Familiengeschichte - spannend und ironisch verpackt
Mit „Salomes Tanz“ ist Doro May eine außergewöhnliche, skurrile, spannende, wahnwitzige und tragische Familiengeschichte gelungen. Wie sehr doch die Wahrnehmung eines Kindes von der des Erwachsenen abweicht! ...
Mit „Salomes Tanz“ ist Doro May eine außergewöhnliche, skurrile, spannende, wahnwitzige und tragische Familiengeschichte gelungen. Wie sehr doch die Wahrnehmung eines Kindes von der des Erwachsenen abweicht!
Als 3jähriges Mädchen kommt Marianne zu ihrer Großmutter ins Haus. Dort wächst sie bald in den Nachkriegsjahren nicht nur inmitten der Trümmer Essens auf, sondern auch in einer bunten Familie, die keine gemeinsame Blutlinie vereint. Mit Hilfe der Gelddepots ihres verstorbenen Großvaters – in jeder Ritze der geerbten Villa steckt ein Vermögen – leben Oma, Marianne, das traumatisierte Kindermädchen Edith, die Putzfrau Tante Scheffler, Onkel Hermann, Onkel Otto und schließlich die kleinwüchsigen Emil und Margit unter einem Dach. Bald gesellt sich noch der vermeintliche Amerikaner Uncle Billy zu der Truppe, die nur ein Ziel verfolgt: Rache! Rache an einem Mann, der sie während der Nazizeit verraten hat und nun dafür büßen soll. Dazu stellen sie ein Varieté auf die Beine, zu dem sich auch die bekannte Tänzerin Hetty/Paula aus den USA gesellt. Salomes Tanz soll das Highlight des Varietés bilden. Inmitten dieser Zeit wächst also Marianne auf und für sie sind alle Begebenheiten dieser Tage ein einziges Abenteuer – auch wenn sie oft nicht versteht, was die Erwachsenen vor ihren Augen und Ohren treiben.
Die Rahmenhandlung dieser Familiengeschichte spielt in der Gegenwart. Mariannes Enkel Lukas liegt nach einem selbstverschuldeten, schweren Unfall im Krankenhaus und bittet seine Großmutter, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Da er und seine Freundin Pia die Erzählung so spannend finden, ist für beide klar, dass Oma Marianne alles aufschreiben muss.
Familiengeschichte … nichts ist so spannend, aufregend, geheimnisvoll, aber auch oft bitter und verstörend wie die eigene Familiengeschichte. Auch ich bin eine s.g. Kriegsenkelin und weiß nur wenig über das Leben meiner Großeltern und Eltern während des 2. Weltkriegs und danach. Meist ist das Trauma dieser Generation viel zu mächtig, als dass die Menschen darüber reden wollen oder überhaupt können. Es musste ja weitergehen und meiner Großmutter blieb mit 6 Kindern keine Zeit, darüber nachzudenken, was sie alles erlebt hat. Es ging nach dem Tod meines Großvaters ums Überleben! Aus dieser Perspektive und mit dem Wissen, dass Marianne aus einer jüdischen Familie stammt, hatte ich Bedenken, ob ich mit dem skurrilen Humor der Geschichte klar kommen würde. Ich wurde eines Besseren belehrt und konnte das Buch kaum zur Seite legen. Auf ganz spezielle Weise hat mich das Buch berührt, entsetzt, gut unterhalten, zum Lachen und Nachdenken gebracht und manchmal stand mir auch einfach der Mund vor Entsetzen oder Sprachlosigkeit offen. Doro May schafft es, den Leser mit auf eine ganz unwirkliche Reise in die Trümmer des Nachkriegsdeutschlands zu nehmen. Trotz der Gräuel und der ungeheuren Taten vieler Menschen blitzt auch Hoffnung durch die Zeilen. Hoffnung, dass eine kleine Gemeinschaft ein Kind auch in den schlimmsten Zeiten behüten und beschützen kann. Bei allem Humor hatte ich nie das Gefühl, dass hier Menschen der Lächerlich preisgegeben wurden. Ich denke, dass ein gewisser Galgenhumor viele davor bewahrt hat, nach so manchem Trauma nicht völlig durchzudrehen. Der Schreibstil der Autorin ist mal bissig, nachdenklich, oft knallhart und sie erschafft neue Wörter, die so nicht im Duden zu finden sind. Mariannes Familiengeschichte ist manchmal nur schwer zu verkraften und zeigt, wie eine noch so kleine Entscheidung das Leben vieler Menschen nachhaltig verändern kann. Da „helfen“ oft nur ein, zwei, drei Ouzo oder ein „Metternich“ mit Saft oder ohne.