Profilbild von StefanieFreigericht

StefanieFreigericht

Lesejury Star
offline

StefanieFreigericht ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit StefanieFreigericht über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.05.2018

Kloake

Tödliche Provence (Hannah Richter 2)
1

Hannah Richter, Ende 30, Kriminalpolizei Köln, ist wieder in Vaison in der Provence, in dem Ort, in dem sie im Vorjahr durch ein EU-Austauschprogramm beruflich war. Durch ihre Freundin Penelope stolpert ...

Hannah Richter, Ende 30, Kriminalpolizei Köln, ist wieder in Vaison in der Provence, in dem Ort, in dem sie im Vorjahr durch ein EU-Austauschprogramm beruflich war. Durch ihre Freundin Penelope stolpert sie eher zufällig in ein Verbrechen, als sie den älteren Herrn besuchen will, mit dem sich Penelope angefreundet hat. Hannah findet Louis Prinderre tot am Fuß seiner Treppe und mag nicht an einen Sturz glauben. Wieso wollte der Nachbar unbedingt an das Grundstück des älteren Herrn? Was ist mit der zwielichtigen Vergangenheit des Bruders der Haushälterin? Und was geschah mit Marc-Henry?

Kurz hintereinander begleitete ich die deutsche Kommissarin zweimal auf Einsatz in der Provence – ungeachtet einiger Andeutungen in diesem Band zum Vorgänger sollte man ihn aber einzeln lesen können. Ich hatte mich auf ein Wiedersehen mit den liebgewonnenen Bekannten aus Teil 1 gefreut, der quirligen Penelope, der Polizistin Emma, dem Original Anatole und seinem Freund, Musikwissenschaftler Serge, sowie Ex-Polizist Nicolas, der Hannah mit väterlichem Rat und gutem Essen zur Seite steht. Wieder führen die Ausflüge der Hobby-Altertumsforscherin gerne an die Wirkstätten der alten Römer, wenn auch etwas weniger als beim ersten Band (das war besonders, das wäre noch steigerungsfähig!). Wieder spielt die lokale Küche eine wichtige Rolle, eher als Hausmannskost (meiner Erfahrung nach eher ungewöhnlich beim Genre der Provence-Krimis und durchaus angenehm – mir gefallen Gerichte, bei denen ich nicht das Gefühl haben muss, der Genuss hinge nur vom Geldbeutel ab wie in so vielen anderen ähnlichen Büchern). Und wieder ist dieses Buch hauptsächlich Krimi, nicht seichte Urlaubslektüre mit „ein bisschen Spannung“.

Im Gegensatz zum ersten Band sind die Szenen hier wenig blutrünstig und ohne sexuelle Gewalt. Mir gefällt, dass man wieder den Gedanken der Protagonisten folgen darf zum Leben allgemein, wenn auch etwas weniger in die Tiefe und weniger zitierfähig als beim ersten Band. Dafür hat man Penelopes „besondere Talente“ nicht allzu vertieft, das war ja doch weniger mein Fall. Mir gefiel die Auflösung des Falles deutlich besser – und in Band 3 würde ich mir Hannah etwas weniger grübelnd wünschen, Männer und Kriminalfälle hin oder her.

Wieder gerne gegebene 4 Sterne.

Veröffentlicht am 15.05.2018

Gefiel mir gut!

Mord in der Provence (Hannah Richter 1)
0

Hannah Richter, Kripo Köln, nutzt nach einer unschönen Trennung die Chance zur Teilnahme an einem europäischen Austauschprogramm und darf in die Provence. In Vaison-la-Romaine ist ihr Chef, Capitaine Claude-Jean ...

Hannah Richter, Kripo Köln, nutzt nach einer unschönen Trennung die Chance zur Teilnahme an einem europäischen Austauschprogramm und darf in die Provence. In Vaison-la-Romaine ist ihr Chef, Capitaine Claude-Jean Bernard, wenig begeistert von der Deutschen in der legeren Kleidung und ohne jegliche militärische Vorausbildung, wie bei der Gendamerie üblich. Dazu kommt Hannah noch mit der Annahme, bei dem seltsamen Todesfall im Theater in Orange handele es sich nicht etwa um einen Selbstmord. Zum Glück findet Hannah vor Ort Verbündete in der quirligen Penelope und dem attraktiven Serge – und der kennt sogar einen früheren Polizeichef, der Hannah bald unterstützend zu Seite steht.

Achtung: Teils etwas heftig was die Darstellung von sexueller Gewalt angeht und die Gewalt gegen Tiere.

Mir gefiel dieser Krimi sehr mit einem guten Mix aus Ermittlungsarbeit, Zeugenbefragungen, Knobelei und sogar einem guten Schuss Action. Endlich einmal ein Provence-Krimi, bei dem nicht Teile der Gendarmerie als Trottel dargestellt werden (nein, ein Chef mit Vorbehalten gegen Frauen ist nicht per se ein Trottel als Polizist, außerdem…., nun, lesen). Das Buch macht definitiv Lust auf mehr, vor allem das Essen klang göttlich; im Gegensatz zu vielen anderen Provence-Krimis dieses Mal eher Hausmannskost denn Nobelrestaurants, eine angenehme Abwechslung. Die Charaktere machten mir viel Spaß, nur den Part mit den Visionen hätte es für mich nicht gebraucht. Auch mit der Manie von Hannah mit den Spitznamen hatte ich es nicht so, beides war aber nicht wirklich schlimm.

Besonders gefiel mir, wie bestimmte fast philosophische Gedanken in den Text eingestreut waren, hier von Serge: „Obwohl er überzeugt war, dass der Mensch grundsätzlich bis ins hohe Alter in der Lage war, an sich zu arbeiten, glaubte er an eine Art vorgegebenen Rahmen, innerhalb dessen lediglich Variationen möglich waren.“ Und: es wird keine gebrochene Persönlichkeit bei den Ermittlern zitiert (ja, Hannah zum Beispiel ist getrennt, aber es nicht ihre ganze Familie niedergemetzelt worden). Und ich mag Krimis sehr gerne, die eine Art „Soundtrack“ haben. Eine „Personal-Liste“ wäre nicht schlecht gewesen. Ach ja, und der Part mit Marius, das war schlicht gemein, lieber mehr auf den ollen Luc!

Gerne würde ich Band zwei lesen!

Veröffentlicht am 06.05.2018

Wer suchet, der findet

Madame le Commissaire und die tote Nonne
0

Zwei Freundinnen besuchen in der Provence die Gartenanlage Domaine du Rayol, als eine Nonne am Rande des Geländes tot aufgefunden wird. Einer von ihnen kommt hier etwas seltsam vor, ohne dass sie es benennen ...

Zwei Freundinnen besuchen in der Provence die Gartenanlage Domaine du Rayol, als eine Nonne am Rande des Geländes tot aufgefunden wird. Einer von ihnen kommt hier etwas seltsam vor, ohne dass sie es benennen könnte – und bald wird sie herausfinden, wie Recht sie hat.

Madame Le Commissaire, das ist Isabelle Bonnet, die in der Provence in dem kleinen Örtchen Fragolin eine Spezialeinheit leitet. Deren Aufgabengebiet ist nicht klar umrissen, sie scheint sich ausschließlich mit ihrem väterlichen Freund und Gönner Maurice Balancourt aus dem Ministère de l’intérieur absprechen zu müssen – im „früheren Leben“, bis sie nur knapp einem Bombenattentat entging, war Isabelle Leiterin einer Antiterroreinheit. Fragolin ist ihr Geburtsort. Natürlich ist sie eine der hier erwähnten Freundinnen, die rein aus Zufall in ihren nächsten Fall hineinstolpert. Parallel dazu wird sie durch ihren Assistenten, Sous-Brigadier Apollinaire, in einen Diebstahls-Fall hineingezogen.

Ab hier kann ich ein wenig aus meiner Beschreibung zu Band 3 zitieren – dieser Band ist der
5. Band der Reihe nach Madame le Commissaire...
1. …und der verschwundene Engländer
2. …und die späte Rache
3. …und der Tod des Polizeichefs (http://www.lesejury.de/rezensionen/deeplink/16364/Product)
4. …und das geheimnisvolle Bild
Ich zitiere mich zu Band 3: „Der Roman ist ein typischer „Whodunnit“, eher kürzere Kapitel garantieren einen zügigen Handlungsfortschritt ohne längeres Abschweifen. Neben Isabelle ist ihr schrulliger Mitarbeiter Apolinaire mit seinem Tick, fast immer zwei verschiedene Socken zu tragen, mit seinem struppigen Aussehen und seiner umständlichen Art tätig – jedoch ein wenig klischeehaft. Auch Isabelles Privatleben kommt zur Sprache mit ihren Gefühls-Verwicklungen…“, allerdings mehr als in Band 3, jedoch ohne dadurch zu nerven. Dieses Mal sind es die Männer und die Gesundheit. Auch beim 3. Band gab es diese Verknüpfung von zwei Fällen, was ich als realistisch empfinde.

Der Roman ist zwar mein zweiter mit den Protagonisten, jedoch lesen sich die Bände völlig unabhängig. Es finden Andeutungen zur Vergangenheit statt, so dass Isabelles Versetzung erklärt ist. Der Krimi ist flüssig geschrieben, die Sätze finde ich eher einfach (aber nicht zu einfach). Ich konnte Teile des Motivs erahnen, nicht jedoch die komplette Täter-Konstellation, was mir den Spaß nicht im geringsten vertrieb, da es eher um das „wie“ ging. Der Stil gefällt mir, jedoch gibt es für mich etwas zu viele „französisierte“ Abschnitte mit Vokabeltrainings-Charakter: Beispiel? Apolinaire pfiff durch die Zähle. „Je suis impressionné, ich bin beeindruckt.“ S. 325

Das Buch kommt ohne blutrünstige Szenen aus. Ich hatte zu Band 3 geschrieben, dass hier weniger als in Provence-Krimis der "Wettbewerber" auch die typische Küche und Landschaft zum Tragen kämen, doch In Band 5 der Madame-Reihe wird jetzt auch der i Kulinarik gefrönt und die Landschaften kommen stärker in den Fokus; mir gefällt dieser Band insgesamt deutlich besser als der dritte.

Was mich zunehmend nervt: das halbe Provence-Krimi-Genre wurde von Deutschen geschrieben – bei diesem Buch hier ist „Pierre Martin“ ein Pseudonym, der Autor hat z.B. auf Amazon nur diese Bücher gelistet. Ist ja schön, wenn sich das besser verkauft, aber irgendwie albern. https://www.focus.de/kultur/buecher/literatur-madame-le-commissaire-ermitteltid4891812.html
https://www.swp.de/unterhaltung/kultur/unter-pseudonym-meuchelt-es-sich-prima-23504185.html
Ich würde dem Buch auch dann solide 4 Sterne geben, wenn der Autorenname "Peter Müller" wäre

Veröffentlicht am 01.05.2018

Nikotin

Tragödie in drei Akten
0

Ich habe eine ältere Ausgabe gelesen namens "Nikotin" (alternativer Titel)

Mord in drei Akten (AC 16, Poirot 9) O: Three-Act Tragedy. In den USA erschienen 1934 als "Murder in Three Acts" mit leichten ...

Ich habe eine ältere Ausgabe gelesen namens "Nikotin" (alternativer Titel)

Mord in drei Akten (AC 16, Poirot 9) O: Three-Act Tragedy. In den USA erschienen 1934 als "Murder in Three Acts" mit leichten Abweichungen, die einzige Erzählung neben "Die Schattenhand" / "The Moving Finger", für die das gilt, siehe http://www.agathachristie.com/stories/three-act-tragedy/, dann 1935 wie eingangs genannt in Großbritannien. Deutsche Übersetzung durch Otto Albrecht van Bebber im Goldmann-Verlag, meine Goldmann-Ausgabe ist von 1985. 2012 für Fischer / bzw. für Atlantik 2016 neu übersetzt durch Henning Ahrens. Meine Ausgabe ist leider nicht gelistet, ich hänge ein Foto des Covers an.

Warum erleben einige Menschen so viel mehr als andere? Kann es sein, dass sie gewisse Aktionen anziehen? So diskutiert es eines Tages der frühere Schauspieler Sir Charles Cartwright mit seinen beiden Besuchern, dem Nervenarzt Sir Bartholomew Strange und dem Gentleman Mr Satterthwaite. Das könnte interessant werden - denn alle werden zu Sir Charles' Dinnerparty erscheinen - neben weiteren Gästen, zu denen auch gehört: Hercule Poirot, Meisterdetektiv. Und wirklich gibt es am Abend einen Toten, wenn auch ohne Anlass für Mordermittlungen. Doch Poirots Anwesenheit scheint tatsächlich gewisse Entwicklungen zu begünstigen...

Schauplätze:
Cornwall
London
Monte Carlo
Yorkshire

Personen:
Sir Charles Cartwright
Hercule Poirot
Dr. Bartholomew Strange
Lady Mary Lytton Gore und
ihre Tochter Hermione "Egg"
Captain Dacres und Ehefrau Cynthia
Muriel Wills (Anthony Astor)
Angela Sutcliffe
Oliver Manders
Butler Ellis
Miss Milray
Mr Satterthwaite

Zeitgeist:
Mrs Christie konnte hier mehrfach darauf herumreiten, wie hässlich eine der Personen ist (Miss Milray), es heißt noch eindeutig Nervenarzt, Nervenklinik. Manches Mal beschleicht mich bei der AC-Lektüre das Gefühl, mit unseren "modernen" Bezeichnungen oder dem Vermeiden bestimmter habe sich doch wenig geändert an dem, was "die Leute" sagen, "unter der Hand". Zunehmend ist das Gefühl, die Autorin spiele genau damit.
Ach, und damals konnte man sich wirklich nicht erklären, warum ein Mensch auf völlig gerader Straße die Kontrolle über sein Auto verlieren konnte - heute würde da jedes Smartphone einen Grund bieten...

Trivia:
Referenzen: auf Druck von Mr Satterthwaite gibt Poirot sein einziges berufliches Versagen zu, dargestellt in der Geschichte "Die Pralinenschachtel"/ "The Chocolate Box" aus "Poirot's Early Cases". Satterthwaite beginnt gegenüber Cartwright mit der Episode "Der Zaubertrick" / "At the Bells and Motley" aus der Sammlung "Der seltsame Mister Quin" / "The Mysterious Mr Quin".
Satterthwaite ist auch ein wesentlicher Akteur in jenen Geschichten. In einem Gespräch mit Mr. Satterthwaite im zweiten Akt, Kapitel 1 erwähnt Poirot Styles, den Schauplatz von Agatha Christies erstem Roman "The Missing Link" / "Das fehlende Glied in der Kette".
Die Handlung dieses Buches wiederum wird erwähnt in "Hercule Poirot's Christmas" durch Colonel Johnson und in "Die Morde des Herrn ABC" / "The ABC Murders" durch Poirot selbst gegenüber Hastings.

Zufällig lief die Verfilmung mit Suchet, während ich auf den ersten Seiten war. Jene mit Tony Curtis kannte ich. Beide fassen bestimmte Personen zu nur einer zusammen, sind jedoch sehr nahe am Original, wenn auch die Version mit Curtis etwas in die Moderne und an einen anderen Ort verrückt wurde (was wenig auffällt) als auch eine leichte Verschiebung des Motivs bietet (die ich sogar als recht glaubwürdig empfinde gegenüber dem ursprünglichen, das so heute wohl keines mehr böte). Ich finde beide gelungen, tatsächlich sogar einen Hauch spannender, wo ich das Buch teils als etwas zäh empfinde. Daher nur 4 Sterne.

Veröffentlicht am 01.05.2018

Höchst komplex in Sprache, Stil, Aufbau - gekonnt, nur oft zu viel davon bei eher schwachem Plot

Eine bessere Zeit
0

Miquel Gensana, aus dessen Sicht weite Teile des Romans erzählt werden, sitzt im Restaurant mit seiner jüngeren Kollegin Júlia. Dieses war einst der Familiensitz, das Haus, in dem er aufwuchs, doch das ...

Miquel Gensana, aus dessen Sicht weite Teile des Romans erzählt werden, sitzt im Restaurant mit seiner jüngeren Kollegin Júlia. Dieses war einst der Familiensitz, das Haus, in dem er aufwuchs, doch das möchte er nicht einmal zugeben. Júlia fragt Miquel nach Bolós, Josep Maria, seinem Freund seit Schulzeiten, der gerade beerdigt wurde. Und Miquel beginnt zu reden, geradezu Rechenschaft abzulegen. Er erzählt von seinem Leben, auch von den gemeinsam mit Bolós erlebten Zeiten und von der Geschichte seiner Familie.

Zwar fällt der Beginn des Lebens von Miquel in das Ende der Franco-Zeit, diese wird jedoch eher nebenbei gestreift, es geht vielmehr um die Geschichte der Familie, um die von Miquel und jene seines Onkels. Voller schöner sprachlicher Wendungen, aber auch sehr anspruchsvoll konstruiert, stark durchsetzt mit Intertextualität, auch mit Referenzen zur Musik, das beschreibt den Stil des Romans. Beginnend mit vielen Andeutungen, von denen im Laufe der Erzählungen (fast) alle aufgelöst werden – die Handlung an sich wäre eher sehr durchschnittlich, wenn sie nicht in dieser Sprache dargebracht wäre. Doch langsam.

Da wären die häufigen zeitlichen Wechsel im Roman, die diesen oft nicht leicht lesbar machen, dazu der Wechsel zwischen Erzähler in der ersten und in der dritten Person oft in einem Satz – Miquel auf Distanz gehend zu sich selbst oder der Bruch zwischen dem „inneren“ Miquel und der von außen wahrgenommenen Person? Es wird nicht aufgelöst, muss es auch nicht, ich gewöhnte mich daran. Dann gibt es die teils langen Sätze, gelegentlich mit einem Hauch von „stream of consciousness“: "Das war echte Angst; und ich stellte mir die Frage (die ich mir auch einige Jahre später stellen sollte, als ich hoch oben an der Fassade von Can Gensana in der Kletterrose hing), was, zum Teufel, hast du hier zu suchen, Miquel, du Schwachkopf, du Idiot, zielst mit deiner Kalaschnikow wie mit einem Zahnstocher auf eine Skyhawk, einen Koloss, der hinter den Bergen aufgetaucht ist und auf dich zuhält, verfluchter Narr, und du rennst in heller Panik auf die zweifelhafte Deckung zu, die dir ein nackter Felsen bieten wird, während du überlegst, mit welchen Handzeichen du dem Piloten plausibel machen könntest, dass du mit diesem Krieg nichts zu schaffen hast, verdammt noch mal, sondern nur einen kleinen Kursus absolviert und gleich wieder weg bist." S. 134

Dazwischen dann immer wieder Schönes, Treffendes: S. 496 „Die Deinen zu begraben ist ein Zeichen dafür, dass du nicht länger jung bist...“ oder auch Profaneres aus dem Leben: S. 529 „Mittelklassehotels haben eine erstaunliche Gemeinsamkeit mit Bauernhäusern. Die diversen Wandlampen sind einzig dazu gedacht, dass man überhaupt sieht. Will man sich etwas anschauen, fangen die Schwierigkeiten schon an.“ Dazu kommen viele lateinische Zitate, noch mehr französische, etliche Passagen „im Stil von“, Literatur, Filmen und Büchern der Populärkultur; das Buch ist gegliedert wie ein Musikstück, es gibt Noten im Buch, um die Musik zu erklären, weite Passagen denn auch zur Musik, zur Literatur, zur Sprachwissenschaft,...jaaaa, der Autor weiß da schon einiges. Schön. Mich hat das lange sehr amüsiert, ich erkannte amerikanische Detektive wieder, erinnerte mich an sprachwissenschaftliche Vorlesungen, kratzte mein Latein zusammen: doch halt, BRAUCHT man das? Ich unterstelle Autoren von Büchern mit vielen Verweisen zwar, dass sie wissen, wovon sie schreiben – aber halt auch, dass sie es gerne sehen, wenn das auch alle anderen unbedingt wissen.

Dann die vielen Andeutungen – hat jemand noch so Verwandte oder Bekannte, die zu Besuch kommen, durch Wohnung oder Garten schreiten und dann so einen bedeutungsschwangeren Blick aufsetzen, am besten den Zeigefinger erheben und sagen: „Weißt du...was du tun musst, damit deine Rosen richtig wachsen, um den Kuchen richtig toll zu machen, um...“. Ich habe irgendwann gelesen, jede Kritik beruhe auf der Kernaussage „du bist nicht ich“. So in etwa schreitet der Roman voran: große Ankündigung „das große Geheimnis von Pilar“, dann viel viel Text, Zeitwechsel, Aufklärung – und man will es gar nicht mehr wissen, ahnte es schon. Mehrfach. Besserwisser.

Der Originaltitel bedeutet übrigens „Der Schatten des Eunuchen“ - Miquel zitiert auf S 464 Steiner: "Wenn der Kritiker sich umsieht, erblickt er den Schatten eines Eunuchen." ah, sein eigener Schatten, weil er quasi nicht zeugungsfähig ist, selbst keine Kunst schaffen kann, von außen zusieht. Das ist durchaus wichtig, denn lange Seiten nennt Miquel sich den Unfruchtbaren, den Sterilen, und meint dann doch nur dieses. Er, der Liebhaber der Künste, kann selbst nicht künstlerisch tätig sein, nur als Kritiker arbeiten. Irgendwie sah ich da Parallelen zu seinem generellen Ansatz zu leben. Beobachten, analysieren, passiv sein.

Überhaupt, Parallelen: ich empfinde eine gewisse Parallelität zwischen den Erlebnissen bei Maurici und Miquel, dadurch treten für mich Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser hervor. Also Miquels Leben im Untergrund - Mauricis heimliche Liebe. Beide im Bruch mit der Familie. Beide anscheinend Rückkehrer - wenn auch nicht so ganz und nicht ganz mit dem Herzen, beide positiver eingestellt zu den Frauen der Familie (die sind bislang eher Nebenrollen). Beide hinsichtlich intellektueller Neigungen vielfältig bis unentschlossen, beide gehen nicht in die Fabrik, wollen eher keine praktische oder kaufmännische Arbeit. Beide werden von ihren Wahlfamilien in lebensverlängernde Situationen gebracht ( bzw in solche, die die gesamte Einstellung verändern). Das ist ganz schön, aber auch ganz schön viel, selbst für etwas über 500 Seiten.

Fazit: ein sehr bewusst literarischer und anspruchsvoll zu lesender Roman, dessen eigentliche Grundhandlung meist wenig Neues bietet. Mir etwas „zu viel“ des Guten, tut mir leid. Der Abschnitt „Der Zweite Satz“ hätte allein 5 Sterne bekommen. So lande ich mühselig auf 3 ½ Sternen, runde aber im Vergleich zu einigen der anderen Rezensionen an anderer Stelle für 3 Sterne (die mich aufgeregt haben) auf auf 4 Sterne.


Mögliches Folgebuch: Delphine de Vigan: Nach einer wahren Geschichte (auch sehr hohe Intertextualität, die mich dort aber deutlich stärker nervte; aber sehr viele lieben dieses Buch)