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Veröffentlicht am 09.04.2018

Die Suche nach der Wahrheit

Im Dunkel deiner Seele
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Evan Birch ist Philosophie-Professor, treusorgender Familienvater und Ehemann und führt insgesamt ein durchschnittlich-langweiliges Leben. Bis er eines Tages unter Verdacht steht, mit dem Verschwinden ...

Evan Birch ist Philosophie-Professor, treusorgender Familienvater und Ehemann und führt insgesamt ein durchschnittlich-langweiliges Leben. Bis er eines Tages unter Verdacht steht, mit dem Verschwinden eines 16-jährigen Cheerleaders zu tun zu haben. Zu Beginn gibt es nur ein paar Indizien, die Evan in den Fokus der polizeilichen Ermittlungen rücken, aber spätestens als die ersten handfesten Beweise auftauchen, die ihn mit der verschwundenen Joyce Bonner in Verbindung bringen, schwindet auch das Vertrauen seiner Ehefrau und seiner Söhne...

Der als Thriller beworbene Titel "Im Dunkel Deiner Seele" weckte schon anhand des Klappentextes sofort mein Interesse. Im Moment habe ich gerade eine Psychothriller-Phase, und dieses Buch schien haargenau in mein derzeitiges Beuteschema zu passen.

Wie man es von Thrillern mit psychologischer Komponente gewohnt ist, verläuft auch hier der Einstieg in die Handlung sehr ruhig: Der Leser bekommt ausreichend Zeit, die Figuren kennenzulernen und sich eine Meinung über sie zu bilden. Dies geschieht allerdings ausschließlich aus der Perspektive von Evan, der zwar der Protagonist, aber kein Ich-Erzähler ist. Dadurch betrachtet man als Leser sämtliche Nebenfiguren - angefangen von Evans Ehefrau Ellen und den Zwillingssöhnen Adam und Zed, bis hin zu kleineren Rollen bei der Polizei oder unter Evans Arbeitskollegen - nicht neutral, sondern aus Evans subjektivem Blinkwinkel, beziehungsweise in seiner subjektiven Wahrheit. Dabei bleibt allerdings auch Evan selbst wenig greifbar, man hat durch die distanzierte Erzählweise in der dritten Person immer das Gefühl, auf Abstand gehalten zu werden. Und so ging die Saat des Zweifels an Evans Unschuld auch bei mir sehr schnell auf.

Obwohl die Spannung über das ganze Buch hinweg eher subtil bleibt, wurde mein Interesse durch immer mehr unerklärliche Vorkommnisse und neue Details über Evans Vorleben durchgehend wachgehalten. Die Zeichnung der Figuren überzeugt, obwohl ich nicht behaupten könnte, dass ich ihnen große Sympathien entgegengebracht habe, haben sie durch allerlei seltsame Marotten und die komplizierten Beziehungen in Evans Familie sehr viel Stoff zum Nachdenken geliefert.

Insgesamt dreht sich der gesamte Roman - und ich schreibe hier bewusst Roman, nicht Thriller - meiner Ansicht nach um die Frage: "Wie gut kennen wir andere Menschen wirklich?" Selbst bei Ehepartnern und Kindern, also unseren engsten Angehörigen, kennen wir letztendlich nur die Seiten, die sie uns von sich zeigen, und genauso verhält es sich hier mit den Figuren des Romans. Versinnbildlicht wird dies durch Evans zunehmende Unfähigkeit, seine beiden Söhne, eineiige Zwillinge, voneinander zu unterscheiden. Zu Beginn versucht er es zumindest noch, aber im späteren Verlauf, heißt es oft nur noch "einer der Zwillinge".
Die Frage, wie lange es dauert, und wie viel es braucht, um unser Vertrauen zu erschüttern, ist zwar ein vielversprechender Ansatz, aber George Harrars Umsetzung als "philosophischer Thriller", wie er sein Buch im Nachwort bezeichnet, konnte mich am Ende überhaupt nicht mehr überzeugen.

Ein Philosophie-Student sagte einmal zu mir: Die Philosophie ist nicht dafür da, Antworten zu finden, sondern immer mehr neue Fragen. Und so verhielt es sich für mich auch mit "Im Dunkel Deiner Seele", trotz des vielverspechenden Starts blieb ich am Schluss mit einem Berg unbeantworteter Fragen und jeder Menge Frustration zurück, was stark mit dem kollidiert, was ich mir von einem Thriller erwarte, wo doch in einem letzten Aha-Moment eigentlich alle Puzzleteile an ihren Platz fallen sollten.


NACHTRAG: Wer wie ich die grundsätzliche Fragestellung interessant, die Umsetzung aber missglückt fand, könnte Gefallen an dem (echten) Psychothriller "Best Day Ever" von Kaira Rouda finden. Ich habe es direkt im Anschluss gelesen und war begeistert.

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Veröffentlicht am 08.01.2017

Die Himmelsstürmerinnen gerieten leider ins Trudeln

Unsere Hälfte des Himmels
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Frankfurt 1935: Die Studentin Hanni und ihre beste Freundin Amelie haben einen großen Traum - sie sind Sportfliegerinnen, wollen aber ihr Hobby zum Beruf machen. In Berlin gibt es einen Flugzeugbauer, ...

Frankfurt 1935: Die Studentin Hanni und ihre beste Freundin Amelie haben einen großen Traum - sie sind Sportfliegerinnen, wollen aber ihr Hobby zum Beruf machen. In Berlin gibt es einen Flugzeugbauer, der auch Frauen zu Testpilotinnen ausbildet, sie bewerben sich und träumen von einer Karriere in Berlin. Doch dann verliebt sich Amelie in Hannis Fluglehrer Felix und alle hochfliegenden Träume werden plötzlich in Frage gestellt.
Kassel 1971: Lieselotte führt ein ruhiges Leben: Ihre Ehe mit Eduard plätschert im gemeinsamen Alltagstrott vor sich hin, sie führt den Haushalt und umsorgt ihren Ehemann. Doch dann bekommt sie schlimme Nachrichten aus Frankfurt, ihre Mutter Amelie hatte einen Autounfall und liegt im Koma. Obwohl das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter sehr kühl ist, steht es für Lieselotte außer Frage, dass sie sofort ihre Sachen packt und nach Hause fährt, um ihrer Mutter beizustehen. Sie will diese Gelegenheit auch nutzen, um ihr Leben und ihre Ehe zu hinterfragen.

Eigentlich fand ich den Einstieg in dieses Buch sehr vielversprechend, die Geschichte hatte durchaus Potenzial. Leider ist die Umsetzung in meinen Augen wenig geglückt, ich musste mich streckenweise zum Weiterlesen förmlich aufraffen.

Das lag zum einen daran, dass die beiden Zeitebenen in meinen Augen nicht besonders gut verknüpft sind. Die Abschnitte zu den Jahren 1935 und 1971 umfassen jeweils mehrere Kapitel und ergeben so sehr lange Passagen, die nur in dem einen oder dem anderen Zeitstrang spielen. Dadurch wird man aber viel zu lange aus dem Geschehen um die jeweils andere Protagonistin herausgerissen, so dass das Interesse daran fast verloren geht und ich an diesen Stellen auch immer versucht war, das Buch für längere Zeit zur Seite zu legen.
Zum anderen hatte ich den Eindruck, dass die Autorin hier einfach zu viel wollte: Frauen in der Fliegerei, (Widerstand in der) Nazizeit, Frauenbild im Dritten Reich, Frauenbewegung in den 70ern. Alle Themen werden irgendwie angerissen, aber keines wirklich ausgeführt, weil die Romanze zwischen Felix und Amelie in den Vordergrund tritt. Unter dem Strich gibt es also leider bei keinem Thema irgendwelchen Erkenntnisgewinn auf der Seite des Lesers. Mich hatte das Thema der Fliegerinnen gereizt, das aber leider insgesamt nur auf enttäuschend wenigen Seiten im Fokus steht.

Auch die Figurenzeichnung konnte mich nicht überzeugen, die Protagonistinnen Amelie und Lieselotte verhalten sich in der Regel wenig nachvollziehbar. Amelie habe ich an keiner Stelle zugetraut, dass sie genug Biss gehabt hätte, um ihre Träume von der Fliegerei wirklich in die Tat umzusetzen. Sie läuft im Grunde immer nur ihrer Freundin Hanni hinterher und geht jeder Konfrontation oder Entscheidung aus dem Weg. Manchmal fragte ich mich sogar, ob das Fliegen überhaupt ihr Traum war, oder vielleicht doch nur Hannis. Und Lieselotte ist so phlegmatisch, dass ich ihr am liebsten in den Hintern getreten hätte, sogar die Nachforschungen zu ihrer Familiengeschichte werden an eine Geschichtsstudentin outgesourct, Lieselottes "Leistung" besteht dann darin, dass sie sich nach Wochen endlich aufrafft, sogar mal einen Blick in die zusammengetragenen Unterlagen zu werfen. Insofern ist auch ihre spätere Entwicklung hin zu neuen Ufern und einem unabhängigen Leben nicht glaubhaft.
Die Nebenfiguren sind recht stereotyp: Eduard, der gleichgültige Ehemann, der eigentlich nur geheiratet hat, um eine Haushälterin zu haben. Marga, die aufmüpfige Studentin, die Amelies harte Schale geknackt hat. Die gelangweilte alte Nachbarin, die mit Argusaugen über die Kehrwoche und die Lebensgewohnheiten der anderen Hausbewohner wacht - und so weiter. Am gelungensten war vielleicht Margas Kater Cat Ballou mit seiner Vorliebe für Gehacktes.

Wer Lust auf eine tragische Liebesgeschichte hat, hat an diesem Buch möglicherweise seine Freude. Ich hatte leider etwas anderes erwartet, eher ein Zeitporträt mit einem zielgerichteten Fokus auf die Frauen in der Fliegerei. Daher fällt bei mir "Unsere Hälfte des Himmels" eher in die Kategorie: kann man schon mal lesen, aber man verpasst wohl nichts, wenn man dieses Buch auslässt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

"Die Hölle war ein Ort, an dem Kinderlogik herrschte. Ewig währende Schadenfreude." (S. 149)

Loney
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Die Handlung von "Loney" spielt in England, der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Tonto, sein richtiger Name wird nie genannt. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass Tonto einen Bruder namens Andrew hat, ...

Die Handlung von "Loney" spielt in England, der Ich-Erzähler trägt den Spitznamen Tonto, sein richtiger Name wird nie genannt. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass Tonto einen Bruder namens Andrew hat, der innerhalb der Familie Hanny genannt wird. Hanny ist heutzutage Priester, Bestsellerautor, verheiratet und zweifacher Vater, aber in seiner Kindheit und Jugend war er in seiner geistigen Entwicklung auf dem Stand eines Kleinkindes und konnte noch nicht einmal sprechen. Der Schlüssel zu seiner wundersamen Heilung liegt in einer Pilgerfahrt zum heiligen Schrein von "The Loney" in den späten 70ern.

Der Leser folgt nun Tontos Schilderungen über die Ereignisse, die damals zu Hannys Genesung geführt haben, und auch über deren Spätfolgen in der Gegenwart.
Man erfährt viel über die Familie der beiden. Die Mutter, aus unerfindlichen Gründen "Mummer" genannt, ist eine absolut abstoßende bigotte Frau, für die ich keinen Funken Sympathie aufbringen konnte. Sie regiert ihren Familienclan mit eiserner Faust, ihr Wort ist Gesetz und selbst "Farther" (ihr Ehemann und Hannys und Tontos Vater) kuscht vor ihr. Wer nun erwartet, dass ihr Einflussbereich an den Grenzen ihres Haushalts endet, irrt sich gründlich. Auch während der Pilgerfahrt nach Loney kommandiert sie die ganze Gemeinschaft herum, weiß zu jedem Thema alles besser, und lässt auch den neuen Pfarrer Father Bernard bei jeder Gelegenheit spüren, dass er dem seligen Father Wilfried nicht mal die Schuhe putzen dürfte. Man könnte ihren Charakter nun für überzeichnet halten, aber ich muss sagen, es gibt durchaus fanatisch gläubige Menschen, die exakt so auftreten und ihrem gesamten Umfeld das Leben vergällen.
Leider war beim gesamten Personal keine Figur zu finden, zu der ich eine wirkliche Verbindung bekommen hätte: Farther ist ein Waschlappen, Father Bernard lässt sich von Mummer völlig einschüchtern, selbst mit Tonto konnte ich nicht wirklich sympathisieren, und die anderen sind so fromm, dass sie todlangweilig sind.

Positiv zu erwähnen ist, dass der Autor unheimlich stimmungsvoll schreiben kann. Das düstere Setting von The Loney und die beklemmende Atmosphäre innerhalb dieser verschrobenen christlichen Gemeinde mit all ihren seltsamen Ritualen entfaltet schon auf den ersten Seiten die volle Wirkung. Man kann das düstere alte Haus, in dem die Gruppe während ihrer Pilgerreise das Osterwochenende verbringt, fast vor sich sehen, genau wie die karge Landschaft und die raue See.
Eigentlich unverständlich, dass im Gegensatz dazu alle Personen - abgesehen von Mummer - so merkwürdig blass und kaum greifbar erscheinen.

Dagegen hat mir überhaupt nicht gefallen, dass der Autor den Leser über mehr als 300 Seiten immer wieder mit vielen vagen Andeutungen ködert, damit auch den Spannungsbogen über die weite Strecke gut aufbaut, um ihn dann am Ende völlig frustriert zurückzulassen, weil er jegliche Form der Auflösung schuldig bleibt. Dabei bin ich ein Leser, der auch durchaus damit zurechtkommt, wenn am Ende nicht jedes Detail minutiös aufgelöst wird, es darf ruhig auch ein wenig Raum für meine eigene Interpretation bleiben, aber was Andrew Michael Hurley hier abliefert ist wirklich der Gipfel der Schwammigkeit. Man sitzt nach der letzten Seite auf so vielen losen Enden, dass es eigentlich eher ein gordischer Knoten ist. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor schlicht nicht in der Lage war, aus all seinen konfusen Hinweisen und grusligen Details ein auch nur halbwegs schlüssiges Ende zu konstruieren.
Ein Beispiel hierfür ist vielleicht, dass etwa bis zur Mitte des Buches noch immer unklar war, ob es sich bei der Gemeinde "Saint Jude's" nun um eine katholische, eine anglikanische oder am Ende eine ganz andere christliche Glaubensrichtung handelt. Von dieser quälenden Frage wurde ich dann irgendwann erlöst, es handelt sich um eine katholische Gemeinde. Schön, dass ich das zumindest erfahren habe. Aber wieso um Himmels Willen ist der gute Hanny dann bitte Geistlicher und Ehemann? Ich bin in Glaubensfragen sicher nicht unbedingt auf dem neuesten Stand, aber ich denke, wenn das Zölibat abgeschafft worden wäre, hätte ich das doch mitbekommen. Und wenn sich Hanny nach seiner gottgegebenen Wunderheilung als so undankbar erwiesen hätte, und zu den Protestanten oder Anglikanern konvertiert wäre, hätte Mummer sich doch vermutlich aus Verzweiflung in ihr allerbestes Küchenmesser gestürzt...?

Und damit kommen wir zurück auf das titelgebende Zitat: Lacht der Autor sich nun grade ins Fäustchen und genießt die immerwährende Schadenfreude, weil er für seinen Roman sogar noch einen Preis abgestaubt hat, obwohl er uns Lesern so ziemlich alle Antworten schuldig geblieben ist, einschließlich der Erklärung für den verheirateten Priester und seine wundersame Genesung? Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich frage, ob die betreffende Jury ihren Siegertitel überhaupt gelesen hat...
Da dieser Roman nicht im Ansatz halten konnte, was die Leseprobe versprochen hat, kann ich mich gerade noch zu einem zweiten Stern aufraffen, weil mir die düstere Stimmung des Buches gefiel, und weil der Autor mit Mummer zumindest einen gelungenen Charakter erschaffen hat.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Retrospektive zur "Bananen-Republik"

Hier ist alles Banane
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Die Sensation: Erich Honecker hat seinen Tod 1994 nur vorgetäuscht, und sein Ex-Chauffeur und treuer Freund Jorge hat nun seine Tagebücher aus den folgenden Jahren veröffentlicht.
Hiermit erhalten wir ...

Die Sensation: Erich Honecker hat seinen Tod 1994 nur vorgetäuscht, und sein Ex-Chauffeur und treuer Freund Jorge hat nun seine Tagebücher aus den folgenden Jahren veröffentlicht.
Hiermit erhalten wir also den etwas anderen Blick des Ex-Diktators auf Weltpolitisches, Wirtschaftskrisen, Gesellschaftliches und Banales aus den letzten zwei Jahrzehnten.

Dieses Buch lässt mich etwas unentschlossen zurück. Über einiges habe ich geschmunzelt, einige Male musste ich schwer schlucken, und gegen Ende wurde es doch recht anstrengend.
Und mir stellte sich die Frage, wie ich als Wessi-Kind (im wahrsten Wortsinn, denn zur Wende war ich doch noch recht jung - allerdings kann ich mich lebhaft daran erinnern, wie wir den schleichenden Zusammenbruch der DDR über Monate im Fernsehen verfolgt haben) mich zu diesem Buch äußern könnte.

Definitiv waren einige Passagen mit viel Witz und Ironie geschrieben. Amüsant war zum Beispiel die Feststellung, mit wie viel weniger Personal der Staatssicherheitsdienst doch ausgekommen wäre, hätte es Facebook, Twitter und Co. schon in den 80er Jahren gegeben - darüber muss man fast unwillkürlich grinsen. Aber dann fragt man sich sofort: Darf man das überhaupt?
Das Ehepaar Honecker hat das DDR-Regime, inklusive aller menschenverachtender Praktiken, die einen heute noch schaudern lassen, in den letzten 18 Jahren vor der Wende maßgeblich gestaltet. Darf man sich also über solche Leute amüsieren? Oder lässt man es damit an Respekt gegenüber den Opfern dieses Regimes, den Angehörigen der Mauertoten, den durch Zwangsadoptionen auseinandergerissenen Familien, den schikanierten Verwandten der "Republikflüchtlinge" fehlen? Keine leichte Frage, wie ich finde. Andererseits ist es vermutlich das schlimmste, was man solchen Egomanen posthum antun kann: sie der Lächerlichkeit preisgeben. Wo sie doch ansonsten schon völlig ungeschoren davonkamen.

Schlucken musste ich vor allen Dingen an Stellen, wo es um den Schießbefehl, das Verfahren mit nicht linientreuen Bürgern, oder eben auch die Bespitzelung des eigenen Volkes ging. In all den Ostalgie-Wellen der letzten zwei Jahrzehnte, wo oft der Satz: "Es war auch nicht alles schlecht!" gefallen ist, ist diese Facette der DDR in all der Euphorie über Rotkäppchen-Sekt und Spreewaldgurken oft aus dem Fokus verschwunden.

Und nun zum anstrengenden Teil: dieses Buch ist mit 270 Seiten, großer Schrift und vielen kleinen Abschnitten nicht gerade umfangreich. Und dennoch wurden einige Running Gags für meinen Geschmack zu Tode geritten, spätestens wenn Honis verlegte Brille zum sechsten Mal im Kühlschrank wieder auftaucht oder er mal wieder für Margot und Jorge eine Rede hält, ist das nicht gerade ein Schenkelklopfer. Vieles wiederholt sich, und am Ende war ich dann froh, als es vorbei war.

Wem kann man dieses Buch denn nun ans Herz legen? Leider habe ich da keine Idee.
Ich bin mir sicher, dass Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und als Erwachsene dort gelebt haben, vielleicht eine ganz andere Meinung zu diesem Buch haben. Und ich hoffe, dass mir die Rezensionen anderer Leser darüber Aufschluss geben. Für das jüngere Publikum ist das Buch vermutlich wenig attraktiv, weil wohl bei den vielen angeschnittenen politischen und gesellschaftlichen Themen vieles nicht präsent sein dürfte. Bleiben also eher ältere Leser.
Vielleicht sollte man "Alles Banane" auch einfach nicht am Stück, sondern lieber häppchenweise lesen, dann ist es vermutlich leichter verdaulich.

Veröffentlicht am 31.07.2017

...als hätte Morpheus das Sandmännchen zu einer Packung Schlaftabletten geladen.

Eine von uns
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Im Jahr 1984 versetzt der "Fox" ein englisches Dorf in Angst und Schrecken. Er dringt in Häuser ein, nimmt belanglose kleine Dinge mit, und hinterlässt unheimliche Spuren seines Eindringens. Als auch noch ...

Im Jahr 1984 versetzt der "Fox" ein englisches Dorf in Angst und Schrecken. Er dringt in Häuser ein, nimmt belanglose kleine Dinge mit, und hinterlässt unheimliche Spuren seines Eindringens. Als auch noch ein Dorfbewohner spurlos verschwindet, ist es mit der dörflichen Idylle endgültig vorbei.

So zumindest die Theorie. Tatsächlich traf mich beim Lesen nichts als geballte Langeweile, die doch recht wenigen Seiten zogen sich wie Kaugummi.
Wer sich für dieses Buch interessiert, weil mal wieder ein guter, englischer Krimi (am Ende noch mit einer Prise schwarzem Humor) auf die Leseliste soll, der sollte "Eine von uns" am besten gleich im Laden liegen lassen, denn es ist definitiv kein Krimi. Ein Spannungsbogen ist genauso wenig vorhanden wie ein roter Faden. Ach ja, und schwarzer Humor wird natürlich erst recht nicht geboten.

Untergliedert ist der Roman in vier Teile, die jeweils aus einer anderen Perspektive die Vorkommnisse schildern. Problematisch ist daran, dass es zum einen - von der vermissten Person einmal abgesehen - so gut wie keine Vorkommnisse gibt, und zum anderen ist von diesen vier Protagonisten einer farbloser als der andere. In Teil 1 begleitet man Deloris, eine Hausfrau, die gut geheiratet hat, oft "Dallas" schaut, und sich ansonsten für Schuhe und Klamotten interessiert - das ist dann schon ihr ganzer Charakter. In Teil 2 schwenkt die Perspektive zu Jim, dem Dorfvikar, der ein finsteres Geheimnis hütet. In Teil 3 ist Brian, der Dorfpolizist an der Reihe, der seinen behinderten Bruder pflegt. Teil 4: Stan, Supermarktfilialleiter mit - Sie ahnen es vielleicht schon - einem düsteren Geheimnis.
Leider machen ein paar Geheimnisse und Skandälchen die Figuren kein bisschen interessanter, und die häufigen Rückblenden in die Vergangenheit dieser Charaktere erzeugen nur mehr Seiten, aber leider nicht mehr Spannung. Zumal diese Rückblenden in der Regel auch weder mit dem Fox, noch mit laufenden Ermittlung zu tun haben. Welchen Sinn und Zweck sie erfüllen sollten, blieb leider völlig im Dunkeln.

An dieser Stelle möchte ich dann noch einmal anhand eines konkreten Beispiels auf den "roten Faden" zurückkommen: In Teil 1 versammelt sich die Nachbarschaft und möchte eine Bürgerwehr gründen, sich bewaffnen, in der Nachbarschaft patrouillieren und den Fox zur Strecke bringen. In den nachfolgenden Teilen ist nie wieder die Rede von diesem Vorhaben, weder erfährt der Leser, ob die Pläne sich zerschlagen haben, noch ob tatsächlich Nachtwachen durch die Straßen ziehen. Spätestens in Brians Abschnitt sollte das Thema aber eigentlich nochmal aufgegriffen werden, denn Polizisten sind in der Regel ja nicht die größten Freunde von Selbstjustiz und Lynchmobs.

Was meinem Enthusiasmus schon auf den ersten Seiten einen gehörigen Dämpfer verpasst hat, war eine Grabsteininschrift. Eine im Jahr zuvor verstorbene Dorfbewohnerin lebte von 1947 bis 1983, verstarb also im jungen Alter von 36 Jahren und hinterließ eine 26-jährige Tochter. Wer findet den Fehler? Zu meinem Bedauern ganz offensichtlich weder die Autorin noch der Lektor.

Da spätestens ab der Hälfte des Buches sowieso klar ist, worauf das ganze hinauslaufen wird und wer hinter dem Fox steckt, ging meine noch vorhandene Restmotivation leider gänzlich flöten, und ich quälte mich durch die restlichen Seiten.
Manchmal entschädigt mich ein talentierter Erzähler mit einem guten Stil für eine dünnere oder vorhersehbare Story, aber auch das findet man hier nicht. Es ticken schon mal Digitaluhren (S. 198 im Ebook), die "Girls" und "Boys" sind ständig "am Telefonieren" oder "am Gehen" - im Großen und Ganzen las es sich für mich mehr als holprig. Ob das nun an der Autorin oder am Übersetzer lag, kann ich leider nicht beurteilen.

Ich habe ehrlich keine Ahnung, was für eine Art Buch Harriet Cummings schreiben wollte. Möglicherweise einen Krimi, das ist aber leider nicht geglückt. Vielleicht sollte es auch eine Milieu-Studie, angesiedelt in der Thatcher-Ära, werden, aber dafür sind die Figuren viel zu platt und die ganze Geschichte zu einfach gestrickt. Auf meiner persönlichen Lesepleiten-Liste für 2017 hat "Eine für uns" jedenfalls gute Chancen auf einen der oberen Treppchenplätze.