, ihr Leben in der Gemeinschaft zu hinterfragen und versucht aus einem Leben zu entfliehen, dem sie sich nicht gewachsen fühlt.


„Sie sind meine Leute. Meine Gemeinde. Meine Familie. Ich kann mir nicht länger um den Rest der Welt Gedanken machen. Ihr Schicksal wurde vor langer Zeit entschieden – genau wie meins.“


Das Cover lässt mit der düsteren Grundstimmung und dem übernatürlich anmutenden Licht am Ende der Dunkelheit eher an ein Weltuntergangsszenario denken, als an einen Thriller um eine außer Kontrolle geratene Sekte, trotzdem finde ich, passt es ganz gut. Das dunkle Braun mit dem mysteriösen Vignetten-Effekt verbreitet eine packende, geheimnisvolle Stimmung und auch die Silhouette des Mädchens, das auf ein helles Licht zuhält stimmt den Betrachter auf die Geschichte ein. Trotz der mystischen Ausstrahlung und der interessanten Machart gefällt mir aber einfach der Farbton nicht und um ein wirklicher Eye-Catcher zu sein. Die englische Originalversion (links) hingegen ist in wahrhaftiger Horrormanier gehalten. Das Mädchen mit dem gelben Kleid und dem von Haaren verdeckten Gesicht ist in Zusammenhang mit dem weitläufigen braunen Feld und dem aufdringlichen Titel eine perfekte Kombination. Der Titel "Gated" ist ebenfalls eine perfekte Wahl, wobei ich den deutschen Untertitel, welcher ganz eindeutig einen doppelten Boden hat also gleichzeitig auf die Apokalypse hindeutet, aber in Zusammengang mit dem Haupttitel in eine ganz andere Richtung deutet, etwas zu verwirrend finde. Positiv erwähnen möchte ich noch das praktische braune Lesebändchen, das in der gebundenen Ausgabe zu finden ist.


"Ich dachte, wir wären hierhergekommen, um dem Bösen auf der Welt zu entfliehen. Das hier sollte unsere Zuflucht werden. Hier sollte es besser sein. Wir wollten besser sein. Aber das hier ist das Schlimmste, was ich je im Leben gesehen habe."


"Gated", also eingeschlossen, eingesperrt, so fühlt sich Lyla recht bald. Das 17 jährige Mädchen lebt in einer von der Außenwelt abgeschotteten Gemeinde in den USA, die von einem Mann geführt wird, der sich Pioneer nennt. 20 Familien bilden die Gemeinschaft von Mandrodage Meadows, in der weder so einfache Dinge wie Zeitschriften, Cola, oder Fernsehen erlaubt sind, noch Regelbruch oder etwas anderes als bedingungsloser Gehorsam dankbar wäre. Ihr Leben liegt schon wie in Stein gemeißelt vor ihr: dem gleichaltrigen Will versprochen wird sie ihn heiraten, sobald sie 18 Jahre alt geworden ist und sobald die Apokalypse startet wird die ganze Gemeinde in einen Bunker, dem Silo, unter der Erde ziehen. So hat es zumindest Pioneer in seinen Visionen hervorgesehen. Seine Eingebungen erhält dieser von den "Brüdern", welche er an seine Gemeinde weitergibt und ihnen klar macht, sie seien die wenigen Auserwählten, die das Armageddon überleben sollen. Auch wenn in Lyla ein wenig Unmut über der Entscheidungsmacht Pioneers und ihrer bevorstehenden Partnerschaft mit Will besteht, würde sie nicht im Traum darauf kommen, irgendwelche Grundsätze ihrer Gemeinde in Frage zu stellen. Doch dann lernt sie durch einen Zufall Cody kennen, einen gutaussehenden Jungen von außerhalb, bei dem ihre Gefühle Achterbahn fahren und alle klaren Gedanken verschwinden. Doch ist er wirklich so böse, wie es immer von den Menschen wie ihm behauptet wird, hat er es verdient, im Weltuntergang zu sterben? Mit seiner Hilfe kommt sie einigen Geheimnissen auf die Spur, und bald kommen ihr Zweifel an Pioneers Mission, doch wie soll sie es schaffen seinem wohlüberlegten Netz aus Lügen und vermeintlicher Sicherheit zu entkommen, bevor es zu spät ist...?


"Ich bin gefangen und allein.
Begraben. Das Silo war nie als Zuflucht gedacht. Das begreife ich jetzt. Es sollte von Anfang an ein Sarg werden."


Das Thema Sekte ist für mich buchiges Neuland. Ich habe bis jetzt noch nie ein Roman gelesen, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt und habe bis jetzt immer zu der Gruppe Mensch gehört, die kopfschüttelnd abwinkt, wenn sie von solchen Gruppierungen hören und nicht verstehen, wie Leute in solch fantastische Gefilde rutschen können. Diese Geschichte wird es mir in Zukunft einfacher machen, die Gefühle von Leuten in solchen Gruppierung verständlicher zu machen. Die Geschichte beginnt relativ ruhig mit moderaten Beschreibungen Lylas Alltagslebens. Wir lernen die Gemeinde als nette, kleine Zusammenkunft an verschiedenen Familien kennen, die friedlich im hübsches, idyllisches Setting Mandrodage Meadows vor sich hin leben und abgeschottet vom Rest der Welt eine heile Welt leben. Positive Kindheitserinnerungen an Spiele im hohen Gras der Sierra, Reitausflüge auf Lylas geliebtem Pferd Indy und farbenfrohen Landschaftsbilder unterstreichen die scheinbar heile Welt der kleinen Kolonie und räumen dem Leser ein behagliches Gefühl ein.
Da ich zu Beginn angesichts des wirklichen Themas des Buches noch ein wenig im Dunklen tappte, nahm ich sogar wirklich an, dass die Gruppe an Menschen, die wir in Mandrodage Meadows präsentiert bekommen, Auserwählte sind und die Welt bald am untergehen sein wird. Für ganze 20 Seiten habe ich jedes Wort über die Apokalypse für bahre Münze genommen, weshalb es für mich noch viel realistischer und erschreckender erschien, als Lyla langsam begann aufzuwachen.


„Ich sollte mich hier nicht gefangen fühlen, aber jetzt, in diesem Augenblick – und wenn ich ehrlich bin, immer häufiger, empfinde ich es so, ich kann es nicht ändern.“


Die erzählerische Herangehensweise, die Amy Christine Parker hier gewählt hat, passt wunderbar. Sie lässt Lyla selbst aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählen, schiebt jedoch für die Hälfte des Buches jedes zweite Kapitel Rückblicke in die Vergangenheit zum Beispiel zu Karens Verschwinden oder ihre Ankunft in Mandrodage Meadows ein, was es leichter macht, den Hintergrund der Familie nachzuvollziehen. Dadurch dass Lyla selbst erzählt, sind wir näher am Geschehen und erleben ihre Gefühle aus erster Hand, wissen aber auf der anderen Seite nur was sie weiß, wodurch die Spannung weiter aufgebaut werden kann. Daneben ist Amy Parkers Schreibstil recht einfach, nüchtern und kühl ohne emotionale Ausuferungen, dafür umso rasanter und schonungsloser am Ende.


"Es gibt nur noch die Stille. Einen ganzen Ozean davon. Und ich ertrinke darin. Ich weine, bis ich keine Tränen mehr habe. Jetzt ist alles aus. Das hier ist das Ende."


Das Leben in der abgeschotteten Gemeinde wird sehr glaubwürdig und authentisch dargestellt.
Immer wieder tauchen Details auf, die etwas aus dem logischen Rahmen fallen, harte Bestrafungen durch Pioneer, die schon fast an Folter grenzen, monotone Einheitskleidung, Redeverbote mit Außenstehenden, viele kleine Puzzleteile, die die Gemeinschaft schon bald als das outet, was sie wirklich ist: ein von Gewalt und Gehorsam geprägtes Regime, geführt von einem selbstherrlichen Wahnsinnigen. Als das auch langsam zum Rest der Außenwelt durchsickert und ein neugieriger Cherif zusammen mit seinem Sohn vorbeischneit und in Lyla langsam Zweifel zu keimen starten, beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen und es bildet sich eine äußerst beklemmende Sogwirkung aus. Gerade im letzten Drittel steigert sich die Spannung immer weiter und eine Actionszene jagt die nächste. Man leidet mit, hofft mit und fürchtet mit, als Lyla immer verzweifelter versucht, Pioneer und der Gemeinde zu entkommen, alles in allem wird aber gerade im letzten Drittel einiges an Potential zugunsten der Action verschenkt, was zwar unterhaltend ist, noch ein wenig mehr in Lylas Innere zu blicken und verfolgen zu können, was es mit ihr macht, dass ihr Weltbild auseinanderbricht wäre aber fast besser gewesen.


"Ich mag es, wo und wie ich lebe. Weißt du, je kleiner die eigene Welt ist, desto sicherer ist sie auch. Ich kenne vielleicht nicht sämtliche Arten von Junkfood, nicht jeden Film oder jedes Buch, aber dafür muss ich mir auch keine Sorgen machen, dass jemand kommt und einen Menschen wegholt, den ich liebe, oder dass ich etwas esse, was mich irgendwann umbringt, oder mich jeden Morgen fragen, ob heute jemand mit einem Gewehr in meine Schule stürmt und mich oder meine Freunde erschießt oder ob ein Haufen Terroristen das Gebäude in die Luft jagt, in dem meine Eltern arbeiten."


Denn gerade das macht dieses Buch so fesselnd: die junge Protagonistin hängt zwischen zwei Welten, immer knapp an der Grenze zum freien Fall. Ihr Zwiespalt und ihre Entwicklung sind das Kernstück der Geschichte. Auf der einen Seite ist sie naiv, unentschlossen und hat Angst davor, der Wahrheit ins Auge zu blicken, auf der anderen Seite kann man ihr das auf keinen Fall verübeln und muss sie vielmehr für ihre Stärke bewundern, gegen diese Gefühle in sich selbst anzukämpfen und sich gegen alles zu stellen, was sie jemals gekannt und an was sie jemals geglaubt hatte. Anders als ihren Eltern ist ihr keine Blindheit oder Verblendung vorzuwerfen, sie kennt es nicht anders und wächst in dem festen Glauben auf, dass die Welt endet und nur sie und ihre Gruppe überleben können weil sie gut sind; im Herzen rein, im Gegensatz zum Rest der Menschheit, der nur aus Mördern, Dieben und Lügnern besteht.


"Ich bin so froh über euren Eifer. Haltet an ihm fest. Bewahrt ihn in eurem Herzen. Lasst euch von dieser Welt und ihren Menschen nicht in die Irre führen. Nicht jetzt und niemals wieder. Geht in euch. Meditiert weiter darüber, warum wir das alles tun. Wir müssen überleben. Wir sind beauftragt zu überleben. Und wenn das Überleben von uns verlangt, Opfer zu bringen, dann ist es eben so. Lasst den Countdown beginnen.“


Ihr wird ein klares Weltbild vorgegeben, eins von schwarz und weiß, gut und böse und sie gehört zu den Guten in dieser Welt. Warum daran zweifeln, alles in Frage stellen, was man denkt und sich selbst vom moralisch hohen Ross herunterholen? Weil es falsch ist und das ganze Ross aus Lügen besteht, klar, doch das muss man sich erst einmal eingestehen. Und genau hier setzt die Geschichte an. Es ist faszinierend, berührend und erschreckend zu gleich, in welche Dilemmas Lyla hineinrutscht und welche Gräuel und Grausamkeiten sie erdulden muss, bis sie endlich versteht, dass das eigentliche Übel mitten unter ihnen sitzt und seinen Namen trägt: Pioneer.


"Gib einem Kind das, was es sich am meisten wünscht, und es legt dir sein Herz in die Hände."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Er ist die zweite Säule, auf dem dieser Roman gebaut ist, ein wahrlich genialer Antagonist, den ich -wäre er nicht so unfassbar abstoßend gewesen- aus tiefstem Herzen gemocht hätte. Er ist der Inbegriff eines religiösen Fanatikers mit Visionen, die zwar keiner vorhandenen Sekte der Welt gleicht, der jedoch ziemlich dieselben Methoden benutzt, um seine Leute gefügig zu machen. Er weiß ganz genau, welche Knöpfe er drücken muss, um die Menschen unter ihm gekonnt zu manipulieren. Mit profanen, teilweise sehr schlichten Mitteln schafft er es, sich auf charmante Art und Weise in das Herz von Menschen in Notsituationen oder Schwächeperioden zu schleichen und sich dann zu einer Art Erlöser aufzuspielen und sie in sein Netz aus Lügen und vermeintlicher Sicherheit einzuwickeln, dem keiner entfliehen kann. Es ist wirklich erschreckend, wie schnell er es geschafft hat, ganz normale, rational denkende Bürger dazu zu bringen, ihr ganzes bisheriges Leben einfach hinter sich zu lassen und sich einen hirnrissigen Glauben einreden zu lassen, nur um sie von ihren Problemen und Schicksalsschlägen abzulenken. Von den anderen Familien erfährt man leider nicht besonders viel, Lylas Familie floh aber vor der Trauer um Karen, die als Kind entführt und nie gefunden wurde. Wenn man einfach der Realität entfliehen kann, die Welt ausblenden will, dann haben Leute wie Pioneer leichtes Spiel.


"Zwölf Tage ist nicht lange genug. Ich merke, wie ich insgeheim bete und hoffe, dass sie mich erhören. Ich flehe um mehr Zeit, um mehr Mut... um ein Wunder."


Das ist es, wonach sich die Gemeindemitglieder sehnen: Sicherheit. In diesem Roman schwingt eine ganze Menge Kritik an allem mit, was in der Welt nicht optimal läuft: "Keine Welt kann weiter existieren, in der Kinder von der eigenen Türschwelle weggeholt werden, aus Familien, die sie lieben. Terrorosten jagen Flugzeuge in Gebäude; Männer schlagen Frauen; Kinder, Teenager erschießen ihre Klassenkameraden und Länder führen gegeneinander Krieg."
Doch auch wenn die Welt voller "Bösem" ist, wie Lylas Mutter Pioneer nur zu gerne nachplappert nachdem ihre Tochter entführt wurde und seitdem nicht mehr auffindbar ist, zeigt dieser Roman auch auf, was man neben Junkfood und Promiklatsch noch alles vermissen würde, wenn man sich ganz der Sicherheit verschreibt: Freiheit. So wird wieder die altbekannte Diskussion ausgelöst, was denn nun wichtiger ist, frei zu sein oder sich sicher zu fühlen. Im besten Falle schließen sich diese zwei Optionen nicht aus, doch hier in der Geschichte würde Lyla wohl die Freiheit wählen während ihre Eltern die Sicherheit vorziehen. Und sie liefert auch die Antwort, wieso: "Weil es leichter ist aufzugeben, als wieder in diese Welt hinauszumüssen." Deshalb lässt sie sich nur zu gerne anlügen und einsperren, ganz in eine andere Realität entführen, was mich wirklich berührt und verstört hat.


"Grenzen sind gut für Menschen; sie geben ihnen Sicherheit. Wenn ihnen die Welt zu offen steht, ziehen sie womöglich los und kommen auf dumme Ideen."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Besonders beklemmend sind die Zitate Pioneers, die die Kapitelanfänge zieren, bis sie irgendwann schleichend, dann aber immer häufiger von realen Personen wie Jim Jones, dem ehemaligen Sektenführer des Peoples Temple, Charles Mansons oder David Koresh, dem Anführer der Branch Davidians, abgelöst werden. Wer die Geschichte der Peoples Temple kennt, wird sehen, dass hier klare Parallelen gezogen werden, die der Geschichte einen weiteren eindrücklichen Ernst verleihen. Denn so abgedreht und verrückt die Handlung manchmal auch wirken mag, sie ist nicht weit von der Realität vieler Menschen entfernt. Gerade in den USA gibt es etliche Sekten, es gibt also in der Tat einige Menschen für die der dargestellte Thriller bittere Realität ist.


"Wenn man jemanden wirklich liebt muss man bereit sein, alles zu tun, was nötig ist, damit er lernt und wächst, selbst wenn es für beide schmerzhaft ist."
-Pioneer, Gemeindeführer-


Cody, der Love Interest dieser Geschichte bleibt sehr blass, was mir hier sehr gut gefallen hat. Seine Präsenz ist genau so dosiert, dass er zwar den Stein ins Rollen bringt, aber nicht die Geschichte ins Klischeehafte abstürzen lässt und Aufmerksamkeit von Lyla auf die Liebesgeschichte verschiebt. Im Gegenteil: er bleibt dezent im Hintergrund und vielmehr die Verwandlung von Lyla und die Vorbereitungen der Gemeinde auf den Untergang der Welt stehen im Fokus des Lesers.


"Es ist Cody, den ich will, und egal wie sehr ich das wegzurationalisieren versuche, es wird nichts daran ändern. Was immer das hier sein mag, es ist alles andere als rational - es ist verrückt, dumm, rücksichtslos ... und irgendwie absolut richtig. (...) Er ist mein Cheeto - nicht gut für mich, aber jetzt, wo ich auf den Geschmack gekommen bin, kann ich nicht mehr von ihm lassen."


Das Ende ist nach dem schonungslosen Showdown eigentlich recht abgeschlossen, ich werde aber auf jeden Fall in naher Zukunft zum zweiten Teil "Gated - Sie sind überall" greifen, welches die Geschichte um Lyla und Pioneer noch weiterführt.


"In der Gemeinde erschien das Leben perfekt. Ich dachte, das Böse lebe außerhalb unserer Mauern - ich habe mich geirrt."
-Lyla Hamilton, Mitglied der Gemeinde-




Fazit:

Ein fesselnder Jugendroman über die gefährlichen Verstrickungen einer Sekte und die Selbstfindung eines jungen Mädchens: aufkratzend, authentisch, hartnäckig und hochspannend.