Unbedingt lesen!
SchattwaldDas Buch hat mich wirklich sprachlos zurückgelassen. Ich habe es an einem faulen Lesetag verschlungen, weil ich es einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte. Und das hat mehrere Gründe.
Zum einen finde ...
Das Buch hat mich wirklich sprachlos zurückgelassen. Ich habe es an einem faulen Lesetag verschlungen, weil ich es einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte. Und das hat mehrere Gründe.
Zum einen finde ich es toll, dass das Buch aus zwei Perspektiven und in zwei Zeiten geschrieben ist. Abwechselnd wird aus der Sicht der Protagonistin Anne und ihrer Großmutter Charlotte erzählt. Anne findet nach dem Tod ihrer Oma deren Tagebücher und erfährt so nach und nach, was diese während des Krieges durchmachen musste, als sie in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wurde. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Annes Erlebnisse sind in der Ich-Perspektive geschrieben. Dadurch kann man sich richtig gut in sie hineinversetzen. Die Tagebücher ihrer Großmutter sind in der dritten Person geschrieben, allerdings nicht in der typischen Tagebuchform, sondern "normal" als Roman. Das fand ich sehr gut, da es sich zum einen sehr gut liest und so zum anderen die Unterscheidung zwischen den beiden Frauen sehr leicht fällt. Zweimal eine Ich-Form wäre verwirrend gewesen.
Ein weiterer Vorteil dieser beiden unterschiedlichen Handlungsstränge, die natürlich miteinander verwoben sind, ist, dass man gleich zweimal mitfiebert. Einmal mit Charlotte in der Vergangenheit, einmal mit Anne in der Gegenwart. Es ist kein Krimi, sondern ein Roman, aber aufgrund des historischen Bezugs erst recht Gänsehaut-verdächtig. Und glaubt mir: Die Spannung wird wirklich bis zum Schluss hochgehalten! Es macht einfach unglaublich viel Spaß mit Anne gemeinsam die Lücken zu schließen und so ihrer Großmutter näher zu kommen.
Inhaltlich finde ich das Buch deswegen so besonders, weil es eine Seite des Zweiten Weltkriegs beleuchtet, von der man nur wenig mitbekommt. So geht es nicht um eine Hitler-Geschichte an sich, aber um den Umgang mit psychisch kranken Menschen zu dieser Zeit. Dieses Thema wird meiner Meinung nach zu wenig in der Öffentlichkeit behandelt - im Geschichtsunterricht wird meistens nur am Rande über das Euthanasie-Programm im Dritten Reich gesprochen. Natürlich ersetzt dieses Buch kein Geschichtsbuch, aber es gibt Einblicke in das Leben derer, die oft vergessen werden.
Aber nicht nur dieses Thema wird behandelt. Ganz nebenbei wird einem verdeutlicht, wie schwer die Rationierung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern in diesen Zeiten war. Das ist uns ja gar nicht mehr so bewusst. Aber keine Sorge, in diesem Buch wird nicht der drohende Zeigefinger erhoben - im Gegenteil: Dadurch, dass Anne genauso wie der Leser mehr oder weniger zum ersten Mal mit diesen Umständen direkt konfrontiert wird, zeigt sich der krasse Gegensatz zu heute deutlich, ohne mahnend zu sein.
Der Schreibstil des Buches ist einfach wunderbar. Der Schreibstil ist flüssig, lässt sich leicht lesen und einige Fremdwörter, die wir heute nicht mehr unbedingt in unserem Wortschatz haben, lassen sich durch den Kontext leicht erschließen. Durch die wechselnden Perspektiven gibt es immer wieder Mini-Cliffhanger, die einen zum Weiterlesen zwingen. Die Sprache ist einfühlsam und gefühlsbetont, bleibt aber an den richtigen Stellen sachlich.
Insgesamt ist das Buch für mich eine richtige Überraschung gewesen. Denn natürlich hat bereits der Klappentext interessiert, aber dass sich dahinter so ein toller Roman versteckt, hatte ich gar nicht erwartet. Ich sage nur: Unbedingt lesen - von mir gibt es 5 Sterne!