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Veröffentlicht am 13.10.2018

Die französische Revolution lebt.

Das barmherzige Fallbeil
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Fred Vargas ich liebe dich. Ein geschichtlich fabelhaft untermauerter Krimi.
Dieses Buch hat mir meine liebste Geschichtslehrerin vor den Abiturprüfungen wärmstens als spannende Abwechslung ans Herz gelegt. ...

Fred Vargas ich liebe dich. Ein geschichtlich fabelhaft untermauerter Krimi.
Dieses Buch hat mir meine liebste Geschichtslehrerin vor den Abiturprüfungen wärmstens als spannende Abwechslung ans Herz gelegt. Wir teilen beide schon länger eine Faszination für Vargas, aber dieses Buch kannte ich noch nicht.
Und was soll ich sagen, ich bin schlichtweg begeistert. Anders als in bisherigen Büchern der Autorin, rückt die geschichtliche Facette weit mehr in den Vordergrund. Als Leser werde ich entführt in die Zeiten Robesspierres und erlebe in Paris hautnah die Aufarbeitung der französischen Revolution. Aber das ist nicht das einzige Thema, parallel zieht es den Hauptkommissar Adamsberg mit seiner Truppe auch nach Island auf eine kleine Insel und in weitere Gefahren. Der geschichtliche Ausflug war dabei ausgewogen sowohl mit Fakten als auch mit überlieferten Anekdoten und Interpretationen gefüttert und so keineswegs ermüdend.
Vargas schafft es auf über 500 Seiten die verschiedensten Erzählfäden am Ende gekonnt zu einem nachvollziehbaren Strang zu verknüpfen und nimmt den Leser dabei mit auf eine Reise ins Ungewisse. Besonders gefallen hat mir, dass es an keiner Stelle langweilig wurde, und trotzdem nie so rasant Fahrt aufnahm, dass die Handlung dadurch vorhersehbar wurde.
Adamsberg und sein Team als immer wiederkehrende Figuren der Reihe waren auch dieses mal wieder charakteristisch wunderbar kontrastreich ausgeprägt. Adamsberg pflegt eine völlig konfuse und ungewöhnliche Herangehensweise an Ermittlungen, die in Textform ebenso humoristisch wie verwirrend sein kann. Verbunden mit dem prägnanten Sprachstil, der teilweise an lyrische Texte erinnert und doch immer einen harten harschen Unterton mitbringt, der die Handlung auf ihr Minimum herunterbricht.
Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser teils künstlerische Ton nicht für jeden Spannungsfan geeignet ist, da er eine Länge mitbringt, die nicht jeder in der Spannungsliteratur schätzt, daher würde ich einen kurzen Blick ins Buch empfehlen.
Das Ende kam für mich und meine mitlesenden Freunde völlig schlagartig und all die vorher gefassten Vermutungen wurden dadurch mit ganzer Kraft in den Wind geworfen. Dieses Gefühl der Überraschung und das trotzdem noch mitfiebern wollen, zeichnet für mich einen guten Kriminalfall aus. Aber selten erlebe ich es, dass ein völlig unvorhergesehenes Ende so viel Logik mit sich zieht. Chapeau!



Veröffentlicht am 22.05.2018

Hautnah!

Wir sind dann wohl die Angehörigen
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Das geht unter die Haut.
Dieses Buch erzählt nicht nur irgendeine fiktive Geschichte, es erzählt vom einschneidensten Erlebnis, das die Reemtsma-Familie 1996 durchleben musste. Johann Scheerer, der Sohn ...

Das geht unter die Haut.
Dieses Buch erzählt nicht nur irgendeine fiktive Geschichte, es erzählt vom einschneidensten Erlebnis, das die Reemtsma-Familie 1996 durchleben musste. Johann Scheerer, der Sohn vom Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma, gibt seine ganz private und dreizehnjährige Sicht auf die Entführung preis. Schonungslos und ohne Auslassungen durchleben wir beim Lesen was sein Leben so sehr geprägt hat, dass er es sich erst von der Seele schreiben musste.
Seit ich von der Existenz dieses Buches erfahren habe, wollte ich es lesen, durch einen glücklichen Umstand fiel es mir schneller als gedacht in die Hände und was soll ich sagen: Ich ziehe meinen Hut vor Scheerer. Keine Frage das literarische Feingefühl liegt in der Familie.
Ich selbst bin zu jung und habe die mediale Verarbeitung dieses Vorfalls nicht miterlebt, konnte das Buch also völlig unbefangen und ohne Vorkenntnisse lesen. Die Erzählstimme ist von Anfang an stark und stimmungsvoll ohne dabei zu sehr erwachsen oder durchdacht zu klingen. Wir lauschen der Stimme eines Teenagers, der auch seine Vorliebe zu Gitarren, die ihm ein Trostpflaster werden, nicht auslässt, weil es möglicherweise besser klingt. Der grausame Alltag während der Entführung und die schmerzliche Ungewissheit, die sich während der 33 Tage der Reemtsma-Entführung durch sein Zuhause ziehen, finden sich auf den Buchseiten wieder. Da kommt man beim Lesen selbst ins Grübeln und stellt sich die gleichen Fragen, der gleichen Angst, um im nächsten Moment erleichtert aufzuatmen und das eigene Leben einmal mehr zu schätzen wie es ist.
Scheerer heischt nicht nach Mitleid oder großen Gefühlen mit seiner Art zu Schreiben und trotzdem ist das Buch weder langeilig noch trostlos. Wir verfolgen gebannt das Geschehen an seiner Seite und merken wie sich das Blatt wendet. Er beobachtet die kleinen Details, die sich verändern und wie die Nerven der Beteiligten mehr und mehr unter dem Druck leiden.
An Intimität und Details gewinnt das Buch durch die Briefe des Vaters und die Botschaften der Erpresser, die privateste Einblicke in diese schmerzvolle psychische Farce gewähren und die Entführung illustrieren.
Psychologisch gesehen sehr wertvoll und interessant zu verfolgen, gerade wenn Interesse am Thema Entführungen besteht.
Vor dem Lesen dachte ich 230 Seiten wären eventuell zu kurz um diese Wahrheit darzustellen, aber im Nachhinein erscheint mir diese Länge gut gewählt. Die Handlung kommt nicht dazu auszuufern und trotzdem verschafft sie einen umfassenden Überblick. Gelungene Gratwanderung zwischen zu ausführlich und vollständig.
Das einzige was ich mir noch gewünscht hätte, wäre eine Art Fazit oder ein paar abschließende Worte gewesen, da diese Reise in Scheerers Seelenwelt den Leser mit vielen Gedanken und Fragen zurücklässt, was die Zukunft angeht. Ich versteh aber auch, dass es dem Autor hier nicht darum ging alles aufzuklären. Seinen Interviews entnehme ich, dass er sich die ganze Sache von der Seele schreiben wollte und das ist ihm gelungen.
Ein Buch, das einen so schnell nicht mehr loslässt und einen neuen Blick auf Entführungen öffnet, den Leidensweg der Angehörigen, die mit der Ungewissheit leben müssen in völliger Ohnmacht.

Veröffentlicht am 18.05.2018

Wenn man Kreativität kaufen könnte, dann würde sie so aussehen

Mein Buch
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Hier mal etwas ganz anderes, was ich unbedingt ausprobieren musste.
Der ein oder andere weiß es bestimmt, aber ich erzähle es lieber nochmal. Schon früh habe ich nicht nur meine Liebe zum Lesen entdeckt, ...

Hier mal etwas ganz anderes, was ich unbedingt ausprobieren musste.
Der ein oder andere weiß es bestimmt, aber ich erzähle es lieber nochmal. Schon früh habe ich nicht nur meine Liebe zum Lesen entdeckt, sondern auch die zum Geschichten ausdenken und dem Schreiben. Früher habe ich oft an Schreibwettbewerben teilgenommen und durfte hilfreiche Schreibworkshops durchlaufen. Umso größer war meine Freude als ich dieses Projekt entdeckte. „Mein Buch“ bietet Fragestellungen und Ideen um das Kreative Schreiben in schaffbaren Portionen zu trainieren.
Die rein ästhetische Aufmachung ist ansprechend, besonders durch das satte Blau (meine Lieblingsfarbe) und die Schlichtheit der Gestaltung. Plus ein praktisches Leseband und einen Gummi, der dafür sorgt, dass auch zusätzliche Zettel ein sicheres Zuhause finden.
Im Buch finden sich 100 verschiedene Ideen worüber man Schreiben könnte. Aus eigener Erfahrung: da ist für jeden was dabei und zahlreiche verrückte Sachen, auf die man aus dem Alltag heraus gar nicht kommt. Beispiele für solche gedanklichen Anregungen sind:
- Erkläre einem Außerirdischen was Liebe ist
- Schreibe ein Plädoyer gegen Sport
- Ein vernachlässigtes Cello erzählt.
Je nach Frage gibt es 1-3 Seiten Raum für schriftliche Ergüsse, was in den meisten Fällen völlig ausreichend war. Die Fragen sind abwechslungsreich und passen zeitlich gut in den Alltag.
Und weil mit Illustrationen alles besser ist, als ohne, gibt es einen Pluspunkt. Zu jeder zweiten Fragestellung gibt es mit groben Linien skizzierte Bilder, die Platz für eigene Interpretationen lassen und zusätzlich gute Laune machen.
Ich bin gerade mal bei der Hälfte und habe noch einige kreative Stunden vor mir. (: Fazit: großartige Ideen und ein Buch, das die Welt so noch nicht gesehen hat, daher schnappt es euch und euren Lieben und tut eurer kreativen Ader etwas Gutes. PS: Klappt auch super zu zweit :P

Veröffentlicht am 18.05.2018

Jetzt möchte ich Kinder

Schlaflose Nächte und Küsse zum Frühstück
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Überrascht mit angenehmen Tiefgang.

Matteo ist mit Paola zusammen. Und die beiden arbeiten beide an der Entstehung von Comics. Aber damit nicht genug Matteo ist auch Vater. Nicht nur einfach-Vater, nein ...

Überrascht mit angenehmen Tiefgang.

Matteo ist mit Paola zusammen. Und die beiden arbeiten beide an der Entstehung von Comics. Aber damit nicht genug Matteo ist auch Vater. Nicht nur einfach-Vater, nein zweifach- und seit Melania sogar dreifach-Vater.

Von diesem Buch habe ich mir leichte Unterhaltung versprochen, meine Erwartungen waren nicht besonders hoch und dann habe ich angefangen zu Lesen...
Nicht umsonst ein Bestseller in Italien!

Das Buch ist in 4 Teile unterteilt, die jeweils mit einer Jahreszeit betitelt sind. Die Geschichten und Ausschnitte an sich sind selten länger als drei Seiten, mal braucht es nur einen kurzen Absatz von einer halben Seite. Diese Kürze lässt einen mit Leichtigkeit durch die Sätze fliegen. Der Autor schafft es erstaunlich gut selbst in die kürzeste Wortaneinanderreihung kleine und große Botschaften einzuflechten. Mal über Alltagsrassismus beim Kinderarzt, die liebe Nachbarschaft oder darüber, dass Kinder die Wahrheit näherbringen können.
Bussola zelebriert förmlich die positive Lebensweise ohne dabei unecht, fehlerfrei oder zu perfekt zu erscheinen. Er wurde mir beim Schmökern viel mehr zu einem lustigen Freund, der einem manchmal das eigene Umdenken ermöglicht.

Der Schreibstil kommt ohne Besonderheiten aus. Die finden sich eher hinter den Worten, wenn die zeitdeckenden Frühstücksdialoge aus der Sicht von Bussola sich mit Schwung verabschieden.

Die Familie wächst ans Herz, weil sie so alltäglich ist und weil wir ganz nah dran sind. Kompromisslos, da kann es schon mal passieren, dass der Papa nicht vermisst wird, ja sogar mit besten Grüßen in die weite Welt geschickt wird, weil er gerade nicht gebraucht wird.

Im Ende hat Matteo Bussola bei mir das Bewusstsein für den Alltag und seine kleinen Wunder, komische Gespräche und was sonst noch so alles passiert, neu angeknipst. „Jeder kann Spaß an seinem Alltag und damit seinem täglichen Leben haben, wenn er nur nah genug ran zoomt“, das ist meine Quintessenz.

Empfehle ich jedem der noch nicht wusste, dass er gegen alle Vernunft eigene Kinder braucht (meine Wenigkeit), jedem Miesepeter, oder denjenigen, die das Wetter dazu macht (ich) und sonst allen, die echte gute Laune gebrauchen können. (:

Veröffentlicht am 22.02.2018

Lieblingsbuch 2018

Pink Hotel
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Wortgewandt, vielschichtig und dabei komisch schräg begeistert Anna Stothard.

Sie ist 17 Jahre alt, als sie den Anruf bekommt. Ihre Mutter Lily hatte auf einem Highway einen tödlichen Motoradunfall. ...

Wortgewandt, vielschichtig und dabei komisch schräg begeistert Anna Stothard.

Sie ist 17 Jahre alt, als sie den Anruf bekommt. Ihre Mutter Lily hatte auf einem Highway einen tödlichen Motoradunfall. Sie hat sie mit 3 Jahren verlassen. Trotzdem macht sie sich auf den Weg nach Amerika, folgt Lilys Spuren und ihrer Totenwache. Daraus entwickelt sich eine vielschichtige Story, die mich beim Lesen immer wieder überrascht hat.
Das Buch lebt durch die Protagonistin, durch ihre Macken, ihre Erinnerungen und Einordnungen in die Welt. Man trifft auf einen Menschen von dem man mehr wissen will, den es zu ergründen gilt, während man gleichzeitig beobachtet wie dieser Mensch selbst etwas oder jemanden zu finden hofft.
Bereits der erste Satz weckte in mir Erwartungen an den Sprachgebrauch im Buch. Enttäuschung blieb glücklicherweise aus. Die Autorin verwebt auf jeder einzelnen Seite Worte, Bilder und neue Ideen so geschickt miteinander, dass es ein reines Lustspiel für den Sprachverliebten ist.
Mit der Geschichte rund um eine Gleichaltrige konnte ich mich gut identifizieren. Ihre Rolle schreckt ab, macht neugierig, lässt mit Tempo umblättern. Sie ist nicht alltäglich und das hat mir beim Miterleben großen Spaß bereitet.
Die Geschichte an sich hätte vermutlich nicht einmal spektakulär sein müssen, da ich noch völlig abgelenkt vom schönen Sprachstil war. Doch sie war es. Zu Beginn springt der Leser in ein Wirrwarr von Informationen, in der Mitte plätschert es so vor sich hin, um gegen Ende was die Handlung anging nochmal so richtig an Fahrt zu gewinnen. Ich bin selten überrascht vom Plot einer Geschichte, aber hier war ich es. Am Ende hinterließ dieser einen feuchtfröhlichen Gemütszustand bei mir.
Beiweilen erinnerten mich einige Abschweifungen und die Art und Weise des ausartenden Erzählens an John Green, nur besser! Aber pscht, das muss ja kein John Green-Fan hören…
Obwohl das Buch nie den Schritt hin zu aggressivem Tiefgang macht, kommen Gedanken und Fragenfetzen auf, die zum ein oder anderen Nachsinnen oder Reflektieren anregen. Besonders die Lebendigkeit eines Lebens stand für mich im erkennbaren Vordergrund.
Zusammengerafft wird wohl klar, wie mich dieses Buch abgeholt und mitgenommen hat. Ich kann es nur jedem der jung und verwirrt ist empfehlen, aber natürlich auch jedem „young at heart“-gebliebenem.