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Veröffentlicht am 02.04.2018

Auf nach Skandinavien

Skandinavisches Viertel
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hieß es für Matthias Weber schon in jungen Jahren. Und das im Ostberlin der 1970er Jahre. Als Schuljunge durchstreifte er nachmittags das Skandinavische Viertel, einen Teil vom Prenzlauer Berg, und taufte ...

hieß es für Matthias Weber schon in jungen Jahren. Und das im Ostberlin der 1970er Jahre. Als Schuljunge durchstreifte er nachmittags das Skandinavische Viertel, einen Teil vom Prenzlauer Berg, und taufte die Straßen, die nicht skandinavisiert waren, kurzerhand nach seinen eigenen Vorstellungen um. So wurde bspw. aus der Czarnikauer die Turku- und aus der Seelower die Göteborger Straße. Vorbild dafür ist sein in diesem Viertel noch bei den Großeltern lebender, ausgesprochen trinkfreudiger Onkel, der ein ähnliches System bei den Kneipen der Gegend anwendet.

Matthias ist ein Einzelkind und wächst hauptsächlich unter Erwachsenen auf. Früh schafft er sich eine eigene Welt aus Phantasie und Wunschdenken. Man könnte es auch ein Lügengerüst nennen, mit dem sich Matthias umgibt, doch das wären harte Worte.

In seiner Familie - und so kenne ich das als Altersgenossin - gibt es viele Geheimnisse, über die nur in Andeutungen gesprochen wird und die dem Sohn bzw. Neffen und Enkel nicht näher erläutert werden. Mit einigen Ausnahmen, in denen vor allem Opa und Onkel in Redseligkeit schwelgen, doch - so lernt Matthias schnell, sind dies - wie im Nachhinein im Gesamtkontext deutlich wird - sind das ganz besondere Situationen. Zudem ist er danach nicht unbedingt schlauer. Im Gegenteil.

Matthias, der in jungen Jahren bereits mehrfach mit dem Tod konfrontiert wird, bleibt dem Viertel auch als Erwachsener verbunden, mehr als seinen noch lebenden Angehörigen, dem Vater und der Großmutter. Er wird nämlich Makler und zwar ein mehr als eksklusiver - unter seiner Ägide befinden sich nur Wohnungen im Skandinavischen Viertel.

Ein Roman, in dem Emotionen vielfach durch Orte definiert bzw. damit verbunden werden und das in einer ganz besonderen, klaren und eher sachlichen Sprache und nicht ohne Humor. Ich habe dieses Buch ausgesprochen gerne gelesen und es hat mich neugierig werden lassen auf andere Romane des Autors wie "Boxhagener Platz" und "Nilowsky". Lesern, die gerne in der Vergangenheit schwelgen und dazu nicht immer große historische Momente benötigen, empfehle ich "Skandinavisches Viertel" aus ganzem Herzen.

Veröffentlicht am 25.03.2018

Im tiefen Süder der USA ticken die Uhren anders

Mehr als nur ein Traum
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Wie man leider auch heute noch feststellen kann - althergebrachte, zutiefst etablierte gesellschaftliche Strukturen lassen sich gerade dort nur schwer auflösen. Das war in den 1960er Jahren noch viel mehr ...

Wie man leider auch heute noch feststellen kann - althergebrachte, zutiefst etablierte gesellschaftliche Strukturen lassen sich gerade dort nur schwer auflösen. Das war in den 1960er Jahren noch viel mehr der Fall als heute, auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte, dass die aktuelle US-Regierung alles dafür tut, wieder zurück in diese düstere Ära zurückzufinden, in der die Trennung zwischen schwarzen und weißen Amerikanern eine Selbstverständlichkeit war, so sehr, dass die Regierung nicht eingriff, wenn bspw. der Ku Klux Klan mal wieder sein Unwesen trieb.

Diese althergebrachten Strukturen stehen im Mittelpunkt von Elisabeth Büchles Roman "Mehr als nur ein Traum", der den Geist - oder sollte man sagen, die Geister - der 1960er Jahre aufs Eindrucksvollste aufleben lässt, so gut recherchiert und eindringlich verfasst wie er ist.

Diesmal steht die junge Fotografin Felicitas aus Süddeutschland im Mittelpunkt, eine Überlebende des Holocaust, die ganz ohne Familie, nicht jedoch ohne Freunde dasteht. Sie erhält aus heiterem Himmel die Nachricht über eine Erbschaft in den Vereinigten Staaten - ein Häuschen in den Südstaaten. Trotz der ungeklärten, ja geheimnisvollen Umstände - sie hat keine Ahnung, in welcher Form sie mit der Vorbesitzerin verwandt ist - nimmt sie das Erbe an, zieht in das Häuschen ein und findet sich wieder im Zwiespalt zwischen weißen und schwarzen Afrikanern. Den sie im Übrigen so gar nicht nachvollziehen kann, ist ihr doch der Mensch als solches wichtig unabhängig von seinem Äußeren.

Diese Überzeugung lebt sie auch in den Staaten und verwirrt dadurch ihre weißen Nachbarn aufs Äußerste. Und nicht nur das - sie macht sich auch Feinde, wie sie allmählich zu spüren bekommt.

Wie immer bei Elisabeth Büchle ist nicht nur die Protagonistin Rebecca, sondern auch die Nebenfiguren "mit Pfiff" entwickelt, alle haben etwas Besonderes, vielschichtige Charaktere, man sieht sie gleichsam vor sich: Felictas' langjährige Freundin Kerstin bspw. , verlobt mit dem US-Soldaten Christopher, der von seiner ruhigen Position in Westdeutschland nach Vietnam versetzt wird. Oder die afroamerikanischen Nachbarn von Felicitas, mit denen sie sich bald anfreundet. Und natürlich gibt es auch eine Liebesgeschichte, die sich behutsam in den Rahmen einfügt.

Behutsam - das ist überhaupt ein sehr passendes Wort für die Literatur Elisabeth Büchles. Respektvoll, könnte man auch sagen, nähert sie sich ihrem Sujet und flicht genau so ihre Themen, ihre Werte ein. Quasi beiläufig entwickelt sich Nebenschauplätze, weitere Themenfelder und Szenarien und immer ist dabei, was der Autorin wichtig ist - bspw. der christliche Glaube.

Elisabeth Büchle verfügt über die aus meiner Sicht unglaubliche Gabe, starke, eindringliche Szenarien auf eine selbstverständliche, unaufdringliche Art und Weise zu entwickeln, ein sehr, sehr eindrucksvoller Weg, Romane zu schreiben! Die Geschichten schleichen sich gleichsam herein und dringen - natürlich behutsam und achtsam - tief hinein in das Bewusstsein des Rezipienten. Und dort bleiben sie! Lange, sehr lange! Wer also Unterhaltsames mit Tiefgang und Nachwirkung lesen mag - der ist hier richtig aufgehoben.

Veröffentlicht am 12.03.2018

In den Sternen

Planetenpolka
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könnte die Auflösung des Kriminalfalles zu finden sein, mit dem Astrologin Stella konfrontiert wird. Aber ist es überhaupt einer? Denn Cäcilie von Breidenbach, eine liebe Bekannte ihrer Großmutter Maria ...

könnte die Auflösung des Kriminalfalles zu finden sein, mit dem Astrologin Stella konfrontiert wird. Aber ist es überhaupt einer? Denn Cäcilie von Breidenbach, eine liebe Bekannte ihrer Großmutter Maria , ist verstorben. Da sie eine schwerreiche Erbtante mit drei Nichten/Neffen war, vermutet sie sofort Mord und kann auch Stella rasch davon überzeugen, das hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Zumal die drei potentiellen Erben Serena und ihre Zwillingsschwester Undine sowie Bruder Fridolin - allesamt Mitte fünfzig und ständig klamm - schon mit den Hufen scharren.

Einer aus deren Schar könnte es durchaus sein, zumal sie sich bereits verdächtig benommen haben. Stella zieht ihren besten Freund Ben zu Rate, der wiederum seinen Kumpel Arno, Hauptkommissar bei der Bochumer Kripo, involviert. Und natürlich ist auch Maria, ihres Zeichens Wahrsagerin und bereits seit weit über fünfzig Jahren in ihrem Metier tätig, mit von der Partie! Und ohne Otto, deren langjährigen Verehrer, läuft sowieso nichts!

Was Studiendirektorin Felicitas, Stellas Mutter und Marias Tochter, die sich mit den beiden ein Haus, nein: eine Villa teilt, überhaupt nicht gern sieht. Denn sie gibt sich gern seriös, nein: sie IST die Seriosität in Person und würde die Verwandtschaft zu den beiden Esoterikerinnen am liebsten leugnen. Meistens jedenfalls.

Wie auch in den Krimödien um Loretta Luchs, Mitarbeiterin eines Call-Centers der besonderen Art und ebenfalls Bochumerin, findet sich hier also ein munteres Trüppchen zum gemeinsamen Ermitteln zusammen. Wobei das manchmal auch eher nebenher läuft. Aber man darf das Team nicht unterschätzen, denn am Ende gibt es eine richtige Auflösung, der ein ordentliches Show-Down vorangestellt ist.

Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Band, weil ich gespannt bin, wie sich die Dynamik unter diesen ganzen Figuren so weiter entwickelt. Und weil ich Stella und Maria schon richtiggehend in mein Herz geschlossen habe. Eine toll(kühn)e und witzige Ruhrpottstory mit dem gewissen Pfiff!

Veröffentlicht am 08.03.2018

Eine Frau ohne Vergangenheit

Die verbotene Zeit
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Das ist 1975 nach einem Unfall die junge Carla - offensichtlich hat sie Ereignissen nachgespürt, die in der Vergangenheit liegen und es gibt Personen in ihrem Umfeld, die verhindern wollen, dass sie den ...


Das ist 1975 nach einem Unfall die junge Carla - offensichtlich hat sie Ereignissen nachgespürt, die in der Vergangenheit liegen und es gibt Personen in ihrem Umfeld, die verhindern wollen, dass sie den Stand der Informationen, den sie damals hatte, zurück erlangt. Doch langsam, nach und nach, gelingt es Carla - nicht zuletzt mithilfe des Journalisten David - das Puzzle zumindest teilweise zusammenzufügen.


Deutschland im Nationalsozialismus: Mensch bleiben in einer schweren Zeit, das haben die Freundinnen Edith und Dora versucht - beide zusammen wie auch jede für sich. Edith, die aus der sogenannten höheren Schicht stammt und die aus einfachen Verhältnissen kommende Dora kennen sich von Kindesbeinen an und haben immer alles zusammen durchgestanden und füreinander eingestanden. Doch jetzt trennen sich ihre Wege bzw. Interessen: während die eigentlich glücklich verheiratete Dora um Kinderglück kämpft, verliebt sich die unglücklich verheiratete Edith in einen jüdischen Musiker, den sie mutig im Widerstand unterstützt. Doch die nationalsozialistischen Kräfte sind mächtig und so nimmt die Geschichte einen tragischen Lauf. Doch gibt es eine Verbindung zur Gegenwart, zu Carlas Leben?


Einen ungeheuer spannenden und ebenso berührenden Roman, den man nicht aus der Hand legen kann, hat Claire Winter hier verfasst, der durch kluge Recherchen auch noch interessante und eher unbekannte historische Fakten, aber auch Stimmungen einbringt, die diese originelle und mitreißende Lektüre zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lassen. Ein sehr besonderes Buch, in dem gezeigt wird, dass das Leben zu Wendungen fähig ist, die man nie für möglich gehalten hätte und das den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann zieht. Genau das richtige Buch für ein langes Wochenende oder für einen Strandurlaub - ich empfehle es allen, die gerne in einem Roman versinken, dabei aber nicht auf einen gewissen Anspruch verzichten wollen!

Veröffentlicht am 04.03.2018

Eine Frau der Tat

Margaret Stonborough-Wittgenstein
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ist Margaret Stonborough-Wittgenstein, die ältere Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein, schon in jungen Jahren. Und selbstbewusst - schon als Kind lässt sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen ...

ist Margaret Stonborough-Wittgenstein, die ältere Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein, schon in jungen Jahren. Und selbstbewusst - schon als Kind lässt sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen und äußerst sich ihrer Mutter gegenüber despektierlich über den berühmten Komponisten Brahms, der sie bei einem Empfang in ihrem Elternhaus zwecks stärkeren Haarwuchses mit Champagner bespritzt hat. Das "so nicht", das ihre Mutter ihr entgegenhält, wird sie in ihrem weiteren Leben eher selten erfahren - meist hat sie das Heft in der Hand.

Eine ungewöhnliche und alles andere als einfache Frau ist es, die wir in dieser ebenso unterhaltsamen wie informativen Biografie von Margret Greiner kennenlernen. Stonborough-Wittgenstein, durch Heirat zur Amerikanerin geworden, war schon früh, also vor der Jahrhundertwende - der vorletzten, wohlgemerkt - sowohl an Wissenschaften als auch an Kultur interessiert. Ja, sie lebte dafür und so sollte es bis an ihr Lebensende bleiben. Eine Frau aus reichen, aber schwierigen Verhältnissen: in ihrem weiteren Leben trug sie nicht gerade wenig dazu bei, dass es dabei blieb.

Doch sie war auch eine Frau, die sich selbst treu blieb, ebenso wie ihren Prinzipien und ihren Lieben - auch, wenn die es ihr nicht immer einfach machten und ihrerseits nicht unbedingt ebenso aufrecht waren wie sie selbst.

Eine interessante Persönlichkeit, die Schwieriges in schwierigen Zeiten durchmachen musste: sie verlor gleich drei Brüder sowie ihren Ehemann durch Suizid, während der amerikanischen Wirtschaftskrise fast ihr gesamtes Vermögen - ein Umstand, mit dem sie vergleichsweise pragmatisch umging. Desgleichen gab es diverse Enttäuschungen in ihrem Leben - so kontrovers ihr Charakter auch war, sie war eine starke Frau, die vieles bewirkte.

Eine faszinierende, vielschichtige, facettenreiche Frau aus einer ebensolchen Familie: Margret Greiner hat ihr mit diesem Buch ein ganz wunderbares Denkmal gesetzt, das mich ebenso wie die vor einigen Jahren erschienene Biographie der Modeschöpferin, Schneiderin und Gefährtin Klimts, Emilie Flöge "Auf Freiheit zugeschnitten" sowohl begeisterte als auch bewegte. Frau Greiner verfügt über die seltene Gabe, ihre Biographien spannender als jeden Roman zu gestalten und ich freue mich schon auf das nächste Werk über eine ungewöhnliche und starke Frau - wer es wohl sein wird? - aus ihrer Feder. Wer Wahres auf besondere Art erlesen will, der liegt bzw. liest hier richtig!