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Veröffentlicht am 16.04.2018

Fesselnder zweiter Fall für Journalistin Nora Sand!

Das Meer löscht alle Spuren
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Nora Sand, Auslandskorrespondentin ihrer dänischen Zeitung in London, ist gerade glücklich mit ihrer neuen Liebe Andreas, als ein neuer Fall hereinschneit: Der bekannte iranische Dichter Manash Ishmail ...

Nora Sand, Auslandskorrespondentin ihrer dänischen Zeitung in London, ist gerade glücklich mit ihrer neuen Liebe Andreas, als ein neuer Fall hereinschneit: Der bekannte iranische Dichter Manash Ishmail sitzt in Dänemark in einem Flüchtlingsheim und möchte nur mit ihr sprechen. Bei ihrem Gespräch mit ihm äußert er eine ungewöhnliche und dringliche Bitte: Nora soll seine Frau Amina finden, die er in London vermutet. Die beiden wurden bei ihrer Flucht aus dem Iran getrennt. Nora macht sich an die Arbeit und taucht bald tief in den Fall ein, sie trifft auf skrupellose Flüchtlingsheimbetreiber, zwielichtige Sicherheitsfirmen und gefängnisartige Abschiebelager sowie ein dubioses Pharmaunternehmen, das kurz vor dem Release eines angeblich Bahn brechenden neuen Diätmittels steht. Wie das alles zusammenhängt, klärt sich erst ganz zum Schluss und erschüttert nicht nur Nora…

Großartiger, super spannender zweiter Fall für Journalistin Nora Sand, die für ihre Zeitung „Globalt“ mal wieder heißen Stories hinterherjagt. Von ihrem Chef Krebs bekommt sie immer gleich mehrere Stories aufs Auge gedrückt, von denen einige auf wundersame Weise miteinander zusammenhängen. Wie die Autorin die Fälle verknüpft und die Spannung stetig steigert, ist bemerkenswert und zeugt von großer Erzählkunst. Dies ist ein rasanter Thriller, der mehrere Aspekte in sich vereint: Es ist nicht nur ein spannender Krimi, bei dem die Protagonistin mehr als einmal bedroht wird und sogar in Lebensgefahr gerät, er bietet zudem tiefe Einblicke in die fiesen Machenschaften gleich mehrerer Profit gieriger Unternehmenszweige, prangert die Flüchtlingspolitik an und bietet außerdem noch viel Emotionen, fesselnde Charaktere und nicht zuletzt eine große Liebesgeschichte. Wer Nora aus dem ersten Band „Die Mädchen von der Englandfähre“ kennt, weiß wie sie arbeitet. Ich finde immer am faszinierendsten, wie sie ihre Kontakte nutzt, Informationen hinterher jagt, sich nicht verzettelt, sondern immer fokussiert bleibt, sich für nichts zu schade ist und sich wie ein Terrier verbeißt. Sie findet immer eine Lösung, geht dabei auch hohe Risiken ein und kämpft immer dafür die Wahrheit herauszufinden.

In diesem Band kommt in noch höherem Maße der private Aspekt dazu. Ihre beginnende Liebesgeschichte mit Andreas treibt sie stark um, was mir manchmal ein bisschen zu viel war. Positiv ist jedoch, dass der Fall immer im Vordergrund steht und die Story nie ins zu Emotionale abgleitet. Dies ist ein Fall mit vielen Wendungen und die Lösung zeigt sich erst nach mühevoller Recherchearbeit, vielen Gesprächen und einigen gefahrvollen Aktionen Noras. Noras Persönlichkeit steht sehr im Vordergrund der Geschichte, die Vielfältigkeit ihres Charakters wird hier einmal mehr deutlich. Sie ist stark, aber auch verletzlich, wie sich sehr deutlich in ihrer Beziehung zu Andreas zeigt. Trotz ihrer Risikobereitschaft und des Drucks, den sie auf andere Menschen ausüben kann, wenn sie Informationen will, ist sie aber immer auch empathisch und ihre Handlungsweise dient immer dem guten Zweck. Als Persönlichkeit neben Nora fand ich eigentlich nur ihren Chef Krebs und ihren Bruder David interessant. Der eine oder andere Kontakt Noras ist ebenfalls so interessant, dass man gerne mehr über ihn oder sie erfahren würde, aber alles in allem bleiben alle anderen Nebenfiguren, von denen viele zur Lösung beitragen.

Fazit: Sehr gelungener zweiter Fall für Nora Sand, aufwühlend, fesselnd und absolut überzeugend. Auch für Einsteiger geeignet, es wird zwar ab und an Bezug auf den für Nora sehr traumatischen ersten Fall genommen, dies tut dem Lesevergnügen aber keinen Abbruch und steigert eher die Lust den ersten Band ebenfalls zu lesen, falls noch nicht geschehen. In mir hat Nora Sand sowieso einen Fan, ich finde ihre Persönlichkeit einfach faszinierend und mir gefallen die Komplexität der Fälle und ihre Recherchemethoden. Diesen konnte ich kaum aus der Hand legen und ich freue mich schon auf weitere geheime Machenschaften und Geschichten, die Nora aufdecken wird!

Veröffentlicht am 10.03.2018

Gefühlvolle Geschichte über Schuld und Buße und neuen Lebensmut

Bis zum Himmel und zurück
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Katja Erlen ist Ende zwanzig, Drehbuchautorin und lebt alleine – also eigentlich. Nach einem schrecklichen Erlebnis in ihrer Kindheit und einen daraus resultierenden Klinikaufenthalt ist ihre Familie zerbrochen, ...

Katja Erlen ist Ende zwanzig, Drehbuchautorin und lebt alleine – also eigentlich. Nach einem schrecklichen Erlebnis in ihrer Kindheit und einen daraus resultierenden Klinikaufenthalt ist ihre Familie zerbrochen, sie ist schnellstmöglich ausgezogen und hat sich inzwischen, 15 Jahre später, recht gemütlich in ihrem Leben eingerichtet, indem sie jedwede Gefühlsregung weggeschlossen hat und alles vermeidet, was eine solche auslösen könnte. Eine engere Bindung hat sie nur zur zu ihrer besten Freundin Alexa. Selbst ihr Freund Ratko kommt nicht wirklich an sie ran. Als sie einen Anruf von ihrer Mutter erhält mit der Nachricht, dass ihr Vater, der wieder geheiratet hat, aufgrund eines Schlaganfalles im Koma liegt, steht für sie sofort fest: Von ihr ist kein Besuch zu erwarten. Da steht auf einmal ein 12jähriger Teenager vor ihrer Tür und behauptet ihre Halbschwester zu sein. Von dem Tag an steht Katjas Leben auf dem Kopf und nichts ist mehr, wie es war....

Sehr berührende Geschichte über Trauer, über die Verarbeitung von Traumata, über Familie und Freundschaft und über Buße. Ein Roman, der den Leser in ein Wechselbad der Gefühle stößt, der humorvoll, witzig, einfühlsam geschrieben ist und der einen in einem Augenblick zum Lachen, im nächsten zum Heulen bringt – ob aus Rührung oder aus Wut oder Trauer und Mitleid. Ich muss gestehen, dass mich die Geschichte richtig überrascht hat – nach dem Klappentext hätte ich eine sicherlich unterhaltsame, aber eher seichte Liebesgeschichte erwartet. Dies ist jedoch viel mehr. Die Verzweiflung und die selbst auferlegte Buße der Hauptfigur Katja ist dermaßen greifbar, dass man mehr als einmal zwischen schütteln und in-den-Arm-nehmen schwankt und ihr unbedingt helfen möchte. Ich habe dermaßen mit ihr mit gelebt, dass ich sie jetzt als sehr gute Freundin ansehe. Die Autorin versteht es hervorragend, ihre Charaktere und deren Gefühlswelt feinfühlig und dennoch stark zu zeichnen und sie sehr real darzustellen. Dies und ihr sehr eingängiger, einerseits lockerer, aber eben auch sehr auf die Figuren ausgerichteter Schreibstil machen dieses Buch zu einem Pageturner. Zugegeben – man muss schon ein kleines bisschen masochistisch veranlagt sein und die wechselvollen Gefühle zulassen wollen, um da durchzuhalten. Es ist eben nicht romantisch und alles Friede-Freude-Eierkuchen und man weiß auch nicht unbedingt sofort, worauf alles hinausläuft, sondern es geht um ein nie verarbeitetes, knallhartes Kindheitstrauma, um ein Kind, das dreifach verlassen wurde, das eine Mauer um sich herum errichtet hat und das als Erwachsene so voller Selbstverachtung ist, dass ihr ihrer Überzeugung nach sowieso nie etwas Gutes geschehen kann, denn das hat es nicht verdient. Das macht so traurig, dass man wirklich mehr als einmal zum Taschentuch greifen muss.

Natürlich ist die Geschichte auf Hauptfigur Katja ausgerichtet, ihre Geschichte wird erzählt, aus ihrer Perspektive wird berichtet. Ich fand jedoch auch alle anderen Charaktere sehr inspirierend und vielschichtig und oftmals auch sehr überraschend. Die neue Frau des Vaters ist eben keine Zicke, die Halbschwester ist bezaubernd, Freund Ratko beweist doch noch so etwas wie Rückgrat und die Mutter kämpft ebenso mit den Dämonen der Vergangenheit wie ihre Tochter. In dem Zusammenhang hat mich übrigens besonders Freundin Alexa begeistert – auch eine leidvolle Geschichte, aber ein erfrischender trockener Humor und ungeheure Lebenslust und im Übrigen der Beweis, dass man lieber nicht so viele Freunde hat, dafür aber die richtigen.

Fazit: Sehr zu Herzen gehender Roman über die selbst auferlegte Buße einer tief empfundenen Schuld, aber auch über die Verarbeitung eines Traumas, über ein neues Selbstbewusstsein und über Freundschaft und Liebe. Mitunter wirklich sehr traurig, aber auch voller Humor und zum Schluss auch sehr hoffnungsvoll. Nichts für Fans der seichten Liebesgeschichte, sondern eine Geschichte, die nachhallt. Schöööön!

Veröffentlicht am 08.03.2018

Grandioser Krimi um die realen Axtmann-Morde

Höllenjazz in New Orleans
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In der Stadt New Orleans geht zwischen 1918 und dem Frühjahr 1919 ein Serienmörder um, den die Presse medienwirksam „Der Axtmörder“ getauft hat. Er geht äußerst brutal vor und hinterlässt blutige Tatorte, ...

In der Stadt New Orleans geht zwischen 1918 und dem Frühjahr 1919 ein Serienmörder um, den die Presse medienwirksam „Der Axtmörder“ getauft hat. Er geht äußerst brutal vor und hinterlässt blutige Tatorte, aber keine Spuren. Die Polizei tappt im Dunkeln und der ermittelnde Inspektor Michael Talbot steht mächtig unter Druck. Alle Hinweise deuten auf einen Täter aus Mafia-Kreisen hin, doch Die Familie ist unangreifbar. Dennoch will der Pate, der Sizilianer Carlo Matranga, den Mörder finden, und er beauftragt denn frisch aus der Haft entlassenen Ex-Polizisten Luca D'Andrea damit Nachforschungen anzustellen. Parallel zu Talbot und D'Andrea wird die junge Ida Davis von der Detektei Pinkerton auf den Fall aufmerksam, sie stöbert in alten Akten der Detektei und mit der Hilfe ihres sehr guten Freundes, des Jazzmusikers Lewis Armstrong, geht sie ihren eigenen Hinweisen nach. Unabhängig voneinander tauchen die Drei in die schrecklichen Abgründe der an Verderbtheit und Verbrechen nicht eben armen Stadt ein, decken so manchen Skandal auf und kommen nach und nach dem Mörder immer näher. Doch dieser ist ihnen immer einen Schritt voraus....

Was soll ich sagen, bis auf: UN-BE-DINGT LE-SEN!!!! Ich habe selten so ein geniales, spannendes, faszinierendes, atmosphärisch dichtes, sprachlich gewandtes, fesselndes Buch gelesen, bei dem zudem die Charaktere derartig vielschichtig herausgearbeitet wurden, dass eine Authentizität entsteht, die fast schon unheimlich ist. Zugegeben, es gibt viele Tote – aber wir reden hier von einem Serienmörder, die Mafia spielt eine große Rolle, damit muss man umgehen können, und auch mit den ausführlichen Beschreibungen des Autors von Tatorten, Opfern und Folterungen. Die Geschichte fesselt von der ersten Zeile an und nimmt rasend schnell Fahrt auf. Der Spannungsbogen wird stetig vorangetrieben und schnellt schließlich im Finale nochmals und gleich dreifach nach oben! Formal unterteilt in sechs Teile, eingerahmt in Pro- und Epilog, übergibt der Autor in den einzelnen Kapiteln gleich mehreren Protagonisten das Wort. Die verschiedenen Erzählperspektiven geben dem Leser die Möglichkeit, nicht nur der Handlung aus verschiedenen Perspektiven zu folgen, sie machen ihn zudem allwissend und geben ihm eine sehr umfassende Kenntnis des gesamten Geschehens. Der Fall selbst und die Lösung sind sehr komplex und somit machen diese drei unterschiedlichen Ermittlungsansätze sehr viel Sinn und geben ein stimmiges Gesamtbild.

Die drei Hauptfiguren, die Ermittler Michael Talbot, Luca D'Andrea und Ida Davis nehmen mit ihren Erzählsträngen den größten Raum ein, aber auch die Nebenfiguren wie der Journalist Riley und auch andere Informanten tragen sehr wesentlich zur Lösung des Falles bei. Alle drei ermitteln mit ihren eigenen Methoden und bringen sich natürlich mehr als einmal in größte Gefahr. Jede Figur verkörpert eine bestimmte ethnische Gruppe, Michael den Weißen irischer Herkunft, D'Andrea den Sizilianer, der in Der Familie aufgefangen wird, aber auch gefangen ist, und schließlich Ida, die sich sowohl als Frau als auch als Mischling gegen einige Übergriffe und Diskriminierungen wehren muss. Ihr Mut und ihre Intelligenz haben mich am meisten beeindruckt, aber auch von Michael und Luca war ich sehr angetan, beide sind zwiegespalten, verbeißen sich aber in den Fall, obwohl sie ihre jeweiligen Systeme - Luca die Mafia, Michael den Polizeiapparat und die Verwaltung, - anzweifeln. Alle haben eine vielschichtige Persönlichkeit, sie haben Ängste und Zweifel und sie scheuen sich auch nicht Menschen zu töten. Aber sie sind auch empathisch und streben nach Gerechtigkeit. Jeder einzelne dieser drei Erzählstränge führt den Fall dem finalen Höhepunkt zu.

Es treten generell sehr viele Figuren auf, doch im Lesefluss fällt diese Menge gar nicht auf, als Leser taucht man einfach in jedem neuen Kapitel aufs Neue in die jeweilige Perspektive ein und hat das Gefühl, nichts verpasst zu haben. Zur Übersicht gibt es aber auch ein Personenregister sowie zudem einen Plan der Stadt. Der Autor schafft es meines Erachtens auf geniale Weise, reale Geschehnisse wie den Brief des Axtmörders und das Leben des berühmten Jazzmusikers Armstrong zu einer spannenden Geschichte zu verknüpfen, bei dem sowohl die Charaktere als auch deren Umgebung bildhaft dargestellt werden und damit sehr real werden. Die Stadt New Orleans als Schmelztiegel sehr unterschiedlicher Sprachen und Kulturen, die Rassentrennung, die Armut, die Wetterkatastrophen, aber auch die Lebenslust der Menschen, ihre Musikalität und ihre Energie, nach schrecklichen Ereignissen wieder aufzustehen, aufzuräumen und weiterhin das Leben zu genießen, all dies wirkt sehr überzeugend. Die tolle detailliert-blumige Sprache des Autors lässt den Leser eintauchen, er lebt nicht nur mit, er ist dabei, er folgt Michael durch die schwülen dunklen Straßen, er sitzt mit Ida in der Straßenbahn, er hört den Jazz auf den Straßen. Die Geschichte ist eine wohlgesetzte Komposition, die einen verschlingt und in sich einsaugt und nicht mehr loslässt, bis man sie bis zur letzten Zeile gelesen hat. Dann erst kann man wieder ausatmen.

Fazit: Schlichtweg großartig und ein herrlicher Lesegenuss. Nichts für zart Besaitete, für alle anderen wärmstens empfohlen. Die Figuren wachsen einem ans Herz, jede ermittelt auf ihre Art und trägt ein Häppchen zur Lösung bei – eine sehr befriedigende Lösung angesichts der Tatsache, dass der reale Mörder nie gefunden wurde. Reale Tatsachen mischen sich aufs Vortrefflichste mit Fiktion, der Autor offenbart immenses Hintergrundwissen und historische Genauigkeit, aber auch ein großartiges erzählerisches Können. Kleine humorvolle Details geben der Geschichte die Würze, ansonsten ist es einfach ein großartiger Krimi vor dem faszinierenden Hintergrund der pulsierenden Südstaatenmetropole und der Hauptstadt des Jazz. In mir hat der Autor jedenfalls einen Riesenfan gefunden und nun hoffe ich inständig, dass Band zwei, auf englisch bereits unter dem Titel Dead Man´s Blues erschienen, schnellstmöglich auch auf deutsch erscheint!

Veröffentlicht am 16.02.2018

Die Frau hinter der Relativitätstheorie

Frau Einstein
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Zürich, 1896: Mileva Maric beginnt ihr Studium der Physik und Mathematik am Polytechnikum. Sie ist die einzige Frau ihres Jahrgangs und erst die fünfte Frau überhaupt, die dafür zugelassen wird. Sie wohnt ...

Zürich, 1896: Mileva Maric beginnt ihr Studium der Physik und Mathematik am Polytechnikum. Sie ist die einzige Frau ihres Jahrgangs und erst die fünfte Frau überhaupt, die dafür zugelassen wird. Sie wohnt in einer Pension mit anderen jungen Studentinnen unterschiedlicher Fachrichtungen. Zu ihren Kommilitonen hat sie wenig Kontakt, einzig Albert Einstein bemüht sich um sie. Die beiden arbeiten, lernen und musizieren zusammen und nach und nach kommen sie sich näher. Schließlich gibt Mileva seinem Werben nach, wird seine Geliebte und schenkt einer Tochter das Leben. Erst als Albert endlich eine feste Anstellung am Berner Patentamt erhält, heiraten sie und bekommen zwei Söhne. Sie ziehen sehr häufig um, immer Alberts Arbeitsstellen geschuldet. Gemeinsam erarbeiten sie die Relativitätstheorie, doch Albert reicht sie nur unter seinem Namen ein – den Namen und den Anteil seiner maßgeblich beteiligten Frau Mileva unterschlägt er, ebenso wie auch in weiteren wissenschaftlichen Arbeiten. In dem Maße wie sein Ruhm wächst, verkümmert Mileva immer mehr zur reinen Hausfrau und Mutter. Nicht nur dass Albert sie betrügt, auch in seine wissenschaftlichen Diskurse bezieht er sie nicht mehr mit ein. Mileva akzeptiert dies lange Zeit und schluckt ihren Groll hinunter, doch schließlich stellt sie nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihr ganzes Leben in Frage.

Dieser Roman ist großartig, berührend, leidenschaftlich, spannend – aber er macht auch wütend. Wütend auf eine Gesellschaft, die Frauen höhere Intelligenz weitgehend abspricht und sie auf die Rolle der Hausfrau und Mutter reduziert. Aber vor allem wütend auf den Mann, der eine Kultfigur ist und von vielen verehrt wird, der als der Popstar unter den Wissenschaftlern gilt und der doch so narzisstisch und respektlos gegenüber seiner Frau ist.
Zunächst einmal kommt das Buch edel daher, schön gebunden, mit einem sehr ansprechenden Umschlag und einem Lesezeichen versehen. Aufgeteilt ist es recht klassisch in drei Teile, eingerahmt in Pro- und Epilog, die beide Milevas nahendes Ende thematisieren. Die Geschichte verläuft chronologisch, die einzelnen Kapitel sind äußerst hilfreich mit Datums- und Ortsangabe versehen. Oft gibt es größere Zeitsprünge, die die Handlung raffen.

Der Schreibstil ist phänomenal! Die Autorin (und in Anlehnung an diese natürlich die Übersetzerin – Respekt!) formuliert bildhaft und eingängig und auch die wissenschaftlichen Ausführungen sind verständlich dargestellt. Vor allem aber geht die Geschichte unter die Haut, was vor allem der Perspektive und der intensiven Einblicke in Milevas Gefühlswelt geschuldet ist. Da die Geschichte in der Ich-Form aus Milevas Sichtweise geschrieben ist, mutet er autobiografisch an und wirkt sehr authentisch. Der Leser ist sofort gefesselt von der Geschichte und von Mileva und dies bleibt bis zuletzt so. Der Roman bezieht auch eindeutig Stellung – Albert wird als egoistisch und auf seinen Vorteil bedacht darstellt, der seiner Frau die Ideen klaut und sie klein hält, der sie belügt und betrügt und der sie sowohl verbal als auch – einmal – physisch erniedrigt. Dies zeichnet sich bereits zu Beginn des Studiums ab, denn er schwänzt sehr häufig die Vorlesungen und benutzt Mileva auch da schon als Schreibkraft, ohne die er zweifellos sein Studium nicht geschafft hätte. Auch da verleugnet er schon Milevas Anteil an den wissenschaftlichen Aufsätzen. Seine Hybris wird immer größer, bis er schließlich sogar selbst glaubt, er sei alleiniger Urheber aller Theorien.

Mileva ist ein faszinierender und tiefsinniger Charakter, nicht nur hochintelligent, auch tiefsinnig, leidenschaftlich, empathisch, liebevoll, eine starke Frau und eine Kämpferin. Durch ihre Eltern erfährt sie viel Unterstützung, und besonders ihr Vater fördert ihr außergewöhnliches mathematisches Talent. Er drängt sie zu studieren und ermöglicht ihr die schulische Bildung, dafür zieht er sogar mit der gesamten Familie um. Umso unverständlicher ist es für mich, dass sie sich so in die Rolle der Hausfrau zurückdrängen lässt und Albert seine Missachtung und Demütigungen immer wieder verzeiht. Dies lässt sich nur durch die Tatsache erklären, dass die Rolle der Frau generell und als unverheiratete im Besonderen in der damaligen Gesellschaft eine untergeordnete, die einer ledigen Mutter jedoch geradezu die einer Geächteten war. Als Ehefrau war Milena, zumal sie keinen Abschluss hatte, finanziell von Albert abhängig, Kinder hatten als Scheidungskinder ein eindeutiges Stigma. Nur so ist verständlich, warum sie es so lange ausgehalten hat. Für Albert kann man insofern Verständnis aufbringen, als dass auch sein Ruf geschädigt gewesen wäre, hätte man von dem unehelichen Kind erfahren. Ihm werfe ich vor, dass er aus purem Egoismus gehandelt und Mileva dann alleine gelassen hat. Für ihn sind letztendlich alle Frauen nicht ernst zu nehmen, sie sind schwach und haben zu gehorchen, während er als Mann alle Rechte hat. Mehr als einmal lag mir wegen seines Verhaltens ein Schimpfwort auf den Lippen. Mileva kann man nur vorwerfen, dass sie Albert in einem Moment der Schwäche nachgegeben und sich durch diese Dummheit in diese für sie verzweifelte Situation gebracht hat. Denn dass Albert unzuverlässig ist, wusste sie vorher bereits. Trotzdem geht sie mir als Persönlichkeit sehr nahe und ich durchlebte mit ihr alle Höhen und Tiefen.

Fazit: Der Roman ist sehr gut recherchiert und einige Begebenheiten sind historisch verbürgt, wie zum Beispiel die Bedingungen für die Ehe, die Albert Mileva hatte diktieren wollen. Milevas Emotionen, ihre Ängste, ihre Selbstzweifel, ihre Verzweiflung und Hingabe zu ihren Kindern, ihre Motive für den Verbleib in ihrer Ehe, ihre tiefe Freundschaft zu Helene dichtet die Autorin hinzu und schafft damit eine authentische, abgerundete Persönlichkeit, die das Herz des Lesers gewinnt. Die Autorin macht somit eine zu Unrecht in Vergessenheit geratene Wissenschaftlerin und eine tolle Frau einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Falls jemand einen wissenschaftlichen Roman erwartet, möge er die Finger davon lassen, Albert-Einstein-Fans ebenfalls. Der Roman lebt von seiner lebendigen Hauptfigur und ihren Kampf um Anerkennung und versucht ihr ein Stück Würde zurückzugeben.

Veröffentlicht am 02.01.2018

Großartiger Spannungs- und Familienroman

Die Vergessenen
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Halbgrieche Manolis Lefteris ist nicht nur Besitzer eines Autohauses, er ist auch ein Mann für besondere Fälle, die er diskret und zuverlässig für seinen Auftraggeber löst. Seinen neuen Auftrag geht er ...

Halbgrieche Manolis Lefteris ist nicht nur Besitzer eines Autohauses, er ist auch ein Mann für besondere Fälle, die er diskret und zuverlässig für seinen Auftraggeber löst. Seinen neuen Auftrag geht er zunächst ähnlich emotionslos an: Er soll Dokumente, die im Besitz einer alten Dame sind, beschaffen und seinem Auftraggeber aushändigen. Der Auftrag erweist sich als komplizierter als gedacht, die Dokumente sind nicht aufzufinden, derjenige, dem er sie abnehmen soll, hat sie nicht und wird wenig später tot aufgefunden. Also hängt sich Manolis an die Nichte der alten Dame, Vera Mändler, einer Journalistin. Vera hat die Patientenverfügung ihrer Tante und ist außerdem die Cousine des Dokumentenüberbringers, des chronisch klammen Chris, der sie und ihre Tante immer wieder um Geld angepumpt hat. Ihr kommen bald ein paar Dinge spanisch vor und so beginnt sie auf eigene Faust zu recherchieren. Nach und nach merken beide, was für einer Ungeheuerlichkeit sie da auf der Spur sind, und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen…

Ein großartiger und spannender Roman über ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte, von der Autorin anspruchsvoll, aber dennoch sehr flüssig und eingängig erzählt. Die zwei Hauptfiguren Manolis und Vera bilden die zwei Haupterzählstränge, in Einschüben wird jedoch sehr geschickt die Sichtweise anderer Personen beleuchtet und so sowohl die geschichtlichen Ereignisse erzählt als auch die gegenwärtigen vorangetrieben. Nebenfiguren gibt es eigentlich nicht, ein jeder trägt etwas Wesentliches zur Geschichte bei. Besonders die Einschübe von Veras Tante Kathrin beleuchten die historischen Geschehnisse und geben darüber hinaus sehr tiefe Einblicke in das Seelenleben eines Zeitgenossen während der Nazi-Zeit. Nach und nach eröffnet sich dem Leser das ganze Ausmaß der skandalösen Machenschaften, die freilich damals sanktioniert waren und erst in unserer Zeit geahndet und bestraft werden.

Die Charaktere sind durchweg vielschichtig, oftmals in sich zwiegespalten, reflektierend über ihr Dasein und mitunter hadernd mit ihrem Schicksal. Alles ist jedoch schlüssig und für den Leser sehr gut nachvollziehbar, und manch einer erweist sich als überraschend stark. Sowohl Manolis als auch Vera tragen familiäre Altlasten mit sich herum und hinterfragen ihr Leben und ihren Beruf, hervorgerufen durch die Ereignisse, in die sie – eher unverhofft - hineingeraten. Beide hadern mit der Vergangenheit ihrer Familie in der Nazi-Zeit, Manolis schleppt ein psychisches Trauma mit sich herum, Vera fragt sich besorgt nach der Rolle ihrer Tante bei den abscheulichen Geschehnissen. Beide machen im Laufe der Ereignisse des Buches eine Veränderung durch, Manolis gibt seine Neutralität und Gleichgültigkeit gegenüber der wahren Beweggründe seiner Auftraggeber auf, Vera wirft ihr starkes Sicherheitsbedürfnis über Bord und emanzipiert sich sowohl privat als auch beruflich. Beiden geht es schlussendlich um Gerechtigkeit, nicht jedoch im juristischen, sondern im moralischen Sinne.

Das Buch ist sehr emotional, es macht betroffen und wütend und es fordert in dem Maße, wie sich die Figuren verausgaben, dies auch vom Leser, der mit jeder Faser mit lebt. Die Einblicke besonders in Manolis‘ Seelenleben gehen unter die Haut und er polarisiert als Charakter durch seine Vergangenheit, seine psychische Verletzlichkeit und seinen „Job“ sehr. Trotzdem macht die Autorin seine Aktionen plausibel und ihn somit als Persönlichkeit stark und tiefsinnig. Das Ende ist denn auch zumindest versöhnlich.

Fazit: Ein must-read! Das Buch bietet alle Facetten eines gut recherchierten, an historischen Fakten orientierten Spannungsromans, der zwei Zeitebenen plausibel verknüpft, die Spannung stetig steigert und auch psychologische Abgründe nicht zu überladen, aber doch überzeugend darstellt. Das „zweite literarische Standbein“, wie die durch Krimis unter anderem Namen bekannt gewordene Autorin diesen Ausflug in ein komplett anderes Genre selbst nennt, ist wahrhaft gelungen! Dass Ellen Sandberg alias Inge Löhnig schreiben kann, hat sie nun hinlänglich bewiesen, aber einen historisch fundierten, spannenden Familienroman zu schreiben erfordert meines Erachtens eine völlig andere Herangehensweise und einen deutlich höheren Rechercheaufwand. Dass hier ihr Herzblut drinsteckt, merkt man mit jeder Zeile. Wenn es auch schwierig werden dürfte, dies so zu wiederholen oder gar zu toppen, so würde ich als Leser nach diesem Ende doch hoffen, wieder einmal etwas über Manolis und Vera lesen zu dürfen.