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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2018

Harter Stoff

Dreckiger Schnee
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Aidan Waits war Detective, aber nach einem Griff in die Asservatenkammer und anderen Fehltritten wird er rausgeworfen. So ist die offizielle Version, in Wirklichkeit soll er sich under cover Zutritt zu ...

Aidan Waits war Detective, aber nach einem Griff in die Asservatenkammer und anderen Fehltritten wird er rausgeworfen. So ist die offizielle Version, in Wirklichkeit soll er sich under cover Zutritt zu einem Drogenring und seinem Boss verschaffen, der ein perfektes System des Handels aufgezogen hat. Junge Mädchen sind seine Kuriere und Geldeintreiber. Übrigens bis auf den Rauswurf stimmen die Vorwürfe, Aidan ist ziemlich weit unten, konsumiert Drogen und Alkohol und muss sich gar nicht groß verstellen, er wirkt perfekt.
Doch dann bekommt sein Einsatz eine ganz besondere Wende, Isabelle, die Tochter eines Abgeordneten ist von zu Hause abgehauen und scheint in die Fänge des Drogenbosses geraten zu sein. Aidan Waits soll sie ausfindig machen und zurückbringen.
Die ersten Kapitel haben mich stark herausgefordert. Ich fand sie verwirrend und kompliziert, ständig gab es Anspielungen und Halbsätze, die ich erst wieder nachlesen musste. Erst nach einiger Zeit hatte den Durchblick. Der Thriller - ein Debüt - ist sehr temporeich geschrieben. Manchmal fand ich das fast übertrieben, aber der Autor setzt es als Spannungsmittel ein. Dreckiger Schnee ist eigentlich ein Slangausdruck für unsauberes Heroin, aber hier ist alles dreckig. Dreckig und brutal und direkt! Drogen, Sex und ausufernde Gewalt machen das Buch aus, wer das mag, der kommt bei diesem Thriller wirklich auf seine Kosten. Auch das ich bei Aidan Waits bis zum Schluss nicht wusste, ob er eine Rolle spielt, oder wirklich so tief unten gelandet ist, hat mich irritiert. Es ist nicht mein Buch gewesen, obwohl ich zugeben muss, dass ich nach der Hälfte auch gefesselt war, die Spannung war unglaublich hoch und ich wollte dann doch bis zum Ende durchhalten.
Für Fans von harten Thrillern ist dieser Autor sicher eine Neuentdeckung.

Veröffentlicht am 17.08.2018

Ein Stück Stoff

Der Stoff, aus dem Träume sind
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Zwei Frauen, fast zwei Generationen voneinander getrennt, tragen diesen Roman.
Claire verlebt ihre frühe Jugend in Armut auf der Insel Barra. Der Großvater ist Weber und bringt seiner Enkelin die Farben ...

Zwei Frauen, fast zwei Generationen voneinander getrennt, tragen diesen Roman.
Claire verlebt ihre frühe Jugend in Armut auf der Insel Barra. Der Großvater ist Weber und bringt seiner Enkelin die Farben und Garne des unvergleichlichen Tweedstoffs näher. Er ist ihr Stütze im lieblosen Elternhaus. Der Vater ist ein gewalttätiger Trinker, die Mutter hilfloses Opferlamm. Aber ein tragisches Opfer ist der kleine Bruder Logan, der schon als Baby von den Misshandlungen bleibende Schäden davonträgt. Nach dem Tod des Großvaters siedelt die Familie ins Londoner East End um und zur Armut kommt jetzt noch die von Elend geprägte Umgebung.


Vivian lebt als alleinerziehende Mutter in London. Ein abgebrochenes Psychologiestudium, wenig Zukunftsaussichten und eine diffuse Lebens-und Zukunftsangst prägen sie. Sie hat wenig Selbstvertrauen und möchte am liebsten unsichtbar sein. Obwohl sie bei anderen Menschen sehr gut Handlungsweisen einschätzen kann und aufgrund ihres Studium sie auch gleich analysieren kann, versagt bei ihr selbst diese Einschätzung. Nur in der Liebe zu ihrem kleinen Sohn Ethan geht sie völlig auf.


Claires und Vivians Wege kreuzen sich und aus anfänglicher Abneigung erwächst langsam Vertrauen und Verständnis.
Der Roman ist warmherzig geschrieben, die beiden Frauenschicksale sind gut geschildert. Erstaunlich fand ich, wie die – deutsche – Autorin so kenntnisreich das London der Nachkriegszeit schildert und wie farbig die Schauplätze, sowohl in der Gegenwart, wie auch in der Vergangenheit, erzählt werden. Vivian und Claire müssen beide ihre Komfortzone verlassen und sich dem Leben stellen, auch wenn die Herausforderung an sie beide sehr unterschiedlich sind. Die Veränderung der Persönlichkeiten habe ich sehr gern begleitet. Wie aus der exzentrischen Claire und der zurückhaltenden, unsicheren Vivian die ersten Anfänge von Freundschaft entstehen, gefiel mir.


Das Stilmittel der wechselnden Perspektiven und der Rückblicke in die Vergangenheit der beiden Frauen machen den Roman lebendig und interessant.

Veröffentlicht am 01.08.2018

Mord in feinen Kreisen

Die edle Kunst des Mordens
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Die Autorin Clara Annerson möchte ins Krimifach wechseln. Um Anregungen und einen Schauplatz zu eruieren besucht sie ein Museum und wird Zeugin einiger verdächtig aussehender Aktionen und Besucher. Allerdings ...

Die Autorin Clara Annerson möchte ins Krimifach wechseln. Um Anregungen und einen Schauplatz zu eruieren besucht sie ein Museum und wird Zeugin einiger verdächtig aussehender Aktionen und Besucher. Allerdings verhindert sie mit ihrem vollen körperlichen Einsatz keinen Kunstraub, sondern unterbricht die Schnitzeljagd einiger Anhänger des „Rudolfsbund“. Geschickt lädt sie sich selbst zum nächsten Treffen dieser Gruppe ein. Die Mitglieder sind allesamt Kunstsammler und Raritätenjäger mit recht exzentrischen Sammelgebieten und Clara verspricht sich viel von diesem Abend.
Es sollte dann auch wirklich ein ganz besonderes Erlebnis werden, denn in der Bibliothek – wo sonst – stolpert Clara über die Leiche der Ehefrau eines Sammlers. Ihr Spürsinn ist geweckt, vor allem, weil die Leiche beim Eintreffen der Polizei verschwunden ist und Kommissar Wenge nicht sonderlich ambitioniert erscheint.
Mit Raffael Lamarck, anfangs einer ihrer Verdächtigen, später dann Verbündeter, geht sie selbst auf Verbrecherjagd und konstruiert ganz nebenbei die Handlung eines Kriminalromans.
„Die edle Kunst des Mordens“ ist unterhaltsamer Kriminalroman, der seine Hobbyermittlerin in den Mittelpunkt stellt. Clara tritt in die Fußstapfen von Miss Marple und versucht auf ihre Art den Fall zu lösen, was zu vielen Verwicklungen führt und den Leser in die Aufklärung einbezieht. Der Kreis der Verdächtigen ist überschaubar und wir lernen sie, genau wie Clara, gleich zu Beginn des Abendessen der Rudolfsbündler kennen. Motive gibt es viele und wie so oft, ist Geldgier und Neid bei fast allen Verdächtigen zu finden.
Die einzelnen Personen sind recht witzig und mit ihren Spleens auch unterhaltsam beschrieben. Besonders Raffael Lamarck, auf den Clara bald schon ein Auge wirft, hat einige Geheimnisse, die Clara bis zum Schluss nicht ganz ergründen kann. Die Fragen bleiben nicht nur für unsere Hobbyermittlerin unbeantwortet, auch der Leser wird dadurch ganz geschickt geködert. Aufklärung wird es sicher im nächsten Band geben, denn schon der Untertitel des Krimis „Clara Annerson ermittelt“ weist auf eine beginnende Reihe hin.
Ein – trotz Mord – eher gemütlicher Kriminalroman, der gut unterhält und sich zum Miträtseln anbietet. Locker und amüsant geschrieben, macht es Spaß sich mit Clara auf Spurensuche zu begeben. Als Reihenauftakt gibt es noch Luft nach oben und ein wenig mehr Tempo in der Handlung dürfte auch nicht schaden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Charaktere
  • Atmosphäre
  • Lesespaß
Veröffentlicht am 07.07.2018

Liebeswirren und Schulstress

Wenn's einfach wär, würd's jeder machen
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Annika lebt wirklich auf der Sonnenseite des Lebens. Einzig, dass sie damals bei „Jugend musiziert“ nur den zweiten Preis gewonnen hat, geht ihr noch nach. Sie unterrichtet am Werther Gymnasium, der Eliteschule, ...

Annika lebt wirklich auf der Sonnenseite des Lebens. Einzig, dass sie damals bei „Jugend musiziert“ nur den zweiten Preis gewonnen hat, geht ihr noch nach. Sie unterrichtet am Werther Gymnasium, der Eliteschule, die sie schon selbst besuchte. Dann kommt der Hammer: sie wird versetzt! Ausgerechnet an eine Hauptschule in einem Hamburger Brennpunktviertel.
Annika ist, wie alle Heldinnen von Petra Hülsmann, eine sympathische junge Frau, die man manchmal schütteln möchte, um sie in der Realität zu erden. Das machen in diesem Fall die Schüler an ihrer neuen Astrid-Lindgren-Schule. Um möglichst schnell wieder eine Versetzung zu erreichen, gründet sie eine Musical-AG um den Hamburger Schulpreis damit einzuheimsen – eine wichtige Voraussetzung um wieder ans Werther Gymnasium zurückzukommen. Aber dann kommt alles ein wenig anders…
Ich lese die unterhaltsamen Romane von Petra Hülsmann sehr gern. Sie haben Charme und punkten mit Hamburg Flair. Gut gefällt mir auch, dass in ihren Büchern immer mal wieder einen Cameo Auftritt von Knud, dem urigen Taxifahrer, gibt. Von ihm stammt auch der Spruch „wenn’s einfach wär, würd’s jeder machen“, der dem Buch den Titel gibt. Dieses Mal hatte ich aber immer ein Déjà- vue. Ich fand zu viele Anleihen aus den bekannten Kinofilmen um eine renitente Schulklasse und das wirkte nicht sonderlich originell. Auch die Grundkonstruktion ihrer Geschichte variiert das Thema der Vorgängerromane.
Dennoch macht das Lesen Spaß, die Autorin punktet mit Wortwitz und Esprit, ihre Bücher bieten locker-leichte Sommerunterhaltung. Die Figuren sind mit leichter Hand gezeichnet und haben nicht sonderlich viel Tiefgang, ihren Irrungen und Wirrungen, vor allem in Liebesdingen zu folgen, ist aber immer witzig und vergnüglich.

Veröffentlicht am 05.07.2018

Ein dunkles Familiengeheimnis

Wenn wir wieder leben
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Anfang der 60iger in Berlin. Wanda ist eine junge Frau, die behütet und umsorgt von ihrer Mutter und ihrer Tante aufgewachsen ist. Ihr Geburtsort Zopot ist nur ein Name in ihrem Pass. Sie weiß nichts von ...

Anfang der 60iger in Berlin. Wanda ist eine junge Frau, die behütet und umsorgt von ihrer Mutter und ihrer Tante aufgewachsen ist. Ihr Geburtsort Zopot ist nur ein Name in ihrem Pass. Sie weiß nichts von der Vergangenheit und Herkunft ihrer Familie, über die Kriegsjahre wird eisern geschwiegen. An der Uni lernt Wanda den charismatischen Andras kennen, den einzigen Überlebenden einer jüdischen Familie. Andras will das Schweigen an der Uni und in der Gesellschaft nicht akzeptieren. Er engagiert sich bei der Zeugensuche für den Auschwitz Prozess. Er will, dass seine Kommilitonen fragen „was haben meine Eltern in der Vergangenheit gemacht?“ Diese Frage stellt Wanda ihrer Mutter und löst damit ein Drama aus.
Rückblick: Die 20iger und 30iger in Zopot an der Ostseeküste. Gundi ist ein „Goldmädchen“, glücklich und sorglos wächst sie unter der Obhut ihres Großvaters auf. Sie liebt die Musik und mit Freunden spielt sie in einer Band, tritt in den Hotels im Seebad auf. Sie ist spontan, flirtet mit ihren Jugendfreunden Erik und Julius und träumt vom Durchbruch. Als sie auf der „Gustloff“ engagiert werden, scheinen sie am Ziel. Aber die Welt hat sich verändert und Gundi verschließt davor ihre Augen.
In den zwei Zeitebenen steht jeweils eine junge Frau und ihre Suche nach dem Lebensweg im Mittelpunkt. Der historische Hintergrund ist sehr farbig und intensiv geschildert. Besonders interessant fand ich die Atmosphäre 1963 in Berlin. Eine Gesellschaft, die nur vergessen will und keine Auseinandersetzung mit der Geschichte und der eigenen Schuld zulassen will. Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und ein Student wie Andras, der Fragen stellt, nachhakt und nicht lockerlässt, wird schnell als Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Sein jüdischer Familienhintergrund verstärkt das nur, denn Antisemitismus nicht verschwunden, er wird nur nicht offen ausgesprochen. Wandas Erwachen aus dem schützenden Kokon ist schmerzhaft. Das wird durch den warmherzigen, interessanten Erzählstil deutlich. Deshalb ist mir die Figur der Wanda auch persönlicher und echter erschienen als Gundi, die mir blass und weniger akzentuiert erschien.
Charlotte Roth versteht es gut, die beiden Teile zu verbinden und ein dunkles Geschichtskapitel über die Lebensläufe zweier Frauen persönlich werden zu lassen. Der Roman ist spannend und auch unterhaltsam geschrieben, aber nie oberflächlich. Ihre Sprache, die Orts- und Zeitbeschreibungen sind lebendig und farbig. Nur manchmal fand ich den ostpreußischen Sprachgebrauch mit den vielen Diminutiven zu sehr in Szene gesetzt. Ich habe den Roman gern gelesen, ich fand ihn anspruchsvoll und die Thematik gut umgesetzt. Das schmerzhafte Erwachen und Erwachsenwerden der jungen Wanda hat mich berührt.
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