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Veröffentlicht am 03.06.2018

Falsche Zeit – falscher Ort …

Das Geheimnis des Goldschmieds
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Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen ...

Nur eine Frau hat der erfolgreiche Goldschmied jemals in seinem Leben geliebt. Jetzt, 1999, befindet sich der namenlose Erzähler auf dem Weg in das Dorf seiner Kindheit und Jugend, um Abschied zu nehmen von seinen Erinnerungen. Drei Monate dauerte damals, 1974, seine leidenschaftliche Affäre als 19jähriger mit Celia, einer wesentlich älteren Frau. Dann verließ sie ihn und brach ihm das Herz, genau wie ihres 20 Jahre zuvor gebrochen wurde, als ihr Verlobter nicht zur Hochzeit erschien.

Als der Mann im Dorf ankommt scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, plötzlich befindet er sich in den fünfziger Jahren. Dort begegnet er einem jungen Mädchen, das ihm seltsam vertraut ist. Die beiden verlieben sich leidenschaftlich ineinander und planen ihre Hochzeit. Am Tag vor der Trauung beginnt das Drama, das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Die spanische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Elia Barceló wurde 1957 in der Provinz Alicante geboren. Sie studierte in London, München, Paris, Florenz, Rom und Innsbruck und schrieb etliche Romane, Kurzgeschichten und Jugendbücher, von denen einige in Deutsch übersetzt wurden. Für ihre Arbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Heute lebt die zweifache Mutter mit ihrem österreichischen Mann in Innsbruck und unterrichtet an der dortigen Universität.

„Das Geheimnis des Goldschmieds“ ist ein wunderbares kleines Buch voller Poesie, eine kurze, intensive Geschichte über die Suche nach einer verflossenen Liebe, über Sehnsucht und Treue. Gekonnt spricht die Autorin die Fantasie des Lesers an und spielt dabei mit den Zeiten, die sie geschickt verschachtelt und ineinander überfließen lässt. Man fühlt sich in einer Zeitschleife gefangen und hofft nach den knapp 100 Seiten, dass das Wunder 1999 um Mitternacht auf der Dachterrasse doch noch geschehen wird …

Fazit: Ein Kabinettstückchen der Erzählkunst, ein Lesevergnügen der besonderen Art, eine Geschichte, die sich angenehm von den üblichen abhebt.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Gefühle auf Irrwegen …

Der Liebeswunsch
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Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt ...

Seit sechs Jahren ist Anja nun tot, doch jetzt erst sucht Paul den Ort auf, an dem sie sich das Leben nahm. Er möchte sehen, was sie in ihren letzten Stunden sah und erforschen, wie sie sich wohl gefühlt hat. Dabei schweifen seine Gedanken zurück, er erinnert sich an seine Zeit mit Anja, an seine Freundschaft mit Leonhard und an seine Ehe mit Marlene, die davor mit Leonhard liiert war und sich dann für ihn entschied. Es dauerte lange, bis der Riss in der Freundschaft damals beseitigt war – so lange, bis Leonhard Anja kennen lernte und sie bald darauf heiratete. Nun war alles gut, zwischen den beiden Paaren herrschte eine vertrauensvolle Freundschaft – bis … bis Paul und Anja …

Mit seinem im Jahr 2000 erschienenen Roman „Der Liebeswunsch“ gelang dem 1925 in Neuss geborenen, als ‚Meister der Gegenwartsliteratur‘ bezeichneten, deutschen Schriftsteller Dieter Wellershoff endlich der Durchbruch beim breiten Publikum. Das Buch wurde ein Bestseller, der 2006 auch verfilmt wurde. Zuvor schrieb er fünf Romane, unzählige Novellen, Erzählungen, Kurzgeschichten, Essays, Hörspiele, Bühnenstücke und Drehbücher – für die er zahlreiche Preise erhielt. Wellershoff ist verheiratet, lebt in Köln, hat zwei Töchter, die ebenfalls als Autorinnen tätig sind und einen Sohn, der Arzt geworden ist.

Gleich zu Beginn der Geschichte erfährt man von dem tragischen Ausgang. Die Pointe ist aber nicht vorweg genommen, sondern erhöht eigentlich nur die Spannung, wie es wohl dazu kommen konnte. Paul und Marlene, beide Ärzte, sind auch nach vielen Jahren Ehe noch sehr glücklich und zufrieden. Auch Leonhard, ein angesehener Richter, ist mit seinem Leben zufrieden, seit er die viel jüngere Anja im Hause seiner Freunde kennen lernte, sie heiratete und sie bald darauf einen Sohn bekamen. Doch wie das Leben so spielt, das Glück ist oft ein flüchtiger Gast. Anjas Wunsch nach Liebe steht im Widerspruch zu ihrem Ehealltag, den sie als banal und falsch empfindet, sie versucht vergeblich, diesem Konflikt zu entfliehen. Eine Katastrophe bahnt sich an, und niemand ist in der Lage, diese abzuwenden.

Das Buch ist von beeindruckenden Sprachintensität, eindringlich und sehr lebendig. Die Figuren sind so lebensecht, dass man meint sie zu kennen. Sehr realistisch schildert Wellershoff das Geschehen und beleuchtet dabei die Psyche der Protagonisten aus verschiedenen Perspektiven. Er lässt jeden der vier Hauptpersonen in Ich-Form aus seiner Perspektive erzählen, seine persönlichen Gedanken und Empfindungen erläutern und dringt dabei tief in das Seelenleben ein. Dazwischen erlebt der Leser die Ereignisse auch aus Sicht eines neutralen Beobachters. Beklemmend intensiv und genau beschrieben sind die Gefühle der Freunde, ihre intimen Wünsche und geheimen Phantasien innerhalb dieser Vierer-Beziehung, aber auch ihre Ängste und Empfindsamkeiten.

Fazit: Ein Roman der fesselt und berührt, der gefangen nimmt und im Leser noch lange nachklingen wird. Meine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 17.05.2018

This is Water – Das hier ist Wasser

Das hier ist Wasser / This is Water
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Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, ...

Der US-amerikanische Schriftsteller und Hochschullehrer David Foster Wallace (1962 – 2008) wurde 2005 darum gebeten, vor Absolventen des Kenyon College eine Abschlussrede zu halten. Die Vorfreude war hoch, denn alle wussten von der Sprachgewalt seiner Romane und Kurzgeschichten. Was dann folgte übertraf alle Erwartungen. Wallace hielt vor den in schwarzen Roben gehüllten jungen Leuten und ihren Angehörigen eine flammende Rede, ein Leitfaden für das Leben, eine Anstiftung zum Denken, eine Anleitung zum eigenen Entscheiden. Mit einigen einfachen Parabeln versuchte er, das egozentrische Denken junger Menschen in empathische Bahnen zu lenken.

Nach Martin Luther Kings Rede von 1963, „I have a Dream“, ist dies wohl die zweitbekannteste Rede, die je in den USA gehalten wurde. Sie ist dort mittlerweile Pflichtlektüre für alle Abschlussklassen, eine kleine Anleitung für das Leben, die man jedem Jugendlichen mitgeben möchte. Besondere Bedeutung erhält die Rede wenn man weiß, dass David Foster Wallace ständig gegen seine Alkoholabhängigkeit kämpfte und unter schweren Depressionen litt. Während einer dieser depressiven Phasen, im Alter von nur 46 Jahren, sah er nur noch einen Ausweg, er erhängte sich.

Fazit: Ein kleines Büchlein mit gewichtigem Inhalt, das in keinem Bücherschrank fehlen sollte und das man getrost öfter zur Hand nehmen kann.

Veröffentlicht am 25.04.2018

Unterdrückte Gefühle …

Der schwarze Falter
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Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer ...

Ziemlich verstört kommt Gerald Candless von einem Spaziergang zu einem nahegelegenen Hotel zurück, zu dem er Freunde begleitete – kurze Zeit später stirbt der 71jährige beliebte Schriftsteller an einer Herzattacke. Ein Schock für seine beiden Töchter Sarah und Hope, zu denen er ein inniges Verhältnis hatte – eine Befreiung für seine Ehefrau Ursula, die jahrzehntelang unter seiner Lieblosigkeit und Kälte leiden musste. Kurze Zeit nach der Beerdigung schlägt der langjährige Verleger der Familie vor, eine Biographie über Gerald Candless zu schreiben. Mit dem Gedanken, eine Lobeshymne auf den geliebten Vater zu verfassen, erklärt sich die ältere Tochter Sarah dazu bereit. Doch mit Bestürzung muss sie bald feststellen, dass im Lebenslauf des berühmten Autors einiges nicht stimmt. Er hat weder an der Universität studiert, noch als Reporter bei der Zeitung gearbeitet, wie er früher seinen Mädchen erzählt hatte. Weitere Recherchen ergeben, dass Gerald Candless bereits im Alter von sieben Jahren verstorben ist. Sarah ist fassungslos. Wer war ihr Vater wirklich? Was hatte er zu verbergen, dass er mit sechsundzwanzig Jahren eine völlig neue Identität angenommen hatte? Anhaltspunkte kann sie eventuell in seinen Büchern finden, in denen er Etappen seines Lebens verarbeitet hat und die alle auf dem Cover einen schwarzen Falter als Erkennungszeichen tragen …

Die Autorin Barbara Vine, die eigentlich Ruth Rendell hieß und unter diesem Namen über 30 Bücher, hauptsächlich Kriminalromane, veröffentlichte, wurde 1930 in South Woodford geboren und starb am 2. Mai 2015 in London. Unter dem Pseudonym Barbara Vine schrieb sie überwiegend Thriller mit psychologischem Hintergrund. Sie war bekannt für ihre elegante Dichtkunst und wurde mit zahlreichen angesehenen Literaturpreisen ausgezeichnet.

„Der schwarze Falter“ überrascht den Leser schon zu Beginn mit einer hintergründigen Spannung, die bis zum Ende durchhält. Dabei ist es kein Kriminalroman oder Thriller nach gewohntem Muster, sondern eher eine Detektivgeschichte, in der Tochter Sarah die Ermittlungen leitet. Zwar kann man schon verhältnismäßig früh ahnen, warum Gerald Candless seine Identität gewechselt hatte, doch die auslösenden Umstände erfährt man erst zum Schluss. Dann erst wird man der ganzen Tragweite des Ereignisses bewusst und kann dem Protagonisten und seinem Handeln ein gewisses Verständnis entgegenbringen.

Mehrere Handlungsstränge beleben das Geschehen und werden am Ende perfekt zusammen geführt: die Geschichte einer lieblosen Ehe, die erleichterte Witwe und ihr allmähliches Antasten an ein neues Leben, die Beziehungsunfähigkeit der beiden Töchter und ihre langsame Annäherung an ihre Mutter, Sarahs spannende Nachforschungen über ihre Familie und nicht zuletzt die Entdeckung des sorgsam gehüteten Geheimnisses aus Geralds Vergangenheit. Sehr lebendig und verschiedenartig sind die Charaktere, jeder für sich besticht durch Individualität. Man empfindet ihre Emotionen und erlebt diese als Leser hautnah mit, fühlt Trauer über ihre geplatzten Träume, ist wütend über ein Netz von Lügen und blickt in Abgründe der menschlichen Seele.

Fazit: Ein gut durchdachtes, stimmiges Psycho-Drama mit beklemmendem Ende. Empfehlenswert für Leser, die eher die leisen Töne lieben!

Veröffentlicht am 02.04.2018

Einsamkeit im Alter oder Honi soit qui mal y pense

Unsere Seelen bei Nacht
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Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der ...

Sie sind beide über siebzig, Addie Moore und Louis Waters, beide seit einigen Jahren verwitwet und sehr einsam. Man kennt sich flüchtig, wie man eben jemanden kennt, der seit über vierzig Jahren in der Nachbarschaft wohnt. Lange hatte Addie überlegt und gezögert, nun fasst sie sich ein Herz und klingelt bei Louis. Sie hat ihm ein Angebot zu machen, kein unmoralisches, wie sie extra betont. Sie bietet ihm an, die Nächte bei ihr zu verbringen, neben ihr im Bett zu liegen, zu reden und nicht alleine einzuschlafen. Am nächsten Abend steht Louis vor Addies Tür … - Das nächtliche Treffen der beiden alten Leute bleibt in der Kleinstadt Holt in Colorado nicht lange geheim. Die Nachbarn tuscheln und sind schockiert, Louis‘ Tochter Holly, die extra aus Colorado Springs angereist kam als sie von der Geschichte erfuhr, ist empört und Addies Sohn Gene verbietet der Mutter gar den Umgang mit Louis …

Ein wunderbarer kleiner Roman von knapp 200 Seiten, den der US-Schriftsteller Kent Haruf (1943–2014) noch kurz vor seinem Tod fertig gestellt hat und der 2015 posthum unter dem englischen Titel Our Souls at Night erschienen ist. Der in Colorado beheimatete Lehrer schrieb insgesamt sechs Romane, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt spielen und für die er einige Preise und Auszeichnungen erhielt. Die deutsche Ausgabe erschien am 22.3.2017 im Diogenes-Verlag und wurde von der als Pociao bekannten Übersetzerin, Autorin und Verlegerin Sylvia de Hollanda einfühlsam übersetzt.

Der Schreibstil Harufs ist ruhig und distanziert. Es gelingt ihm großartig, Gefühle einfach und schön auszudrücken. Er fesselt den Leser an die Geschichte, ohne unnötige Spannung entstehen zu lassen. Nach kurzer Zeit hat man sich auch daran gewöhnt, dass die wörtlichen Reden nicht durch Satzzeichen hervorgehoben sind. Kurze Kapitel und knappe Dialoge erzeugen mit sparsamen Worten das unbestimmte Gefühl, dass den beiden Protagonisten nur noch wenig Zeit bleibt. Der feinfühlige, liebevolle Umgang miteinander macht das Geschehen sehr real und authentisch – sie liegen nebeneinander im Bett, endlose Gespräche füllen die Nacht und Erinnerungen aus ihrer beider Leben werden ausgetauscht.

Die wohlige Grundstimmung wird aber jäh gestört, als Addies Sohn Gene auftaucht. Auf geradezu hinterhältige Weise greift er in ihr Leben ein, indem er droht, ihr den Enkel zu entziehen. Das ist zu viel für Addie, zumal der kleine Jamie dringend die Liebe seiner Großmutter braucht, die ihm im Elternhaus nicht gegeben wird. Wie wird sich Addie entscheiden? Zerbricht dieses wunderbare späte Glück? Bleiben ihr und Louis nur noch die heimlichen nächtlichen Telefongespräche? Dem Leser jedenfalls bleibt eine Hoffnung: Ein Film mit Jane Fonda und Robert Redford soll in Vorbereitung sein!

Fazit: Ein bewegender, warmherziger Roman über Liebe im Alter und spätes Glück, aber auch über Neid, Bosheit und Missgunst der Mitmenschen. Ein Lese-Highlight!