Profilbild von Tine

Tine

Lesejury Star
offline

Tine ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Tine über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2018

Aufwühlend, emotional & erschreckend realitätsnah

Nicu & Jess
0

Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen ...

Nicu und Jess haben beide geklaut, wurden dabei erwischt und müssen nun gemeinnützige Stunden ableisten: Mit einer Gruppe von Jugendlichen sammeln sie Müll im Park. Die beiden stammen aus völlig anderen Lebenssituationen, aber eines haben beide gemeinsam: Sie sind in einem Leben gefangen, das sie nicht führen wollen. Jess fühlt sich zu Hause gar nicht wohl und es gibt ein großes Problem, das ich aber nicht nennen möchte um nicht zu spoilern. Ihren Stiefvater kann sie nicht leiden und ihre Mutter nimmt alles hin und steht nie für etwas ein. Jess zieht sich von ihren falschen Freundinnen zurück und kapselt sich auch bei der Tätigkeit im Park ab. Nicus Eltern möchten bald wieder zurück nach Rumänien, wenn sie genug Geld verdient haben. Doch der Jugendliche erkennt seine Chance, die er hier in England hat, obwohl er wegen seiner fehlenden Sprachkenntnisse oft ausgegrenzt wird, statt unterstützt, was mich besonders bei der Lehrerin in der Schule schockiert hat. Schnell fällt Jess Nicu auf, er sucht ihre Nähe und die beiden finden in der jeweilig anderen Person eine Vertraute bzw. einen Vertrauten.

Wie bereits in „Eins“ von Sarah Crossan erwartet den Leser hier ein ganz besonderer Schreibstil. Kurze Sätze und vor allem viele Absätze machen das Lesen somit außergewöhnlich. Obwohl ich überhaupt kein Fan von Kurzgeschichten oder wenigen Beschreibungen bin, finde ich den Stil sehr angenehm. Mir gefällt es, dass Sarah Crossan und Brian Conaghan mit wenigen Wörtern so viel Gefühl vermitteln können. Ich war durchweg sehr betroffen, traurig, erschüttert und erschrocken.

Das Geschehen wird aus Sicht der beiden Protagonisten beschrieben. Bei Nicus Kapiteln kommt noch eine Besonderheit dazu: Da er noch nicht lange mit der englischen (bzw. durch die Übersetzung deutschen) Sprache vertraut ist, schildert er seine Gefühle in einem sehr gebrochenen Deutsch. Hier habe ich etwas gebraucht, um mich an den Satzbau zu gewöhnen und einige Dinge habe ich trotz mehrmaligem Lesen nicht genau verstanden. Nicu nutzt viele Vergleiche und schafft somit oft eine intensivere Bedeutung, als das eigentliche Wort selbst es vermitteln kann.

"Seine Stimme tanzt
mit Worten, die zwar durcheinander sind,
aber wirklich was bedeuten."
Jess, S. 122

Die Geschichte ist sehr realitätsnah und beinhaltet einige Dinge, die sehr erschütternd und tiefgründig sind. Wir erhalten einen guten Einblick in Randgruppen unserer Gesellschaft, die mit Situationen umgehen müssen, die alles andere als leicht sind. Das Schicksal von Nicu und Jess wurde durch den Schreibstil intensiv vermittelt und hat mich sehr berührt.

Das Ende hat mich etwas enttäuscht. Ich konnte nicht genau nachvollziehen, was in Nicu vorging und das Geschehen war relativ offen. Da die Geschichte aber so realitätsnah ist, kann ich mich damit anfreunden.



Fazit:
„Nicu & Jess“ erzählt deren schwierige Lebenssituationen und ist sehr gesellschaftskritisch. Nicht nur durch die Erzählperspektive ist dieses Buch außergewöhnlich. Trotz weniger Worte ist die Geschichte sehr intensiv zu lesen, aufwühlend und realitätsnah.

Veröffentlicht am 14.03.2018

Märchen & Liebe zu Büchern

Die Bibliothek der flüsternden Schatten - Bücherstadt
0

Sam ist ein aufgeweckter, unbeschwerter und erfolgreicher Dieb Mitte 20, der plötzlich aus der Diebesbande aussteigen möchte, um bei der Palastwache zu arbeiten. Dort kommt er zuerst an die Tore der riesigen ...

Sam ist ein aufgeweckter, unbeschwerter und erfolgreicher Dieb Mitte 20, der plötzlich aus der Diebesbande aussteigen möchte, um bei der Palastwache zu arbeiten. Dort kommt er zuerst an die Tore der riesigen Bücherstadt, Paramythia, unterhalb der Erde. Innerhalb der Bibliothek gibt es noch einen abgeschlossenen Bereich mit Märchen und Erzählungen, die nur vom König gelesen werden. Wieder erwarten geschehen hier ungeahnte Dinge und Sam erlebt plötzlich ein gefährliches und spannendes Abenteuer.

Akram El-Baya beschreibt die Charaktere sehr lebendig, sodass man sich schon bald mitten im Geschehen befindet. Phasenweise kann man als Leser nicht ganz nachvollziehen, was in Sam vorgeht und warum er wie handelt, sodass man kurz etwas distanziert von der Geschichte ist. Im weiteren Verlauf erfährt man aber viel mehr von Sams Vergangenheit und kann seine Beweggründe nachvollziehen. Auch wenn der Schreibstil flüssig zu lesen und sehr beschreibend ist, empfand ich das Lesen manchmal etwas holprig. Die Spannung steigt immer mehr an, sodass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann und wissen möchte, was hinter den Ereignissen im Herzen der Bücherstadt steckt. Das Ende schließt das vorangegangene ab, wirft aber auch viele Fragen auf.

Die Bücherstadt tief unter Mythia wird sehr genau und ausführlich beschrieben. Ich war während des Lesens so fasziniert von den hohen Regalen, den sehr alten Büchern und den langen, gewundenen Wegen durch die Bibliothek, sodass ich das Buch zu gerne verfilmt sehen würde. Auch die Fabelwesen, die im Laufe des Buches auftauchen und eine wichtige Rolle spielen, haben mich fasziniert. Die Bücherstadt und vor allem ihr Kern haben mich sehr beeindruckt. Die Geschichte ist insgesamt sehr mystisch und geheimnisvoll.

„Die große Galerie von Paramythia. [...] Sie ist ein Wunder. Der wahre Palast, wenn man mich fragen würde. Ein Tempel des Wissens.“ - Jacobus, S. 26


Fazit:
Ich bin fasziniert von dieser fantasievollen Geschichte, die Märchen und die Liebe zu Büchern gekonnt vereint. Auch wenn das Buch manchmal holprig zu lesen war, so kam immer mehr Spannung auf, wodurch die Freude auf Band 2 der Reihe immens steigt.

Veröffentlicht am 16.01.2018

Das Abecedarium, schief und krumm

Die Anarchie der Buchstaben
0

Die kleine Perry hat an jedem Nachmittag eine andere Beschäftigung, ob Klavier spielen oder den Sportkurs „Musik und Bewegung“. Als dies am Donnerstag entfällt, hat Perry die Idee zu ihrer Großmutter ins ...

Die kleine Perry hat an jedem Nachmittag eine andere Beschäftigung, ob Klavier spielen oder den Sportkurs „Musik und Bewegung“. Als dies am Donnerstag entfällt, hat Perry die Idee zu ihrer Großmutter ins Pflegeheim Santa Lucia zu fahren. Dort unterhält sie sich mit ihrer Oma, die an Alzheimer erkrankt ist, dem Pflegepersonal und den anderen verschrobenen älteren Leuten. Um sich zu beschäftigen beschließt die Kleine ein ABC zu erstellen – ein ABC über Santa Lucia. Zu jedem Buchstaben malt sie Personen oder Dinge auf ein Blatt Papier. Daneben hält sie Wörter fest, die zu dem entsprechenden Buchstaben und dem Pflegeheim passen. Von Namen wie „A wie Audrey“, über „W wie Wanderstock, den Melvyn als Waffe einsetzt“ bis zu „G wie ganz schön komisch“ ist alles vertreten. Die Handlung dreht sich hauptsächlich um das ABC und ist eher unspektakulär.

Perry ist ein kleines aufgewecktes und fröhliches Mädchen. Ihre Eltern jedoch blieben das gesamte Buch über sehr flach. Man erhält den Eindruck, als würden sie nur für ihren Job leben und sich nur gelegentlich mit ihrer Tochter beschäftigen. Diese hat auch ein Kindermädchen, das sich oft um ihren eigenen Sohn und Perry kümmert.

Trotz der wenigen Seiten konnte Kate de Goldi eine schöne Geschichte erzählen. Der Schreibstil ist sehr einfach und enthält kurze Sätze, passend zu der jungen Protagonistin. Auch die Sprache ist sehr schlicht gehalten und etwaige schwierige Wörter, die Perrys Vater benutzt, lässt sie sich direkt erklären.

„Die Anarchie der Buchstaben“ ist eine leise Geschichte, die von der Beziehung Perrys zu den Bewohnern des Pflegeheims erzählt. Obwohl die älteren Leute alle an Alzheimer oder sonstigem erkrankt sind, baut Perry eine freundschaftliche und sehr innige Beziehung zu ihnen auf. Ich schätze, dass Perry erst in die Grundschule ist und finde es sehr bewundernswert, wie wenig sie sich davon einschüchtern lässt, dass ihre Oma immer wieder fragt „Wer ist Perry?“. Auch die Pfleger des Heimes haben das kleine Mädchen ins Herz geschlossen und gehen mit den Patienten liebevoll und sehr geduldig um.


Fazit:
„Die Anarchie der Buchstaben“ ist ein kurzes und leicht zu lesendes Buch für Zwischendurch. Es wird von der geduldigen und liebevollen Beziehung zwischen der jungen Perry zu ihrer dementen Großmutter, den anderen Heimbewohnern und dem Pflegepersonal erzählt. Die eher unspektakuläre Handlung lebt von der ruhigen Erzählweise und dem, was der Leser zwischen den Zeilen liest.

Veröffentlicht am 15.01.2018

Düstere Kurzgeschichten

Der 13. Stuhl
0

Der junge Jack erforscht ein verlassenes, altes Haus. Dabei entdeckt er 12 Personen, die um einen runden Tisch sitzen und jeweils eine brennende Kerze vor sich stehen haben. Der 13. Stuhl ist leer und ...

Der junge Jack erforscht ein verlassenes, altes Haus. Dabei entdeckt er 12 Personen, die um einen runden Tisch sitzen und jeweils eine brennende Kerze vor sich stehen haben. Der 13. Stuhl ist leer und für Jack bestimmt. Dann beginnen die Personen reihum eine Geschichte zu erzählen, die blutig, grotesk, erschütternd, gruselig oder überraschend ist. Ich mag eigentlich keine Kurzgeschichten, weil sie mich auf den wenigen Seiten nicht berühren, doch diese 13 Geschichten haben mich alle mehr oder weniger fasziniert. Mit jeder ausgepusteten Kerze und bereits erzählter Geschichte, habe ich mich stets auf die nächste gefreut. Jede Erzählung baut die Spannung anders auf und bedient sich einer unterschiedlichen Sprache. Hierdurch erkennt man die Charaktere der einzelnen Erzähler und hat immer wieder neues zu entdecken. Eingerahmt werden die 13 Geschichten durch die Haupthandlung, in der sich die 13 Personen an dem runden Tisch gegenüber sitzen und in den Erzählpausen kurz miteinander kommunizieren.

Das Ende wirft meiner Meinung nach mehr Fragen auf, als es beantwortet. Während des Lesens konnte ich mir einige Dinge erschließen, jedoch bin ich mir nicht sicher, ob ich die Kerngeschichte vollends richtig erfasst habe. Ich habe erwartet, dass die aufgebaute Spannung in einem Knall endet und mich überrascht. Tatsächlich hat es mich jedoch ruhig und nachdenklich zurückgelassen, was aber auch seinen Reiz hatte.

Fazit:
Ein Buch, das 13 gruselige, faszinierende und atemraubende Geschichten erzählt, die fast alle fesseln konnten. Auch die Haupthandlung, die alles miteinander verbindet, konnte mich in ihren Bann ziehen, sodass ich unbedingt wissen wollte, was es mit dem verlassenen Haus und den 13 Personen auf sich hat. Von dem Ende hätte mich mir überraschenderes erwartet, wohingegen es eher Ruhe ausgestrahlt hat.

Veröffentlicht am 13.01.2018

Die Geschichte einer wahren Freundschaft

Zwillingssterne
0

Die 17-jährigen Althea und Oliver sind allerbeste Freunde. Ihre Freundschaft besteht, seitdem sie 6 Jahre alt waren und ist so eng, dass sie alles miteinander machen und teilen. Athea ohne Oliver gibt ...

Die 17-jährigen Althea und Oliver sind allerbeste Freunde. Ihre Freundschaft besteht, seitdem sie 6 Jahre alt waren und ist so eng, dass sie alles miteinander machen und teilen. Athea ohne Oliver gibt es nicht, genauso wenig wie Oliver ohne Althea. Althea ist aufbrausend und impulsiv, Oliver ruhig und wird von jedem gemocht – Gegensätze ziehen sich eben an. Weil Olivers Vater vor vielen Jahren gestorben ist und Altheas Mutter sie als kleines Kind verlassen hat, haben die beiden ein Leben mit nur einem Elternteil gemeinsam. Da sich die beiden Jugendlichen auch sehr ähnlich sehen, werden sie oft für Zwillinge gehalten. Als Oliver krank wird und wochenlang im Schlaf gefangen ist, sind die Zwillingssterne getrennt und Althea plötzlich auf sich alleine gestellt. Während Olivers Schlafepisoden dreht sich die Welt weiter und alles ändert sich, auch Althea, nur für Oliver selbst bleibt die Zeit stehen. Althea versucht sich alleine in ihrem neuen Alltag ohne Oliver, mit dem sie all ihre Zeit verbracht hat, zurecht zu finden und ändert sich dadurch unweigerlich. Oliver erwacht nach Wochen, die es für ihn jedoch nie gegeben hat.
Dass Althea seit kurzem mehr für Oliver empfindet, macht die Sache nicht leichter. Es ist unabwendbar, dass sich die Freundschaft der beiden ändert. Auch wenn sie immer noch viel Zeit miteinander verbringen und viel füreinander empfinden, muss Oliver einen Weg finden um mit seiner plötzlichen Krankheit klar zu kommen und Althea damit, alleine zu sein. Althea macht dabei eine sehr große Veränderung durch. Sie ist eher eine Einzelgängerin, will ihren Willen durchsetzen und ist sehr emotional. Als sie Oliver durch seine Krankheit für längere Phasen verliert, macht sie eine enorme Entwicklung durch. Viele Charakterzüge treten erst jetzt auf oder sind nun offensichtlicher, wodurch ich mich erst an sie gewöhnen musste. Dadurch war sie mir erstmals fremd, bis ich sie wieder neu kennengelernt hatte.

Cristina Moracho hat einen sehr intensiven Schreibstil. Auch wenn die Geschichte nicht gerade sehr spannungsreich abläuft, wird der Leser in einer Sogwirkung gefangen, wodurch er das Buch kaum aus der Hand legen kann. Die Gefühle und Beziehung der Charaktere wurden sehr eingehend beschrieben, sodass man den vollständigen Charakter aller Personen vor Augen hatte.

Dieses Buch zeigt, wie tief und eng eine Freundschaft, die viel gemeinsam verbrachte Zeit aufweist, sein kann. Aber auch, wie sehr selbst so eine Beziehung durch Krankheiten oder sich verändernde Gefühle belastet wird. Im Laufe der Geschichte müssen die beiden auch oft alleine ihren Weg finden, wobei man immer merkt, wie sehr sie den jeweils anderen brauchen und helfen wollen. Das Ende beantwortet die Frage, wie ihre Freundschaft diese Belastungsprobe ausgehalten hat und sich künftig ändert. Am Schluss trat jedoch ein Aspekt auf, der für mich sehr irreal war. Auch wenn die Endsituation aus meiner Sicht teilweise unrealistisch wurde, hat sie perfekt zu Althea und Oliver gepasst.

Fazit:
„Zwillingssterne“ ist eine sehr intensive Geschichte über Freundschaft und Probleme im Jugendalter. Das Buch behandelt vor allem, wie sich zwei sehr enge Freunde voneinander lösen und sich trotzdem immer nahe bleiben. Ich habe bisher kaum Bücher gelesen, die Freundschaft so gut und intensiv darstellen konnten, wie Cristina Morachos Debüt.