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Veröffentlicht am 18.12.2017

Lesenswerter Auftakt

Marthas Widerstand
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“Marthas Widerstand” von der britischen Autorin Kerry Drewery ist der erste Teil einer dystopischen Trilogie. Ein richtig gut geschriebenes Buch über den Kampf um Gerechtigkeit, ein neues Rechtssystem, ...

“Marthas Widerstand” von der britischen Autorin Kerry Drewery ist der erste Teil einer dystopischen Trilogie. Ein richtig gut geschriebenes Buch über den Kampf um Gerechtigkeit, ein neues Rechtssystem, das auf Volksabstimmung beruht, Manipulation und die Rebellion eines tapferen, jungen Mädchens. Dramatisch und packend erzählt. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.

Die 16-jährige Martha stammt aus den “Kratzern”, “der unterprivilegierten Gegend, die allgemein, als >die Wolkenkratzer< bekannt ist, benannt nach den Hochhäusern, die dort errichtet wurden, um der Wohnungsnot entgegenzuwirken…” (Zitat S.32 aus “Marthas Widerstand”) Seit dem Tod ihrer Mutter ist sie ein Waisenkind und muss selbst Geld verdienen, um in der Wohnung bleiben zu können und nicht in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden. Doch jetzt sitzt Martha hinter Gittern. Weil sie den Mord an Paige Jackson gestanden hat, einer Berühmtheit aus Realityshows und von Wohltätigkeitsveranstaltungen. Und weil sie in einem Rechtsstaat lebt, der keiner mehr ist, weil sämtliche Gerichte abgeschafft wurden, stimmt nun das Volk über ihre Freilassung oder über ihre Hinrichtung ab. Sieben Tage lange. Während dieser Zeit wird sie entweder für unschuldig erklärt und freigelassen oder wandert von Gefängniszelle 1 bei Sonnenaufgang zu jeweils nächsten, bis hin zur letzten der insgesamt sieben Zellen. Nach Zelle 7 wartet nur noch der elektrische Stuhl auf sie. In einer Fernsehsendung namens “Death is Justice” wird über die Hintergründe berichtet, es werden Interviews geführt und eine Moderatorin ruft das Publikum zur Abstimmung auf: “Nun, die Gerechtigkeit, liebe Zuschauer, liegt wie immer in Ihrer Hand. […] Wählen Sie 0909 87 97 77 und fügen dann bitte die 7 für >schuldig< hinzu oder eine 0 für >nicht schuldig<. Sie können natürlich auch per SMS abstimmen. Senden Sie STERBEN oder LEBEN an 7997.” (Zitat S.44). Doch hat Martha den Mann wirklich umgebracht? Und welchen Plan scheint sie zu haben?

“Marthas Widerstand” hat ein auffälliges, gelungen gestaltetes Cover, mit einem Blick aus zwei Augen, die einen zu fixieren scheinen. Widerstand leisten gegen einen unfassbar großen Gegner — gegen ein System, das von Manipulation und Korruption geprägt ist — genau tut Martha. “Außerdem bin ich jetzt fest entschlossen. Ich kann eine Woche Einsamkeit aushalten. Und ich kann tot sein. Die Leute werden sehen und hören, was ich zu sagen habe, und vielleicht, ganz vielleicht, werden sie es begreifen. Vielleicht werden sie es endlich kapieren und vollkommen schockiert sein. Und dann habe ich meinen Teil getan. Dann liegt es an dir, diese Schockwelle zu nutzen und die Dinge für immer zu verändern.” (Zitat S.74)

In ihrer Ich-Perspektive spricht sie immer wieder eine zu Beginn noch unbekannte Person mit “Du” an. Isaac, ihre große Liebe, mit dem sie keine Zukunft hat. Mit dem sie gemeinsam kämpfen wollte. Wer ist Isaac? Welche Aufgabe kommt ihm zuteil? “Wir haben alle unsere Rollen zu spielen, du und ich, dadurch bestimmt, wo wir aufgewachsen sind. Du kannst den Kämpfer geben, während ich die Märtyrerin bin. Schließlich ist das alles, was ein Mädchen wie ich aus den Kratzern tun kann. Ich bin nicht schlau genug oder selbstbewusst genug, habe nicht genügend Geld und hatte nicht einmal eine Zukunft, ehe ich hier gelandet bin.” (Zitat S.29) A

ber vor allem: was ist wirklich passiert in jener Nacht, in der Paige Jackson starb? Ist Martha tatsächlich die Täterin? Und was hat sie vor? Diese Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Ergänzt werden die nicht allzu langen Kapitel aus Marthas Sicht, die nur die Überschrift “Martha” tragen, durch einige andere, interessante Perspektiven: “1.) Psychologische Betreuung”, in der aus allwissender Sicht und personaler Erzählweise von den Treffen der Protagonistin mit Eve, der Psychologin, berichtet werden. 2.) “Eve”, in der diese aus ihrem Alltag und Erleben außerhalb des Gefängnisses erzählt; was sie alles unternimmt, um Martha zu helfen, aber auch um hinter ihr Geheimnis zu kommen. 3.) “Death is Justice”: der Fernsehsendung, die wie ein Drehbuch widergegeben wird. Gerade Kerry Drewery Marthas Widerstanddiese Sendung mit zu verfolgen — die offensichtlichen Manipulationen der Moderatorin, die oberflächliche, einseitige Berichterstattung — macht einen großen Teil des Buches aus und liest sich erschreckend realistisch. Kerry Drewery ist es gelungen ein katastrophales Szenario in Worte zu fassen, dessen Absurdität dem Leser erst nach und nach bewusst wird. “Big brother” meets “Deutschland sucht den Superstar”, gemischt mit nichts anderem als einem Spiel um Leben und Tod. Dazu jede Menge Spannung, ein außergewöhnlicher, abwechslungsreicher Erzählstil und die Wahrheit, die man wie ein Puzzle erst langsam zusammensetzen muss. Das Ende: buchstäblich nervenzerreißend!!

Fazit: Ein sehr lesenswerter Auftakt einer ganz besonderen Reihe.

Veröffentlicht am 15.12.2017

Höhenflug mit Adrenalinkick

Roofer
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Die deutsche Autorin Jutta Wilke wagt sich in ihrem neuen Roman “Roofer” an ein ganz besonderes und im Jugendbuch bisher unbekanntes Thema heran: Roofing — “ein Extremsport […], bei dem meist Jugendliche ...

Die deutsche Autorin Jutta Wilke wagt sich in ihrem neuen Roman “Roofer” an ein ganz besonderes und im Jugendbuch bisher unbekanntes Thema heran: Roofing — “ein Extremsport […], bei dem meist Jugendliche und junge Erwachsene ohne Sicherung auf hohe Bauwerke oder Gebäude klettern, um sich dort zu fotografieren oder zu filmen” (Wikipedia) Brillante Unterhaltung, die nicht nur thematisch, sondern vor allem spannungsmäßig absolut zu überzeugen weiß. Aber Vorsicht: Es geht hoch hinaus! Schwindelfrei zu sein erleichtert das Lesen ungemein Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.

Frankfurt am Main. In Alices Leben ist es nicht immer einfach. Ihr Vater ist an einer Krankheit gestorben, als sie noch ein Kind war und ihre nach Harmonie und Sicherheit gierende Mutter hat sich an einen neuen Mann gebunden, der sie nur belügt und betrügt. Einzig ihre Freundschaft zu Nastasia, die alle nur Nasti nennen, ist ein Lichtblick in ihrer kleinen Welt: “Ich hätte bei Nasti bleiben sollen. Solange ich mit ihr zusammen war, fühlte ich mich gut. Frei und stark irgendwie. Und ungebunden. Aber sobald ich in unsere Straße einbog, war dieses Gefühl weg. Es war, als ob eine graue Wolke unser Haus und alle, die darin lebten, einhüllte. Eine Wolke aus Traurigkeit. Und aus Angst.” (Zitat aus “Roofer” S.27) Doch dann zeigt Nasti ihr ein erschreckendes Video von sogenannten “Roofern”, die die höchsten Gebäude der Stadt erklimmen und sich bei diesen waghalsigen Aktionen filmen. Einen von ihnen kennt sie bereits: Trasher. “Ich habe ihn beim Skaten kennengelernt. Unten am Main. Na ja, eigentlich habe ich ein paar seiner Kumpels getroffen. Aber Trasher war auch da. Er hat mir ‘ne Cola spendiert.” (Zitat S.22)

Ein wenig enttäuscht muss Alice feststellen, dass ihre Freundin mit diesem Trasher sogar zusammen zu sein scheint. Dass sie die Clique um ihn herum schon länger kennt, ohne ihr davon erzählt zu haben. Und sie bekommt zwangsläufig mit wie gefährlich die Aktionen der Gruppe sind, als Nasti sie eines Nachts auf ihrem Handy anruft und um Hilfe bittet. Zwei der miteinander konkurrierenden Jugendlichen haben sich zum waghalsigen Klettern um die Wette zusammengefunden. “Ich schüttelte nur stumm den Kopf. Dass die Roofer verrückt waren, war mir schon seit gestern klar. Aber das hier war mehr als nur verrückt. Das war lebensmüde. Vollkommener Wahnsinn. Und alle schauten dabei zu.” (Zitat S.86)

Eigentlich will Alice sich von der Clique und deren Höhenflügen distanzieren, doch dann lernt sie Nikolas kennen, der auf der Straße lebt und ebenfalls gelegentlich mit Trasher und seinen Leuten klettert…

“Roofer” ist nicht nur der Roman einer Freundschaft und einer Liebe, sondern vor allem der eines brandaktuellen Themas: Roofing. Mühelos gelingt es Jutta Wilke dieses bisherige Tabuthema im Jugendbuch in eine fesselnde Geschichte zu packen. Und das ist das Buch definitiv: fesselnd. Gleich von Anfang an packt einen die Erzählung, nimmt einen gefangen und fühlt sich bisweilen an wie pures Adrenalin, das durch die Adern strömt! Es gibt kaum eine Sekunde zum Luftholen, ständig passiert irgendetwas! Bereits der atmosphärische Prolog offenbart mit seinen Andeutungen — da ist etwas Furchtbares geschehen: “Einen Moment herrscht Stille. Totenstille. Und dann… lauter als alles andere auf der Welt… das klatschende Geräusch eines Körpers, der auf Asphalt knallt. Dann ist da nichts mehr. Einfach nichts.” (Zitat S.12) Und die Protagonistin, die sich tröstend um ihre Freundin kümmert und mit ihrem schlechten Gewissen kämpft: “Ich hätte es verhindern müssen. Ich hätte irgendetwas tun müssen, um es zu stoppen. Man muss doch etwas tun. Man konnte doch nicht einfach nur zusehen. Aber genau das habt ihr getan, flüstert die Stimme in mir. Ihr habt zugesehen. Alle. Immer wieder.” (Zitat S.10ff) Was ist geschehen? Wer ist da auf den Asphalt geknallt? Dann setzt der Hauptteil ein mit den Worten “Einige Tage zuvor”, um am Ende wieder an das Erzähldatum des Prologs anzuknüpfen. Berichtet wird die Geschichte hauptsächlich in der Ich-Perspektive aus Alices Sicht. Aber es kommt zuweilen auch Nikolas Blickwinkel hinzu, in personaler Sicht und in kursivem Schriftbild gehalten, der die Geschehnisse perfekt ergänzt. Die Sprache ist angenehm, äußerst flüssig zu lesen und manchmal sogar schön poetisch und kraftvoll. Das Ende ist passend und zeigt, nicht nur dass dies ein Roman über Angst und Mut ist, sondern auch, dass sich Schwäche einzugestehen (dass man Angst hat), manchmal auch eine Stärke sein kann.

Fazit: Ein gelungener Höhenflug mit inhaltlichem Tiefgang und einer großen Portion Adrenalin!

Veröffentlicht am 14.12.2017

Nia und Aaron

Ein Teil von uns
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“Ein Teil von uns” ist ein Roman der jungen, deutschen Autorin Kira Gembri. Wie auch in ihrem vorherigen Buch “Wenn du dich traust” geht ihr Erfolgsrezept auf: Man nehme ein ernstes Thema (diesmal: Organspende), ...

“Ein Teil von uns” ist ein Roman der jungen, deutschen Autorin Kira Gembri. Wie auch in ihrem vorherigen Buch “Wenn du dich traust” geht ihr Erfolgsrezept auf: Man nehme ein ernstes Thema (diesmal: Organspende), mische es mit einer romantisch-spritzigen Liebesgeschichte und füge noch eine große Portion Selbstfindung und das Ausbrechen aus alten Mustern hinzu. Fertig ist der Schmöker für junge Erwachsene, der sich sehr unterhaltsam und mit einer angenehmen Prise Humor liest. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen! Für Jugendliche ab 14, und besonders auch für ältere Leser.

Seit langer Zeit geht der nun 19-jährige Aaron zur Dialyse. Seine Nieren haben ihre Funktion eingestellt. Manchmal ist er sogar bereits erschöpft, wenn er nur eine Treppe nach oben steigt. So zu tun, als wäre alles perfekt, das gelingt ihm nicht: “Alle Menschen waschen ihre Klamotten, manche waschen Geld und ich wasche eben mein Blut. Kein Thema, oder? Aber nur ein Idiot würde mir dieses Theater abkaufen.” (Zitat aus “Ein Teil von uns” S.9). Lange wartet Aaron schon auf ein Spenderorgan, um endlich wieder ein normales Leben zu haben. Die 19-jährige Antonia, genannt Nia, führt ein von ihren Eltern vorherbestimmtes Leben. Sie soll Anwältin werden — ebenso wie ihre Erzeuger — und lernt fleißig für ihr Studium. Oft ist sie unsicher, aber sie versucht alles richtig zu machen und den hohen Anforderungen ihrer Eltern gerecht zu werden: “Meine Mutter und mein Vater legen beide großen Wert darauf, in jeder Situation Kira Gembri Ein Teil von unsHaltung zu bewahren: Wenn es ein Problem gibt, arbeitet man hart an einer Lösung oder man schweigt darüber. An diese Regel bin ich von früher Kindheit an gewöhnt, aber manchmal komme ich mir gegenüber meinen Eltern trotzdem so vor wie eine Fliege, die an eine Fensterscheibe prallt.” (Zitat S.15) Nur in einem Punkt widersetzt sich Nia ihren Eltern: sie will ihrer kranken Tante, zu der ihre Mutter nach Streitigkeiten keinen Kontakt mehr hat, eine Niere spenden. Doch bei der Operation stirbt ihre Tante an einem plötzlichen Schlaganfall und Nias Spenderorgan wird weitergereicht: an Aaron, der kurz darauf auf das verzweifelte Mädchen trifft. Und unwissentlich ihr gegenüber einen dummen Witz reißt, weil er sie ebenfalls für die Empfängerin eines Organs hält. Als er sich die Hintergründe zusammenreimen kann und sich bei ihr entschuldigen will, blafft Nia ihn nur an: “Wenn wir schon ganz ehrlich sein wollen, kann ich dir auch gleich sagen, dass du nicht die Niere meiner Tante erwischt hast. Jedenfalls nicht die, die in ihr gewachsen ist. Es war meine, die ich ihr unbedingt geben wollte, und jetzt ist sie tot und du trägst meine Niere in dir und…” […] Mühsam ringe ich nach Luft, um meinen Satz zu beenden. “…und ich habe noch nie irgendetwas so sehr bereut wie das.” (Zitat S.54).

Elf Monate später steht Aaron plötzlich wieder vor Nias Haustüre: er, der nun gesund ist und von Tag zu Tag fitter wird, empfindet die Spenderniere wie einen Fremdkörper. Und er hat das untrügliche Gefühl irgendetwas wieder gut zu machen. Also schlägt er Nia einen überraschenden Deal vor. Einen Deal, der sie bis ans Ende der Welt führt, bis nach Australien…

“Ein Teil von uns” bietet vom Cover her gleich einen gewissen Wiedererkennungswert hinsichtlich des vorherigen Titels, der jedoch komplett eine andere Geschichte mit eigenen Hauptfiguren erzählt. Die Perspektiven sind allerdings auch hier wieder kapitelweise abwechselnd gestaltet, was interessante Einblicke in die Gefühlswelt von Nia und Aaron zulässt. Die Charaktere sind authentisch und vollziehen — was mir immer sehr gut an den Büchern gefällt — eine schöne Wandlung. Zum Beispiel lernt Nia eigene Entscheidungen zu treffen, zu sich selbst und ihren Wünschen zu stehen und sich so zu akzeptieren, wie sie ist, fernab von den Vorstellungen ihrer Eltern. Toll sind auch die fetzigen Dialoge und Streitereien zwischen den beiden. Sie sorgen für mühelosen Lesefluss und humorvolle Unterhaltung. Die Autorin verrät auch nicht gleich immer alles. Das fällt besonders zu Beginn des Buches auf. Sie lässt ihre Protagonisten agieren und Dinge sagen, die der Leser nicht sofort versteht. Beispielsweise dachte ich zunächst Laura wäre eine Freundin von Nia, bis herauskommt, dass sie ihre Tante ist. Auch fragte ich mich, was für einen seltsamen Termin Nia hat, von dem ihre Eltern sie dringend abhalten wollen. Dieses Erzählprinzip sorgt für Spannung und für eifriges Miträtseln. Auf jeden Fall wird es nicht langweilig! Und bald dann auch schön romantisch…

Fazit: Die perfekte Lektüre zum Abtauchen!

Veröffentlicht am 14.12.2017

We were Liars...

Solange wir lügen
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Die amerikanische Autorin E. Lockhart hat mit “Solange wir lügen” ein ganz außergewöhnliches Buch geschrieben. Ein Roman über eine angesehene Familie, über Lügen, Liebe und eine Wahrheit, nach der erst ...

Die amerikanische Autorin E. Lockhart hat mit “Solange wir lügen” ein ganz außergewöhnliches Buch geschrieben. Ein Roman über eine angesehene Familie, über Lügen, Liebe und eine Wahrheit, nach der erst gesucht werden muss. Der hochgelobte, amerikanische Bestseller, jetzt im Deutschen. Hochgelobt — zu Recht. Empfehlenswert: absolut! Spannend. Literarisch. Romantisch. Überraschend. Jetzt neu als Taschenbuch erschienen. Für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene.

Sie sind reich. Sie sind jung. Sie sind bildhübsch. Und sie verbringen jeden Sommer auf der Privatinsel der Familie vor der Küste von Massachusetts. Die Sinclairs. Da sind die Großeltern Harris und Tipper, die drei Töchter Penny, Carrie und Bess. “Die Sinclairtöchter waren braun gebrannt und wunderschön. Sie waren groß, fröhlich und reich wie Prinzessinnen aus einem Märchen. Sie waren in ganz Boston, Harvard und auf Martha’s Vineyard für ihre Kaschmircardigans und ihre grandiosen Partys bekannt. Sie waren gemacht für Legenden.” (Zitat aus “Solange wir lügen” S.16). Auf der Privatinsel ließen die Eltern der drei Frauen drei Häuser bauen, für jedes ihrer Töchter und deren neuen Familien eines. Eine große Schar von Enkelkindern trifft sich dort in den Sommermonaten wieder. Carry hat zwei Söhne: Johnny und Will. Penny eine Tochter namens Cadence. Und Bess hat drei Töchter: Mirren, die Zwillinge Liberty und Bonnie und einen Sohn namens Taft. Erzählt wird die Geschichte aus Cadence Sicht, die mittlerweile fast achtzehn Jahre alt ist: “Ich bin die älteste der Sinclairenkel. Erbin der Insel, des Vermögens und der Erwartungen. Na ja, vielleicht.” (Zitat S.17). Im Sommer, als Cadence fünfzehn war, hat ihr Vater die Familie verlassen. Es auch dieser Sommer, in dem sie Gat unerwartet näher kommt.

Gat, mit dem sie sich immer schon gut verstanden hat. Er ist der Neffe von Carries neuem Mann, den er schon vor sieben Jahren regelmäßig mit auf die Insel brachte. “Er hatte eine ausgeprägte Nase und schöne Lippen. Dunkelbraune Haut, schwarze gewellte Haare. Sein Körper strotzte vor Energie. Gat wirkte wie eine gespannte Feder. Als würde er auf etwas warten. Er war Einkehr und Begeisterung. Ehrgeiz und starker Kaffee. Ich hätte ihn ewig anschauen können.” (Zitat S.21). Doch dann ereignet sich ein Unfall im Meer, in Folge dessen Cadence ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet. Sie kann sich an die Geschehnisse unmittelbar vor, während und nach dem Unfall nicht mehr erinnern. Man hat sie zitternd und völlig unterkühlt am Strand gefunden. Wahrscheinlich hat sie sich ihren Kopf an einem der scharfkantigen Felsen gestoßen. Etwa sechs Wochen nach dem Unfall bekommt sie seltsame Übelkeits- und Ohnmachtsanfälle. Immer wieder. Starke Migräne. Und die Ärzte sind ratlos. Sie muss viele Tabletten nehmen und verbringt den nächsten Sommer nicht auf der Insel. Ihr Vater, der sie sehen möchte, nimmt sie mit auf Europareise. Doch dann im Sommer, als sie siebzehn ist, darf sie wieder auf die Privatinsel. Wenn auch nur für vier Wochen. Und Cadence möchte sich erinnern. Sie will wissen, warum sich Gat sich nie mehr bei ihr gemeldet hat. Und sie will wissen, was damals passiert ist…

“Solange wir lügen” wird durchgehend aus Cadences Sicht erzählt. Der Text wechselt manchmal in andere zeitliche Abschnitte. Berichtet von vergangenen Sommern, jedoch so, dass man stets gut folgen kann. Am Anfang hatte ich etwas Schwierigkeiten die Familien und deren Kinder einzuordnen (einfach weil es so viele Namen sind), hierbei hilft allerdings der zu Beginn abgedruckte Stammbaum der Familie Sinclair. Der Roman ist in mehrere Teile untergliedert: Teil eins: “Herzlich Willkommen”, welcher mit einer Vorstellung der Familie beginnt, die voller Ironie ist: “Herzlich Willkommen bei den wunderschönen Sinclairs. Niemand von uns ist ein Verbrecher. Niemand ein Abhängiger. Niemand ein Versager. […] Wir sind Sinclairs. Niemand ist schwach. Niemand hat Unrecht. Wir wohnen, zumindest in den Sommermonaten, auf einer Privatinsel vor der Küste von Massachusetts. Vielleicht ist das schon alles, was ihr wissen müsst.” (Zitat S.11/12). In solch einer Familie aufzuwachsen und zu leben ist zugleich Privileg, als auch Druck, was sich immer wieder während des Buches deutlich zeigt. Teil zwei namens “Vermont” spielt hauptsächlich dort, wo Cadence und ihre Mutter außerhalb der Sommermonate leben und erzählen von der Zeit nach Cadences Unfall. Es erzeugt einiges an Spannung, herauszufinden, was damals wohl passiert sein könnte, da der Leser sich auf dem gleichen Wissensstand befindet wie auch Cadence. In Teil drei (“Sommer siebzehn”) richtet sich das Augenmerk auf die Geschehnisse des aktuellen Sommers. In Teil vier bricht die Wahrheit immer mehr hervor, um in Teil fünf schließlich eine überraschende Auflösung zu liefern. E. Lockhart verwendet einen sehr angenehmen Erzählton.
Manchmal reiht sie sehr kurze Sätze aneinander, rückt Satzstücke in unterschiedliche Zeilen und lässt das Erwähnte dadurch intensiver wirken: “Früher war ich blond, aber jetzt sind meine Haare schwarz. Früher war ich stark, aber jetzt bin ich schwach. Früher war ich hübsch, aber jetzt sehe ich krank aus. Seit meinem Unfall leide ich an Migräne. Schwachköpfe kann ich nicht leiden. Ich mag es, wenn etwas mehrere Bedeutungen hat.” (Zitat S.12). Sie schafft es besondere Bilder zu erzeugen, um Gefühle herüberzubringen. Diese in all ihrer Heftigkeit dargestellt zu bekommen, berührt und lässt noch mehr am Innenleben der Protagonistin teilhaben. Beispielsweise stellt E. Lockhart den Auszug von Cadences Vater auf eine ganz außergewöhnliche metaphorische Weise dar, bei der man erst einmal realisieren muss, dass das nicht echt ist, sondern nur bildhaft gemeint ist: “Dann zog er eine Pistole und schoss mir in die Brust. Ich stand gerade auf dem Rasen und ich fiel. Die Einschussstelle klaffte weit auseinander und mein Herz rollte aus meinem Brustkorb ins Blumenbeet. In rhythmischen Stößen quoll Blut aus meiner offenen Wunde, aus meinen Augen, meinen Ohren, meinem Mund. Es schmeckte nach Salz und Versagen. Hellrot tränkte meine Scham, nicht geliebt zu werden, das Gras vor unserem Haus, die gepflasterte Auffahrt, die Stufen zur Veranda. Mein Herz zuckte zwischen den Pfingstrosen wie eine Forelle.” (Zitat S.14). Auch die aufkeimende Liebe zwischen Gat und Cadence wird äußerst sensibel erzählt. Sehr schöne Dialoge zwischen ihnen finden sich in dem Roman, die man am liebsten immer wieder und wieder lesen möchte. Ebenso kurze Märchen, die zur Wahrheitsfindung beitragen, sind in die Geschichte mit eingeflochten. Romantik, Spannung, Authentizität und das ganz besondere Ende, das sind wohl die größten Stärken dieser Geschichte, die definitiv das Potential zu einem Lieblingsbuch hat. Empfehlenswert!

Veröffentlicht am 26.03.2018

Lügen und intrigen

ONE OF US IS LYING
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Die amerikanische Autorin Karen M. McManus hat es mit ihrem Debüt “One of us is lying” auf Anhieb auf die New York Times Bestsellerliste geschafft. Ein Thriller über einen Mord an einer Highschool, vier ...

Die amerikanische Autorin Karen M. McManus hat es mit ihrem Debüt “One of us is lying” auf Anhieb auf die New York Times Bestsellerliste geschafft. Ein Thriller über einen Mord an einer Highschool, vier Verdächtige und dunkle Geheimnisse, die ans Licht zu kommen drohen. Flott erzählt und sehr unterhaltsam. Für Jugendliche ab 13 Jahren und interessierte Erwachsene.

Bayview. Texas. Sie haben eigentlich nichts groß miteinander zu tun. Und werden gezwungen sich an einem gemeinsamen Ort aufzuhalten. Beim Nachsitzen. Fünf Jugendliche:
Bronwyn. Ihres Zeichens Musterschülerin. “Ständig nimmt sie an irgendwelchen Projektgruppen teil oder gründet selbst welche, an denen dann andere teilnehmen. Natürlich ist sie immer diejenige, die alles organisiert.” (Zitat S.34) Sie schreibt Traumnoten und wird mit Sicherheit nach Yale gehen. So wie es in ihrer ganzen Familie bereits seit Jahren Tradition ist.
Nate. Einen Heiligenschein trägt er nun wirklich nicht. “Nate bringt sich seit der fünften Klasse praktisch ständig in irgendwelche Schwierigkeiten […] Aus der Gerüchteküche weiß ich, dass erKaren M. McManus - One of us is lying wegen irgendwas zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist. Vielleicht Trunkenheit am Steuer oder Drogenhandel. Jeder weiß, dass er dealt, wobei mein Wissen natürlich rein theoretisch ist.” (Zitat S.11)
Cooper. Gut aussehend und der Baseball-Star der Schule. Der vor allem von seinem Vater besonders gefördert wird: “Als ich in der zweiten Klasse war, hat mein Vater darauf bestanden, dass ich lerne, mit der rechten Hand zu schreiben, nachdem er meinen ersten Pitch gesehen hatte. Dein linker Arm ist Gold wert, meinte er. Verschwende die Kraft darin nicht für irgendwelchen Mist, der komplett unwichtig ist. Und soweit es ihn betrifft, gilt das für alles außer für das Werfen eines Baseballs.” (Zitat S.16)
Addy. Mit den wunderschönen Haaren, deren Mutter sie schon zu unzähligen Schönheitswettbewerben zerrte, bei denen sie allerdings nie den ersten Platz erreichte. Ihren Freund Jake liebt sie über alles und macht eigentlich immer alles, was er sagt: “Ich warte, bis Jake um den Wagen herumgegangen ist und mir die Tür aufmacht. Als ich aussteige, schlüpfe ich wie immer unter seinen Arm. Meine ältere Schwester Ashton macht gern Witze darüber, dass ich wie ein Parasit bin, der sich an seinen Wirt heftet und ohne ihn sterben würde.” (Zitat S.29)
Karen M. McManus - One of us is lyingSimon. Er hat eine Gossip-App erfunden und selbst entwickelt und veröffentlicht darüber immer wieder neueste, bloßstellende Geheimnisse, die er über seine Mitschüler herausgefunden hat. “Er wirft Simon einen besonders finsteren Blick zu. Jeder Lehrer an der Schule kennt seine App, kann aber so gut wie nichts dagegen unternehmen. Simon verwendet lediglich die Initialen der Leute, über die er schreibt, um ihre Identität nicht allzu offensichtlich preiszugeben, und erwähnt auch nirgendwo, um welche Schule es sich handelt.” (Zitat S.14)
Die Jugendlichen, die nichts groß miteinander zu tun haben, stellen jedoch fest, dass sie eine Gemeinsamkeit haben: man hat ihnen ein Handy untergeschoben. Etwas, was im Unterricht von Mr Avery strengstens verboten ist. “Er verfolgt eine harte “Handys bleiben draußen”-Politik und verbringt die ersten zehn Minuten jeder Stunde damit, Rucksäcke zu filzen, als wäre er der Chef der Flughafensicherheitskontrolle und wir würden alle auf der schwarzen Liste stehen.” (Zitat S.12) Wer war das? Dann bricht auch noch Simon, der Junge, der von so vielen wegen seiner App gehasst wird, nach einem Schluck Wasser aus einem Plastikbecher plötzlich zusammen. Nate vermutet einen allergischen Schock, doch es findet sich kein EpiPen in Simons Rucksack und auch auf dem Karen M. McManus - One of us is lyingKrankenzimmer sind auf einmal alle Stifte verschwunden. Bald darauf kommt der Krankenwagen, doch der Junge stirbt und die Polizei nimmt sich dem Fall an. Spuren von purem Erdnussöl befanden sich in dem Becher. Wer hat das getan? Als herauskommt, dass Simon in seiner App einen neuen Skandalpost geschrieben hat, der kurz vor der Veröffentlichung stand, wird schnell klar — jeder der vier Jugendlichen hatte etwas zu verbergen. Bronwyn, Nate, Cooper und Abby stehen unter Mordverdacht und nicht nur die ganze Schule, sondern auch die Presse nimmt an den Spekulationen teil…

Der Thriller wird aus verschiedenen Perspektiven in der jeweiligen Ich-Perspektive erzählt und setzt sich erst langsam wie ein Puzzle zusammen. Es sind Bronwyn, Nate, Cooper und Abby, die erzählen und deren beginnende Kapitel mit einem Kästchen grau unterlegten Kästchen eingeleitet werden, in dem der Name des Berichtenden, das Datum und die Uhrzeit stehen. Ebenso puzzlehaft setzt sich das Cover zusammen, das optimal zum Inhalt passt. Die Grundidee der Geschichte ist absolut gelungen und sehr faszinierend: “Das Problem mit About That ist immer gewesen, dass man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass jedes Wort, das dort stand, wahr war. […] Er hatte überall an der Schule seine Karen M. McManus - One of us is lyingQuellen und war extrem vorsichtig mit dem, was er veröffentlichte. Meistens stritten die Betroffen natürlich alles ab und taten so, als wäre es ihnen egal, aber er lag mit seinen Behauptungen kein einziges Mal falsch.” (Zitat S.40) Die schlimmsten Geheimnisse, die Heranwachsende haben können, werden herausgefunden und veröffentlicht… das eignet sich perfekt für ein Mordmotiv. Und Karen M. McManus streut ihre Verdachtsmomente wirklich meisterhaft. Lange hatte ich keine Ahnung, wer der Täter gewesen sein könnte und das Rätselraten setzt sich munter fort. Auch wenn es ab und zu ein paar kleinere Längen gab, in denen zwar immer etwas passierte, aber es nicht ganz so dramatisch zuging, habe ich die Geschichte wirklich gerne gelesen. Besonders die Charaktere, die zu Beginn noch stereotyp wirken, gewinnen rasch an Tiefe und man fiebert mit ihnen mit. Auch eine kleine Liebesgeschichte ist in den Thriller mit eingebaut. Die Sprache ist einfach und bietet einen mühelosen Lesefluss. Im letzten Teil des Buches — nervenzerreißende Spannung!

Fazit: Tolle Unterhaltung mit jeder Menge Gossip, Lügen, Intrigen und Spannungsmomenten! Sogar eine TV-Serie ist geplant.