Profilbild von frenx

frenx

Lesejury Star
offline

frenx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit frenx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.07.2018

Lobreden mit Raffinesse

Die Kunst des Lobens
0

Ein wenig missverständlich ist er schon, der Titel von Iso Camartins Buch der Lobreden. „Die Kunst des Lobens„: das klingt nach Ratgeberliteratur, nach einer Anleitung für Reden zu besonderen Anlässen. ...

Ein wenig missverständlich ist er schon, der Titel von Iso Camartins Buch der Lobreden. „Die Kunst des Lobens„: das klingt nach Ratgeberliteratur, nach einer Anleitung für Reden zu besonderen Anlässen. Iso Camartin gibt aber in seinem Buch keine Rhetorik-Tipps für erfolgreiche Redner. Es sei denn, man will von gelungenen Beispielen lernen.

„Die Kunst des Lobens“ ist nämlich nichts anderes als eine Sammlung von Lobreden zu unterschiedlichen Anlässen. Nach einem eher verkopften Überblick über die Geschichte der Lobreden demonstriert Iso Camartin was eine Lobrede ausmacht. Wortspiele, Pointen, Witz, das Spiel mit dem Leser: das alles findet man in den Lobreden Camartins. Vor allem aber sind es die überraschenden Verknüpfungen, der Weg zum eigentlichen Thema, der Weg zum Geehrten, die das Besondere von Iso Camartins Lobreden ausmachen. Da erzählt Camartin von dem spanischen Jesuiten Baltasar Gracián, der im 17. Jahrhundert gelebt hat, um schließlich von seinem Buch „Der kluge Weltmann“ auf die freigeistige „Weltfrau“ Nike Wagner zu kommen.

Kommen sie auch leichtfüßig daher, so sind Camartins Lobreden zutiefst durchdacht. Nur selten, wie bei der Lobrede auf Adolf Muschg, wird Vorwissen verlangt. Das ist auch wichtig, denn in „Die Kunst des Lobens“ sind überwiegend Lobreden auf Persönlichkeiten des – zumeist dichterischen – Geistesleben versammelt, die eher unbekannt sind. Auch deshalb gelingt es dem Autor so mühelos, den Leser neugierig zu machen auf unbekannte Autoren und Werke.

Veröffentlicht am 21.05.2018

Xiaolu wächst über sich hinaus

Der freie Vogel fliegt, Band 2
0

„Der freie Vogel fliegt“ ist eine Comic-Reihe mit (mindestens) sechs Bänden, in der ein 16-jähriges Mädchen namens Xiaolu die Hauptrolle spielt. Mir gefällt der chinesische Comic (bzw. Manhua) sehr gut, ...

„Der freie Vogel fliegt“ ist eine Comic-Reihe mit (mindestens) sechs Bänden, in der ein 16-jähriges Mädchen namens Xiaolu die Hauptrolle spielt. Mir gefällt der chinesische Comic (bzw. Manhua) sehr gut, daher will ich nun hier auch den zweiten Band kurz besprechen.

Die Geschichte von Xiaolu geht weiter. Nachdem in Band 1 vor allem die Scheidung der Eltern und die schlechte schulische Leistung thematisiert wurden, wird Xiaolu nun langsam erwachsener.

Xiaolus Ausflüge in die Welt der Fantasie sind keine Fluchten mehr aus der Realität, zumindest nur noch selten. Es sind inzwischen daraus Verhaltens-Taktiken geworden. Die braucht sie auch, denn immer noch schwärmt sie für einen Jungen, traut sich aber nicht, ihn anzusprechen. Da braucht es schon Taktiken, um ihn ja nicht ansprechen zu müssen…

Im zweiten Band stehen die neuen Freundinnen Xiaolus im Vordergrund. Sie bringen Xiaolu immer wieder dazu, über sich hinauszuwachsen, sich anderen gegenüber zu öffnen.

Veröffentlicht am 21.05.2018

Xiaolu wird erwachsen

Der freie Vogel fliegt, Band 3
0

„Der freie Vogel fliegt“ ist eine Comic-Reihe mit (mindestens) sechs Bänden, in der ein 16-jähriges Mädchen namens Xiaolu die Hauptrolle spielt. Mir gefällt der chinesische Comic (bzw. Manhua) sehr gut, ...

„Der freie Vogel fliegt“ ist eine Comic-Reihe mit (mindestens) sechs Bänden, in der ein 16-jähriges Mädchen namens Xiaolu die Hauptrolle spielt. Mir gefällt der chinesische Comic (bzw. Manhua) sehr gut, daher will ich nun hier auch die Bände 2 und 3 kurz besprechen.

Die Geschichte von Xiaolu geht weiter. Nachdem in Band 1 vor allem die Scheidung der Eltern und die schlechte schulische Leistung thematisiert wurden, wird Xiaolu nun langsam erwachsener.

Xiaolus Ausflüge in die Welt der Fantasie sind keine Fluchten mehr aus der Realität, zumindest nur noch selten. Es sind inzwischen daraus Verhaltens-Taktiken geworden. Die braucht sie auch, denn immer noch schwärmt sie für einen Jungen, traut sich aber nicht, ihn anzusprechen. Da braucht es schon Taktiken, um ihn ja nicht ansprechen zu müssen…

Obwohl Xiaolu selbst sich nicht traut, ihren Schwarm anzusprechen, fühlt sie doch sehr mit ihren – neuen – Freundinnen mit, wenn die sich zoffen, ihre Beziehungen auseinander gehen.

Xiaolu muss einiges wegstecken: wie oft Beziehungen in ihrer Umgebung scheitern, belastet sie sehr. Dann wird eine Freundin von ihr schwanger, ihre Cousine nimmt sich das Leben.

Den beiden Autorinnen, Jidi und Ageng, gelingt es, diese ernste Seiten in Xiaolus Leben so zu verpacken, dass sie überzeugend wirken. Die Sicht Xiaolus entspricht dem, was Jugendliche in China in den 1980er Jahren denken. Es gibt keinen weisen Erzähler, der aus seinen Fehlern gelernt hat, keine rückblickenden Wertungen.

Wie bereits im ersten Band, haben mir auch hier die Bilder sehr gefallen. Die Bilder transportieren die Stimmung. Xiaolus Trauer, die Verzweiflung ihrer Cousine: überzeugend in Bilder umgesetzt. Xiaolus Entschlossenheit, ihrer Freundin beizustehen: herrlich komisch im Karate-Stil dargestellt. Xiaolus Scheu, ihren Schwarm ansprechen: grandios grotesk umgesetzt.

Für die kommenden Bände gibt es genügend Cliffhanger, die einer Auflösung bedürfen. Allerdings wird in „Der freie Vogel fliegt“ nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern viele. Dies hat zwar den Nachteil, dass es viele lose Fäden mit vielen offenen Fragen gibt, aber zugleich auch den großen Vorteil, dass man einiges über das Leben Jugendlicher in China erfährt.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Schön gestalteter Andachtsband zur Schöpfung

Psalmen der Schöpfung
0

Gott spricht durch die Natur zu uns, ist sich Francine Rivers sicher. In ihrem Buch „Psalmen der Schöpfung“ hat sie 52 Andachten gesammelt, eine für jede Woche im Jahr.

Es sind gelungene Andachten. Denn ...

Gott spricht durch die Natur zu uns, ist sich Francine Rivers sicher. In ihrem Buch „Psalmen der Schöpfung“ hat sie 52 Andachten gesammelt, eine für jede Woche im Jahr.

Es sind gelungene Andachten. Denn Francine Rivers hat – zusammen mit Karin Stock Buursma – interessante Beobachtungen aus der Pflanzen- und Tierwelt gesammelt und verbunden mit dem Glaubensleben. Der Specht lädt mich dazu ein, darüber nachzudenken, wo die Ängste hartnäckig an das eigene Herz klopfen. Das Herausstrecken des Schildkröten-Kopfes soll mich anregen, auch mal etwas zu wagen. Der Rotschwanzbussard lässt daran denken, dass wir dankbar sein sollen.

Die kleinen Geschichten, die Francine Rivers erzählt, führen manchmal direkt, und manchmal über Umwege zu einer Erkenntnis Zudem kann man noch etwas über die Natur lernen – über Apfelsorten zum Beispiel, die Geschichte der Kartoffel oder die Farbe der Flamingos. Diesen Beobachtungen folgen Anregungen zum Nach- und Weiterdenken, die angenehm weit gefasst sind. Durch die weitreichenden Impulse, die hier gegeben werden, ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich mehr als einen Tag mit dem Thema einer Andacht zu beschäftigen.

Jeder der Andachten ist mit absolut faszinierenden Bildern illustriert. Detailfotos von Tieren, Makro-Aufnahmen von Blüten – die „Psalmen der Schöpfung“ zeigen die Schöpfung von ihrer schönsten Seite ebenso wie die stimmungsvollen Landschaftsbilder.

Dass die Andachten nicht thematisch gegliedert sind, empfand ich als wohltuend – so wirken sie nicht wiederholend, wenn man sie nach und nach übt. An einzelnen Stellen scheint die eher konservative Einstellung der Autorin durch – wenn sie sich für den treu(doofen) Hund ausspricht, der den Gläubigen repräsentiert, und nicht für die – frei lebende – Katze. Auch der dualistische Kampf des Bösen gegen das Gute scheint an einzelnen Stellen als Glaubensüberzeugung durch.

Insgesamt aber ist das Buch wenig konfessionell geprägt, sondern lädt in großer Offenheit und Weite mit überraschenden Geschichten ein, sich Gedanken über den Glauben zu machen.

Veröffentlicht am 09.05.2024

Wo geht das Licht hin...

Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist
0

Nadine Olonetzky hat sich in ihrem Roman „Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist“ mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt. Ihr Großvater Moritz kam in einem Konzentrationslager ums Leben, ihrem ...

Nadine Olonetzky hat sich in ihrem Roman „Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist“ mit ihrer Familiengeschichte beschäftigt. Ihr Großvater Moritz kam in einem Konzentrationslager ums Leben, ihrem Vater Emil gelang 1943 die Flucht in die Schweiz.

Eigentlich wäre das schon Stoff genug für einen Roman. Aber ihr Vater hat Nadine Olonetzky nur einmal, auf einer Parkbank, seine Geschichte erzählt. Kaum genug, um einen Roman zu füllen. Doch als sie im Jahr 2020 auf Unterlagen der Anträge zur Entschädigung stieß, begann Nadine Olonetzky die Geschichte ihres Großvaters und ihres Vaters zu rekonstruieren und besuchte auch die Orte ihrer Vergangenheit.

So ist „Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist“ letztlich auch ein Bericht über die Detektivarbeit, aus rund 2500 Seiten an Dokumenten eine Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Freilich bleiben viele Lücken, Unklarheiten und Ungenauigkeiten, auch Widersprüche.

Von der Gestapo verhaftet, wurde ihr Großvater Moritz am 26.4.1942 von Stuttgart nach Izbica deportiert, ein Konzentrationslager oder „Transitghetto“ bei Lublin, 300 Kilometer entfernt von Treblinka. Dort kam er vermutlich im gleichen Jahr zu Tode. Ihrem Vater Emil gelang jedoch 1943 auf abenteuerliche Weise mit gefälschten Papieren die Flucht in die Schweiz.

Zur Fluchtgeschichte kommt immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Vater. Der Vater, der alles fotografierte, festhalten wollte. Der allen seinen Ehefrauen untreu war. Der häufig Wutausbrüche hatte. Der fünf Jahr lang nicht mehr mit seiner Tochter redete, sagte sie sei für ihn gestorben.

Und: Der Vater, der sich taufen ließ. Die Tochter wusste nichts davon:

Wie bitte? Mein Vater ließ sich taufen? Das erfahre ich erst jetzt aus den Dokumenten.

Dies gehört zu den Lücken, die bleiben. Warum er vom Judentum zum Christentum konvertierte und vor allem: warum er das seiner Familie nie erzählte, darauf hat Nadine Olonetzky keine Antwort.

Die Familiengeschichte ist das eine, das die Autorin erzählt. Das andere ist die Geschichte des 20 Jahre andauernden Kampfs um Wiedergutmachung. Ein Stück Nachkriegsgeschichte. Ausführlichst zitiert Nadine Olonetzky aus der Korrespondenz zwischen ihrem Vater bzw. dessen Rechtsanwälten und dem Landesamt für Wiedergutmachung.

„Schaden an wirtschaftlichem Fortkommen“, „Ausbildungsschaden“, „Schaden an Freiheit“, „Schaden im beruflichen Fortkommen“: So klingt Verfolgung im Juristendeutsch. 24 Jahre lang führte Emil Olonetzky den Schriftverkehr für Wiedergutmachung für sich und seinen Vater. Da ist seine Tochter Nadine stolz, stolz und verwundert. Auch das, dass er für Entschädigung so lange kämpfte, wusste seine Tochter nicht. Erst 2020 hat sie die Unterlagen entdeckt – der Anlass, sich intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen. 17000 Deutsche Mark bekam Emil Olonetzky schließlich als Entschädigung, natürlich unterteilt in die unterschiedlichen „Schadenskategorien“. 3816 Mark. Für die Anwälte, vermutet die Tochter, habe der Vater ein Mehrfaches ausgegeben. Rückblickend urteilt sie:

Dass mein Vater so sehr für das bisschen Entschädigung kämpfen musste, zerreißt mir heute das Herz. Dass er einfach nicht aufhören konnte, wie unglaublich stark war das. Wie verbissen und wie demütigend auch.

Insgesamt hat Nadine Olonetzky aber etwas zu viel in ihr Buch hineingepackt. Aktuelle Bezüge zum Ukraine-Krieg liegen zwar nah, führen aber doch eher vom Eigentlichen Weg. Die eingerückten Teile über den Garten wirken sehr befremdlich – auch wenn am Anfang des Buches darauf hingewiesen ist, dass „die tröstende Kraft eines Gartens im Jahreslauf“ für alle da sei, die die Geschichte lesen. Für Pausen beim Lesen braucht es keinen beschriebenen Garten.

Auch wenn die Autorin ins Poetische übergeht, schießt sie sprachlich über das Ziel hinaus, wenn zum Beispiel von der Erinnerung als Skelette, die in der Erde stehen, geschrieben ist. Oder wenn sie sich zu Aufzählungen hinreißen lässt.

So schreibt sie über das verkohlte Holz der Stuttgarter Synagoge:

Wie viele Schwarz gibt es? Schwarz wie Trauerkleidung, wie die Rabenkrähen, die im Garten landen. Schwarz wie das Fell meiner Lieblingskatze. Schwarz wie die Dunkelkammer, bevor das rote Licht aufflammt. Schwarz wie das Schwarze Meer? Schwarz wie Pech. Schwarz wie schwarzer Humor.

Andere, wiederkehrende Motive überzeugen dagegen, wie etwa die Parkbank, auf der der Vater der 15-jährigen Nadine seine Geschichte erzählte. Oder der Verweis auf Zlatek die Ziege.

Fazit: Gerade weil man über die Entschädigungs-Prozedur so wenig weiß, ist das Buch so spannend, wenn auch die behördlichen Briefwechsel sehr ernüchternd sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Erzählstil