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Veröffentlicht am 08.04.2018

Was hat Elizabeth ihrer Tochter vierzig Jahre lang verschwiegen?

Zeit der Schwalben
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Adele lebt in London, arbeitet dort als Bäckerin und ist zufrieden mit ihrem Job, obwohl ihr von ihrer Mutter Elizabeth immer signalisiert wurde, dass sie wie ihre höchst erfolgreichen Geschwister mehr ...

Adele lebt in London, arbeitet dort als Bäckerin und ist zufrieden mit ihrem Job, obwohl ihr von ihrer Mutter Elizabeth immer signalisiert wurde, dass sie wie ihre höchst erfolgreichen Geschwister mehr aus ihrem Leben machen soll. Doch nun liegt Elizabeths Unfalltod genau ein Jahr zurück. Als sich die Familie zu diesem Anlass im Elternhaus versammelt, schleicht sich Adele ins Arbeitszimmer ihrer Mutter, als das Telefon klingelt und sie einen verwirrenden Anruf annimmt: Ein Mann spricht von Nachforschungen und nennt den vierzehnten Februar – ihren Geburtstag. Kurz darauf steht eine Frau vor der Tür, die behauptet, herausgefunden zu haben, dass Elizabeth auch ihre Mutter sei. Was steckt dahinter? Adele folgt den Spuren in die Vergangenheit ihrer Mutter, bis hin zu einem Sommer, der alles verändert hat.

Ich lese sehr gern Familiengeschichten mit einem lange gehüteten Geheimnis, weshalb dieses Debüt meine Neugier geweckt hat. Die ersten Seiten machen schnell Lust, tiefer in die Vergangenheit einzutauchen: Sie berichten von einem Haus, das schon viel gesehen hat und auch die Erinnerung an die erste Liebe eines Mädchens im Jahr 1958 bewahren wird. Bevor der Leser darüber mehr erfährt, springt die Geschichte gut vierzig Jahre in die Zukunft, wo sich für Adele die Ereignisse mit einem Anruf und einer angeblichen Schwester vor der Tür überschlagen.

Ich konnte gut nachvollziehen, dass Adele und ihre hochschwangere Schwester Venetia abwehrend reagieren und der Frau auf ihrer Türschwelle nicht so recht glauben wollen. Doch warum sollte diese sich so etwas ausdenken? Es scheint ihr nicht ums Geld zu gehen, und sie ist tatsächlich im Besitz von Notizen Elizabeths. Nach dem ersten Schock beginnt Adele, sich damit auseinanderzusetzen, was das für ihre Familie bedeutet. Natürlich will sie auch mehr darüber erfahren, was ihre Mutter ihr verschwiegen hat. Doch die Personen, die Informationen haben könnten, wollen oder können ihr diese aus nachvollziehbaren Gründen nicht preisgeben. Das wirkte auf mich etwas konstruiert, führt aber zu einer interessanten Spurensuche, auf die Adele sich gemeinsam mit ihrer angeblichen Schwester Phoebe begibt.

Adele und Phoebe sind vom Charakter her völlig unterschiedlich. Adele ist eher zurückhaltend und bedacht, sie wägt Optionen sorgfältig ab und scheut sich eher davor, etwas Neues zu beginnen. Phoebe ist hingegen ein Energiebündel, als Pilotin ist sie überall in der Welt unterwegs und will Dinge am liebsten gestern erledigt haben. Oft prescht sie aber auch zu schnell vor und verunsichert dadurch ihr Gegenüber. Die beiden können also noch einiges voneinander lernen und es war schön, sie bei ihrer gemeinsamen Suche zu begleiten.

Die Nachforschungen im Jahr 2000 werden immer wieder von Rückblicken unterbrochen, in denen Elizabeth in Form ihres Tagebuchs zu Wort kommt und hauptsächlich über die Jahre 1958 bis 1960 berichtet. Man begleitet sie auf ihrem Weg nach Hartheim, wo sie den Sommer verbringen soll, weil ihre Mutter im Sterben liegt. Dort verbringt sie unbeschwerte Wochen. Doch irgendwann kommt alles ganz anders als gedacht. Die Rückblicke fügen sich gelungen in die Handlung ein und erlauben es dem Leser, tief in Elizabeths Gedanken und Gefühle einzutauchen. Neue entscheidende Informationen erhält man dabei gleichzeitig mit Adele und Phoebe, sodass der Handlungsstrang im Jahr 2000 interessant blieb und einige überraschende und auch bedrückende Momente bereit hält, während die Wahrheit stückweise ans Licht kommt. Die Seiten flogen nur so dahin in dieser rundum gelungenen Geschichte, die am Ende alle wichtigen Fragen beantwortet.

„Zeit der Schwalben“ erzählt von Adele, die ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter damit konfrontiert wird, dass diese ihr vierzig Jahre lang etwas Entscheidendes verschwiegen hat. Die beiden Zeitebenen, auf der die Geschichte erzählt wird, sind gelungen miteinander verwoben und ich konnte mich sehr gut in die interessanten Charaktere hineinversetzen, die ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Das Buch thematisiert ein ernstes Thema der englischen Geschichte und stimmt nachdenklich, verliert gleichzeitig aber nie eine gewisse Leichtigkeit. Ich gebe eine ganz große Leseempfehlung an jeden, der gerne in Familiengeschichten mit Geheimnissen eintaucht!

Veröffentlicht am 08.04.2018

Was verschweigt Ina ihrer Tochter Ariane?

Preiselbeertage
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Ariane hat vor Jahren Schweden, das Land ihrer Kindheit, verlassen. Seither lebt und arbeitet sie in Leipzig. Doch dann drängt ihr nicht allzu fester Freund sie, mit ihm zusammenzuziehen. Kurz darauf erhält ...

Ariane hat vor Jahren Schweden, das Land ihrer Kindheit, verlassen. Seither lebt und arbeitet sie in Leipzig. Doch dann drängt ihr nicht allzu fester Freund sie, mit ihm zusammenzuziehen. Kurz darauf erhält sie die Nachricht von Tod ihres Vaters Jörg. Ariane beschließt, in ihre Heimat zurückzukehren und dort einen Neuanfang zu wagen. Eine Heimat, in der er ihre Schwester Jolante fremd scheint und ihre Mutter Ina Geheimnisse hütet. Warum verleugnet Ina die Existenz eines Manuskripts, deren Rechte Jörg an Ariane und Jolante vererbt hat? Als Ariane Nachforschungen anstellt, entdeckt sie Ungereimtheiten und drängt auf die Wahrheit. Doch sind die Beteiligten bereit, sich ihr zu stellen?

Das Cover des Buches finde ich mit der rosa-weißen Grundierung und den Preiselbeeren als hervorstechendes Element schlicht, aber schick. Die Buchbeschreibung machte mir schnell Lust auf die Lektüre, denn ich war letztes Jahr zum ersten Mal in Schweden und freute mich, literarisch erneut in das Land einzutauchen. Zu Beginn des Buches ist Ariane in Leipzig, doch der Tod ihres Vaters und der Druck, den ihr mehr-oder-weniger-Freund auf sie ausübt, lassen sie einen Neuanfang in Schweden wagen. Diese Entscheidung trifft sie relativ spontan. Ob sie sich als die richtige herausstellen wird?

Ariane als Protagonistin ist der Typ, der eher intuitiv reagiert als Pläne schmiedet. Als sie in Schweden auf erste Geheimnisse stößt, was das Manuskript ihres Vaters angeht, beschließt sie, mehr in Erfahrung zu bringen. Auch wenn ihre Absichten aufrichtig sind lässt sie sich zu Schritten hinreißen, die bei mir auf Unverständnis trafen. Fingerspitzengefühl sieht anders aus. Doch ihre Beharrlichkeit ist es, die sie der Wahrheit schließlich näher bringt.

Während Ina in die Defensive geht, näher sich Ariane mit der Zeit ihrer Schwester Jolante an. Die beiden verbringen mehr Zeit miteinander und entdecken sich als Schwestern neu, was ich sehr schön fand. Auch mit dem Wildhüter Viggo, der den örtlichen Elchpark leitet, verbringt Ariane zunehmend Zeit und fühlt sich zu ihm hingezogen. Ich persönlich habe mich gefreut, dass die beiden einen Ausflug in das Zuckerstangenstädtchen Gränna machen, das ich auch schon besucht habe. Doch ist Ariane nach dem ruhmlosen Ende ihrer letzten Beziehung, in der die Gefühle nicht stimmten, bereit, sich auf etwas Neues einzulassen?

Parallel zu dem Handlungsverlauf in der Gegenwart gibt es immer wieder Rückblenden in die 80er Jahre. Hier lebt Ina mit der kleinen Ariane im Haus ihrer Eltern in der DDR. Ina wird schließlich die Ehre zuteil, mit ihrem Chor nach Schweden zu reisen. Von Beginn an merkt man als Leser, dass es einiges gibt, das Ariane nicht weiß. Aber warum hat man ihr das nicht erzählt? Man erfährt nach und nach immer mehr über Inas Vergangenheit und die damit verbundenen Geheimnisse. Diese Zeilen waren recht bedrückend und gleichzeitig plausibel und halfen mir als Leserin, Inas Agieren in der Gegenwart zu verstehen.

Arianes Leben in Schweden hält immer wieder schöne Momente für sie bereit, doch die Beziehung zu ihrer Mutter leidet durch ihr Nachbohren zunehmend. Schließlich müssen sich die Charaktere der Wahrheit stellen und entscheiden, was sie daraus machen. Hier findet die Autorin genau die richtigen Worte für die schwierige Lage der Beteiligten und führt das Buch zu einem wie ich finde gelungenen Abschluss.

In „Preiselbeertage“ kehrt Ariane nach Schweden, das Land ihrer Kindheit, zurück, um dort neu anzufangen. Als sie bemerkt, dass ihre Mutter ihr etwas verschweigt, beginnt sie, nachzubohren. Das Thema Familie steht in diesem Roman im Mittelpunkt, Beziehungen zueinander wollen neu entdeckt werden und bedrückende Geheimnisse warten auf ihre Lüftung. Ich empfehle das Buch klar an alle weiter, die Familiengeschichten mögen!

Veröffentlicht am 08.04.2018

Ein Zauberer blickt auf das 20. Jahrhundert zurück

Das Glück des Zauberers
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Pahroc hat die 100 Jahre bereits überschritten, als für ihn ein großer Wunsch in Erfüllung geht: Seine vier Monate alte Enkelin Mathilda zeigt als erste seiner Nachkommen die Begabung fürs Zaubern, indem ...

Pahroc hat die 100 Jahre bereits überschritten, als für ihn ein großer Wunsch in Erfüllung geht: Seine vier Monate alte Enkelin Mathilda zeigt als erste seiner Nachkommen die Begabung fürs Zaubern, indem sie ihm mit der „langen Hand“ die Brille von der Nase fegt. Er beginnt, Briefe an sie zu schreiben, die ihr als Packen übergeben werden sollen, wenn sie erwachsen ist. Darin erteilt er ihr Ratschläge rund ums Zaubern und erzählt dabei seine eigene Lebensgeschichte. In zwölf Briefen blickt der Leser durch Pahrocs Augen auf das 20. Jahrhundert zurück, in welchem ihm die Zauberei in so mancher verzwickter Lage half und ihn heimlich Großes hat tun lassen.

Das Buch beginnt mit einem Begleitbrief von Rejlander, die sich als Pahrocs Nachlassverwalterin vorstellt und an zwei Freunde schreibt, denen sie das Zustandekommen seiner Briefsammlung und seine Pläne für die Übergabe an Mathilda irgendwann nach ihrem achtzehnten Geburtstag erklärt. Nach dieser Einstimmung war ich neugierig, selbst einen Blick auf die Briefe werfen zu dürfen und tauchte ein in die Aufzeichnungen des Zauberers.

Mir hat die Idee, dass ein Großvater Briefe mit Ratschlägen an seine Enkelin schreibt, sehr gefallen. Besonders interessant wird es durch den Aspekt des Zauberns. Erst mit fortschreitendem Alter kann man bestimmte Zauber überhaupt erlernen, weshalb Pahroc diese nach der Erlernbarkeit ordnet und erzählt, welche Erfahrungen er selbst damit gemacht hat. Pahroc blickt auf diverse Ereignisse des 20. Jahrhunderts zurück, sowohl solche, welche die ganze Bevölkerung miterlebt hat als auch einzelne Sternstunden, bei denen er als Zauberer ganz nah dran war und sie sogar manchmal entscheidend beeinflusst hat.

Mit Pahroc hat er einen klugen Erzähler geschaffen, der oft mit einem zwinkernden Auge von seinen Erlebnissen berichtet, aber auch ernste Töne anschlägt und Warnungen ausspricht. Der historische Rückblick wird durch den Aspekt des Zauberns bereichert, denn dieser schafft zum einen durch Zauber wie das Fliegen und Geld zaubern große Freiheiten im Hinblick auf den Verlauf der Geschichte und sorgt zum anderen durch die fantastisch-fabulierende Perspektive für Unterhaltung. Da erteilt Pahroc zum Beispiel Ratschläge zum richtigen Umgang mit Krokodilen, denn er verwandelt sich ja selbst gern in eins. Oft schwingen in seinen Berichten aber auch eine Gesellschaftskritik sowie philosophische Gedanken mit, die ins Nachdenken bringen.

In seinen Briefen schildert Pahroc mehr oder weniger chronologisch sein Leben, mal greift er auch vor oder blickt noch einmal zurück auf ein bislang ausgelassenes Erlebnis. Auch das aktuelle Tagesgeschehen von 2012 bis Mai 2017 wird aufgegriffen, denn in diesem Zeitraum hat er die Briefe verfasst. Durch den plaudernden Tonfall lässt sich das Buch zügig lesen. Immer wieder stellte ich mir vor, wie es wohl für Mathilda sein wird, diese Briefe in der Hand zu halten. Diese Frage wird im Buch nicht explizit beantwortet, was ich gut fand, denn so blieb offen, ob ihre Gefühle und Gedanken die gleichen waren wie meine. Was dem Leser jedoch nicht vorgehalten wird, ist, was in der Zukunft passiert, nachdem Mathilda die Briefe gelesen hat. Hier halt das Nachwort einen gelungenen Kniff bereit, der mich überraschen konnte und einen nachdenklich-hoffnungsvollen Abschluss bildet.

In „Das Glück des Zauberers“ erzählt der Zauberer Pahroc mittels Briefen der erwachsenen Version seiner aktuell vier Monate alten Enkelin seine Lebensgeschichte und gibt Ratschläge zum Zaubern. Dieser Rückblick auf das 20. Jahrhundert, bei welchem der Schwerpunkt auf den 1920er bis 1950er Jahren liegt, wurde durch den Aspekt des Zauberns absolut bereichert. Das Buch ist eine Mischung aus Historik, Fabulierkunst, Humor, Gesellschaftskritik und Philosophie, die mir sehr gut gefallen hat. Solltet ihr eine Gelegenheit erhalten, wie ich einen Blick auf Pahrocs Briefe an Mathilda zu werfen, dann ergreift sie unbedingt!

Veröffentlicht am 08.04.2018

Gelungenes Prequel mit einer guten Mischung aus Bekanntem und Neuem

Die Spur der Bücher
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Im viktorianischen London ist Mercy eine talentierte Diebin, die für ihre Kunden seltene Bücher beschafft. Der Bibliomantik hat sie abgeschworen, seit es einige Jahre zuvor zu einem fatalen Vorfall kam, ...

Im viktorianischen London ist Mercy eine talentierte Diebin, die für ihre Kunden seltene Bücher beschafft. Der Bibliomantik hat sie abgeschworen, seit es einige Jahre zuvor zu einem fatalen Vorfall kam, für den sie sich die Schuld gibt. Doch nun steht ein alter Bekannter vor ihrer Tür und bittet sie, Nachforschungen zu einem mysteriösen Todesfall anzustellen. Ein Buchhändler und Nachbar ihres verstorbenen Ziehvaters wurde tot in seinem Laden aufgefunden – er ist verbrannt, während kein Buch zu schaden kam. Widerwillig folgt Mercy den wenigen Spuren. Bald muss sie feststellen, dass der Vorfall Teil einer weitaus größeren Angelegenheit voller Intrigen und Geheimnisse ist, bei der einige der einflussreichsten Menschen der Londoner Buchwelt ihre Finger im Spiel haben.

Nachdem die „Seiten der Welt“-Trilogie von Kai Meyer mich begeistern konnte, habe ich mich sehr über die Nachricht gefreut, dass der Autor noch mehr über die Welt der Bibliomantik zu erzählen hat. Die neue Geschichte spielt im viktorianischen London und damit zeitlich vor den bislang erschienenen Büchern. Die Aufmachung ist erneut ein echter Hingucker: Das Cover passt in seiner Aufmachung super zur Trilogie und zeigt mit der Buchhändlerstraße einen wichtigen Handlungsort. Dort ist unter anderem das „Liber Mundi“ zu erkennen, der Buchladen des verstorbenen Ziehvaters der Protagonistin Mercy.

Das Buch startet spannend und temporeich mit einem Einbruchsversuch, den Mercy gemeinsam mit einigen Freunden unternimmt. Dabei geht sie jedoch Madame Xu, der gefürchtetsten und einflussreichsten Person von ganz Chinatown, in die Falle. Es folgen nervenaufreibende Dialoge und eine temporeiche, bibliomantische Jagd. Dieser fulminante Auftakt machte Lust darauf, mehr über Mercy und ihre Geschichte zu erfahren.

Im Anschluss macht die Geschichte einen Sprung von mehreren Jahren und man begegnet einer deutlich veränderten Mercy. Der Bibliomantik hat sie nach jenem fatalen Tag abgeschworen und auch viele alte Kontakte abgebrochen. Aus dem Mädchen, das sich für unbesiegbar hielt, ist eine junge Frau geworden, die vorsichtig und mit Berechnung agiert. Ihre Schuldgefühle bestimmen noch immer ihr Handeln. Ein mysteriöser Todesfall in der Buchhändlergasse sorgt dafür, dass ein alter Bekannter nun auf sie zukommt. Was er zu erzählen hat ist eine Überraschung von Mercy und es bewegt sie dazu, zum ersten Mal seit Jahren einen Fuß in ihr altes Leben zu setzen.

Auch wenn Mercy selbst keine Bibliomantik mehr wirkt, ist die Geschichte doch ein Zurückkommen in jene magische Welt, die mich schon zuvor fasziniert hat. Ich begegnete bereits bekannten Elementen der Bibliomantik wie dem Spalten von Seitenherzen und den lebenden Origamis. Gleichzeitig gibt es neue Dinge zu entdecken. Kreativ fand ich, dass auch mit Penny Dreadfuls, also billigen Romanheften, eine schwache Form der Bibliomantik gewirkt werden kann. Außerdem gibt es neue bibliomantische Artefakte wie den Veterator, grob gesagt ein geschwätziges Lexikon mit Füßen, und einiges mehr. Dem Autor gelingt es sehr gut, neue interessante Elemente in die Welt einzubinden und gleichzeitig die ins Herz geschlossenen Grundlagen nicht aus den Augen zu verlieren. Auch eine lose Verbindung zur Seiten der Welt-Trilogie kann man als Fan entdecken, während man als Neueinsteiger kein Vorwissen benötigt und auch nicht gespoilert wird.

Die Protagonistin Mercy habe ich schnell ins Herz geschlossen. Ihre Vorgeschichte konnte mich berühren und sehr gern begleitete ich sie bei ihrem Versuch, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dabei wurde mir eine gute Mischung aus temporeichen Szenen vor mal imposanten, mal düsteren Kulissen zum einen und Gesprächen mit möglicherweise Beteiligten zum anderen geboten, die stückweise neue Erkenntnisse brachten. Das Finale ist spektakulär und bietet gleich mehrere Überraschungen verschiedenster Art, die das Buch gelungen abschließen. Einige Dinge sind aber noch offen geblieben, weshalb ich nun vorfreudig auf „Der Pakt der Bücher“ warte, was im Herbst 2018 erscheint.

In „Die Spur der Bücher“ stellt Mercy Nachforschungen zu einem mysteriösem Todesfall an, bei dem eindeutig Bibliomantik am Werk war. Fans der Seiten der Welt-Trilogie wie ich können mit diesem Buch in die bibliomantische Welt zurückkehren und erleben eine eigenständige, absolut gelungene Geschichte mit einer guten Mischung aus Bekanntem und Neuem. Auch Neueinsteiger ohne bibliomantisches Vorwissen können und sollten hier zugreifen. Ein Muss für jeden, der Phantastik mag und Bücher liebt!

Veröffentlicht am 08.04.2018

Eine bewegende Flucht aus der Sklaverei

Underground Railroad
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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Sklaverei in den Südstaaten Amerikas ein fest etabliert. Cora wurde als Sklavin geboren und schuftet auf einer Baumwollplantage in Georgia. Ihre Mutter ist die einzige ...

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Sklaverei in den Südstaaten Amerikas ein fest etabliert. Cora wurde als Sklavin geboren und schuftet auf einer Baumwollplantage in Georgia. Ihre Mutter ist die einzige geflüchtete Sklavin der Plantage, die nie gefunden und vor den Augen der anderen zu Tode gefoltert wurde. Cora fühlt sich von ihr im Stich gelassen und ist unter den anderen Sklaven als zu meidender Sonderling bekannt. Bis sie eines Tages von Caesar angesprochen wird: Er habe Verbindungen zur Underground Railroad, einem Netzwerk, das Sklaven bei der Flucht unterstützt. Gemeinsam mit ihr will er die Flucht wagen. Nach einigem Zögern sagt Cora zu und erlebt eine Odyssee, die geprägt ist von vorsichtiger Hoffnung und schweren Rückschlägen.

Das Cover des Buches zeigt ein düsteres, allein stehendes Haus unter einem Sternenhimmel. Etwa so habe ich mir die Stationen der Unterground Railroad vorgestellt, zu denen die Sklaven in der Dunkelheit von ihren Helfern gebracht werden und wo eine versteckte Falltür hinunterführt zu Schienen, auf denen Züge die Geflüchteten gen Freiheit transportieren. Denn der Begriff Underground Railroad wird in diesem Roman wörtlich genommen: Aus dem historisch belegten Netzwerk von Unterstützern, die Sklaven versteckten und sie über geheime Fluchtrouten in Sicherheit brachten wird in diesem Roman ein unterirdisches, in seiner Ausdehnung enormes Schienennetz für die Flucht.

Die Protagonistin Cora lernt man als Sklavin mit starkem Willen kennen, die das Risiko einer Flucht abwägt. Ihre Großmutter wurde in Afrika geraubt und starb als Sklavin, doch ihre Mutter ist vor Jahren geflüchtet und wurde nie gefunden. Andere Beispiele führen Cora jedoch vor Augen, welches schlimme Schicksal all jenen blüht, die gefunden werden. Ist es trotzdem einen Versuch wert?

Während Cora überlegt, lernt man ihren Alltag auf der Plantage kennen. Die kräftezehrende Arbeit, die Intrigen unter den Sklaven, die Grausamkeit und Willkür des Plantagesbesitzers und entsetzliche Strafen, die jeden einmal treffen. Auch wenn mir die historischen Fakten bekannt waren, hat es mich betroffen gemacht, die Szenen durch Coras Augen zu erleben. Dass Cora flüchten wird verrät schon der Titel, doch nach diesen Einblicken konnte ich umso besser verstehen, weshalb ihr die Entscheidung so schwer fällt und warum sie sich schließlich wie so viele vor ihr trotzdem dafür entscheidet.

Mit der Flucht kommt zur Dramatik eine Spannungskomponente hinzu. Wird das Vorhaben erfolgreich sein? Die Erlebnisse während der Flucht zeigten mir noch deutlicher, welches Schicksal den Geflüchteten bei Gefangennahme droht und ebenso denen, die geholfen haben. Immer wieder schöpft Cora vorsichtig Hoffnung, dass sich alles zum Besseren wendet. Dafür sorgen auch viele ganz verschiedene Menschen, die helfen wollen – ein großer Appell an Zivilcourage, die auch unter den widrigsten Bedingungen zum Glück nie gänzlich erstickt werden kann.

Doch der Rassismus und damit verbundene feindselige Übergriffe treiben Cora von einem Ort zum anderen. Ich hatte großen Respekt vor ihrer Stärke, die sie bei all dem zeigt. Ihre Erlebnisse führten mir eindringlich vor Augen, wie Menschen durch Propaganda und Rassendenken zu grausamen Taten getrieben werden, die sie in der vollen Überzeugung ausführen, im Recht zu sein. Kurze Kapitel geben Einblicke in die Gedanken von Menschen, denen Cora auf ihrem Weg begegnet, und ließen mich ihre Motivation besser verstehen, auch wenn sie oft verwerflich ist. Dem Autor gelingt es, dass bei all der Grausamkeit die Hoffnung bis zum recht offenen Ende nie ganz verloren geht, was für mich eine gelungene Botschaft ist.

In „Underground Railroad“ wagt die Sklavin Cora die lebensgefährliche Flucht gen Norden. Ihre Erlebnisse auf der Plantage und auf der Suche nach Freiheit machten mich betroffen. Eindringlich berichtet der Roman von gelebtem Rassismus in seiner schlimmsten Form und Menschen mit Zivilcourage, die heimlich Widerstand leisten und Hoffnung geben. Das Buch lässt den Leser durch die Augen einer Sklavin aufs Geschehen blicken und hat mich ins Nachdenken gebracht nicht nur über die Sklaverei in Amerika, sondern über Rassismus im Allgemeinen. Ich kann die Lektüre klar weiterempfehlen.