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Veröffentlicht am 07.05.2018

Thriller mit komplexer Handlung, der von Beginn an Spannung aufbaut

Der Preis des Todes
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„Der Preis des Todes“ von Horst Eckert ist ein Politthriller. Nach drei Kriminalfällen, in denen der Düsseldorfer Hauptkommissar Vincent Che Veih ermittelte, ist das vorliegende Buch ein Einzelband. Die ...

„Der Preis des Todes“ von Horst Eckert ist ein Politthriller. Nach drei Kriminalfällen, in denen der Düsseldorfer Hauptkommissar Vincent Che Veih ermittelte, ist das vorliegende Buch ein Einzelband. Die Geschichte spielt auf drei Handlungsebenen, die miteinander verknüpft sind. Eine davon nimmt den Leser mit nach Berlin in ein Apartmenthaus, in dem der Bundestagsabgeordnete und Pharmakologe Christian Wagner erdrosselt aufgefunden wird. In Düsseldorf wird unterdessen nach dem Mörder einer jungen Frau gesucht und schließlich führt die Handlung die Protagonistin Sarah Wolf in ein Flüchtlingslager nach Kenia. Bereits im ersten Kapitel erfuhr ich von beunruhigenden Vorkommnissen, die sich dort ereignet haben sollen. Der Titel erzählt davon, dass den Preis des Todes diejenigen zu zahlen haben, die aufgrund der Umstände in das Visier skrupelloser Akteure geraten, ihnen notwendigerweise vertrauen und dabei ihr Leben verlieren.

Sarah, Mitte 30 und erfolgreiche Moderatorin einer Talkshow im Fernsehen, hat in einer ihrer Sendungen Christian kennen gelernt. Beide haben sich ineinander verliebt und führen ihre Beziehung abseits der Medien. Für ihre nächste Sendung recherchiert das Team um Sarah zum Thema der vorgesehenen Fusion zweier großer Krankenhausbetreiber und der dadurch vorherzusehenden Preissteigerung im Gesundheitswesen. Christian vertritt die Interessen eines der Unternehmen, sein Tod wirft die Frage nach einem Zusammenhang damit auf. Sarah überlässt die Ermittlungen nicht nur der Kriminalpolizei von Berlin, sondern beginnt damit, das Leben ihres Geliebten zu hinterfragen. Sie findet auf seinem Rechner eine Liste mit Medikamenten, die sie schließlich neben anderen Hinweisen auf eine Spur zu einem Krankenhaus nach Ostafrika führen. Außerdem stellt sich heraus, dass die Tote, die am Unterbacher See abgelegt wurde, kurz vor ihrer Ermordung Kontakt zu Christian hatte und für eine humanitäre Organisation arbeitete, die auch in Kenia tätig ist. Sarah beginnt aus der Sachlage heraus, Querverbindungen zu ziehen und unbequeme Fragen zu stellen.

Schon das erste Kapitel deutete an, dass im Flüchtlingslager in Dadaab/Kenia nicht alles rechtens läuft. Doch zunächst einmal baut Horst Eckert seine Protagonisten Sarah und Sellin, den im Düsseldorfer Mordfall ermittelnden Krimalhauptkommissar, auf. Noch ahnte ich nichts von dem Band, das diese beiden verbindet. Die Spannung wuchs anfangs eher ruhig, bis Sarah die Spur nach Ostafrika entdeckt und mit ihrem Team zu Aufnahmen für eine Reportage hinfliegt. Der Autor erzählt von einzelnen Schicksalen im Lager, die jeden Leser berühren werden. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Geschichte mich voll ergriffen und in ihren Sog gezogen.

Neben der spannenden Thrillerhandlung hat es mir zusätzliches Vergnügen bereitet, einmal hinter die Kulissen einer Talkshow zu schauen. Bei den Ermittlungen in Düsseldorf waren mir die Schauplätze meistens bekannt, so dass ich mir das Geschehen besonders gut vorstellen konnte. Horst Eckert recherchiert sehr gut, so dass die von ihm beschriebenen Charaktere und deren Handlungen überaus realistisch erscheinen. Als Hintergrund für seine Thriller nutzt er aktuelles politisches Geschehen, das er verfremdet und darin seine fiktiven Figuren spielen lässt. Am Ende der kurzen Kapitel kommt es häufig zu kleinen Cliffhangern und die Szene wechselt, was für mich als Leser die Spannung noch erhöhte.

„Der Preis des Todes“ ist ein Thriller mit komplexer Handlung, der von Beginn an Spannung aufbaut und bis zum Schluss hält. Markante Charaktere und interessante Themen, die den Hintergrund bilden, sind auffällig und bleiben im Gedächtnis. Mich konnte Horst Eckert mit der Geschichte in seinen Bann ziehen und gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 27.04.2018

Bewegende und vielschichtige Geschichte

Kleine Feuer überall
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Der Roman „Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng spielt in Shaker Heights, einem Vorort von Cleveland in Ohio/USA am Eriesee. Der Anfang des letzten Jahrhunderts am Reißbrett geplante Ort wird von meist ...

Der Roman „Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng spielt in Shaker Heights, einem Vorort von Cleveland in Ohio/USA am Eriesee. Der Anfang des letzten Jahrhunderts am Reißbrett geplante Ort wird von meist gutsituierten Familien bewohnt, die sich an eine Menge ortsinterner festen Regeln zu halten haben. Das im unteren Drittel des Covers abgebildete Haus steht beispielhaft für die Art des Gebäudes, das die Familie Richardson besitzt, die im Mittelpunkt der Geschichte steht. Die Erzählung beginnt im Jahr 1998 als Elena, die Mutter der Familie, fassungslos vor ihrem brennenden Haus steht. Wie sich später herausstellt, waren kleine Feuer in verschiedenen Zimmern der Auslöser des Brands. Im Rückblick erzählt die Autorin die Geschehnisse der vergangenen Monate, die schließlich in dem Desaster enden.

Elena ist Journalistin und Mutter von vier Kindern in jugendlichem Alter. Lexie ist die Älteste, gefolgt von Trip, Moody ist 15 Jahre alt und Izzy ist nur ein Jahr jünger. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Rechtsanwalt, lebt Elena seit Jahren in Shaker Heights und besitzt neben dem Wohnhaus der Familie noch ein weiteres Mietshaus mit mehreren Wohnungen. Ein Jahr vor dem Brand mietet dort die Künstlerin Mia mit ihrer Tochter Pearl, die so alt ist wie Moody, eine obere Etage. Die beiden sind seit der Geburt von Pearl von Ort zu Ort gezogen und immer nur so lange geblieben, wie ein Fotoprojekt von Mia dauerte. Jetzt aber hat sie ihrer Tochter versprochen zu bleiben. Zu den Jobs mit denen sie sich den Lebensunterhalt sichert gehört auch eine Stelle als Aushilfe im Haushalt der Richardsons. Pearl wird dort schnell zu einem gern gesehenen Gast, während die kreative Izzy von den Arbeiten Mias begeistert ist. Schnell beginnt Elena zu begreifen, wer das Feuer gelegt haben könnte.

Bereits nach den Seiten des kurzen ersten Kapitels entwickelt sich eine unterschwellige Spannung die sich durch den ganzen Roman zieht durch die Überlegung, wer für den Brand verantwortlich ist. Zunächst nimmt Celeste Ng den Leser mit in den Sommer des Vorjahrs und macht ihn mit dem Familienleben der Richardsons vertraut. Schon sehr bald fühlte ich mich mit der Familie verbunden, nur Izzy ist zunächst weniger präsent ist als die übrigen Familienmitgliedern. Die Autorin wohnte in dem Zeitraum, den sie beschreibt, selbst in Shaker Heights. Daher wirkt die Beschreibung der Umgebung und das Miteinander der Bewohner sehr authentisch.

Celeste Ng holt den Leser sehr nahe ran an die Gefühlswelt ihrer Figuren und arbeitet sie bis in kleine Nuancen hin aus. Dazu blickt sie häufiger in die Vergangenheit ihrer Charaktere. Immer wieder sind es die Mütter und ihre Beziehung zu ihren Kindern, die sie in den Mittelpunkt stellt. So ganz nebenbei entwickelt sich eine Geschichte, die im Sinne des Titels aus kleinen Feuern einen Brand verursacht und auch mich als Leserin nicht los ließ. Über allem steht die Frage danach, wem ein Kind zugehörig ist. Ohne zu moralisieren entwickelt die Autorin Argumente für und wider unterschiedlicher Lösungen. Mehrmals konnte sie mich mit neuen Wendungen in der Erzählung überraschen.

„Kleine Feuer überall“ ist eine bewegende und vielschichtige Geschichte über Selbstfindung, Migration, Stigmatisierung und die Art und Weise zu leben. Mich hat der Roman immer mehr in seinen Sog gezogen. Daher empfehle ich ihn gerne uneingeschränkt weiter.

Veröffentlicht am 26.04.2018

Offene und ehrliche Antworten auf die Frage, warum ein Brautkleid ungetragen verkauft wird

Verkaufe Brautkleid, ungetragen
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Im Buch „Verkaufe Brautkleid, ungetragen“ versammelt Hannah Winkler wahre Geschichten über den Traum vieler Frauen, sich in einem opulenten Brautkleid trauen zu lassen. Auf der Suche nach einem Kleid für ...

Im Buch „Verkaufe Brautkleid, ungetragen“ versammelt Hannah Winkler wahre Geschichten über den Traum vieler Frauen, sich in einem opulenten Brautkleid trauen zu lassen. Auf der Suche nach einem Kleid für ihren eigenen Hochzeitstag ist sie im Internet auf viele Verkaufsanzeigen gestoßen, in denen ein Brautkleid inseriert wird, das noch nicht für den vorgesehenen Anlass getragen wurde. Sie hat etwa 2.000 Verkäuferinnen kontaktiert, etwa hundert Frauen haben ihr daraufhin erzählt, warum sie ihr oftmals schon lange vor dem Termin der Hochzeit gekauftes Kleid nicht am Trautag angezogen haben. Doch damit verbunden sind nicht nur Enttäuschungen, sondern auch überraschende Gründe.

Neben den sehr bewegenden Erzählungen der Frauen schildert Hannah Winkler in ihrem Buch aber auch einen kurzen Abriss der Geschichte des Brautkleids und die Phasen der Planung bis hin zum Kauf. Außerdem beschäftigt sie sich ausführlich damit, warum so viele Frauen davon träumen am Tag ihrer Trauung ein berauschenden, wunderschönes Kleid anzuziehen, das sie nur einmal im Leben tragen werden.

Ihre Schilderung ist chronologisch aufgebaut entlang der Suche nach einem Kleid für ihren eigenen Hochzeitstag. In einigen Kapiteln verwebt sie mehrere ähnliche Geschichten miteinander. Sie nennt nicht nur die Gründe für den Verkauf ungetragenen Kleider, sondern setzt sich auch mit den Anlässen auseinander. Begleitet werden die Erzählungen der Frauen mit Skizzierungen von Frauke Thiemig des zu verkaufenden Kleids, so konnte ich mir neben der Beschreibung noch besser eine Vorstellung davon machen.

„Verkaufe Brautkleid, ungetragen“ ist mehr als eine Sammlung von Geschichten, deren Gemeinsamkeit ist, dass sie in ihrer Offenheit und Ehrlichkeit betroffen machen. Aber Hannah Winkler lässt auch Platz für die Hoffnung, dass die Verkäuferinnen der ungetragenen Brautkleider sich ihren Traum doch noch erfüllen können, wenn vielleicht auch auf andere Weise. Gerne gebe ich diesem bewegenden und berührenden Buch eine Empfehlung vor allem an weibliche Leser.

Veröffentlicht am 25.04.2018

Mit viel Gespür für zwischenmenschliche Töne geschrieben

Die Lichter unter uns
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Zwar strahlt das Cover des Romans „Die Lichter unter uns“ von Verena Carl durch den sonnengelben Grundton des Schutzumschlags eine gewisse sommerliche Leichtigkeit aus, doch die Autorin schlägt nachdenkliche ...

Zwar strahlt das Cover des Romans „Die Lichter unter uns“ von Verena Carl durch den sonnengelben Grundton des Schutzumschlags eine gewisse sommerliche Leichtigkeit aus, doch die Autorin schlägt nachdenkliche Klänge in ihrer Geschichte an. Vom Balkon schaut eine Frau auf dem Cover des Buchs auf die Weite des Meeres und hängt ihren Gedanken nach. „Die Lichter unter uns“ sind für sie die Lichter zwischen ihrer jetzigen Ferienwohnung und dem Strandhotel ihrer Hochzeitsreise. Sie sind leuchtende Punkte, die die Anwesenheit von Menschen repräsentieren und damit eine Vielzahl von Lebenswegen auf die man neidisch oder bedauernd blicken kann.

Anna ist 43 Jahre alt und verbringt Ende Oktober ihren 14-tägigen Urlaub mit ihrem Mann Jo und den beiden Kindern in Taormina auf Sizilien. Dort haben sie ihre Hochzeitsreise in einem Hotel am Strand verbracht, aber inzwischen kann die Familie sich nur noch eine Ferienwohnung am Steilhang des Ortes leisten. Die 10-jährige Tochter ist Farb-Synästhetikerin, in der Entwicklung vom Kind zur Frau, sensibel und fordert daher die besondere Aufmerksamkeit ihrer Eltern, die aber den sechsjährigen Bruder nicht zu kurz kommen lassen wollen. Am Ende der ersten Ferienwoche benötigt Anna eine kurze Auszeit und setzt sich abends allein in ein Café auf einen Drink. Dabei beobachtet sie eine Gruppe von drei Personen am Nebentisch. Das Bild des älteren der beiden Männer, den sie später als Alexander kennenlernt, etwa 50 Jahre alt, brennt sich in ihr Gedächtnis ein und bringt sie zum Grübeln über ihr Leben und die von ihr verpasste Chance, so vermeintlich glücklich zu leben wie er.

Die Autorin führt dem Leser Schein und Sein einer Person vor Augen. Sie wechselt in der Form der allwissenden Erzählerin die Perspektiven, so dass ich neben Anna auch mehr von und über Jo und der Gruppe im Café erfahren konnte. Während Anna sich ein mondänes Leben an der Seite des weltgewandt erscheinenden Alexanders ausmalt, erfuhr ich in den Kapiteln, die ihn in den Fokus setzen, mehr über sein tatsächliches Wirken zwischen Arbeit, Erwartungen an den erwachsenen Sohn, neuer Ehefrau und einer verdrängten Diagnose.

Anna hadert mit sich und ihrer Welt. Ihre Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau erfüllt sie nicht mehr, ihrem Job als freier Journalistin hat sie sich immer weniger gewidmet. Statt in Taormina Entspannung zu finden, wandern ihre Gedanken zu ihrer Hochzeitsreise und ihrer damaligen Vorfreude auf die Zukunft an der Seite Jos. Ihr Mann, die Kinder und der Haushalt stellen Anforderungen, die sie auf gewisse Weise binden und spontane Handlungen einschränken. In ihrer Ehe sind die kleinen Geheimnisse voreinander mit der Zeit gewachsen und täglich buhlen beide um die Gunst der Kinder während sie sich mit konträren Antworten zu Fragen der Erziehung auseinandersetzen. Die Entfernung zum Alltag, die Wärme auf der Haut und die Reize der Urlaubslandschaft lassen jeden träumen, auch Anna. Der attraktive, gut gekleidete Alexander, dessen erwachsener Sohn zur Gruppe im Café gehört, verführt sie dazu, sich an seiner Seite vorzustellen, an der sie keine Kinder mehr zu erziehen hat, es ihr nicht an Geld mangelt und sie selbst erfolgreich ist.

In einer teilweise poetisch anmutenden Sprache setzt Verena Carl sich mit tiefem Einfühlungsvermögen mit den verschiedenen Gefühlen ihrer Protagonisten auseinander. Sie ist eine gute Beobachterin, die ihre Sicht in Worte zu verpacken weiß. Gerne legt sie ihre Finger in Wunden, jedoch ohne zu moralisieren. Aktuelle Themen untermalen die reale Situation und lassen die Erzählung noch authentischer wirken. Die Bilder in den Medien suggerieren uns eine Scheinwelt, aus der wir nicht erkennen können, was gut und richtig für unser eigenes Leben ist. Die Autorin ließ mich darüber nachdenken, welche Kriterien gelten sollen, um Glück und innere Befriedigung zu messen.

Mit viel Gespür für die zwischenmenschlichen Töne hat Verena Carl einen Roman geschrieben über die Anforderungen des Alltags, denen man gerecht werden muss, unerfüllten Lebensträumen und der Suche nach neuen passenderen Zielen, die die Hoffnung aufrechterhalten, das am Ende doch noch Wünsche in Erfüllung gehen. Gerne gebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 23.04.2018

Eine junge Irakerin in Deutschland zwischen Erwartungen an sie und den eigenen Wünschen

Beschreibung einer Krabbenwanderung
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„Beschreibung einer Krabbenwanderung“ ist der Debütroman von Karosh Taha. Die Autorin wurde im Nordirak geboren und hat dort etwa zehn Jahre lang gelebt bevor sie und ihre Familie in den Westen Deutschlands ...

„Beschreibung einer Krabbenwanderung“ ist der Debütroman von Karosh Taha. Die Autorin wurde im Nordirak geboren und hat dort etwa zehn Jahre lang gelebt bevor sie und ihre Familie in den Westen Deutschlands zogen. Für ihre fiktive Hauptfigur Sanaa hat sie einen ähnlichen Hintergrund geschaffen. Eine der nachhaltigsten Erinnerungen ihrer Protagonistin an ihre Kinderjahre im Irak ist der Biss einer Krabbe in ihre Wade und der anschließende Trost ihres Vaters, der ihr dazu eine Fabel erzählt. Der Titel des Buchs ist eine Anspielung darauf. Auf dem Körper der stilisierten Krabbe ist ein Hochhaus, ein Plattenbau zu erkennen. In einem solchen Gebäude lebt Sanaa mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester Helin in einer Großstadt Nordrhein-Westfalens.

Sanaa ist 22 Jahre und Studentin. Doch statt sich ganz dem Studium zu widmen, fühlt sie sich ihrer Familie verpflichtet. Ihre Mutter ist depressiv, hängt ihren Gedanken an die irakische Heimat nach und ist dadurch nicht mehr in der Lage ihren Haushalt zu führen. Sie akzeptiert es, dass ihre Schwägerin, die im gleichen Haus wohnt, gemeinsam mit einer weiteren Nachbarin täglich stundenlang in ihrer Wohnung hockt und raucht, angeblich um nach dem Rechten zu sehen. Sanaas Vater geht wechselnden Jobs nach und verbringt seine Freizeit außerhalb der Familie. Sich auf eine feste Beziehung einzulassen fällt der Studentin schwer, stattdessen hat sie neben ihrem Freund einen weiteren Liebhaber. Zwischen der Erinnerung an ihre Kindheit, den gegenwärtigen Problemen mit ihren Eltern und dem teils mythisch untermalten Erwartungen der ganzen Familie basierend auf kurdischen Verhaltensnormen, versucht Sanaa zu sich zu finden und an einer eigenen Zukunft zu bauen.

Als Leser benötigte ich einige Seite um mich im Leben von Sanaa einzufinden, jedoch breitete es sich dann mehr und mehr vor mir aus. Wirkte Sanaa zunächst eher wie jemand, der süchtig nach körperlicher Liebe ist, so begriff ich im Laufe der Zeit, dass die junge Kurdin sich nach einem Halt im Leben sehnt, jedoch ohne sich selbst an jemanden zu binden. Denn in dieser Pflicht sieht sie sich bereits gegenüber ihrer Mutter Asija. Niemand hat sie dazu aufgefordert, doch sie ist diejenige, die die Sehnsucht Asijas nach der Heimat im Irak versteht, weil sie Erinnerungen teilen. Während sie täglich die Gegenwart mit all ihren Problemen meistert, gräbt sie in der Vergangenheit ihrer Eltern um den Wunsch nachzuvollziehen, warum sie nach Europa ausgewandert sind. Sie finet keinen eindeutigen Grund, denn ihr werden dazu mehrere Versionen erzählt. Ihr Studium bietet ihr die Gelegenheit aus der vertrauten Umgebung auszubrechen und einige Stunden für sich zu verbringen, einfach eine junge Frau unter Freunden zu sein, ganz bewusst ohne weitere Verpflichtungen.

Karosh Taha beschreibt in „Beschreibung einer Krabbenwanderung“ das Leben einer jungen Frau zwischen Tradition und Moderne in einer Sprache, die teils träumen lässt, teils bewegend ist und in einigen Szenen auch amüsiert. Es entwickelte sich mit der Zeit ein Sog, der mich dazu brachte, immer mehr von den Sitten und Gebräuchen der mir fremden Kultur erfahren zu wollen. Der Roman gab mir die Hoffnung mit auf den Weg, dass auch Sanaa ihren Platz in der Familie und Gesellschaft finden wird. Gerne vergebe ich dem Buch eine uneingeschränkte Leseempfehlung.