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Veröffentlicht am 04.07.2018

Spannender Jugendthriller um typische Teenagerprobleme – gepaart mit Mord …

Mädchen, Mädchen, tot bist du
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Leila ist tot. Die Sechzehnjährige baumelt erhängt von einem Dachbalken in ihrem Zimmer. Selbstmord, so scheint es. Doch direkt auf den ersten Seiten meldet sich ein namenloser Erzähler zu Wort, der den ...

Leila ist tot. Die Sechzehnjährige baumelt erhängt von einem Dachbalken in ihrem Zimmer. Selbstmord, so scheint es. Doch direkt auf den ersten Seiten meldet sich ein namenloser Erzähler zu Wort, der den Leser informiert: Es war Mord. Und es wird nicht der letzte bleiben … Nach Leilas Tod begleitet der Leser nacheinander drei weitere blonde, sechzehnjährige Mädchen durch diesen Jugendthriller. Sie alle haben Stress mit ihren Eltern, zicken sich mal mit ihren Freundinnen an, gehen in die Schule, zum Hockeytraining und auf Partys – typische Teenager halt. Wer will ihnen Böses? Und warum? Auch wenn sich dieser Jugendthriller rasant weglesen lässt, tappt man als Leser doch lange im Dunkeln. Genau wie die Protagonistinnen, die in anonymen Briefen bedroht und vorgewarnt werden, sich darauf jedoch keinen Reim machen können.

Anfangs störte mich, dass die einzelnen Mädchen recht rasch abgehandelt werden. Da sie alle Ich-Erzählerinnen sind, kommt man ihnen zwar kurz nahe, aber bevor man sich einen wirklichen Eindruck machen kann, wechselt Autorin Mel Wallis de Vries auch schon zur nächsten Figur. Da die Mädchen kaum miteinander zu tun haben, entstehen so harte Brüche. Im letzten Buchdrittel führt die Autorin jedoch schwungvoll und gekonnt alle Informationen zu einem Gesamtbild zusammen, auf das ich als Leserin nie gekommen wäre – und gerade das macht ja einen guten Thriller aus. Außerdem gefiel mir, dass fast keine der Figuren schwarzweiß ist – nur gut, nur böse. Die Autorin zeigt Jugendliche in der Selbstfindungsphase mit Ecken und Kanten, mal grausam gedankenlos, mal noch recht kindlich. Die Themen, die sie anschneidet, dürfte jeder von seinem eigenen Heranwachsen kennen: Beliebtheit, Mobbing, Erfolge und Misserfolge im Schulsport, der Wunsch, nur mit den richtigen Leuten gesehen zu werden, der Wunsch nach Anerkennung und Zuneigung. Ein spannendes, stellenweise gruseliges Jugendbuch, das ich mir bis zur Mitte allerdings etwas ausführlicher gewünscht hätte.

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  • Spannung
  • Atmosphäre
  • Erzählstil
  • Geschichte
Veröffentlicht am 28.06.2018

Annäherung an ein vergangenes Leben

Eine Liebe, in Gedanken
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Eine Tochter räumt nach dem Tod ihrer verstorbenen Mutter deren Wohnung aus. Die namenlose Erzählerin findet alte Briefe und Fotos und verliert sich in Gedanken an das Leben der ruhelosen Antonia. Diese ...

Eine Tochter räumt nach dem Tod ihrer verstorbenen Mutter deren Wohnung aus. Die namenlose Erzählerin findet alte Briefe und Fotos und verliert sich in Gedanken an das Leben der ruhelosen Antonia. Diese hatte mit Anfang 20 – lange vor der Geburt der Tochter – ihre große Liebe in Edgar gefunden. Die Erzählerin trägt zusammen, was sie über die Liebesgeschichte von Antonia und Edgar weiß. Und so erstehen die 1960er Jahre in „Eine Liebe, in Gedanken“ noch einmal auf. Antonia wächst einem dabei schnell ans Herz, diese beherzte, freiheitsliebende junge Frau, die gleichzeitig bereit ist, sich voll und ganz den Bedürfnissen ihres Edgars unterzuordnen. Gerade weil sie sich für eine traditionelle Versorgungsehe zu modern fühlt, stellt sie keine Forderungen an ihren Liebsten. Doch was will, was plant der grüblerische, vorsichtige Edgar eigentlich?

„Eine Liebe, in Gedanken“ war für mich anders als erwartet. Die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Antonia und der Erzählerin wird eher indirekt beleuchtet, im Zentrum steht Antonias Liebe zu Edgar. Nacherzählt wird die Liebesgeschichte zwar von der Tochter, die hier jedoch fast als allwissende Erzählerin auftritt, bis sie gegen Ende des Buches wieder aus dem Schatten der Geschichte ihrer Mutter heraustritt. Und eigene Erfahrungen macht, die wie ein Nachhall erscheinen. So ermöglicht sie sich selbst wie dem Leser ein größeres Verständnis für Antonias Geschichte, ein größeres Verständnis vielleicht auch für Antonia. Es scheint fast, als würde die Erzählerin sich nach dem Tod der Mutter mehr auf deren Wünsche und Sehnsüchte einlassen können als zu ihren Lebzeiten. Dieser melancholische Roman nimmt damit ein versöhnliches Ende.

Hervorzuheben ist Bilkaus behutsame Sprache, mit der sie vorsichtig-zurückhaltend Gedanken, Gefühle und Erinnerungen schildert. Dabei sitzt jedes Wort. Der Roman kommt ohne Längen aus, erzählt, was nötig ist, mehr aber auch nicht. Ich habe den knappen Stil der Autorin als besonders berührend empfunden, er lässt genug Spielraum, um ihren präzisen Formulierungen nachzuschmecken. Die geschilderte Zeit war mir fremd, wurde mir aber nach und nach sehr nahegebracht. Am Ende dieser leisen Geschichte konnte ich wie die Erzählerin meinen Frieden mit ihr machen. Ein intensives Leseerlebnis und ein Roman, der seine Leser auch fordert: „Eine Liebe, in Gedanken“ ist zwar kein dickes Buch, aber trotzdem auch keins, das sich einfach so wegliest. Man braucht etwas Zeit sowie die Bereitschaft, sich stimmungsmäßig voll und ganz darauf einzulassen. Und muss am Ende aushalten, dass sich nicht alles zufriedenstellend aufklären lässt – wie im richtigen Leben. Vermutlich bleibt „Eine Liebe, in Gedanken“ gerade deswegen im Gedächtnis.

Veröffentlicht am 28.05.2018

Coming-of-Age-Sommerlektüre – leicht, spannend, berührend

Der rote Swimmingpool
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„Der rote Swimmingpool“ ist ein sommerlich leichter Coming-of-Age-Roman, in dem der Leser Hauptfigur Adam durch Höhen und Tiefen begleitet. Dabei gibt es zwei parallele Handlungsstränge; Vergangenheit ...

„Der rote Swimmingpool“ ist ein sommerlich leichter Coming-of-Age-Roman, in dem der Leser Hauptfigur Adam durch Höhen und Tiefen begleitet. Dabei gibt es zwei parallele Handlungsstränge; Vergangenheit – hauptsächlich die Monate vor Adams 18. Geburtstag – und Gegenwart – irgendwann im Laufe seines 19. Lebensjahres – wechseln sich kapitelweise ab. Adams Erwachsenwerden und Selbstfindung sind ein holpriger Prozess, nachhaltig gestört von der für ihn aus heiterem Himmel kommenden Trennung seiner Eltern, die doch immer ein Vorzeigepaar gewesen waren: Seine Mutter eine extravagante Französin, sein Vater ein erfolgreicher Unternehmensberater, der seiner Frau einen rotgekachelten Swimmingpool in den Garten bauen ließ, nachdem sie die französische Küste so vermisste. Doch plötzlich ist alles vorbei, Adam versteht die Welt nicht mehr und niemand will sie ihm erklären.
Während das Unheil in der Vergangenheit seinen Lauf nimmt, gibt es für Adam in der Romangegenwart Hoffnung: Er lernt Tina kennen und scheint sich zum ersten Mal zu verlieben. Dumm nur, dass sein bester Freund Tom ebenfalls ein Auge auf sie geworfen hat …

Autorin Natalie Buchholz hat die Geschichte geschickt konstruiert. Die beiden Handlungsstränge gleichen sich zeitlich immer mehr an, bis der Leser schließlich erfährt, welche Ereignisse der Vergangenheit zur Gegenwart geführt haben. Das ist gut gemacht und steigert die Spannung in diesem Roman, in dem ab und an auch die Zeit stillzustehen scheint: Wenn die Mutter ihre Bahnen durch den Pool zieht oder Adam mit seinen Freunden am See abhängt, kann man die Atmosphäre eines wolkenlosen, trägen Sommertages, an dem niemand etwas von einem will, quasi mit Händen greifen. Adam wächst dem Leser ans Herz, seine inneren Kämpfe sind nachvollziehbar, man leidet fast mit. Etwas blass bleiben dagegen seine Eltern, die für Adams Verwirrung und Orientierungslosigkeit verantwortlich sind. Aber auch das ist gut dargestellt: Anfangs noch die Helden seiner Kindheit, gelangt Adam schließlich zur Erkenntnis, dass seine Eltern auch nur Menschen sind – und dabei vielleicht sogar besonders fehlbare Exemplare.

Ich habe „Der rote Swimmingpool“ gerne gelesen. Dabei brauchte ich ein paar Kapitel, um wirklich in die Geschichte mit ihren beiden Zeitsträngen hineinzufinden, aber danach konnte ich das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Eine leichte, aber doch anrührende und nachdenklich machende Lektüre – ob nun an einem heißen Sommertag an einem roten Swimmingpool gelesen oder nicht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Figuren
  • Geschichte
  • Dramaturgie
Veröffentlicht am 27.04.2018

Coming of Age mal anders

DUMPLIN'
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Schon das Cover hat mich davon überzeugt, dass ich dieses Buch lesen muss: Eine kräftigere Frau im roten Abendkleid hat vor schwarzem Hintergrund ihren großen Auftritt. Sie hebt Hände und Kopf nach oben, ...

Schon das Cover hat mich davon überzeugt, dass ich dieses Buch lesen muss: Eine kräftigere Frau im roten Abendkleid hat vor schwarzem Hintergrund ihren großen Auftritt. Sie hebt Hände und Kopf nach oben, genießt offensichtlich ihren Applaus. Über ihr steht der Untertitel des Buches: „Go big or go home“. Was für ein Auftritt!
Die auf dem Cover illustrierte Haltung erwartete ich dann von der Hauptfigur, der 16-jährigen Willowdean Dickson. Sie ist die titelgebende „Dumplin‘“, ihre Mutter hat ihr den Spitznamen „Knödel“ in frühester Jugend verpasst. Als eine frühere Schönheitskönigin, die sich damit rühmt, immer noch in ihr Wettbewerbskostüm von vor fast 20 Jahren zu passen, steht Rosie Dickson dem Übergewicht ihrer Tochter äußerst kritisch gegenüber. Verschärft wird der Konflikt dadurch, dass Rosies Schwester Lucy, mit der Mutter und Tochter zusammenwohnten, vor Kurzem mit 36 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist, der auf ihre Gewichtsprobleme zurückzuführen war.
Doch Will lässt sich von ihrer Mutter keine Komplexe einreden und ist mit sich im Reinen - eigentlich. Ihre beste Freundin El sieht zwar aus wie ein Model und hat schon ewig einen festen Freund, während Will ihren Fast Food Imbiss-Kollegen Bo nur in Gedanken anschwärmt, aber sie ist durchaus selbstbewusst und zufrieden, wenn man davon absieht, dass sie ihre verstorbene Tante sehr vermisst. Dann aber überstürzen sich die Ereignisse …

„Dumplin‘“ ist eine Coming of Age-Geschichte der anderen Art. Will fragt sich, wer sie ist, wie sie gesehen wird und was sie vom Leben will, zusätzlich ist aber ein großes Thema, ob und wie sehr sie sich von anderen über ihr Gewicht definieren lässt – und wie sehr sie sich selbst darüber definiert. Die Botschaft des Buches ist ganz klar: „Du bist gut so, wie Du bist!“ Anfangs macht es den Eindruck, als wäre sich die Protagonistin dessen vollkommen bewusst, doch dann scheint ihr Leben in seinen Grundfesten erschüttert und sie muss zu einem neuen Selbstverständnis finden. Ihre Probleme waren für mich nicht immer nachvollziehbar und zum Teil auch ziemlich hausgemacht, aber das waren meine Probleme mit 16 vermutlich auch ... Zum Teil macht es den Charme des Buches aus, dass Will nicht immer die strahlende Heldin ist, die man auf dem Cover sieht. Sie hat durchaus Kanten, Charakterschwächen und Tiefs. Letztere bewirken, dass der Roman längst nicht immer so unterhaltsam ist, wie ich es aufgrund des Covers und der ersten Kapitel erwartet hatte. Einige andere Figuren kamen mir etwas zu kurz, Julie Murphy hatte sie zwar komplex angelegt, aber dann in meinen Augen nicht ganz ausgestaltet – zum Teil hätte ich gerne noch mehr über Wills Umfeld erfahren. Etwas ratlos lässt mich auch das Übergewicht der Hauptfigur zurück: Murphy beschreibt es nicht näher, was ich gut finde, so kann sich jeder sein eigenes Bild von Will machen. Dass sie liebenswert ist, egal wie viel sie wiegt – gar keine Frage. Ihre verstorbene Tante wog allerdings 225 kg und hat das Haus kaum mehr verlassen, was im Buch irgendwie als unumstößliche Tatsache akzeptiert wird. Auf der einen Seite ist das verständlich: Die Tante ist gestorben, es lässt sich eh nichts mehr ändern … auf der anderen Seite hat es mich jedoch gestört, dass ihr Gewicht so schicksalsergeben akzeptiert wurde. Dass Will ein glückliches Leben ohne Idealmaße führt – wunderbar. Aber dass es wichtig ist, darauf zu achten, dass man einigermaßen gesund bleibt – an irgendeiner Stelle hätte das ruhig mal Erwähnung finden können.
Amüsiert hat mich dagegen die starke amerikanische Färbung – „Dumplin‘“ spielt in Texas! Von Dating-Kultur über Kirchenbesuch bis hin zum Schönheitswettbewerb war das immer wieder spürbar.
Insgesamt ist „Dumplin‘“ gute, aber auch nachdenklich machende Unterhaltung, insbesondere zu den Themen Selbstbewusstsein, Freundschaft und generell zwischenmenschliche Beziehungen. Ein lesenswertes Jugendbuch mit kleinen Schwächen.

Veröffentlicht am 16.03.2018

Über Verlust, Freundschaft und Widerstand in unmenschlichen Zeiten

Summ, wenn du das Lied nicht kennst
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16.06.1976 – Schicksalstag in Südafrika. Im Township Soweto beginnt ein beispielloser Schüleraufstand gegen das rassistische Bildungssystem sowie das Apartheidsregime an sich. Die Polizei geht mit brutaler ...

16.06.1976 – Schicksalstag in Südafrika. Im Township Soweto beginnt ein beispielloser Schüleraufstand gegen das rassistische Bildungssystem sowie das Apartheidsregime an sich. Die Polizei geht mit brutaler Gewalt gegen die größtenteils minderjährigen Demonstranten vor, viele sterben. Mittendrin im Geschehen ist die 49-jährige Beauty Mbali, eine der beiden Hauptfiguren im Roman „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“. Sie demonstriert nicht, sie sucht – ihre 17-jährige Tochter Nomsa, die seit sieben Monaten bei der Familie von Beautys Bruder wohnt, um in Soweto eine höhere Bildung zu erlangen, als es ihr an den Schulen in ihrem Homeland möglich wäre. Beauty kann Nomsa in den Unruhen nicht finden, auch in den Tagen, Wochen, Monaten danach bleibt das Mädchen verschwunden. Doch Beauty gibt ihre Tochter nicht auf.

Auch für die neunjährige Robin ist der 16.06.1976 ein Schicksalstag. Das kleine weiße Mädchen wohnt in der Minenstadt Boksburg, 50 km von Soweto entfernt, und bekommt dort nur wenig von den Unruhen in Soweto mit. Auch ihre Eltern gehen abends unbesorgt zu einer Einladung – werden auf dem Weg dorthin jedoch von Schwarzen ermordet. Von einem auf dem anderen Tag Vollwaise, bleibt Robin nur noch ihre alleinstehende Tante Edith, die Stewardess und mit ihrer plötzlichen Vormundschaft für ein Kind heillos überfordert ist. Schließlich kreuzen sich ihre und Beautys Wege.

Die südafrikanische Autorin Bianca Marais, selbst erst 1976 geboren, schildert die Auswirkungen der Apartheid in „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ aus verschiedensten Perspektiven, was ich als wirklich gelungen empfunden habe. Zunächst einmal werden unterschiedliche Ausprägungen von Rassismus gezeigt: Bösartig, gedankenlos, gewohnheitsmäßig. An Robins Beispiel wird deutlich, was es mit einem Kind macht, wenn es in der Überzeugung aufwächst, es sei aufgrund seiner Hautfarbe anderen Menschen grundsätzlich überlegen. Durch Randbemerkungen von Beauty und anderen schwarzen Protagonisten zeigt sich, wie sich die Apartheid auf alle Lebensbereiche auswirkte: Toiletten für Weiße benutzen? Verboten. Ohne Genehmigung außerhalb des eigenen Homelands unterwegs sein? Verboten. Am Strand spazieren oder im Meer baden? Verboten, auch das ist den Weißen vorbehalten. Paradoxerweise, denn wie lässt Marais ihre Protagonistin Beauty denken: „Ich habe keine Ahnung, warum sie stundenlang in der Sonne braten, um braun zu werden, wo sie unsere Hautfarbe doch so abstoßend finden.“

Doch es gibt auch Weiße, die Beauty helfen. Menschen, denen man ihre guten Absichten vielleicht erst auf den zweiten Blick ansieht. Außenseiter mit gutem Herzen. Der Roman handelt viel von Schwarz und Weiß, ist aber nicht schwarzweiß, was mir sehr gefallen hat.

Allerdings wurde mir „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ irgendwann zu überladen. Nach dem Verlust ihrer Eltern macht Robin eine Wandlung durch, in deren Verlauf sie erkennt, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie und eine Schwarze das gleiche Geschirr und Badezimmer benutzen. Eine so begrüßenswerte wie nachvollziehbare Erkenntnis. Dass dieses verlorene, verstörte Mädchen aber schließlich in einer „Shebeen“, einer illegal betriebenen Kneipe in Soweto, eine flammende Rede darüber hält, dass sie hofft, dass Nelson Mandela eines Tages das Land regieren und die Nation heilen wird, so dass sie alle als Gleiche zusammenleben können – das war mir entschieden zu viel der Wandlung und weiser Vorhersehung. Das Kind wächst in einem Maße über sich hinaus, das mir fast märchenhaft erschien. Auch sonst war der Roman an einigen Stellen einfach zu schön, um wahr zu sein. Sowohl Robin als auch Beauty lernen im Verlauf des Buches, „dass einem Freunde an den seltsamsten Orten und in völlig unerwarteter Gestalt begegnen können“. Aber dass Robins neuer Freundeskreis aus einem jüdischen Jungen, einem homosexuellen Paar, weißen Widerständlern und einem Farbigen besteht, kam mir doch arg konstruiert vor; sämtliche diskriminierte Minderheiten schienen vertreten. Hier hat es Autorin Marais für meinen Geschmack einfach übertrieben – sicher aus ehrenwerten Motiven, aber zu Lasten der Glaubwürdigkeit.

Trotzdem ist „Summ, wenn du das Lied nicht kennst“ ein empfehlens- und lesenswerter Roman, der das Südafrika der 1970er Jahre auf viele verschiedene Arten illustriert. Mir hat er es emotional nähergebracht, als es ein Sachbuch, eine Ausstellung oder eine Fernsehdokumentation gekonnt hätten. Dies ist ein Verdienst des Buches. Am Ende deutet Hauptfigur Robin an, dass es eventuell eine Fortsetzung gibt, die ich mir aufgrund des offenen Endes sehr gut vorstellen könnte – und auf jeden Fall lesen würde.